Vierter Auftritt


[795] Raimond. Johanna.


JOHANNA gefaßt und sanft.

Du siehst, mir folgt der Fluch, und alles flieht mich,

Sorg für dich selber und verlaß mich auch.

RAIMOND.

Ich Euch verlassen! Jetzt! Und wer soll Euer

Begleiter sein?

JOHANNA.

Ich bin nicht unbegleitet.

Du hast den Donner über mir gehört.

Mein Schicksal führt mich. Sorge nicht, ich werde

Ans Ziel gelangen, ohne daß ichs suche.[795]

RAIMOND.

Wo wollt Ihr hin? Hier stehn die Engelländer,

Die Euch die grimmig blutge Rache schwuren –

Dort stehn die Unsern, die Euch ausgestoßen,

Verbannt –

JOHANNA.

Mich wird nichts treffen, als was sein muß.

RAIMOND.

Wer soll Euch Nahrung suchen? Wer Euch schützen

Vor wilden Tieren und noch wildern Menschen?

Euch pflegen, wenn Ihr krank und elend werdet?

JOHANNA.

Ich kenne alle Kräuter, alle Wurzeln,

Von meinen Schafen lernt ich das Gesunde

Vom Giftgen unterscheiden – ich verstehe

Den Lauf der Sterne und der Wolken Zug

Und die verborgnen Quellen hör ich rauschen.

Der Mensch braucht wenig und an Leben reich

Ist die Natur.

RAIMOND faßt sie bei der Hand.

Wollt Ihr nicht in Euch gehn?

Euch nicht mit Gott versöhnen – in den Schoß

Der heilgen Kirche reuend wiederkehren?

JOHANNA.

Auch du hältst mich der schweren Sünde schuldig?

RAIMOND.

Muß ich nicht? Euer schweigendes Geständnis –

JOHANNA.

Du, der mir in das Elend nachgefolgt,

Das einzge Wesen, das mir treu geblieben,

Sich an mich kettet, da mich alle Welt

Ausstieß, du hältst mich auch für die Verworfne,

Die ihrem Gott entsagt –


Raimond schweigt.


O das ist hart!

RAIMOND erstaunt.

Ihr wäret wirklich keine Zauberin?

JOHANNA.

Ich eine Zauberin!

RAIMOND.

Und diese Wunder,

Ihr hättet sie vollbracht mit Gottes Kraft

Und seiner Heiligen?

JOHANNA.

Mit welcher sonst!

RAIMOND.

Und Ihr verstummtet auf die gräßliche

Beschuldigung? – Ihr redet jetzt, und vor dem König,

Wo es zu reden galt, verstummtet Ihr![796]

JOHANNA.

Ich unterwarf mich schweigend dem Geschick,

Das Gott, mein Meister, über mich verhängte.

RAIMOND.

Ihr konntet Eurem Vater nichts erwidern!

JOHANNA.

Weil es vom Vater kam, so kams von Gott,

Und väterlich wird auch die Prüfung sein.

RAIMOND.

Der Himmel selbst bezeugte Eure Schuld!

JOHANNA.

Der Himmel sprach, drum schwieg ich.

RAIMOND.

Wie? Ihr konntet

Mit einem Wort Euch reinigen, und ließt

Die Welt in diesem unglückselgen Irrtum?

JOHANNA.

Es war kein Irrtum, eine Schickung wars.

RAIMOND.

Ihr littet alle diese Schmach unschuldig,

Und keine Klage kam von Euren Lippen!

– Ich staune über Euch, ich steh erschüttert,

Im tiefsten Busen kehrt sich mir das Herz!

O gerne nehm ich Euer Wort für Wahrheit,

Denn schwer ward mirs, an Eure Schuld zu glauben.

Doch konnt ich träumen, daß ein menschlich Herz

Das Ungeheure schweigend würde tragen!

JOHANNA.

Verdient ichs, die Gesendete zu sein,

Wenn ich nicht blind des Meisters Willen ehrte!

Und ich bin nicht so elend, als du glaubst.

Ich leide Mangel, doch das ist kein Unglück

Für meinen Stand, ich bin verbannt und flüchtig,

Doch in der Öde lernt ich mich erkennen.

Da, als der Ehre Schimmer mich umgab,

Da war der Streit in meiner Brust, ich war

Die Unglückseligste, da ich der Welt

Am meisten zu beneiden schien – Jetzt bin ich

Geheilt, und dieser Sturm in der Natur,

Der ihr das Ende drohte, war mein Freund,

Er hat die Welt gereinigt und auch mich.

In mir ist Friede – Komme, was da will,

Ich bin mir keiner Schwachheit mehr bewußt!

RAIMOND.

O kommt, kommt, laßt uns eilen, Eure Unschuld

Laut, laut vor aller Welt zu offenbaren![797]

JOHANNA.

Der die Verwirrung sandte, wird sie lösen!

Nur wenn sie reif ist, fällt des Schicksals Frucht!

Ein Tag wird kommen, der mich reiniget.

Und die mich jetzt verworfen und verdammt,

Sie werden ihres Wahnes inne werden,

Und Tränen werden meinem Schicksal fließen.

RAIMOND.

Ich sollte schweigend dulden, bis der Zufall –

JOHANNA ihn sanft bei der Hand fassend.

Du siehst nur das Natürliche der Dinge,

Denn deinen Blick umhüllt das irdsche Band.

Ich habe das Unsterbliche mit Augen

Gesehen – ohne Götter fällt kein Haar

Vom Haupt des Menschen – Siehst du dort die Sonne

Am Himmel niedergehen – So gewiß

Sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,

So unausbleiblich kommt der Tag der Wahrheit!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 795-798.
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