[559] Maria. Kennedy.
KENNEDY.
Darf Euch der Rohe das ins Antlitz sagen!
O es ist hart!
MARIA in Nachdenken verloren.
Wir haben in den Tagen unsers Glanzes
Dem Schmeichler ein zu willig Ohr geliehn,
Gerecht ists, gute Kennedy, daß wir
Des Vorwurfs ernste Stimme nun vernehmen.
KENNEDY.
Wie? so gebeugt, so mutlos, teure Lady?
Wart Ihr doch sonst so froh, Ihr pflegtet mich zu trösten,
Und eher mußt ich Euren Flattersinn
Als Eure Schwermut schelten.
MARIA.
Ich erkenn ihn.
Es ist der blutge Schatten König Darnleys,[559]
Der zürnend aus dem Gruftgewölbe steigt,
Und er wird nimmer Friede mit mir machen,
Bis meines Unglücks Maß erfüllet ist.
KENNEDY.
Was für Gedanken –
MARIA.
Du vergissest, Hanna –
Ich aber habe ein getreu Gedächtnis –
Der Jahrstag dieser unglückseligen Tat
Ist heute abermals zurückgekehrt,
Er ists, den ich mit Buß und Fasten feire.
KENNEDY.
Schickt endlich diesen bösen Geist zur Ruh.
Ihr habt die Tat mit jahrelanger Reu,
Mit schweren Leidensproben abgebüßt.
Die Kirche, die den Löseschlüssel hat
Für jede Schuld, der Himmel hat vergeben.
MARIA.
Frischblutend steigt die längst vergebne Schuld
Aus ihrem leichtbedeckten Grab empor!
Des Gatten rachefoderndes Gespenst
Schickt keines Messedieners Glocke, kein
Hochwürdiges in Priestershand zur Gruft.
KENNEDY.
Nicht Ihr habt ihn gemordet! Andre tatens!
MARIA.
Ich wußte drum. Ich ließ die Tat geschehn,
Und lockt ihn schmeichelnd in das Todesnetz.
KENNEDY.
Die Jugend mildert Eure Schuld. Ihr wart
So zarten Alters noch.
MARIA.
So zart, und lud
Die schwere Schuld auf mein so junges Leben.
KENNEDY.
Ihr wart durch blutige Beleidigung
Gereizt und durch des Mannes Übermut,
Den Eure Liebe aus der Dunkelheit
Wie eine Götterhand hervorgezogen,
Den Ihr durch Euer Brautgemach zum Throne
Geführt, mit Eurer blühenden Person
Beglückt und Eurer angestammten Krone.
Konnt er vergessen, daß sein prangend Los
Der Liebe großmutsvolle Schöpfung war?
Und doch vergaß ers, der Unwürdige![560]
Beleidigte mit niedrigem Verdacht,
Mit rohen Sitten Eure Zärtlichkeit,
Und widerwärtig wurd er Euren Augen.
Der Zauber schwand, der Euren Blick getäuscht,
Ihr floht erzürnt des Schändlichen Umarmung
Und gabt ihn der Verachtung preis – Und er –
Versucht' ers, Eure Gunst zurückzurufen?
Bat er um Gnade? Warf er sich bereuend
Zu Euren Füßen, Besserung versprechend?
Trotz bot Euch der Abscheuliche – Der Euer
Geschöpf war, Euren König wollt er spielen,
Vor Euren Augen ließ er Euch den Liebling,
Den schönen Sänger Rizzio durchbohren –
Ihr rächtet blutig nur die blutge Tat.
MARIA.
Und blutig wird sie auch an mir sich rächen,
Du sprichst mein Urteil aus, da du mich tröstest.
KENNEDY.
Da Ihr die Tat geschehn ließt, wart Ihr nicht
Ihr selbst, gehörtet Euch nicht selbst. Ergriffen
Hatt Euch der Wahnsinn blinder Liebesglut,
Euch unterjocht dem furchtbaren Verführer,
Dem unglückselgen Bothwell – Über Euch
Mit übermütgem Männerwillen herrschte
Der Schreckliche, der Euch durch Zaubertränke,
Durch Höllenkünste das Gemüt verwirrend
Erhitzte –
MARIA.
Seine Künste waren keine andre,
Als seine Männerkraft und meine Schwachheit.
KENNEDY.
Nein, sag ich. Alle Geister der Verdammnis
Mußt er zu Hülfe rufen, der dies Band
Um Eure hellen Sinne wob. Ihr hattet
Kein Ohr mehr für der Freundin Warnungsstimme,
Kein Aug für das, was wohlanständig war.
Verlassen hatte Euch die zarte Scheu
Der Menschen, Eure Wangen, sonst der Sitz
Schamhaft errötender Bescheidenheit,
Sie glühten nur vom Feuer des Verlangens.[561]
Ihr warft den Schleier des Geheimnisses
Von Euch, des Mannes keckes Laster hatte
Auch Eure Blödigkeit besiegt, Ihr stelltet
Mit dreister Stirne Eure Schmach zur Schau.
Ihr ließt das königliche Schwert von Schottland
Durch ihn, den Mörder, dem des Volkes Flüche
Nachschallten, durch die Gassen Edinburgs,
Vor Euch hertragen im Triumph, umringtet
Mit Waffen Euer Parlament, und hier,
Im eignen Tempel der Gerechtigkeit,
Zwangt Ihr mit frechem Possenspiel die Richter,
Den Schuldigen des Mordes loszusprechen –
Ihr gingt noch weiter – Gott!
MARIA.
Vollende nur!
Und reicht ihm meine Hand vor dem Altare!
KENNEDY.
O laßt ein ewig Schweigen diese Tat
Bedecken! Sie ist schauderhaft, empörend,
Ist einer ganz Verlornen wert – Doch Ihr seid keine
Verlorne – ich kenn Euch ja, ich bins,
Die Eure Kindheit auferzogen. Weich
Ist Euer Herz gebildet, offen ists
Der Scham – der Leichtsinn nur ist Euer Laster.
Ich wiederhol es, es gibt böse Geister,
Die in des Menschen unverwahrter Brust
Sich augenblicklich ihren Wohnplatz nehmen,
Die schnell in uns das Schreckliche begehn
Und zu der Höll entfliehend das Entsetzen
In dem befleckten Busen hinterlassen.
Seit dieser Tat, die Euer Leben schwärzt,
Habt Ihr nichts Lasterhaftes mehr begangen,
Ich bin ein Zeuge Eurer Besserung.
Drum fasset Mut! Macht Friede mit Euch selbst!
Was Ihr auch zu bereuen habt, in England
Seid Ihr nicht schuldig, nicht Elisabeth,
Nicht Englands Parlament ist Euer Richter.
Macht ists, die Euch hier unterdrückt, vor diesen[562]
Anmaßlichen Gerichtshof dürft Ihr Euch
Hinstellen mit dem ganzen Mut der Unschuld.
MARIA.
Wer kommt?
Mortimer zeigt sich an der Türe.
KENNEDY.
Es ist der Neffe. Geht hinein.
Ausgewählte Ausgaben von
Maria Stuart
|
Buchempfehlung
Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro