Sechster Auftritt

[629] Mortimer zu den Vorigen.


KENNEDY.

O Sir! Welch ein Erfolg –

MORTIMER.

Ich hörte alles.


Gibt der Amme ein Zeichen, sich auf ihren Posten zu begeben, und tritt näher. Sein ganzes Wesen drückt eine heftige leidenschaftliche Stimmung aus.


Du hast gesiegt! Du tratst sie in den Staub,

Du warst die Königin, sie der Verbrecher.

Ich bin entzückt von deinem Mut, ich bete

Dich an, wie eine Göttin groß und herrlich

Erscheinst du mir in diesem Augenblick.

MARIA.

Ihr spracht mit Leicestern, überbrachtet ihm

Mein Schreiben, mein Geschenk – O redet, Sir!

MORTIMER mit glühenden Blicken sie betrachtend.

Wie dich der edle königliche Zorn

Umglänzte, deine Reize mir verklärte!

Du bist das schönste Weib auf dieser Erde!

MARIA.

Ich bitt Euch, Sir! Stillt meine Ungeduld.

Was spricht Mylord? O sagt, was darf ich hoffen?

MORTIMER.

Wer? Er? das ist ein Feiger, Elender!

Hofft nichts von ihm, verachtet ihn, vergeßt ihn!

MARIA.

Was sagt Ihr?

MORTIMER.

Er Euch retten und besitzen![629]

Er Euch! Er soll es wagen! Er! Mit mir

Muß er auf Tod und Leben darum kämpfen!

MARIA.

Ihr habt ihm meinen Brief nicht übergeben?

– O dann ists aus!

MORTIMER.

Der Feige liebt das Leben.

Wer dich will retten und die Seine nennen,

Der muß den Tod beherzt umarmen können.

MARIA.

Er will nichts für mich tun!

MORTIMER.

Nichts mehr von ihm!

Was kann er tun, und was bedarf man sein?

Ich will dich retten, ich allein!

MARIA.

Ach, was vermögt Ihr!

MORTIMER.

Täuschet Euch nicht mehr,

Als ob es noch wie gestern mit Euch stünde!

So wie die Königin jetzt von Euch ging,

Wie dies Gespräch sich wendete, ist alles

Verloren, jeder Gnadenweg gesperrt.

Der Tat bedarfs jetzt, Kühnheit muß entscheiden,

Für alles werde alles frisch gewagt,

Frei müßt Ihr sein, noch eh der Morgen tagt.

MARIA.

Was sprecht Ihr? diese Nacht! Wie ist das möglich?

MORTIMER.

Hört, was beschlossen ist. Versammelt hab ich

In heimlicher Kapelle die Gefährten,

Ein Priester hörte unsre Beichte an,

Ablaß ist uns erteilt für alle Schulden,

Die wir begingen, Ablaß im voraus

Für alle, die wir noch begehen werden.

Das letzte Sakrament empfingen wir,

Und fertig sind wir zu der letzten Reise.

MARIA.

O welche fürchterliche Vorbereitung!

MORTIMER.

Dies Schloß ersteigen wir in dieser Nacht,

Der Schlüssel bin ich mächtig. Wir ermorden

Die Hüter, reißen dich aus deiner Kammer

Gewaltsam, sterben muß von unsrer Hand,

Daß niemand überbleibe, der den Raub

Verraten könne, jede lebende Seele.[630]

MARIA.

Und Drury, Paulet, meine Kerkermeister?

O eher werden sie ihr letztes Blut –

MORTIMER.

Von meinem Dolche fallen sie zuerst!

MARIA.

Was? Euer Oheim, Euer zweiter Vater?

MORTIMER.

Von meinen Händen stirbt er. Ich ermord ihn.

MARIA.

O blutger Frevel!

MORTIMER.

Alle Frevel sind

Vergeben im voraus. Ich kann das Ärgste

Begehen, und ich wills.

MARIA.

O schrecklich, schrecklich!

MORTIMER.

Und müßt ich auch die Königin durchbohren,

Ich hab es auf die Hostie geschworen.

MARIA.

Nein, Mortimer! Eh so viel Blut um mich –

MORTIMER.

Was ist mir alles Leben gegen dich

Und meine Liebe! Mag der Welten Band

Sich lösen, eine zweite Wasserflut

Herwogend alles Atmende verschlingen!

– Ich achte nichts mehr! Eh ich dir entsage,

Eh nahe sich das Ende aller Tage.

MARIA zurücktretend.

Gott! Welche Sprache, Sir, und – welche Blicke!

– Sie schrecken, sie verscheuchen mich.

MORTIMER mit irren Blicken, und im Ausdruck des stillen Wahnsinns.

Das Leben ist

Nur ein Moment, der Tod ist auch nur einer!

– Man schleife mich nach Tyburn, Glied für Glied

Zerreiße man mit glühnder Eisenzange,


Indem er heftig auf sie zugeht, mit ausgebreiteten Armen.


Wenn ich dich, Heißgeliebte, umfange –

MARIA zurücktretend.

Unsinniger, zurück –

MORTIMER.

An dieser Brust,

Auf diesem Liebe atmenden Munde –

MARIA.

Um Gotteswillen, Sir! Laßt mich hineingehn!

MORTIMER.

Der ist ein Rasender, der nicht das Glück

Festhält in unauflöslicher Umarmung,

Wenn es ein Gott in seine Hand gegeben.[631]

Ich will dich retten, kost es tausend Leben,

Ich rette dich, ich will es, doch so wahr

Gott lebt! Ich schwörs, ich will dich auch besitzen.

MARIA.

O will kein Gott, kein Engel mich beschützen!

Furchtbares Schicksal! Grimmig schleuderst du

Von einem Schrecknis mich dem andern zu.

Bin ich geboren, nur die Wut zu wecken?

Verschwört sich Haß und Liebe, mich zu schrecken.

MORTIMER.

Ja glühend, wie sie hassen, lieb ich dich!

Sie wollen dich enthaupten, diesen Hals,

Den blendendweißen, mit dem Beil durchschneiden.

O weihe du dem Lebensgott der Freuden,

Was du dem Hasse blutig opfern mußt.

Mit diesen Reizen, die nicht dein mehr sind,

Beselige den glücklichen Geliebten.

Die schöne Locke, dieses seidne Haar,

Verfallen schon den finstern Todesmächten,

Gebrauchs, den Sklaven ewig zu umflechten!

MARIA.

O welche Sprache muß ich hören! Sir!

Mein Unglück sollt Euch heilig sein, mein Leiden,

Wenn es mein königliches Haupt nicht ist.

MORTIMER.

Die Krone ist von deinem Haupt gefallen,

Du hast nichts mehr von irdscher Majestät,

Versuch es, laß dein Herrscherwort erschallen,

Ob dir ein Freund, ein Retter aufersteht.

Nichts blieb dir als die rührende Gestalt,

Der hohen Schönheit göttliche Gewalt,

Die läßt mich alles wagen und vermögen,

Die treibt dem Beil des Henkers mich entgegen –

MARIA.

O wer errettet mich von seiner Wut!

MORTIMER.

Verwegner Dienst belohnt sich auch verwegen!

Warum versprützt der Tapfere sein Blut?

Ist Leben doch des Lebens höchstes Gut!

Ein Rasender, der es umsonst verschleudert!

Erst will ich ruhn an seiner wärmsten Brust –


Er preßt sie heftig an sich.[632]


MARIA.

O muß ich Hülfe rufen gegen den Mann,

Der mein Erretter –

MORTIMER.

Du bist nicht gefühllos,

Nicht kalter Strenge klagt die Welt dich an,

Dich kann die heiße Liebesbitte rühren,

Du hast den Sänger Rizzio beglückt,

Und jener Bothwell durfte dich entführen.

MARIA.

Vermessener!

MORTIMER.

Er war nur dein Tyrann!

Du zittertest vor ihm, da du ihn liebtest!

Wenn nur der Schrecken dich gewinnen kann,

Beim Gott der Hölle! –

MARIA.

Laßt mich! Raset Ihr?

MORTIMER.

Erzittern sollst du auch vor mir!

KENNEDY hereinstürzend.

Man naht. Man kommt. Bewaffnet Volk erfüllt

Den ganzen Garten.

MORTIMER auffahrend und zum Degen greifend.

Ich beschütze dich.

MARIA.

O Hanna! Rette mich aus seinen Händen!

Wo find ich Ärmste einen Zufluchtsort?

Zu welchem Heiligen soll ich mich wenden,

Hier ist Gewalt und drinnen ist der Mord.


Sie flieht dem Hause zu, Kennedy folgt.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 629-633.
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