Erster Auftritt

[661] Hanna Kennedy in tiefe Trauer gekleidet, mit verweinten Augen und einem großen, aber stillen Schmerz, ist beschäftigt, Pakete und Briefe zu versiegeln. Oft unterbricht sie der Jammer in ihrem Geschäft, und man sieht sie dazwischen still beten. Paulet und Drury, gleichfalls in schwarzen Kleidern, treten ein, ihnen folgen viele Bediente, welche goldne und silberne Gefäße, Spiegel, Gemälde und andere Kostbarkeiten tragen, und den Hintergrund des Zimmers damit anfüllen. Paulet überliefert der Amme ein Schmuckkästchen nebst einem Papier, und bedeutet ihr durch Zeichen, daß es ein Verzeichnis der gebrachten Dinge enthalte. Beim Anblick dieser Reichtümer erneuert sich der Schmerz der Amme, sie versinkt in ein tiefes Trauern, indem jene sich still wieder entfernen. Melvil tritt ein.


KENNEDY schreit auf, sobald sie ihn gewahr wird.

Melvil! Ihr seid es! Euch erblick ich wieder!

MELVIL.

Ja, treue Kennedy, wir sehn uns wieder!

KENNEDY.

Nach langer, langer, schmerzenvoller Trennung!

MELVIL.

Ein unglückselig schmerzvoll Wiedersehn!

KENNEDY.

O Gott! Ihr kommt –

MELVIL.

Den letzten, ewigen

Abschied von meiner Königin zu nehmen.

KENNEDY.

Jetzt endlich, jetzt am Morgen ihres Todes,

Wird ihr die langentbehrte Gegenwart

Der Ihrigen vergönnt – O teurer Sir,

Ich will nicht fragen, wie es Euch erging,

Euch nicht die Leiden nennen, die wir litten,

Seitdem man Euch von unsrer Seite riß,

Ach, dazu wird wohl einst die Stunde kommen!

O Melvil! Melvil! Mußten wirs erleben,

Den Anbruch dieses Tags zu sehn!

MELVIL.

Laßt uns

Einander nicht erweichen! Weinen will ich,

Solang noch Leben in mir ist, nie soll[661]

Ein Lächeln diese Wangen mehr erheitern,

Nie will ich dieses nächtliche Gewand

Mehr von mir legen! Ewig will ich trauern,

Doch heute will ich standhaft sein – Versprecht

Auch Ihr mir, Euren Schmerz zu mäßigen –

Und wenn die andern alle der Verzweiflung

Sich trostlos überlassen, lasset uns

Mit männlich edler Fassung ihr vorangehn

Und ihr ein Stab sein auf dem Todesweg!

KENNEDY.

Melvil! Ihr seid im Irrtum, wenn Ihr glaubt,

Die Königin bedürfe unsers Beistands,

Um standhaft in den Tod zu gehn! Sie selber ists,

Die uns das Beispiel edler Fassung gibt.

Seid ohne Furcht! Maria Stuart wird

Als eine Königin und Heldin sterben.

MELVIL.

Nahm sie die Todespost mit Fassung auf?

Man sagt, daß sie nicht vorbereitet war.

KENNEDY.

Das war sie nicht. Ganz andre Schrecken warens,

Die meine Lady ängstigten. Nicht vor dem Tod,

Vor dem Befreier zitterte Maria.

– Freiheit war uns verheißen. Diese Nacht

Versprach uns Mortimer von hier wegzuführen,

Und zwischen Furcht und Hoffnung, zweifelhaft,

Ob sie dem kecken Jüngling ihre Ehre

Und fürstliche Person vertrauen dürfe,

Erwartete die Königin den Morgen.

– Da wird ein Auflauf in dem Schloß, ein Pochen

Schreckt unser Ohr, und vieler Hämmer Schlag,

Wir glauben, die Befreier zu vernehmen,

Die Hoffnung winkt, der süße Trieb des Lebens

Wacht unwillkürlich, allgewaltig auf –

Da öffnet sich die Tür – Sir Paulet ists,

Der uns verkündigt – daß – die Zimmerer

Zu unsern Füßen das Gerüst aufschlagen!


Sie wendet sich ab, von heftigem Schmerz ergriffen.


MELVIL.

Gerechter Gott! O sagt mir! Wie ertrug[662]

Maria diesen fürchterlichen Wechsel?

KENNEDY nach einer Pause, worin sie sich wieder etwas gefaßt hat.

Man löst sich nicht allmählich von dem Leben!

Mit einem Mal, schnell augenblicklich muß

Der Tausch geschehen zwischen Zeitlichem

Und Ewigem, und Gott gewährte meiner Lady

In diesem Augenblick, der Erde Hoffnung

Zurückzustoßen mit entschloßner Seele,

Und glaubenvoll den Himmel zu ergreifen.

Kein Merkmal bleicher Furcht, kein Wort der Klage

Entehrte meine Königin – Dann erst,

Als sie Lord Leicesters schändlichen Verrat

Vernahm, das unglückselige Geschick

Des werten Jünglings, der sich ihr geopfert,

Des alten Ritters tiefen Jammer sah,

Dem seine letzte Hoffnung starb durch sie,

Da flossen ihre Tränen, nicht das eigne Schicksal,

Der fremde Jammer preßte sie ihr ab.

MELVIL.

Wo ist sie jetzt? Könnt Ihr mich zu ihr bringen?

KENNEDY.

Den Rest der Nacht durchwachte sie mit Beten,

Nahm von den teuern Freunden schriftlich Abschied,

Und schrieb ihr Testament mit eigner Hand.

Jetzt pflegt sie einen Augenblick der Ruh,

Der letzte Schlaf erquickt sie.

MELVIL.

Wer ist bei ihr?

KENNEDY.

Ihr Leibarzt Burgoyn, und ihre Frauen.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 661-663.
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