Siebenter Auftritt

[669] Maria. Melvil.


MARIA.

Ich habe alles Zeitliche berichtigt,

Und hoffe keines Menschen Schuldnerin

Aus dieser Welt zu scheiden – Eins nur ists,[669]

Melvil, was der beklemmten Seele noch

Verwehrt, sich frei und freudig zu erheben.

MELVIL.

Entdecke mirs. Erleichtre deine Brust,

Dem treuen Freund vertraue deine Sorgen.

MARIA.

Ich stehe an dem Rand der Ewigkeit,

Bald soll ich treten vor den höchsten Richter,

Und noch hab ich den Heilgen nicht versöhnt.

Versagt ist mir der Priester meiner Kirche.

Des Sakramentes heilge Himmelspeise

Verschmäh ich aus den Händen falscher Priester.

Im Glauben meiner Kirche will ich sterben,

Denn der allein ists, welcher seligmacht.

MELVIL.

Beruhige dein Herz. Dem Himmel gilt

Der feurig fromme Wunsch statt des Vollbringens.

Tyrannenmacht kann nur die Hände fesseln,

Des Herzens Andacht hebt sich frei zu Gott,

Das Wort ist tot, der Glaube macht lebendig.

MARIA.

Ach Melvil! Nicht allein genug ist sich

Das Herz, ein irdisch Pfand bedarf der Glaube,

Das hohe Himmlische sich zuzueignen.

Drum ward der Gott zum Menschen, und verschloß

Die unsichtbaren himmlischen Geschenke

Geheimnisvoll in einem sichtbarn Leib.

– Die Kirche ists, die heilige, die hohe,

Die zu dem Himmel uns die Leiter baut,

Die allgemeine, die katholsche heißt sie,

Denn nur der Glaube aller stärkt den Glauben,

Wo Tausende anbeten und verehren,

Da wird die Glut zur Flamme, und beflügelt

Schwingt sich der Geist in alle Himmel auf.

– Ach die Beglückten, die das froh geteilte

Gebet versammelt in dem Haus des Herrn!

Geschmückt ist der Altar, die Kerzen leuchten,

Die Glocke tönt, der Weihrauch ist gestreut,

Der Bischof steht im reinen Meßgewand,

Er faßt den Kelch, er segnet ihn, er kündet[670]

Das hohe Wunder der Verwandlung an,

Und niederstürzt dem gegenwärtgen Gotte

Das gläubigüberzeugte Volk – Ach! Ich

Allein bin ausgeschlossen, nicht zu mir

In meinen Kerker dringt der Himmelsegen.

MELVIL.

Er dringt zu dir! Er ist dir nah! Vertraue

Dem Allvermögenden – der dürre Stab

Kann Zweige treiben in des Glaubens Hand!

Und der die Quelle aus dem Felsen schlug,

Kann dir im Kerker den Altar bereiten,

Kann diesen Kelch, die irdische Erquickung,

Dir schnell in eine himmlische verwandeln.


Er ergreift den Kelch, der auf dem Tische steht.


MARIA.

Melvil! Versteh ich Euch? Ja! Ich versteh Euch!

Hier ist kein Priester, keine Kirche, kein

Hochwürdiges – Doch der Erlöser spricht:

Wo zwei versammelt sind in meinem Namen,

Da bin ich gegenwärtig unter ihnen.

Was weiht den Priester ein zum Mund des Herrn?

Das reine Herz, der unbefleckte Wandel.

– So seid Ihr mir, auch ungeweiht, ein Priester,

Ein Bote Gottes, der mir Frieden bringt.

– Euch will ich meine letzte Beichte tun,

Und Euer Mund soll mir das Heil verkünden.

MELVIL.

Wenn dich das Herz so mächtig dazu treibt,

So wisse, Königin, daß dir zum Troste

Gott auch ein Wunder wohl verrichten kann.

Hier sei kein Priester, sagst du, keine Kirche,

Kein Leib des Herrn? – Du irrest dich. Hier ist

Ein Priester, und ein Gott ist hier zugegen.


Er entblößt bei diesen Worten das Haupt, zugleich zeigt er ihr eine Hostie in einer goldenen Schale.


– Ich bin ein Priester, deine letzte Beichte

Zu hören, dir auf deinem Todesweg

Den Frieden zu verkündigen, hab ich

Die sieben Weihn auf meinem Haupt empfangen,[671]

Und diese Hostie überbring ich dir

Vom heilgen Vater, die er selbst geweihet.

MARIA.

O so muß an der Schwelle selbst des Todes

Mir noch ein himmlisch Glück bereitet sein!

Wie ein Unsterblicher auf goldnen Wolken

Herniederfährt, wie den Apostel einst

Der Engel führte aus des Kerkers Banden,

Ihn hält kein Riegel, keines Hüters Schwert,

Er schreitet mächtig durch verschloßne Pforten,

Und im Gefängnis steht er glänzend da,

So überrascht mich hier der Himmelsbote,

Da jeder irdsche Retter mich getäuscht!

– Und Ihr, mein Diener einst, seid jetzt der Diener

Des höchsten Gottes, und sein heilger Mund!

Wie Eure Kniee sonst vor mir sich beugten,

So lieg ich jetzt im Staub vor Euch.


Sie sinkt vor ihm nieder.


MELVIL indem er das Zeichen des Kreuzes über sie macht.

Im Namen

Des Vaters und des Sohnes und des Geistes!

Maria, Königin! Hast du dein Herz

Erforschet, schwörst du, und gelobest du

Wahrheit zu beichten vor dem Gott der Wahrheit?

MARIA.

Mein Herz liegt offen da vor dir und ihm.

MELVIL.

Sprich, welcher Sünde zeiht dich dein Gewissen,

Seitdem du Gott zum letztenmal versöhnt?

MARIA.

Von neidschem Hasse war mein Herz erfüllt,

Und Rachgedanken tobten in dem Busen.

Vergebung hofft ich Sünderin von Gott,

Und konnte nicht der Gegnerin vergeben.

MELVIL.

Bereuest du die Schuld, und ists dein ernster

Entschluß, versöhnt aus dieser Welt zu scheiden?

MARIA.

So wahr ich hoffe, daß mir Gott vergebe.

MELVIL.

Welch andrer Sünde klagt das Herz dich an?

MARIA.

Ach, nicht durch Haß allein, durch sündge Liebe

Noch mehr hab ich das höchste Gut beleidigt.[672]

Das eitle Herz ward zu dem Mann gezogen,

Der treulos mich verlassen und betrogen!

MELVIL.

Bereuest du die Schuld, und hat dein Herz

Vom eiteln Abgott sich zu Gott gewendet?

MARIA.

Es war der schwerste Kampf, den ich bestand,

Zerrissen ist das letzte irdsche Band.

MELVIL.

Welch andrer Schuld verklagt dich dein Gewissen?

MARIA.

Ach, eine frühe Blutschuld, längst gebeichtet,

Sie kehrt zurück mit neuer Schreckenskraft,

Im Augenblick der letzten Rechenschaft,

Und wälzt sich schwarz mir vor des Himmels Pforten.

Den König, meinen Gatten, ließ ich morden,

Und dem Verführer schenkt ich Herz und Hand!

Streng büßt ichs ab mit allen Kirchenstrafen,

Doch in der Seele will der Wurm nicht schlafen.

MELVIL.

Verklagt das Herz dich keiner andern Sünde,

Die du noch nicht gebeichtet und gebüßt?

MARIA.

Jetzt weißt du alles, was mein Herz belastet.

MELVIL.

Denk an die Nähe des Allwissenden!

Der Strafen denke, die die heilge Kirche

Der mangelhaften Beichte droht! Das ist

Die Sünde, zu dem ewgen Tod, denn das

Ist wider seinen heilgen Geist gefrevelt!

MARIA.

So schenke mir die ewge Gnade Sieg

Im letzten Kampf, als ich dir wissend nichts verschwieg.

MELVIL.

Wie? deinem Gott verhehlst du das Verbrechen,

Um dessentwillen dich die Menschen strafen?

Du sagst mir nichts von deinem blutgen Anteil

An Babingtons und Parrys Hochverrat?

Den zeitlichen Tod stirbst du für diese Tat,

Willst du auch noch den ewgen dafür sterben?

MARIA.

Ich bin bereit zur Ewigkeit zu gehn,

Noch eh sich der Minutenzeiger wendet,

Werd ich vor meines Richters Throne stehn,

Doch wiederhol ichs, meine Beichte ist vollendet.

MELVIL.

Erwäg es wohl. Das Herz ist ein Betrüger.[673]

Du hast vielleicht mit listgem Doppelsinn

Das Wort vermieden, das dich schuldig macht,

Obgleich der Wille das Verbrechen teilte.

Doch wisse, keine Gaukelkunst berückt

Das Flammenauge, das ins Innre blickt!

MARIA.

Ich habe alle Fürsten aufgeboten,

Mich aus unwürdgen Banden zu befrein,

Doch nie hab ich durch Vorsatz oder Tat

Das Leben meiner Feindin angetastet!

MELVIL.

So hätten deine Schreiber falsch gezeugt?

MARIA.

Wie ich gesagt, so ists. Was jene zeugten,

Das richte Gott!

MELVIL.

So steigst du, überzeugt

Von deiner Unschuld, auf das Blutgerüste?

MARIA.

Gott würdigt mich, durch diesen unverdienten Tod

Die frühe schwere Blutschuld abzubüßen.

MELVIL macht den Segen über sie.

So gehe hin, und sterbend büße sie!

Sink ein ergebnes Opfer am Altare,

Blut kann versöhnen, was das Blut verbrach,

Du fehltest nur aus weiblichem Gebrechen,

Dem selgen Geiste folgen nicht die Schwächen

Der Sterblichkeit in die Verklärung nach.

Ich aber künde dir, kraft der Gewalt,

Die mir verliehen ist, zu lösen und zu binden,

Erlassung an von allen deinen Sünden!

Wie du geglaubet, so geschehe dir!


Er reicht ihr die Hostie.


Nimm hin den Leib, er ist für dich geopfert!


Er ergreift den Kelch, der auf dem Tische steht, konsekriert ihn mit stillem Gebet, dann reicht er ihr denselben. Sie zögert, ihn anzunehmen, und weist ihn mit der Hand zurück.


Nimm hin das Blut, es ist für dich vergossen!

Nimm hin! Der Papst erzeigt dir diese Gunst!

Im Tode noch sollst du das höchste Recht

Der Könige, das priesterliche, üben!


Sie empfängt den Kelch.[674]


Und wie du jetzt dich in dem irdschen Leib

Geheimnisvoll mit deinem Gott verbunden,

So wirst du dort in seinem Freudenreich,

Wo keine Schuld mehr sein wird, und kein Weinen,

Ein schön verklärter Engel, dich

Auf ewig mit dem Göttlichen vereinen.


Er setzt den Kelch nieder. Auf ein Geräusch, das gehört wird, bedeckt er sich das Haupt, und geht an die Türe, Maria bleibt in stiller Andacht auf den Knien liegen.


MELVIL zurückkommend.

Dir bleibt ein harter Kampf noch zu bestehn.

Fühlst du dich stark genug, um jede Regung

Der Bitterkeit, des Hasses zu besiegen?

MARIA.

Ich fürchte keinen Rückfall. Meinen Haß

Und meine Liebe hab ich Gott geopfert.

MELVIL.

Nun so bereite dich, die Lords von Leicester

Und Burleigh zu empfangen. Sie sind da.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 669-675.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Maria Stuart
Maria Stuart (Poches Allemand)
Maria Stuart: Empfohlen für das 9./10. Schuljahr. Schülerheft
Maria Stuart: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Maria Stuart: Trauerspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Maria Stuart von Friedrich von Schiller. Textanalyse und Interpretation: Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon