Dreizehntes Kapitel.

Heribald und seine Gäste.

Auf der Insel Reichenau war's still und öde, nachdem des Klosters Insassen abgezogen. Der blödsinnige Heribald war Herr und Meister des Eilands. Er gefiel sich in seiner Einsamkeit. Stundenlang saß er am Seeufer und warf flache Kieselsteine über die Wellen, daß sie drauf tanzten. Wenn sie gleich anfangs untersanken, schalt er sie.

Mit den Hühnern im Hof pflog er manchen Zwiespruch, er fütterte sie pünktlich. »Wenn ihr brav seid«, sprach er[204] einmal, »und wenn die Brüder nicht heimkommen, so wird euch Heribald eine Predigt halten.« Im Kloster trieb er allerhand Kurzweil – an einem Tag der Einsamkeit lassen sich gar mancherlei nützliche Gedanken aushecken – der Camerarius hatte ihn geärgert, daß er ihm sein Leder zum Schuhwerk geweigert, da ging Heribald auf des Camerarius Zelle, seinen großen steinernen Wasserkrug schlug er in Trümmer, die drei Blumentöpfe desgleichen und trennte den Strohsack auf des Camerarius Nachtlager entzwei und füllte ihn mit den Scherben. Dann versuchte er, wie sich darauf liege: der harte Inhalt war scharf zu verspüren – da lächelte er zufrieden und ging in des Abt Wazmann Gemächer.

Auch dem Abte war er gram, dieweil er ihm manche Züchtigung zu verdanken hatte, aber es war alles wohl aufgeräumt und in Verschluß getan, da blieb ihm nichts übrig, als dem gepolsterten Lehnstuhl einen Fuß abzuschlagen. Er fügte ihn wieder künstlich an, als wäre nichts geschehen. »Das wird anmutig mit ihm zusammenbrechen, wenn er heimkommt und sich bequemlich niederlassen will. Den Leib sollst du züchtigen, sagt der heilige Benedikt. Aber Heribald hat den Stuhlfuß nicht abgeschlagen, das haben die Hunnen getan ...«

Gebet, Andacht und Psalmensingen verrichtete er, wie des Ordens Regel gebot. Die sieben Tageszeiten hielt der Einsame ängstlich ein, als möcht' er gestraft werden ob deren Versäumnis, auch zur Vigilie stieg er nach Mitternacht hinunter in die Klosterkirche.

Zur Zeit, als seine Mitbrüder auf der Herzogsburg mit den Sankt Gallischen zechten, stand Heribald im Chor; unheimlich Grauen der Nacht lag über der Halle, düster flackerte die ewige Lampe: er aber stimmte unverdrossen und mit Heller Stimme den Eingangsvers an: »Herr, neige dich zu meinem Beistand! Herr, eile heran zu meiner Hilfe!« und sang den dritten Psalm, den einst David gesungen, da er floh vor Absalom, seinem Sohn. Wie er an die Stelle kam, wo Übung des Psallierens gemäß die Antiphonie ertönen sollte, hielt er nach alter Gewohnheit[205] an und wartete des Gegengesangs, aber es blieb ruhig und stumm; da fuhr er mit der Hand nach der Stirn. »Ja so«, sprach der Blödsinnige, »sie sind fort und Heribald ist allein ...« Jetzt wollte er auch noch den vierundneunzigsten Psalm singen, wie es die Vorschrift nächtlichen Horadienstes erheischte, da erlosch die ewige Lampe, eine Fledermaus war drüber hingestreift. Draußen Regen und Sturm. Schwere Tropfen fielen auf das Dach der Kirche und schlugen an die Fenster, da ward's ihm unheimlich zu Mut: »Heiliger Benedikt«, rief er, »nimm ein gnädig Einsehen, daß Heribald nicht schuld ist, wenn die Antiphonie ungesungen blieb.« Er schritt in der Dunkelheit aus dem Chor; ein schriller Wind pfiff durch ein Fensterlein der Krypta unter dem Hochaltar, ein heulender Ton kam heraus. Wie Heribald vorwärts ging, faßte ein Luftzug sein Gewand: »Bist du wieder da, höllischer Versucher?« rief er, »muß wieder gefochten sein168

Unverzagt schritt er zum Altar und faßte ein hölzern Kreuz, das der Abt nicht hatte wegnehmen lassen: »Im Namen der Dreieinigkeit, komm heran, Larve des Satans, Heribald erwartet dich!« Festen Mutes stand er an des Altares Stufen, der Wind heulte fort, der Teufel blieb aus ... »Er hat noch genug vom letztenmal!« sprach der Blödsinnige lächelnd. Vor Jahresfrist war ihm der böse Feind erschienen in Gestalt eines großen Hofhundes und hatte ihn angebellt, aber Heribald hatte ihn bestanden mit einer Stange und ihm mit so tapfern Hieben zugesetzt, daß die Stange zerbrochen war ...

Da rief Heribald noch eine Auslese beleidigender Reden nach der Richtung hin, wo der Luftzug stöhnte; wie sich aber nichts nahte, ihn anzufechten, stellte er das Kreuz wieder auf den Altar, beugte sein Knie und ging, Kyrie eleison murmelnd, in seine Zelle zurück. Bis in den hellen Morgen hinein schlief er dort den Schlaf des Gerechten.

Die Sonne stand hoch am Himmel, da wandelte Heribald vergnüglich vor dem Kloster auf und nieder. Seit daß er sich von den Schulbänken weg der Vakanz hatte erfreuen mögen, war ihm wenig Gelegenheit zum Ausruhen[206] mehr geworden. Ruhe ist der Seele größte Feindin! hatte Sankt Benedikt gesagt und darum seinen Schülern streng vorgeschrieben, die Stunden des Tages, die nicht der Andacht galten, mit Arbeit der Hände auszufüllen. Heribald war keiner Kunst oder Handwerksgriffe kundig, darum hatten sie ihn zum Holzspalten und ähnlich nutzbringender Tätigkeit angehalten – jetzt aber schritt er, die Arme gekreuzt, an den aufgebeugten Scheitern vorüber und schaute lächelnd nach einem Klosterfenster hinauf: »So komm doch herunter, Vater Rudimann!« rief er, »und halte den Heribald zum Holzhauen an! Du hast ja so trefflich Aufsicht gehalten über die Brüder und den Heribald so oft einen unnützen Knecht Gottes gescholten, wenn er den Wolken nachschaute, statt die Axt zu führen, warum tust du nicht, was deines Amtes?«

Kein Echo gab dem Blödsinnigen Antwort; da zog er von den Scheitern der untersten einige heraus, rasselnd stürzte die hochgeschichtete Beuge zusammen: »Fallet nur«, fuhr er im Selbstgespräch fort, »Heribald macht Feiertag heut und setzt nichts wieder auf. Der Abt ist durchgegangen, die Brüder sind durchgegangen, es geschieht ihnen recht, wenn alles zusammenstürzt.«

Nach solch löblicher Verrichtung wandte sich Heribald zum Klostergarten. Eine anderweite Erwägung beschäftigte seinen Geist: er gedachte ein paar liebliche Stöcke Salates zu seinem Mittagsmahl zu schneiden und sie feiner zuzubereiten, als in Anwesenheit des Pater Küchenmeister je geschehen wäre. Lockend malte er sich die Arbeit aus, wie er das Ölkrüglein sonder Schonung angreifen und der größten Zwiebeln einige mitleidslos zerschneiden wollte: da wirbelte drüben am weißsandigen Ufer eine Staubwolke auf, Gestalten von Roß und Reitern wurden sichtbar ...

»Seid ihr schon da?« sprach der Mönch und schlug ein Kreuz, seine Lippen bewegten sich zu einem hastigen Gebete; aber bald lag die gewohnte Miene zufriedenen Lächelns wieder auf seinem Antlitz.

»Fremden Wanderern und Pilgersmännern soll am[207] Tor des Gotteshauses ein christlicher Bescheid erteilt werden169«, murmelte er, – »ich werde sie erwarten.«

Ein neuer Einfall flog itzt durch sein Gemüt; er fuhr mit der Hand über die Stirn: »Bin ich nicht in der Klosterschule über den Geschichten des Altertums gesessen und hab' gehört, wie die römischen Senatoren der senonischen Gallier Einbruch erwartet? Den Mantel umgeschlagen, den Elfenbeinszepter in der Faust, saßen die Greise in ihren Stühlen, unbewegten Auges, wie eherne Götzenbilder: der lateinische Lehrer soll uns nicht umsonst vorgepredigt haben, das sei ein würdiger Empfang gewesen! Heribald kann's auch!«

... Gelinder Blödsinn ist dann und wann eine neidenswerte Mitgift fürs Leben: was andere, schwarz schauen, scheint ihm blau oder grün, zickzackig ist sein Pfad, aber von den Schlangen, die im Gras lauern, merkt er nichts, und über den Abgrund, in den der weise Mann regelrichtig hineinstürzt, stolpert er hinüber sonder Ahnung der Gefahr ... Ein kurulischer Stuhl war zur Zeit im Kloster nicht vorhanden. Heribald schob einen mächtigen Eichstamm an die Pforte, die in Hof führte. »Zu was Zweck und Nutzen haben wir die weltliche Geschichte gelernt, so wir keinen guten Rat draus schöpfen?« murmelte er, setzte sich gelassen auf seinen Block und wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Drüben am nahen Seeufer hielt ein Trupp Reiter; die Zügel in Arm geschlungen, den Pfeil auf der Bogensehne, waren sie spähend herangesprengt, der hunnischen Heerschar Vortrab. Wie kein Hinterhalt aus dem weidenumbuschten Ufer vorbrach, hielten sie die Rosse eine Weile an zum Verschnaufen; der Pfeil ward in den Köcher gelegt, der krumme Säbel mit den Zähnen gefaßt, die Sporen eingepreßt – so ging's in den See. Hurtig arbeiteten sich die Rosse durch die blauen Wogen, – itzt war der vorderste am Land und sprang vom Gaul und schüttelte sich dreimal wie ein Pudel, der vom kühlen Bad zurückkommt; mit schneidigem Hurraruf zogen sie in der schweigenden Reichenau ein.[208]

Wie in Stein gehauen saß Heribald und schaute unverzagt den seltsamen Gestalten entgegen. Nachdenken über vollendete menschliche Schönheit hatte ihm noch keine schlaflose Nacht verursacht, aber was jetzt auf ihn zukam, deuchte ihn so häßlich, daß er ein langgedehntes: »Erbarme dich unser, o Herr, nach deiner Barmherzigkeit Größe!« nicht zu unterdrücken vermochte.

In den Sattel gebückt saßen die fremden Gäste, aus Tierfellen das Gewand, hager, dürr und klein die Gestalt, viereckig der Schädel, das Haar steif struppig herabhängend; gelb glänzte das unfertige Gesicht, als wär' es mit Talg gesalbt; – der vordersten einer hatte durch freiwilligen Einschnitt seinen aufgeworfenen Mund um ein Erkleckliches nach den Ohren hin verlängert; verdächtig schauten sie aus den kleinen tiefliegenden Augen in die Welt hinaus.

Ebensogut könnt' man statt eines Hunnen einen Lehmklumpen halb viereckig in den Händen formen, etwas wie eine Nase dran aufstülpen und das Kinn einschlagen, dachte Heribald: da standen sie vor ihm. Er verstand ihre zischende Sprache nicht und lächelte ruhig, als ging' ihn die ganze Bande nichts an. Sie starrten eine Zeitlang verwundert auf den närrischen Gesellen, wie die Männer kritischen Handwerks auf einen neuen Poeten, von dem noch nicht klar, in welchem Schubfach vorrätiger Urteile sie ihn unterbringen sollen. Itzt erschaute einer die kahlgeschorene Stelle auf Heribalds Haupt und deutete mit dem krummen Säbel drauf hin, sie erhoben ein grinsendes Gelächter, einer griff nach Bogen und Pfeil und legte auf den Mönch an, da ging Heribalds Geduld aus, ein Anflug germanischen Stolzes gegenüber solchem Gesindel kam über ihn: »Bei der Tonsur des heiligen Benedikt«, rief er aufspringend, »die Krone meines Hauptes soll kein Heidenhund lästern!« er fiel dem vordersten in die Zügel, riß ihm den krummen Säbel von der Seite, kampfbereit wollte er sich aufpflanzen ... aber schneller denn der Blitz hatte ihm der Hunnen einer eine starke Schlinge übers Haupt geworfen und riß ihn nieder; sie[209] stürzten über ihn her, knebelten seine Hände auf den Rücken: schon waren todbringende Waffen geschwungen – da hub sich ein fernes Gesumm und Getöse wie von einer mächtig heranrückenden Schar, das zog die Reiter von dem Blödsinnigen ab, sie warfen ihn als wie einen Sack gebunden zu seinem Eichstamm und jagten im Galopp zum Seeufer zurück.

Der ganze Troß des hunnischen Heerhaufens war drüben angelangt; die vom Vortrab gaben durch gellend Pfeifen ein Zeichen hinüber, daß alles sicher; sie erspähten an der Insel schilfbewachsenem Ende eine Furt, schier trocknen Fußes zu durchreiten, den Pfad wiesen sie ihren Gesellen. Itzt kam's herüber gebraust wie das wilde Heer, viele hundert Reitersmänner. An Augsburgs Wällen und des Bischofs Gebet waren ihre vereinten Waffen zerstiebt170, itzt durchzogen sie hordenweis das Land. An Gestalt, Antlitz und Art zu Pferd zu sitzen, glich einer dem andern – bei rohen Nationen sind die Gesichtszüge aller wie aus einem Guß, da es der einzelnen Beruf, in der Masse aufzugehen, nicht von ihr sich abzuheben.

Da glänzten zwischen den Obstbäumen und Gartenfeldern der Insel, wo sonst der Mönch Brevier betend gewandelt, zum erstenmal des Hunnenheeres fremde Waffen, schlangengleich wand sich der reisige Zug über den schmalen Pfad vom Festland herüber, ein wildes Klingen, wie Zymbalschlag und Geigenton, zog mit ihnen, es klang schrill und scharf wie Essig, denn der Hunnen Ohr war groß, aber nicht feinfühlig, und zur Musika wurden nur die verwendet, die des Reiterdiensts untüchtig.

Hoch über dem Heerhaufen wallte die Fahne mit der grünen Katze im roten Feld, bei ihr ritten etliche der Anführer, Ellaks und Hornebogs hervorragende Gestalten.

Ellak mit scharfer unhunnischer Nase, eine Cirkassierin war seine Mutter gewesen, ihr dankte er das blasse, schier denkerartige Antlitz und den durchbohrenden Blick; er war der leitende Verstand des Haufens; daß die alte Welt umgepflügt werden müsse mit Feuer und Schwert, und daß es besser Pflüger als Dung zu sein, seine Lebensüberzeugung.[210] Hornebog, schmal und schmächtig, das schwarze Haupthaar auf beiden Seiten des Angesichts zu zwei großen einsamen Locken zusammengedreht, drüber einen glänzenden Helm mit weithin starrenden Adlerflügeln, hunnischer Reiterkunst ein Vorbild; ihm war der Sattel Heimat, Zelt und Palast, er schoß den Vogel im Flug und trennte mit krummem Säbel ein Haupt vom Rumpf im Vorbeisprengen. Im Halfter wiegte sich ruhig die sechsfältige geknutete Peitsche, ein sinnig Symbol befehlshabender Gewalt.

Über der Rosse Rücken hatten die Hauptmänner köstlich gewirkte Decken hangen, auch Meßgewänder, ein lebendig Zeugnis, daß sie schon anderwärts Klosterbesuch abgestattet. In etlichen Wägen wurde die Kriegsbeute mitgeführt; großer Troß schloß den Zug.

Auf maultiergezogenem Gefährt bei den kupfernen Feldkesseln und anderweitem Küchengerät saß ein alt runzlig Weib. Sie hielt die Hand über die Augen und schaute gegen die Sonne, dort ragten die Bergkegel des Hegau herüber, sie kannte ihre Kuppen ... das Weib war die Waldfrau. Ausgetrieben von Ekkehard war sie in die Fremde gezogen, Rache der Gedanke, mit dem sie des Morgens vom Schlafe erwachte und des Abends sich niederlegte, so kam sie unstet wandernd vor Augsburg, am Fuß des Berges, drauf einst die Schwabengöttin Zisa171 ihren Holztempel gehabt, brannten der Hunnen Lagerfeuer: sie fand sich zu ihnen.

Auf stattlichem Rappen ritt bei der Waldfrau ein Mägdlein, kurz aufgeschürzt, in kecker Fülle gesunden Reiterlebens, unter stumpfem Näslein ein verführerisch Lippenpaar, die Augen funkelnd, das Haar zu einer wallenden Flechte geschlungen, die von rotem Band durchwoben in der Luft flatterte wie Wimpel eines Meerschiffs. Über das lose Mieder hing Bogen und Köcher, so tummelte sie ihr Tier, eine hunnische Artemis. Das war Erica, das Heideblümlein, sie war nicht hunnischen Stammes, in den Steppen Pannoniens hatten die Reiter sie als ein verlassen Kind aufgelesen, und sie war mitgezogen und groß[211] geworden, ohne zu wissen warum: wen sie gern hatte, den streichelte sie, wer ihr mißfiel, den biß sie in den Arm. Botund, der alte Hunnenwachtmeister, hatte sie geliebt, Irkund, der junge, schlug den Botund wegen des Heideblümleins tot, aber wie Irkund sich ihrer Liebe erfreuen wollt' kam Zobolsu und tat ihm mit spitzer Lanze denselben Dienst, den Irkund dem Botund ohne sein Ansuchen erwiesen – so waren Ericas Schicksale mannigfalt, neue Wege, neue Länder, neue Liebe, aber sie war dem Reitertrupp zugewachsen, als wär' sie sein guter Geist, und stund in abergläubischer Verehrung – »solang' die Heideblume bei uns blüht, besiegen wir die Welt«, sprachen die Hunnen, »vorwärts!«

Bei der Klosterpforte lag indes Heribald, der Geknebelte. Seine Betrachtungen waren traurig, eine große Stechfliege summte um sein Haupt, mit auf den Rücken gebundenen Händen vermochte er nicht ihr zu wehren. Heribald hat sich würdig betragen, dachte er, wie ein alter Römer ist er dagesessen, den Feind zu empfangen, jetzt liegt er geknebelt auf dem Pflaster und die Fliege sitzt ungescheut auf seiner Nase: das ist der Lohn für das Würdige! Heribald wird zeitlebens nimmer würdig sein! Unter Stachelschweinen ist Würde ein gar überflüssig Ding!

Wie ein Waldbach bei gehobener Schleuse wälzte sich jetzt der Hunnenzug in den Klosterhof.

Da ward's dem guten Heribald nimmer ganz geheuer: »O Camerarius!« fuhr er in seinen Betrachtungen fort – »und weigerst du mir das nächstemal außer dem Schuhleder auch noch Hemd und Kutte, so flieh' ich doch, ein nackter Mann, von dannen.«

Die vom Vortrab traten zu Ellak und meldeten, wie sie den einsamen Mönch getroffen. Er winkte, ihn beizubringen, da lösten sie ihm den Strick, stellten ihn aufrecht in den Hof und deuteten durch Faustschläge die Richtung nach dem Anführer. Langsam schritt der Unglückliche vorwärts, er stieß ein unwillig Murren aus.

Ein unsäglich spöttischer Zug flog über des Hunnenführers[212] Lippen, wie er vor ihm stand; lässig ließ er die Zügel über des Rosses Hals hangen und wandte sich rückwärts:

»Schau doch, wie ein Vertreter deutscher Kunst und Wissenschaft aussieht!« rief er zu Erica hinüber. – Auf mehrfachen Raubzügen hatte Ellak notdürftig des deutschen Landes Sprache erlernt. »Wo sind die Bewohner der Insel?« fragte er gebieterisch.

Heribald deutete nach dem fernen Hegau.

»Gewaffnet?« fragte Ellak weiter.

»Die Diener Gottes sind stets gewaffnet, der Herr ist ihnen Schild und Schwert.«

»Gut gesagt!« lachte der Hunne: »Warum bist du zurückgeblieben?« Heribald ward verlegen. Den wahren Grund von wegen seiner zerrissenen Schuhe anzugeben, gestattete ihm sein Ehrgefühl nicht, »Heribald ist fürwitzig«, sprach er, »Heribald wollte schauen, wie die Söhne der Teufel aussehen ...«

Ellak teilte seinen Gefährten des Mönchs höfliche Worte mit. Ein wiehernd Gelächter erscholl.

»Ihr braucht nicht zu lachen«, rief Heribald verdrießlich, »wir wissen recht wohl, wer ihr seid, der Abt Wazmann hat's uns gesagt.«

»Ich werd' dich totschlagen lassen«, sprach Ellak gleichgültig.

»Das wird mir recht geschehen!« sprach Heribald, »warum bin ich nicht durchgegangen!«

Ellak musterte den störrischen Gesellen mit prüfendem Blick, da fiel ihm ein anderer Gedanke bei. Er winkte dem Bannerträger, daß er näher trete. Der kam und schwang die Fahne mit der grünen Katze. Die war einst dem Hunnenkönig Etzel in seiner Jugend erschienen: träumerisch saß er in seines Oheim Rugilas Zelt, er war schwermutig und überlegte sich, ob er nicht ein Christ werden und Gott und der Wissenschaft dienen solle, da kam die Katze. Unter Rugilas Kleinodien hatte sie den goldenen Reichsapfel vorgeholt, ein Beutestück von Byzanz, sie hielt[213] ihn in den Krallen und spielte damit und rollte ihn hin und her. Und eine Stimme sprach in Etzel: »Du sollst kein Mönch werden, du sollst mit der Erdkugel dein Spiel treiben wie dieses Tier!«, und er merkte, daß ihm der Hunnengott Kutka erschienen war, ging hin, schwang sein Schwert nach den vier Weltteilen, ließ seine Fingernägel wachsen und wurde, was er werden sollte, Attila, König der Hunnen, die Geißel Gottes! ...

»Knie nieder, elender Mönch«, rief Ellak vom Roß – herunter, »der hier gemalt steht auf dem Banner, den, sollst du anbeten!«

Aber festgewurzelt stand Heribald.

»Ich kenne ihn nicht«, sprach er mit dumpfem Lachen.

»Der Hunnen Gott!« rief der Anführer zürnend. »Auf die Knie, Kuttenträger! oder ...« er deutete auf sein krummes Schwert.

Heribald lachte abermals und fuhr mit dem Zeigefinger nach der Stirn: »Da kennt Ihr Heribald schlecht«, sagte er, »wenn Ihr glaubt, daß er sich das aufbinden lasse. Es steht geschrieben: als Gott Himmel und Erde erschaffen und Finsternis über den Abgründen lag, da sprach er: ›es werde Licht!‹ Wenn Gott eine Katze wäre, hätt' er nicht gesagt: ›es werde Licht‹. Heribald kniet nicht! ...« Ein hunnischer Reiter trat unbemerkt bei, zupfte den Mönch am Gewand und raunte ihm leise, aber auf gut schwäbisch ins Ohr: »Landsmann, ich tät' knieen an deiner Stell' es sind gar lebensgefährliche Leut'.« Der Warner hieß eigentlich Snewelin und war von Ellwangen im Rießgau, seiner Geburt nach ein fester Schwabe, aber im Lauf der Zeiten ein Hunne geworden und stand sich ganz gut dabei. Und er sprach's mit etwas windigem Ton in der Stimme, denn es fehlten ihm vier Vorderzähne und auch der Backenzähne etliche, und das war eigentlich die Ursache, daß er unter den Hunnen zu finden. In jungen Tagen nämlich, da er noch als friedlicher Fuhrmann des Heimatlichen Salvatorklösterleins sein Dasein fristete, war er mit einer Ladung schillernden Neckarweines unter guter Bedeckung und kaiserlichem Schutz nordwärts geschickt worden[214] auf den großen Markt zu Magdeburg172. Dorthin kamen die Priester der heidnischen Pommern und Wenden, ihren Opferwein zu kaufen, und er machte ein gut Geschäft, da er seine Ladung an den weißbärtigen Oberpriester des dreiköpfigen Gottes Triglaff173 für den großen Tempel bei Stettin losschlug. Aber dann blieb er mit dem weißbärtigen Heiden bei der Weinprobe sitzen, und dem schmeckte der schwäbische Nektar, und er kam in die! Begeisterung und hub an, ihm die Herrlichkeit seiner Heimat zu Preisen, und sagte, bei ihnen zwischen Spree und Oder fange eigentlich, die Welt erst an, und wollte ihn bekehren zum Dienste Triglaffs, des Dreiköpfigen, und des schwarzweißen Sonnengottes Radegast und der Radomysl, der Göttin der lieblichen Gedanken – da ward's dem Mann von Ellwangen zu bunt: »Ihr seid ja ein scheußlicher wendischer Windmüller!« rief er und warf den Zechtisch um und fuhr an ihn, gleichwie der junge Recke Siegfried, da er den langbärtigen wilden Gezwerg Allberich anlief, und ward handgemein mit ihm und riß ihm mit starkem Ruck seines Graubarts Hälfte aus. Jener aber rief Triglaff, den Dreiköpfigen, an und schlug ihm mit eisenbeschlagenem Opferstab einen Streich auf die Kinnlade, der die Zier seiner Zähne für immer zerstörte. Und ehe der zahnlose schwäbische Fuhrmann sich wieder erholte, war sein weißbärtiger Widersacher von dannen gefahren, und er konnte sich nimmer an ihm rächen; aber wie er zu Magdeburgs Tor hinausging, ballte er seine Faust nordwärts und sprach: »Wir kommen auch wieder zusammen!« In der Heimat lachten sie ihn wegen seiner Zahnlücke noch gröblich aus, da ging er im hellen Verdruß unter die Hunnen und gedachte, wenn die einmal gen Norden ritten, mit dem dreiköpfigen Triglaff und allem, was ihm diente, eine furchtbare Rechnung abzumachen ...

Heribald hörte nicht auf den seltsamen Reitersmann. Die Waldfrau war von ihrem Wagen herunter gesprungen und trat vor Ellak; grinsend schaute sie nach dem Mönch: »Ich hab' nach den Sternen geschaut«, rief sie, »von kahlgeschorenen Männern droht uns Unheil. Ihr sollt zur[215] Abwendung diesen Elenden an des Klosters Pforte aufhängen lassen, mit dem Gesicht nach dem Gebirg' gewendet!«

»Knüpft ihn auf!« riefen viele im Haufen, die der Waldfrau Gebärden verstanden.

Ellak hatte sich wieder zu Erica hinüber gewendet: »Dies Ungeheuer hat auch Grundsätze«, sprach er höhnisch; »es gilt seinen Tod und er weigert, das Knie zu beugen. Lassen wir ihn aufknüpfen, Blume der Heide?«

Heribalds Leben hing an schwachen Fäden. Er sah rings die unheimlichen Gesichter, sein blöder Mut begann zu schwinden, das Weinen stand ihm nah, aber ein richtiger Zug liegt auch im Törichtsten zur Stunde der Gefahr – wie ein Stern glänzte ihm der Heideblume rotwangig Antlitz herüber, da sprang er mit angstvollen Schritten durchs Getümmel zu Erica. Vor ihr kam's ihm nicht schwer zu knieen, ihr Liebreiz schuf ihm Vertrauen, mit ausgestreckten Armen flehte er um Schutz.

»Seht, seht!« rief die Heideblume, »der Mann der Insel ist nicht so töricht, als er ausschaut. Er kniet lieber vor Erica als vor der grünroten Fahne.« Sie sah gnädig auf den Mitleidswerten, sprang vom Roß und streichelte ihn wie ein halbwild Tier. »Fürcht' dich nicht«, sprach sie, »du sollst am Leben bleiben, alter Schwarzrock!« und Heribald las aus ihren Augen, daß ihre Versicherung ernst war. Er deutete nach der Waldfrau, die ihm am meisten bang gemacht; Erica schüttelte das Haupt: »Die darf dir nichts tun!« Da sprang Heribald wohlgemut an die Mauer, Frührosen blühten dort und Flieder, schnell riß er etlich Gezweig ab und reichte es der hunnischen Maid. Schallender Jubel hob sich im Klosterhof174: »Der Heideblume Heil!« riefen sie und klirrten mit den Waffen. »Schrei mit!« raunte der Mann von Ellwangen dem Geretteten zu – itzt hub auch Heribald seine Stimme und rief ein heiseres Heil! Tränen standen ihm im Aug'.

Die Hunnen sattelten ab. Wie die Meute der Hunde am Abend der Jagd des Augenblicks harrt, wo der ausgeweidete Hirsch ihnen als Beute vorgeworfen wird, hier[216] zerrt einer am haltenden Strick, dort bellt ein anderer laut vor Ungeduld, so standen sie vor dem Kloster. Jetzt gab Ellak das Zeichen, daß die Plünderung beginnen möge. In wildem Ungestüm stürmten sie durcheinand, die Gänge entlang, die Stufen hinauf, in die Kirche hinein. Verworren Geschrei erscholl von vermeintlichem Fund und getäuschter Hoffnung; die Zellen der Brüder wurden durchsucht, nur spärlicher Haushalt war drinnen.

»Zeig' uns die Schatzkammer!« sprachen sie zu Heribald. Der tat's gern, er wußte, daß das Kostbarste geflüchtet war. Nur versilberte Leuchter und der große Smaragd von Glasfluß waren noch vorhanden. »Schlecht Kloster!« rief einer, »Bettelvolk!« und trat mit gewappnetem Fuß auf den unechten Edelstein, daß ein mächtiger Sprung hineinklirrte. Den Heribald lohnten sie mit Faustschlägen, daß er betrübt hinwegschlich.

Im Kreuzgang kam ihm der Hunne Snewelin entgegen: »Landsmann«, rief er, »ich bin ein alter Weinfuhrmann, sagt an, wo ist euer Keller?« Heribald führte ihn hinab, vergnüglich lachte er, da er den Haupteingang vermauert sah, und nickte dem frisch aufgetragenen Kalk vertraulich zu, als wisse er sein Geheimnis. Der Mann von Ellwangen prüfte nicht lang', er schnitt die Siegel von dem einen Faß, stach den Hahnen drein und schöpfte seinen Helm voll. Es war ein langer, langer Zug, den er tat. »O Hahnenkamm und Heidenheim!« sprach er, sich schüttelnd wie ein Fieberkranker, »von wegen dem Getränk hätt' ich nicht unter die Hunnen zu gehen brauchen!« – Er hieß die Gefährten die Fässer hinausschleppen, aber besorgt trat Heribald vor und zupfte einen der Plünderer am Gewand: »Erlaube, guter Mann«, sprach er mit wehmütigem Ausdruck, »was soll ich denn trinken, wenn ihr wieder abgezogen seid175?!«

Lachend erklärte Snewelin des Mönchs Besorgnis den andern. »Der Narr muß auch was haben!« sprachen sie und legten ihm das kleinste von den drei Fässern unangetastet zurück; er aber ward gerührt ob solcher Rücksicht und schüttelte ihnen die Hände.[217]

Droben im Hofe hub sich ein wilder Lärm; etliche hatten die Kirche durchsucht, auch eine Grabplatte aufgehoben, da schaute ein verwitterter Schädel aus dunkler Kutte zu ihnen empor: das schreckte selbst die Hunnen zurück. Zwei von den Gesellen stiegen auf den Kirchturm, dessen Spitze nach herkömmlichem Brauch ein vergoldeter Wetterhahn zierte. Mochten sie ihn für den Schutzgott des Klosters oder für echtes Gold halten, sie kletterten auf das Turmdach, verwegen saßen die zwei Gestalten oben und stachen mit ihren Lanzen nach dem Hahn ... da faßte sie plötzlicher Schwindel, den gehobenen Arm ließ einer sinken – ein Schwanken – ein Schrei, er stürzte herab, der andere ihm nach, gebrochenen Genickes lagen sie im Klosterhof176.

»Schlimm Vorzeichen!« sprach Ellak für sich. Die Hunnen schrieen auf; doch nach wenig Augenblicken war der Unfall wieder vergessen, das Schwert hatte schon so manchen von seiner Genossen Seite gerafft, was war an zwei mehr oder weniger gelegen? Sie trugen die Leichname in Klostergarten. Aus den Holzstämmen, die Heribald in der Frühe umgeworfen, ward ein Scheiterhaufe geschichtet; aus des Klosters Bücherei waren die übriggebliebenen Codices in Hof heruntergeworfen worden, die brachten sie als nützlichen Brandstoff herbei und füllten damit die Lücken am Holzstoße.

Ellak und Hornebog schritten durch die Reihen. Eingeklemmt zwischen den Scheitern, schaute eine sauber geschriebene Handschrift betrüblich herfür, die goldenen Initalen glänzten an den umgeknickten Blättern. Da zog Hornebog sein krummes Schwert und stach das Pergament heraus: auf der Spitze der Klinge hielt er's seinem Gefährten entgegen.

»Zu was die Haken und Hühnerfüße, Herr Bruder?« sprach er.

Ellak nahm das gespießte Buch und blätterte drin, er war auch des Lateinischen kundig.

»Abendländische Weisheit!« sprach er. »Einer namens Boethius hat's geschrieben; es stehen schöne Sachen drin vom Trost der Philosophie.«[218]

»Philo–sophie, Herr Bruder«, sprach Hornebog, »was ist das für ein Trost?«

»Ein schönes Weib ist's nicht, auch kein gebranntes Wasser«, war Eklats Antwort. »Es ist auf hunnisch schwer zu beschreiben ... wenn einer nicht weiß, warum er auf der Welt ist, und sich auf den Kopf stellt, um's zu erfahren, das ist ungefähr, was die im Abendland Philosophie heißen. Den, der sich damit getröstet in seinem Wasserturm zu Pavia, haben sie deswegen doch dereinst mit Keulen totgeschlagen ...A1«

»Mög's ihm wohlbekommen«, sprach Hornebog. »Wer den Säbel in der Faust und das Roß zwischen den Schenkeln hat, weiß auch, warum er auf der Welt ist. Und wenn wir's nicht besser wüßten wie diejenigen, die solche, Haken auf Eselshaut klecksen, so wären sie an der Donau uns auf den Fersen und wir tränkten unsere Rosse nicht aus dem Schwäbischen Meer.«

»Wißt Ihr auch, daß es ein Glück ist, daß solches Zeug angefertigt wird?« fuhr Ellak fort und warf den Boëthius auf den Scheiterhaufen zurück. »Warum?« fragte Hornebog.

»Weil die Hand, die die Rohrfeder führt, nimmer taugt, einen Schwerthieb zu tun, der ins Fleisch geht, und ist der Unsinn, den der einzelne Kopf ausheckt, einmal gebucht, so verbrennen sich noch hundert andere das Hirn dran. Hundert Strohköpfe mehr, macht hundert Reiter weniger: das ist dann unser Vorteil, wenn wir über die Grenze brechen. ›Solang' sie im Abendland Bücher schreiben und Synoden halten, mögen meine Kinder ruhig ihr so Zeltlager vorwärtsrücken!‹ so hat's schon der große Etzel seinen Enkeln hinterlassen.«

»Gelobt sei der große Etzel!« sprach Hornebog ehrerbietig.

Da rief eine Stimme: »Lasset die Toten ruhen!« Tändelnden Schrittes kam Erica zu den beiden. Sie hatte[219] die Klosterbeute gemustert, eine Altardecke aus rotem Seidenzeug fand Gnade vor ihren Augen, sie trug sie wie einen Mantel umgeschlagen, die Enden leicht über die Schultern geworfen.

»Wie gefall' ich euch?« sprach sie und wandte ihr Haupt selbstgefällig.

»Die Heideblume braucht keinen Schmuck schwäbischer Götzendiener, um zu gefallen«, sprach Ellak finster. Da sprang sie an ihm hinauf, streichelte sein straffes, schwarzes Haar und rief: »Vorwärts, das Mahl ist gerichtet!«

Sie schritten zum Hofe. Den ganzen Heuvorrat des Klosters hatten die Hunnen umhergestreut und lagerten drauf, des Mahles gewärtig. Mit gekreuzten Armen stand Heribald und schaute zu ihnen nieder: »Die Teufelsbrut kann nicht einmal sitzen, wies einem Christenmenschen ziemt, wenn er sein täglich Brot verzehrt«, – so dachte er, doch sprach er's nicht aus. Erfahrung häufiger Schläge lehrt Schweigsamkeit.

»Leg' dich nieder, Schwarzrock, du darfst mitessen«, rief Erica und machte ihm ein Zeichen, daß er der andern Beispiel folge. Er schaute nach dem Mann von Ellwangen, der lag mit verschränkten Beinen, als hätt' er's nie anders gelernt – da machte Heribald einen Versuch, aber bald stund er wieder auf, das Liegen deuchte ihm allzu unwürdig. Er holte sich im Kloster einen Stuhl und setzte sich zu ihnen.

Ein Ochse war am Spieß gebraten. Was sonst der Klosterküche Vorrat bot, ward gereicht; sie fielen hungrig drüber her. Mit kurzem Säbel ward das Fleisch herunter gehauen, die Finger der Hand vertraten bei den Schmausenden die Stelle von Messer und Gabel. Aufrecht stund das große Weinfaß im Hofe, ein jeder schöpfte draus, soviel ihm beliebte, da und dort kam ein kunstgeformter Kelch als Trinkgefäß zum Vorschein. Auch dem Heribald brachten sie Weines die Hülle und Fülle, wie er aber stillvergnügt dran nippte, flog ihm ein halb genagter Knochen an den Kopf – er schaute schmerzlich auf, aber er schaute, daß noch manchen der Schmausenden ein gleiches Schicksal[220] ereilte; sich mit den Knochen werfen, war hunnischer Brauch anstatt eines Nachtisches.

Weinwarm begannen sie drauf ein ungefüges Singen177. Zwei der jüngern Reitersmänner trugen ein altes Lied zum Preis des König Etzel vor; es hieß drin, daß er nicht nur mit dem Schwerte, sondern auch durch Liebreiz ein Sieger gewesen allenthalb, und kam eine höhnische Strophe über eines römischen Kaisers Schwester, die ihm Hand und Herz aus verliebter Ferne entgegentrug, ohne daß er's annahm.

Wie Eulenschrei und Unkenruf klang der Chorus; dann traten etliche auf Heribald zu und machten ihm deutlich, daß auch von ihm ein Gesang verlangt werde. Er wollte sich weigern, es half nichts. Da stimmte er ernst und mit schier weinender Stimme den Antiphon zu Ehren des heiligen Kreuzes an, der da beginnt: »Sanctifica nos!« Staunend horchten die Trunkenen den langen ganzen Tönen des alten Kirchengesangs, wie eine Stimme aus der Wüste klang die fremde Weise. Zürnend hörte es auch die Waldfrau beim kupfernen Kessel, mit ihrem Messer schlich sie herüber, faßte Heribalds Haupthaar und wollte ihm das Gelock verschneiden – der höchste Schimpf, der eines Geistlichen durch die Tonsur geweihtem Haupte widerfahren konnte.

Aber Heribald stieß sie zurück und sang unverdrossen weiter. Das gefiel den Versammelten, sie jauchzten auf, Zimbal und Geige fielen ein, itzt kam Erica auf den Mönch zu, der einförmige Sang war ihr langweilig geworden, mit schalkhaftem Mitleid faßte sie ihn. »Nach Sang kommt Tanz«, rief sie und riß ihn in den Wirbel betäubenden Reigentanzes178. Heribald wußte nicht, wie ihm geschah. Der Heideblume Busen wogte ihm entgegen: »Ob Heribald tanzt oder nicht, es ist nur ein kleiner Ring in der großen Kette des Greuls« – da schwang er seine sandalenschweren Füße wacker mit, die Kutte wirbelte um ihn her, fest und fester preßte er die hunnische Maid, wer weiß, was noch geschehen wäre ... mit geröteten Wangen hielt sie endlich an, gab dem Blödsinnigen einen leichten Schlag[221] ins Antlitz und sprang zu den Heerführern, die ernst in den tobenden Schwarm schauten.

Der Jubel ging zu Ende, der Wein war verraucht, da gebot Ellak, die Toten zu verbrennen. In eines Augenblicks Schnelle saß der Schwarm zu Rosse, in Reih' und Glied ritten sie zum Scheiterhaufen. Vom Ältesten der Hunnen wurden der Toten Pferde erstochen und zu ihrer Herren Leichen gelegt; einen schauerlichen Weihespruch rief der greise Hunn' über die Versammelten, dann schwang er den Feuerbrand und entzündete den Holzstoß – Boëthius' Trost der Philosophie, Tannenscheiter Handschriften und Leichname wetteiferten in prasselndem Aufflammen, eine mächtige Rauchsäule stieg gen Himmel.

Mit Ringkampf, Waffenspiel und Wettrennen ward der Toten Gedächtnis gefeiert. Die Sonne neigte sich zum Untergehen. Die Hunnenschar verblieb die Nacht im Kloster. –

– Es war am Donnerstag vor Ostern, als dies auf der Insel Reichenau sich zutrug. Die Kunde vom Überfall kam schnell in die Fischerhütten um Radolts Zelle. Wie Moengal, der Leutpriester, den Frühgottesdienst hielt, zählte er seiner andächtigen Zuhörer noch sechs in der Kirche, des Nachmittags waren's drei, ihn mit eingerechnet.

Zürnend sah er in der Wohnstube, drin er einst Ekkehard freundlich bewirtet. Da stieg die Rauchwolke vom hunnischen Totenbrand auf, er trat aus Fenster ... Es qualmte, als wenn das ganze Kloster in Flammen stünde, brandiger Geruch kam über den See. »Hihahoi!!« rief Moengal, »iam proximus ardet Ucalegon! schon brennt' es beim Nachbar UkalegonA2! So muß auch ich mein Haus bestellen. Heraus itzt, alte Cambutta179!!«

Die Cambutta war keine dienende Magd, sondern ein nach irischer Weise zugeschnittener riesiger Keulenstock, Moengals liebstes Handgewaffen.

Er verpackte Meßkelch und Ziborium in die rehfellene Jagdtasche; weiter war an Gold und Geld nichts vorrätig.[222] Dann versammelte er seine Jagdhunde, den zur Reiherbeize geübten Habicht und die zwei Falken; was seine Vorratkammer an Fleisch und Fischen bot, warf er ihnen vor. »Freßt euch satt, Kinder! daß nichts für die gottverfluchten Landplagen übrigbleibt!«

Das Faß im Keller schlug er entzwei, daß der funkelnde Wein herausströmte. »Nicht einen Tropfen Seeweins sollen die Teufel in Moengals Pfarrhaus zu schlucken bekommen!« Nur den Essig im Krug ließ er unversehrt stehen.

Über die kristallhelle Butter in der Holztonne schüttete er eine Schicht Asche. Angelhaken und Jagdgerät vergrub er, dann schlug er die Fenster ein und streute die spitzen Glasscherben sorglich durch die Gemächer, andere steckte er zwischen die Spalten der Dielen, – die Spitze nach oben – alles den Hunnen zu Ehren. Habicht und Falken ließ er hinausfliegen: »Lebt wohl«, rief er, »und haltet euch gut in der Nähe, bald gibt's tote Heiden zu benagen!«

So war das Haus bestellt. Die Tasche umgeworfen, eine lederne hibernische Feldflasche drüber, zwei Spieße in der Faust, die Keule Cambutta auf den Rücken geschnallt: so schritt Moengal, der Alte, aus seinem langjährigen Pfarrsitz, ein rechtschaffener Streiter des Herrn.

Ein Stück Weges hatte er zurückgelegt; der Himmel war verdüstert von Brand und Rauch. »Halt an!« sprach er, »ich hab' etwas vergessen!«

Er ging wieder zurück. Einen Gruß zum Empfang ist das gelbgesichtige Gesindel doch wert! Ein Stück Rötel zog er aus seiner Tasche und schrieb damit in irischer Schrift ein paar Worte auf die graue Sandsteinplatte über dem Portal des Pfarrhofs. Gewitterregen hat sie später verwaschen und niemand hat sie entziffert, aber sicher war's ein inhaltschwerer Spruch, den Moengal, der Alte, in irischen Runen zurückließ. –

Er schlug einen scharfen Schritt an und wandte sich dem hohen Twiel zu.

Fußnoten

A1 Boethius, der Verfasser des Werkes »De consolatione philosophiae«, wurde des Hochverrats angeklagt und auf Befehl des Theodorich nach langer Einkerkerung 62 n. Chr. zu Pavia getötet.


A2 Aus Virgils »Äneis«, 2. Gesang, V. 311 f.


Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 3, Leipzig/ Wien 1917.
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