Neunter Auftritt


[768] Ein Ritter in ganz schwarzer Rüstung, mit geschloßnem Visier. Johanna verfolgt ihn bis auf die vordere Bühne, wo er stille steht und sie erwartet.


JOHANNA.

Arglistger! Jetzt erkenn ich deine Tücke!

Du hast mich trüglich durch verstellte Flucht

Vom Schlachtfeld weggelockt und Tod und Schicksal

Von vieler Britensöhne Haupt entfernt.

Doch jetzt ereilt dich selber das Verderben.

SCHWARZER RITTER.

Warum verfolgst du mich und heftest dich

So wutentbrannt an meine Fersen? Mir

Ist nicht bestimmt, von deiner Hand zu fallen.

JOHANNA.

Verhaßt in tiefer Seele bist du mir,

Gleich wie die Nacht, die deine Farbe ist.

Dich weg zu tilgen von dem Licht des Tags

Treibt mich die unbezwingliche Begier.

Wer bist du? Öffne dein Visier. – Hätt ich

Den kriegerischen Talbot in der Schlacht

Nicht fallen sehn, so sagt ich, du wärst Talbot.

SCHWARZER RITTER.

Schweigt dir die Stimme des Prophetengeistes?

JOHANNA.

Sie redet laut in meiner tiefsten Brust,

Daß mir das Unglück an der Seite steht.

SCHWARZER RITTER.

Johanna d'Arc! Bis an die Tore Reims'

Bist du gedrungen auf des Sieges Flügeln.

Dir gnüge der erworbne Ruhm. Entlasse

Das Glück, das dir als Sklave hat gedient,

Eh es sich zürnend selbst befreit, es haßt

Die Treu und keinem dient es bis ans Ende.[768]

JOHANNA.

Was heißest du in Mitte meines Laufs

Mich stille stehen und mein Werk verlassen?

Ich führ es aus und löse mein Gelübde!

SCHWARZER RITTER.

Nichts kann dir, du Gewaltge, widerstehn,

In jedem Kampfe siegst du. – Aber gehe

In keinen Kampf mehr. Höre meine Warnung!

JOHANNA.

Nicht aus den Händen leg ich dieses Schwert,

Als bis das stolze England niederliegt.

SCHWARZER RITTER.

Schau hin! Dort hebt sich Reims mit seinen Türmen,

Das Ziel und Ende deiner Fahrt – die Kuppel

Der hohen Kathedrale siehst du leuchten,

Dort wirst du einziehn im Triumphgepräng,

Deinen König krönen, dein Gelübde lösen.

– Geh nicht hinein. Kehr um. Hör meine Warnung.

JOHANNA.

Wer bist du, doppelzüngig falsches Wesen,

Das mich erschrecken und verwirren will?

Was maßest du dir an, mir falsch Orakel

Betrüglich zu verkündigen?


Der schwarze Ritter will abgehen, sie tritt ihm in den Weg.


Nein, du stehst

Mir Rede, oder stirbst von meinen Händen!


Sie will einen Streich auf ihn führen.


SCHWARZER RITTER berührt sie mit der Hand, sie bleibt unbeweglich stehen.

Töte, was sterblich ist!


Nacht, Blitz und Donnerschlag. Der Ritter versinkt.


JOHANNA steht anfangs erstaunt, faßt sich aber bald wieder.

Es war nichts Lebendes. – Ein trüglich Bild

Der Hölle wars, ein widerspenstger Geist,

Heraufgestiegen aus dem Feuerpfuhl,

Mein edles Herz im Busen zu erschüttern.

Wen fürcht ich mit dem Schwerte meines Gottes?

Siegreich vollenden will ich meine Bahn,

Und käm die Hölle selber in die Schranken,

Mir soll der Mut nicht weichen und nicht wanken!


Sie will abgehen.[769]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 768-770.
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