Sechster Auftritt

[563] Mortimer. Maria.


MARIA.

Von meinem Oheim!

Dem Kardinal von Lothringen aus Frankreich!


Liest.


»Traut dem Sir Mortimer, der Euch dies bringt,

Denn keinen treuern Freund habt Ihr in England.«


Mortimern mit Erstaunen ansehend.


Ists möglich? Ists kein Blendwerk, das mich täuscht?

So nahe find ich einen Freund und wähnte mich

Verlassen schon von aller Welt – find ihn

In Euch, dem Neffen meines Kerkermeisters,

In dem ich meinen schlimmsten Feind –

MORTIMER sich ihr zu Füßen werfend.

Verzeihung[563]

Für diese verhaßte Larve, Königin,

Die mir zu tragen Kampf genug gekostet,

Doch der ichs danke, daß ich mich Euch nahen,

Euch Hülfe und Errettung bringen kann.

MARIA.

Steht auf – Ihr überrascht mich, Sir – Ich kann

So schnell nicht aus der Tiefe meines Elends

Zur Hoffnung übergehen – Redet, Sir –

Macht mir dies Glück begreiflich, daß ichs glaube.

MORTIMER steht auf.

Die Zeit verrinnt. Bald wird mein Oheim hier sein,

Und ein verhaßter Mensch begleitet ihn.

Eh Euch ihr Schreckensauftrag überrascht,

Hört an, wie Euch der Himmel Rettung schickt.

MARIA.

Er schickt sie durch ein Wunder seiner Allmacht!

MORTIMER.

Erlaubt, daß ich von mir beginne.

MARIA.

Redet, Sir!

MORTIMER.

Ich zählte zwanzig Jahre, Königin,

In strengen Pflichten war ich aufgewachsen,

In finsterm Haß des Papsttums aufgesäugt,

Als mich die unbezwingliche Begierde

Hinaustrieb auf das feste Land. Ich ließ

Der Puritaner dumpfe Predigtstuben,

Die Heimat hinter mir, in schnellem Lauf

Durchzog ich Frankreich, das gepriesene

Italien mit heißem Wunsche suchend.


Es war die Zeit des großen Kirchenfests,

Von Pilgerscharen wimmelten die Wege,

Bekränzt war jedes Gottesbild, es war,

Als ob die Menschheit auf der Wandrung wäre,

Wallfahrend nach dem Himmelreich – Mich selbst

Ergriff der Strom der glaubenvollen Menge,

Und riß mich in das Weichbild Roms –


Wie ward mir, Königin!

Als mir der Säulen Pracht und Siegesbogen[564]

Entgegenstieg, des Kolosseums Herrlichkeit

Den Staunenden umfing, ein hoher Bildnergeist

In seine heitre Wunderwelt mich schloß!

Ich hatte nie der Künste Macht gefühlt,

Es haßt die Kirche, die mich auferzog,

Der Sinne Reiz, kein Abbild duldet sie,

Allein das körperlose Wort verehrend.

Wie wurde mir, als ich ins Innre nun

Der Kirchen trat, und die Musik der Himmel

Herunterstieg, und der Gestalten Fülle

Verschwenderisch aus Wand und Decke quoll,

Das Herrlichste und Höchste, gegenwärtig,

Vor den entzückten Sinnen sich bewegte,

Als ich sie selbst nun sah, die Göttlichen,

Den Gruß des Engels, die Geburt des Herrn,

Die heilge Mutter, die herabgestiegne

Dreifaltigkeit, die leuchtende Verklärung –

Als ich den Papst drauf sah in seiner Pracht

Das Hochamt halten und die Völker segnen.

O was ist Goldes, was Juwelen Schein,

Womit der Erde Könige sich schmücken!

Nur Er ist mit dem Göttlichen umgeben.

Ein wahrhaft Reich der Himmel ist sein Haus,

Denn nicht von dieser Welt sind diese Formen.

MARIA.

O schonet mein! Nicht weiter. Höret auf,

Den frischen Lebensteppich vor mir aus

Zubreiten – Ich bin elend und gefangen.

MORTIMER.

Auch ich wars, Königin! und mein Gefängnis

Sprang auf und frei auf einmal fühlte sich

Der Geist, des Lebens schönen Tag begrüßend.

Haß schwur ich nun dem engen dumpfen Buch,

Mit frischem Kranz die Schläfe mir zu schmücken,

Mich fröhlich an die Fröhlichen zu schließen.

Viel edle Schotten drängten sich an mich

Und der Franzosen muntre Landsmannschaften.

Sie brachten mich zu Eurem edeln Oheim,[565]

Dem Kardinal von Guise – Welch ein Mann!

Wie sicher, klar und männlich groß! – Wie ganz

Geboren, um die Geister zu regieren!

Das Muster eines königlichen Priesters,

Ein Fürst der Kirche, wie ich keinen sah!

MARIA.

Ihr habt sein teures Angesicht gesehn,

Des vielgeliebten, des erhabnen Mannes,

Der meiner zarten Jugend Führer war.

O redet mir von ihm. Denkt er noch mein?

Liebt ihn das Glück, blüht ihm das Leben noch,

Steht er noch herrlich da, ein Fels der Kirche?

MORTIMER.

Der Treffliche ließ selber sich herab,

Die hohen Glaubenslehren mir zu deuten,

Und meines Herzens Zweifel zu zerstreun.

Er zeigte mir, daß grübelnde Vernunft

Den Menschen ewig in der Irre leitet,

Daß seine Augen sehen müssen, was

Das Herz soll glauben, daß ein sichtbar Haupt

Der Kirche nottut, daß der Geist der Wahrheit

Geruht hat auf den Sitzungen der Väter.

Die Wahnbegriffe meiner kindschen Seele,

Wie schwanden sie vor seinem siegenden

Verstand und vor der Suada seines Mundes!

Ich kehrte in der Kirche Schoß zurück,

Schwur meinen Irrtum ab in seine Hände.

MARIA.

So seid Ihr einer jener Tausende,

Die er mit seiner Rede Himmelskraft

Wie der erhabne Prediger des Berges

Ergriffen und zum ewgen Heil geführt!

MORTIMER.

Als ihn des Amtes Pflichten bald darauf

Nach Frankreich riefen, sandt er mich nach Reims,

Wo die Gesellschaft Jesu, fromm geschäftig,

Für Englands Kirche Priester auferzieht.

Den edeln Schotten Morgan fand ich hier,

Auch Euren treuen Leßley, den gelehrten

Bischof von Roße, die auf Frankreichs Boden[566]

Freudlose Tage der Verbannung leben –

Eng schloß ich mich an diese Würdigen,

Und stärkte mich im Glauben – Eines Tags,

Als ich mich umsah in des Bischofs Wohnung,

Fiel mir ein weiblich Bildnis in die Augen,

Von rührend wundersamem Reiz, gewaltig

Ergriff es mich in meiner tiefsten Seele,

Und des Gefühls nicht mächtig stand ich da.

Da sagte mir der Bischof: Wohl mit Recht

Mögt Ihr gerührt bei diesem Bilde weilen.

Die schönste aller Frauen, welche leben,

Ist auch die jammernswürdigste von allen,

Um unsers Glaubens willen duldet sie,

Und Euer Vaterland ists, wo sie leidet.

MARIA.

Der Redliche! Nein, ich verlor nicht alles,

Da solcher Freund im Unglück mir geblieben.

MORTIMER.

Drauf fing er an, mit herzerschütternder

Beredsamkeit mir Euer Märtyrtum

Und Eurer Feinde Blutgier abzuschildern.

Auch Euern Stammbaum wies er mir, er zeigte

Mir Eure Abkunft von dem hohen Hause

Der Tudor, überzeugte mich, daß Euch

Allein gebührt in Engelland zu herrschen,

Nicht dieser Afterkönigin, gezeugt

In ehebrecherischem Bett, die Heinrich,

Ihr Vater, selbst verwarf als Bastardtochter.

Nicht seinem einzgen Zeugnis wollt ich traun,

Ich holte Rat bei allen Rechtsgelehrten,

Viel alte Wappenbücher schlug ich nach,

Und alle Kundige, die ich befragte,

Bestätigten mir Eures Anspruchs Kraft.

Ich weiß nunmehr, daß Euer gutes Recht

An England Euer ganzes Unrecht ist,

Daß Euch dies Reich als Eigentum gehört,

Worin Ihr schuldlos als Gefangne schmachtet.

MARIA.

O dieses unglücksvolle Recht! Es ist[567]

Die einzge Quelle aller meiner Leiden.

MORTIMER.

Um diese Zeit kam mir die Kunde zu,

Daß Ihr aus Talbots Schloß hinweggeführt,

Und meinem Oheim übergeben worden –

Des Himmels wundervolle Rettungshand

Glaubt ich in dieser Fügung zu erkennen,

Ein lauter Ruf des Schicksals war sie mir,

Das meinen Arm gewählt, Euch zu befreien.

Die Freunde stimmen freudig bei, es gibt

Der Kardinal mir seinen Rat und Segen,

Und lehrt mich der Verstellung schwere Kunst.

Schnell ward der Plan entworfen, und ich trete

Den Rückzug an ins Vaterland, wo ich,

Ihr wißts, vor zehen Tagen bin gelandet.


Er hält inne.


Ich sah Euch, Königin – Euch selbst!

Nicht Euer Bild! – O welchen Schatz bewahrt

Dies Schloß! Kein Kerker! Eine Götterhalle,

Glanzvoller als der königliche Hof

Von England – O des Glücklichen, dem es

Vergönnt ist, eine Luft mit Euch zu atmen!


Wohl hat sie recht, die Euch so tief verbirgt!

Aufstehen würde Englands ganze Jugend,

Kein Schwert in seiner Scheide müßig bleiben,

Und die Empörung mit gigantischem Haupt

Durch diese Friedensinsel schreiten, sähe

Der Brite seine Königin!

MARIA.

Wohl ihr!

Säh jeder Brite sie mit Euren Augen!

MORTIMER.

Wär er, wie ich, ein Zeuge Eurer Leiden,

Der Sanftmut Zeuge und der edlen Fassung,

Womit Ihr das Unwürdige erduldet.

Denn geht Ihr nicht aus allen Leidensproben

Als eine Königin hervor? Raubt Euch

Des Kerkers Schmach von Eurem Schönheitsglanze?[568]

Euch mangelt alles, was das Leben schmückt,

Und doch umfließt Euch ewig Licht und Leben.

Nie setz ich meinen Fuß auf diese Schwelle,

Daß nicht mein Herz zerrissen wird von Qualen,

Nicht von der Lust entzückt, Euch anzuschauen! –

Doch furchtbar naht sich die Entscheidung, wachsend

Mit jeder Stunde dringet die Gefahr,

Ich darf nicht länger säumen – Euch nicht länger

Das Schreckliche verbergen –

MARIA.

Ist mein Urteil

Gefällt? Entdeckt mirs frei. Ich kann es hören.

MORTIMER.

Es ist gefällt. Die zweiundvierzig Richter haben

Ihr Schuldig ausgesprochen über Euch. Das Haus

Der Lords und der Gemeinen, die Stadt London

Bestehen heftig dringend auf des Urteils

Vollstreckung, nur die Königin säumt noch,

– Aus arger List, daß man sie nötige,

Nicht aus Gefühl der Menschlichkeit und Schonung.

MARIA mit Fassung.

Sir Mortimer, Ihr überrascht mich nicht,

Erschreckt mich nicht. Auf solche Botschaft war ich

Schon längst gefaßt. Ich kenne meine Richter.

Nach den Mißhandlungen, die ich erlitten,

Begreif ich wohl, daß man die Freiheit mir

Nicht schenken kann – Ich weiß, wo man hinauswill.

In ewgem Kerker will man mich bewahren,

Und meine Rache, meinen Rechtsanspruch

Mit mir verscharren in Gefängnisnacht.

MORTIMER.

Nein, Königin – o nein! nein! Dabei steht man

Nicht still. Die Tyrannei begnügt sich nicht,

Ihr Werk nur halb zu tun. Solang Ihr lebt,

Lebt auch die Furcht der Königin von England.

Euch kann kein Kerker tief genug begraben,

Nur Euer Tod versichert ihren Thron.

MARIA.

Sie könnt es wagen, mein gekröntes Haupt

Schmachvoll auf einen Henkerblock zu legen?

MORTIMER.

Sie wird es wagen. Zweifelt nicht daran.[569]

MARIA.

Sie könnte so die eigne Majestät

Und aller Könige im Staube wälzen?

Und fürchtet sie die Rache Frankreichs nicht?

MORTIMER.

Sie schließt mit Frankreich einen ewgen Frieden,

Dem Duc von Anjou schenkt sie Thron und Hand.

MARIA.

Wird sich der König Spaniens nicht waffnen?

MORTIMER.

Nicht eine Welt in Waffen fürchtet sie,

Solang sie Frieden hat mit ihrem Volke.

MARIA.

Den Briten wollte sie dies Schauspiel geben?

MORTIMER.

Dies Land, Mylady, hat in letzten Zeiten

Der königlichen Frauen mehr vom Thron

Herab aufs Blutgerüste steigen sehn.

Die eigne Mutter der Elisabeth

Ging diesen Weg, und Katharina Howard,

Auch Lady Gray war ein gekröntes Haupt.

MARIA nach einer Pause.

Nein, Mortimer! Euch blendet eitle Furcht.

Es ist die Sorge Eures treuen Herzens,

Die Euch vergebne Schrecknisse erschafft.

Nicht das Schafott ists, das ich fürchte, Sir.

Es gibt noch andre Mittel, stillere,

Wodurch sich die Beherrscherin von England

Vor meinem Anspruch Ruhe schaffen kann.

Eh sich ein Henker für mich findet, wird

Noch eher sich ein Mörder dingen lassen.

Das ists, wovor ich zittre, Sir! und nie

Setz ich des Bechers Rand an meine Lippen,

Daß nicht ein Schauder mich ergreift, er könnte

Kredenzt sein von der Liebe meiner Schwester.

MORTIMER.

Nicht offenbar noch heimlich solls dem Mord

Gelingen, Euer Leben anzutasten.

Seid ohne Furcht! Bereitet ist schon alles,

Zwölf edle Jünglinge des Landes sind

In meinem Bündnis, haben heute früh

Das Sakrament darauf empfangen, Euch

Mit starkem Arm aus diesem Schloß zu führen.

Graf Aubespine, der Abgesandte Frankreichs,[570]

Weiß um den Bund, er bietet selbst die Hände,

Und sein Palast ists, wo wir uns versammeln.

MARIA.

Ihr macht mich zittern, Sir – doch nicht für Freude.

Mir fliegt ein böses Ahnden durch das Herz.

Was unternehmt ihr? Wißt ihrs? Schrecken euch

Nicht Babingtons, nicht Tichburns blutge Häupter,

Auf Londons Brücke warnend aufgereckt,

Nicht das Verderben der Unzähligen,

Die ihren Tod in gleichem Wagstück fanden,

Und meine Ketten schwerer nur gemacht?

Unglücklicher, verführter Jüngling – flieht!

Flieht, wenns noch Zeit ist – wenn der Späher Burleigh

Nicht jetzt schon Kundschaft hat von euch, nicht schon

In eure Mitte den Verräter mischte.

Flieht aus dem Reiche schnell! Marien Stuart

Hat noch kein Glücklicher beschützt.

MORTIMER.

Mich schrecken

Nicht Babingtons, nicht Tichburns blutge Häupter,

Auf Londons Brücke warnend aufgesteckt,

Nicht das Verderben der unzählgen andern,

Die ihren Tod in gleichem Wagstück fanden,

Sie fanden auch darin den ewgen Ruhm,

Und Glück schon ists, für Eure Rettung sterben.

MARIA.

Umsonst! Mich rettet nicht Gewalt, nicht List.

Der Feind ist wachsam und die Macht ist sein.

Nicht Paulet nur und seiner Wächter Schar,

Ganz England hütet meines Kerkers Tore.

Der freie Wille der Elisabeth allein

Kann sie mir auftun.

MORTIMER.

O das hoffet nie!

MARIA.

Ein einzger Mann lebt, der sie öffnen kann.

MORTIMER.

O nennt mir diesen Mann –

MARIA.

Graf Leicester.

MORTIMER tritt erstaunt zurück.

Leicester!

Graf Leicester! – Euer blutigster Verfolger,

Der Günstling der Elisabeth – von diesem –[571]

MARIA.

Bin ich zu retten, ists allein durch ihn.

– Geht zu ihm. Öffnet Euch ihm frei.

Und zur Gewähr, daß ichs bin, die Euch sendet,

Bringt ihm dies Schreiben. Es enthält mein Bildnis.


Sie zieht ein Papier aus dem Busen, Mortimer tritt zurück und zögert, es anzunehmen.


Nehmt hin. Ich trag es lange schon bei mir,

Weil Eures Oheims strenge Wachsamkeit

Mir jeden Weg zu ihm gehemmt – Euch sandte

Mein guter Engel –

MORTIMER.

Königin – dies Rätsel –

Erklärt es mir –

MARIA.

Graf Leicester wirds Euch lösen.

Vertraut ihm, er wird Euch vertraun – Wer kommt?

KENNEDY eilfertig eintretend.

Sir Paulet naht mit einem Herrn vom Hofe.

MORTIMER.

Es ist Lord Burleigh. Faßt Euch, Königin!

Hört es mit Gleichmut an, was er Euch bringt.


Er entfernt sich durch eine Seitentür, Kennedy folgt ihm.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 563-572.
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