[949] Eine Wiese von hohen Felsen und Wald umgeben.
Auf den Felsen sind Steige, mit Geländern, auch Leitern, von denen man nachher die Landleute herabsteigen sieht. Im Hintergrunde zeigt sich der See, über welchem anfangs ein Mondregenbogen zu sehen ist. Den Prospekt schließen hohe Berge, hinter welchen noch höhere Eisgebirge ragen. Es ist völlig Nacht auf der Szene, nur der See und die weißen Gletscher leuchten im Mondenlicht. Melchthal, Baumgarten, Winkelried, Meier von Sarnen, Burkhardt am Bühel, Arnold von Sewa, Klaus von der Flüe und noch vier andere Landleute, alle bewaffnet.
MELCHTHAL noch hinter der Szene.
Der Bergweg öffnet sich, nur frisch mir nach,
Den Fels erkenn ich und das Kreuzlein drauf,
Wir sind am Ziel, hier ist das Rütli.
Treten auf mit Windlichtern.
WINKELRIED.
Horch!
SEWA.
Ganz leer.
MEIER.
's ist noch kein Landmann da. Wir sind
Die ersten auf dem Platz, wir Unterwaldner.
MELCHTHAL.
Wie weit ists in der Nacht?
BAUMGARTEN.
Der Feuerwächter
Vom Selisberg hat eben zwei gerufen.
Man hört in der Ferne läuten.
MEIER.
Still! Horch!
AM BÜHEL.
Das Mettenglöcklein in der Waldkapelle
Klingt hell herüber aus dem Schwyzerland.
VON DER FLÜE.
Die Luft ist rein und trägt den Schall so weit.
MELCHTHAL.
Gehn einige und zünden Reisholz an,
Daß es loh brenne, wenn die Männer kommen.
Zwei Landleute gehen.
SEWA.
's ist eine schöne Mondennacht. Der See
Liegt ruhig da als wie ein ebner Spiegel.
AM BÜHEL.
Sie haben eine leichte Fahrt.[949]
WINKELRIED zeigt nach dem See.
Ha, seht!
Seht dorthin! Seht ihr nichts?
MEIER.
Was denn? – Ja, wahrlich!
Ein Regenbogen mitten in der Nacht!
MELCHTHAL.
Es ist das Licht des Mondes, das ihn bildet.
VON DER FLÜE.
Das ist ein seltsam wunderbares Zeichen!
Es leben viele, die das nicht gesehn.
SEWA.
Er ist doppelt, seht, ein blässerer steht drüber.
BAUMGARTEN.
Ein Nachen fährt soeben drunter weg.
MELCHTHAL.
Das ist der Stauffacher mit seinem Kahn,
Der Biedermann läßt sich nicht lang erwarten.
Geht mit Baumgarten nach dem Ufer.
MEIER.
Die Urner sind es, die am längsten säumen.
AM BÜHEL.
Sie müssen weit umgehen durchs Gebirg,
Daß sie des Landvogts Kundschaft hintergehen.
Unterdessen haben die zwei Landleute in der Mitte des Platzes ein Feuer angezündet.
MELCHTHAL am Ufer.
Wer ist da? Gebt das Wort!
STAUFFACHER von unten.
Freunde des Landes.
Alle gehen nach der Tiefe, den Kommenden entgegen. Aus dem Kahn steigen Stauffacher, Itel Reding, Hans auf der Mauer, Jörg im Hofe, Konrad Hunn, Ulrich der Schmied, Jost von Weiler und noch drei andre Landleute, gleichfalls bewaffnet.
ALLE rufen.
Willkommen!
Indem die übrigen in der Tiefe verweilen und sich begrüßen, kommt Melchthal mit Stauffacher vorwärts.
MELCHTHAL.
O Herr Stauffacher! Ich hab ihn
Gesehn, der mich nicht wiedersehen konnte!
Die Hand hab ich gelegt auf seine Augen,
Und glühend Rachgefühl hab ich gesogen
Aus der erloschnen Sonne seines Blicks.
STAUFFACHER.
Sprecht nicht von Rache. Nicht Geschehnes rächen,
Gedrohtem Übel wollen wir begegnen.
– Jetzt sagt, was Ihr im Unterwaldner Land
Geschafft und für gemeine Sach geworben,[950]
Wie die Landleute denken, wie Ihr selbst
Den Stricken des Verrats entgangen seid.
MELCHTHAL.
Durch der Surennen furchtbares Gebirg,
Auf weit verbreitet öden Eisesfeldern,
Wo nur der heisre Lämmergeier krächzt,
Gelangt ich zu der Alpentrift, wo sich
Aus Uri und vom Engelberg die Hirten
Anrufend grüßen und gemeinsam weiden,
Den Durst mir stillend mit der Gletscher Milch,
Die in den Runsen schäumend niederquillt.
In den einsamen Sennhütten kehrt ich ein,
Mein eigner Wirt und Gast, bis daß ich kam
Zu Wohnungen gesellig lebender Menschen.
– Erschollen war in diesen Tälern schon
Der Ruf des neuen Greuels, der geschehn,
Und fromme Ehrfurcht schaffte mir mein Unglück
Vor jeder Pforte, wo ich wandernd klopfte.
Entrüstet fand ich diese graden Seelen
Ob dem gewaltsam neuen Regiment,
Denn so wie ihre Alpen fort und fort
Dieselben Kräuter nähren, ihre Brunnen
Gleichförmig fließen, Wolken selbst und Winde
Den gleichen Strich unwandelbar befolgen,
So hat die alte Sitte hier vom Ahn
Zum Enkel unverändert fortbestanden,
Nicht tragen sie verwegne Neuerung
Im altgewohnten gleichen Gang des Lebens.
– Die harten Hände reichten sie mir dar,
Von den Wänden langten sie die rostgen Schwerter,
Und aus den Augen blitzte freudiges
Gefühl des Muts, als ich die Namen nannte,
Die im Gebirg dem Landmann heilig sind,
Den Eurigen und Walters Fürsts – Was euch
Recht würde dünken, schwuren sie zu tun,
Euch schwuren sie bis in den Tod zu folgen.
– So eilt ich sicher unterm heilgen Schirm[951]
Des Gastrechts von Gehöfte zu Gehöfte –
Und als ich kam ins heimatliche Tal,
Wo mir die Vettern viel verbreitet wohnen –
Als ich den Vater fand, beraubt und blind,
Auf fremdem Stroh, von der Barmherzigkeit
Mildtätger Menschen lebend –
STAUFFACHER.
Herr im Himmel!
MELCHTHAL.
Da weint ich nicht! Nicht in ohnmächtgen Tränen
Goß ich die Kraft des heißen Schmerzens aus,
In tiefer Brust wie einen teuren Schatz
Verschloß ich ihn und dachte nur auf Taten.
Ich kroch durch alle Krümmen des Gebirgs,
Kein Tal war so versteckt, ich späht es aus,
Bis an der Gletscher eisbedeckten Fuß
Erwartet ich und fand bewohnte Hütten,
Und überall, wohin mein Fuß mich trug,
Fand ich den gleichen Haß der Tyrannei,
Denn bis an diese letzte Grenze selbst
Belebter Schöpfung, wo der starre Boden
Aufhört zu geben, raubt der Vögte Geiz –
Die Herzen alle dieses biedern Volks
Erregt ich mit dem Stachel meiner Worte,
Und unser sind sie all mit Herz und Mund.
STAUFFACHER.
Großes habt Ihr in kurzer Frist geleistet.
MELCHTHAL.
Ich tat noch mehr. Die beiden Festen sinds,
Roßberg und Sarnen, die der Landmann fürchtet,
Denn hinter ihren Felsenwällen schirmt
Der Feind sich leicht und schädiget das Land.
Mit eignen Augen wollt ich es erkunden,
Ich war zu Sarnen und besah die Burg.
STAUFFACHER.
Ihr wagtet Euch bis in des Tigers Höhle?
MELCHTHAL.
Ich war verkleidet dort in Pilgerstracht,
Ich sah den Landvogt an der Tafel schwelgen –
Urteilt, ob ich mein Herz bezwingen kann,
Ich sah den Feind, und ich erschlug ihn nicht.
STAUFFACHER.
Fürwahr, das Glück war Eurer Kühnheit hold.
[952] Unterdessen sind die andern Landleute vorwärtsgekommen und nähern sich den beiden.
Doch jetzo sagt mir, wer die Freunde sind,
Und die gerechten Männer, die Euch folgten?
Macht mich bekannt mit ihnen, daß wir uns
Zutraulich nahen und die Herzen öffnen.
MEIER.
Wer kennte Euch nicht, Herr, in den drei Landen?
Ich bin der Meir von Sarnen, dies hier ist
Mein Schwestersohn, der Struth von Winkelried.
STAUFFACHER.
Ihr nennt mir keinen unbekannten Namen.
Ein Winkelried wars, der den Drachen schlug
Im Sumpf bei Weiler und sein Leben ließ
In diesem Strauß.
WINKELRIED.
Das war mein Ahn, Herr Werner.
MELCHTHAL zeigt auf zwei Landleute.
Die wohnen hinterm Wald, sind Klosterleute
Vom Engelberg – Ihr werdet sie drum nicht
Verachten, weil sie eigne Leute sind,
Und nicht wie wir frei sitzen auf dem Erbe –
Sie lieben 's Land, sind sonst auch wohl berufen.
STAUFFACHER zu den beiden.
Gebt mir die Hand. Es preise sich, wer keinem
Mit seinem Leibe pflichtig ist auf Erden,
Doch Redlichkeit gedeiht in jedem Stande.
KONRAD HUNN.
Das ist Herr Reding, unser Altlandammann.
MEIER.
Ich kenn ihn wohl. Er ist mein Widerpart,
Der um ein altes Erbstück mit mir rechtet.
– Herr Reding, wir sind Feinde vor Gericht,
Hier sind wir einig.
Schüttelt ihm die Hand.
STAUFFACHER.
Das ist brav gesprochen.
WINKELRIED.
Hört ihr? Sie kommen. Hört das Horn von Uri!
Rechts und links sieht man bewaffnete Männer mit Windlichtern die Felsen herabsteigen.
AUF DER MAUER.
Seht! Steigt nicht selbst der fromme Diener Gottes,
Der würdge Pfarrer mit herab? Nicht scheut er
Des Weges Mühen und das Graun der Nacht,[953]
Ein treuer Hirte für das Volk zu sorgen.
BAUMGARTEN.
Der Sigrist folgt ihm und Herr Walter Fürst,
Doch nicht den Tell erblick ich in der Menge.
Walter Fürst, Rösselmann der Pfarrer, Petermann der Sigrist, Kuoni der Hirt, Werni der Jäger, Ruodi der Fischer und noch fünf andere Landleute, alle zusammen, dreiunddreißig an der Zahl, treten vorwärts und stellen sich um das Feuer.
WALTER FÜRST.
So müssen wir auf unserm eignen Erb
Und väterlichen Boden uns verstohlen
Zusammenschleichen, wie die Mörder tun,
Und bei der Nacht, die ihren schwarzen Mantel
Nur dem Verbrechen und der sonnenscheuen
Verschwörung leihet, unser gutes Recht
Uns holen, das doch lauter ist und klar,
Gleichwie der glanzvoll offne Schoß des Tages.
MELCHTHAL.
Laßts gut sein. Was die dunkle Nacht gesponnen,
Soll frei und fröhlich an das Licht der Sonnen.
RÖSSELMANN.
Hört, was mir Gott ins Herz gibt, Eidgenossen!
Wir stehen hier statt einer Landsgemeinde
Und können gelten für ein ganzes Volk,
So laßt uns tagen nach den alten Bräuchen
Des Lands, wie wirs in ruhigen Zeiten pflegen,
Was ungesetzlich ist in der Versammlung,
Entschuldige die Not der Zeit. Doch Gott
Ist überall, wo man das Recht verwaltet,
Und unter seinem Himmel stehen wir.
STAUFFACHER.
Wohl, laßt uns tagen nach der alten Sitte,
Ist es gleich Nacht, so leuchtet unser Recht.
MELCHTHAL.
Ist gleich die Zahl nicht voll, das Herz ist hier
Des ganzen Volks, die Besten sind zugegen.
KONRAD HUNN.
Sind auch die alten Bücher nicht zur Hand,
Sie sind in unsre Herzen eingeschrieben.
RÖSSELMANN.
Wohlan, so sei der Ring sogleich gebildet.
Man pflanze auf die Schwerter der Gewalt.
AUF DER MAUER.
Der Landesammann nehme seinen Platz,
Und seine Weibel stehen ihm zur Seite![954]
SIGRIST.
Es sind der Völker dreie. Welchem nun
Gebührts, das Haupt zu geben der Gemeinde?
MEIER.
Um diese Ehr mag Schwyz mit Uri streiten,
Wir Unterwaldner stehen frei zurück.
MELCHTHAL.
Wir stehn zurück, wir sind die Flehenden,
Die Hülfe heischen von den mächtgen Freunden.
STAUFFACHER.
So nehme Uri denn das Schwert, sein Banner
Zieht bei den Römerzügen uns voran.
WALTER FÜRST.
Des Schwertes Ehre werde Schwyz zuteil,
Denn seines Stammes rühmen wir uns alle.
RÖSSELMANN.
Den edeln Wettstreit laßt mich freundlich schlichten,
Schwyz soll im Rat, Uri im Felde führen.
WALTER FÜRST reicht dem Stauffacher die Schwerter.
So nehmt!
STAUFFACHER.
Nicht mir, dem Alter sei die Ehre.
IM HOFE.
Die meisten Jahre zählt Ulrich der Schmied.
AUF DER MAUER.
Der Mann ist wacker, doch nicht freien Stands,
Kein eigner Mann kann Richter sein in Schwyz.
STAUFFACHER.
Steht nicht Herr Reding hier, der Altlandammann?
Was suchen wir noch einen Würdigern?
WALTER FÜRST.
Er sei der Ammann und des Tages Haupt!
Wer dazu stimmt, erhebe seine Hände.
Alle heben die rechte Hand auf.
REDING tritt in die Mitte.
Ich kann die Hand nicht auf die Bücher legen,
So schwör ich droben bei den ewgen Sternen,
Daß ich mich nimmer will vom Recht entfernen.
Man richtet die zwei Schwerter vor ihm auf, der Ring bildet sich um ihn her, Schwyz hält die Mitte, rechts stellt sich Uri und links Unterwalden. Er steht auf sein Schlachtschwert gestützt.
Was ists, das die drei Völker des Gebirgs
Hier an des Sees unwirtlichem Gestade
Zusammenführte in der Geisterstunde?
Was soll der Inhalt sein des neuen Bunds,
Den wir hier unterm Sternenhimmel stiften?
STAUFFACHER tritt in den Ring.
Wir stiften keinen neuen Bund, es ist[955]
Ein uralt Bündnis nur von Väter Zeit,
Das wir erneuern! Wisset, Eidgenossen!
Ob uns der See, ob uns die Berge scheiden,
Und jedes Volk sich für sich selbst regiert,
So sind wir eines Stammes doch und Bluts,
Und eine Heimat ists, aus der wir zogen.
WINKELRIED.
So ist es wahr, wies in den Liedern lautet,
Daß wir von fernher in das Land gewallt?
O, teilts uns mit, was Euch davon bekannt,
Daß sich der neue Bund am alten stärke.
STAUFFACHER.
Hört, was die alten Hirten sich erzählen.
– Es war ein großes Volk, hinten im Lande
Nach Mitternacht, das litt von schwerer Teurung.
In dieser Not beschloß die Landsgemeinde,
Daß je der zehnte Bürger nach dem Los
Der Väter Land verlasse – das geschah!
Und zogen aus, wehklagend, Männer und Weiber,
Ein großer Heerzug, nach der Mittagsonne,
Mit dem Schwert sich schlagend durch das deutsche Land,
Bis an das Hochland dieser Waldgebirge.
Und eher nicht ermüdete der Zug,
Bis daß sie kamen in das wilde Tal,
Wo jetzt die Muotta zwischen Wiesen rinnt –
Nicht Menschenspuren waren hier zu sehen,
Nur eine Hütte stand am Ufer einsam,
Da saß ein Mann und wartete der Fähre –
Doch heftig wogete der See und war
Nicht fahrbar; da besahen sie das Land
Sich näher und gewahrten schöne Fülle,
Des Holzes und entdeckten gute Brunnen,
Und meinten, sich im lieben Vaterland
Zu finden – Da beschlossen sie zu bleiben,
Erbaueten den alten Flecken Schwyz,
Und hatten manchen sauren Tag, den Wald
Mit weitverschlungnen Wurzeln auszuroden –
Drauf, als der Boden nicht mehr Gnügen tat[956]
Der Zahl des Volks, da zogen sie hinüber
Zum schwarzen Berg, ja, bis ans Weißland hin,
Wo, hinter ewgem Eiseswall verborgen,
Ein andres Volk in andern Zungen spricht.
Den Flecken Stanz erbauten sie am Kernwald,
Den Flecken Altorf in dem Tal der Reuß –
Doch blieben sie des Ursprungs stets gedenk,
Aus all den fremden Stämmen, die seitdem
In Mitte ihres Lands sich angesiedelt,
Finden die Schwyzer Männer sich heraus,
Es gibt das Herz, das Blut sich zu erkennen.
Reicht rechts und links die Hand hin.
AUF DER MAUER.
Ja, wir sind eines Herzens, eines Bluts!
ALLE sich die Hände reichend.
Wir sind ein Volk, und einig wollen wir handeln.
STAUFFACHER.
Die andern Völker tragen fremdes Joch,
Sie haben sich dem Sieger unterworfen.
Es leben selbst in unsern Landesmarken
Der Sassen viel, die fremde Pflichten tragen,
Und ihre Knechtschaft erbt auf ihre Kinder.
Doch wir, der alten Schweizer echter Stamm,
Wir haben stets die Freiheit uns bewahrt.
Nicht unter Fürsten bogen wir das Knie,
Freiwillig wählten wir den Schirm der Kaiser.
RÖSSELMANN.
Frei wählten wir des Reiches Schutz und Schirm,
So stehts bemerkt in Kaiser Friedrichs Brief.
STAUFFACHER.
Denn herrenlos ist auch der Freiste nicht.
Ein Oberhaupt muß sein, ein höchster Richter,
Wo man das Recht mag schöpfen in dem Streit.
Drum haben unsre Väter für den Boden,
Den sie der alten Wildnis abgewonnen,
Die Ehr gegönnt dem Kaiser, der den Herrn
Sich nennt der deutschen und der welschen Erde,
Und wie die andern Freien seines Reichs
Sich ihm zu edelm Waffendienst gelobt,[957]
Denn dieses ist der Freien einzge Pflicht,
Das Reich zu schirmen, das sie selbst beschirmt.
MELCHTHAL.
Was drüber ist, ist Merkmal eines Knechts.
STAUFFACHER.
Sie folgten, wenn der Heribann erging,
Dem Reichspanier und schlugen seine Schlachten.
Nach Welschland zogen sie gewappnet mit,
Die Römerkron ihm auf das Haupt zu setzen.
Daheim regierten sie sich fröhlich selbst
Nach altem Brauch und eigenem Gesetz,
Der höchste Blutbann war allein des Kaisers.
Und dazu ward bestellt ein großer Graf,
Der hatte seinen Sitz nicht in dem Lande,
Wenn Blutschuld kam, so rief man ihn herein,
Und unter offnem Himmel, schlicht und klar,
Sprach er das Recht und ohne Furcht der Menschen.
Wo sind hier Spuren, daß wir Knechte sind?
Ist einer, der es anders weiß, der rede!
IM HOFE.
Nein, so verhält sich alles, wie Ihr sprecht,
Gewaltherrschaft ward nie bei uns geduldet.
STAUFFACHER.
Dem Kaiser selbst versagten wir Gehorsam,
Da er das Recht zu Gunst der Pfaffen bog.
Denn als die Leute von dem Gotteshaus
Einsiedeln uns die Alp in Anspruch nahmen,
Die wir beweidet seit der Väter Zeit,
Der Abt herfürzog einen alten Brief,
Der ihm die herrenlose Wüste schenkte –
Denn unser Dasein hatte man verhehlt –
Da sprachen wir: »Erschlichen ist der Brief,
Kein Kaiser kann, was unser ist, verschenken.
Und wird uns Recht versagt vom Reich, wir können
In unsern Bergen auch des Reichs entbehren.«
– So sprachen unsre Väter! Sollen wir
Des neuen Joches Schändlichkeit erdulden,
Erleiden von dem fremden Knecht, was uns
In seiner Macht kein Kaiser durfte bieten?
– Wir haben diesen Boden uns erschaffen[958]
Durch unsrer Hände Fleiß, den alten Wald,
Der sonst der Bären wilde Wohnung war,
Zu einem Sitz für Menschen umgewandelt,
Die Brut des Drachen haben wir getötet,
Der aus den Sümpfen giftgeschwollen stieg,
Die Nebeldecke haben wir zerrissen,
Die ewig grau um diese Wildnis hing,
Den harten Fels gesprengt, über den Abgrund
Dem Wandersmann den sichern Steg geleitet,
Unser ist durch tausendjährigen Besitz
Der Boden – und der fremde Herrenknecht
Soll kommen dürfen und uns Ketten schmieden,
Und Schmach antun auf unsrer eignen Erde?
Ist keine Hülfe gegen solchen Drang?
Eine große Bewegung unter den Landleuten.
Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht,
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
Und holt herunter seine ewgen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst –
Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht –
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben –
Der Güter höchstes dürfen wir verteidgen
Gegen Gewalt – Wir stehn vor unser Land,
Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!
ALLE an ihre Schwerter schlagend.
Wir stehn vor unsre Weiber, unsre Kinder!
RÖSSELMANN tritt in den Ring.
Eh ihr zum Schwerte greift, bedenkt es wohl.
Ihr könnt es friedlich mit dem Kaiser schlichten.
Es kostet euch ein Wort, und die Tyrannen,
Die euch jetzt schwer bedrängen, schmeicheln euch.[959]
– Ergreift, was man euch oft geboten hat,
Trennt euch vom Reich, erkennet Östreichs Hoheit –
AUF DER MAUER.
Was sagt der Pfarrer? Wir zu Östreich schwören!
AM BÜHEL.
Hört ihn nicht an!
WINKELRIED.
Das rät uns ein Verräter,
Ein Feind des Landes!
REDING.
Ruhig, Eidgenossen!
SEWA.
Wir Östreich huldigen, nach solcher Schmach!
VON DER FLÜE.
Wir uns abtrotzen lassen durch Gewalt,
Was wir der Güte weigerten!
MEIER.
Dann wären
Wir Sklaven und verdienten es zu sein!
AUF DER MAUER.
Der sei gestoßen aus dem Recht der Schweizer,
Wer von Ergebung spricht an Österreich!
– Landammann, ich bestehe drauf, dies sei
Das erste Landsgesetz, das wir hier geben.
MELCHTHAL.
So seis. Wer von Ergebung spricht an Östreich,
Soll rechtlos sein und aller Ehren bar,
Kein Landmann nehm ihn auf an seinem Feuer.
ALLE heben die rechte Hand auf.
Wir wollen es, das sei Gesetz!
REDING nach einer Pause.
Es ists.
RÖSSELMANN.
Jetzt seid ihr frei, ihr seids durch dies Gesetz,
Nicht durch Gewalt soll Österreich ertrotzen,
Was es durch freundlich Werben nicht erhielt –
JOST VON WEILER.
Zur Tagesordnung, weiter.
REDING.
Eidgenossen!
Sind alle sanften Mittel auch versucht?
Vielleicht weiß es der König nicht, es ist
Wohl gar sein Wille nicht, was wir erdulden.
Auch dieses letzte sollten wir versuchen,
Erst unsre Klage bringen vor sein Ohr,
Eh wir zum Schwerte greifen. Schrecklich immer[960]
Auch in gerechter Sache ist Gewalt,
Gott hilft nur dann, wenn Menschen nicht mehr helfen.
STAUFFACHER zu Konrad Hunn.
Nun ists an Euch, Bericht zu geben. Redet.
KONRAD HUNN.
Ich war zu Rheinfeld an des Kaisers Pfalz,
Wider der Vögte harten Druck zu klagen,
Den Brief zu holen unsrer alten Freiheit,
Den jeder neue König sonst bestätigt.
Die Boten vieler Städte fand ich dort,
Vom schwäbschen Lande und vom Lauf des Rheins,
Die all erhielten ihre Pergamente,
Und kehrten freudig wieder in ihr Land.
Mich, euren Boten, wies man an die Räte,
Und die entließen mich mit leerem Trost:
»Der Kaiser habe diesmal keine Zeit,
Er würde sonst einmal wohl an uns denken.«
– Und als ich traurig durch die Säle ging
Der Königsburg, da sah ich Herzog Hansen
In einem Erker weinend stehn, um ihn
Die edeln Herrn von Wart und Tegerfeld.
Die riefen mir und sagten: »Helft euch selbst,
Gerechtigkeit erwartet nicht vom König.
Beraubt er nicht des eignen Bruders Kind,
Und hinterhält ihm sein gerechtes Erbe?
Der Herzog fleht' ihn um sein Mütterliches,
Er habe seine Jahre voll, es wäre
Nun Zeit, auch Land und Leute zu regieren.
Was ward ihm zum Bescheid? Ein Kränzlein setzt' ihm
Der Kaiser auf: das sei die Zier der Jugend.«
AUF DER MAUER.
Ihr habts gehört. Recht und Gerechtigkeit
Erwartet nicht vom Kaiser! Helft euch selbst!
REDING.
Nichts andres bleibt uns übrig. Nun gebt Rat,
Wie wir es klug zum frohen Ende leiten.
WALTER FÜRST tritt in den Ring.
Abtreiben wollen wir verhaßten Zwang,
Die alten Rechte, wie wir sie ererbt[961]
Von unsern Vätern, wollen wir bewahren,
Nicht ungezügelt nach dem Neuen greifen.
Dem Kaiser bleibe, was des Kaisers ist,
Wer einen Herrn hat, dien ihm pflichtgemäß.
MEIER.
Ich trage Gut von Österreich zu Lehen.
WALTER FÜRST.
Ihr fahret fort, Östreich die Pflicht zu leisten.
JOST VON WEILER.
Ich steure an die Herrn von Rappersweil.
WALTER FÜRST.
Ihr fahret fort, zu zinsen und zu steuern.
RÖSSELMANN.
Der großen Frau zu Zürch bin ich vereidet.
WALTER FÜRST.
Ihr gebt dem Kloster, was des Klosters ist.
STAUFFACHER.
Ich trage keine Lehen als des Reichs.
WALTER FÜRST.
Was sein muß, das geschehe, doch nicht drüber.
Die Vögte wollen wir mit ihren Knechten
Verjagen und die festen Schlösser brechen,
Doch, wenn es sein mag, ohne Blut. Es sehe
Der Kaiser, daß wir notgedrungen nur
Der Ehrfurcht fromme Pflichten abgeworfen.
Und sieht er uns in unsern Schranken bleiben,
Vielleicht besiegt er staatsklug seinen Zorn,
Denn billge Furcht erwecket sich ein Volk,
Das mit dem Schwerte in der Faust sich mäßigt.
REDING.
Doch lasset hören! Wie vollenden wirs?
Es hat der Feind die Waffen in der Hand,
Und nicht fürwahr in Frieden wird er weichen.
STAUFFACHER.
Er wirds, wenn er in Waffen uns erblickt,
Wir überraschen ihn, eh er sich rüstet.
MEIER.
Ist bald gesprochen, aber schwer getan.
Uns ragen in dem Land zwei feste Schlösser,
Die geben Schirm dem Feind und werden furchtbar,
Wenn uns der König in das Land sollt fallen.
Roßberg und Sarnen muß bezwungen sein,
Eh man ein Schwert erhebt in den drei Landen.
STAUFFACHER.
Säumt man so lang, so wird der Feind gewarnt.
Zuviele sinds, die das Geheimnis teilen.
MEIER.
In den Waldstätten findt sich kein Verräter.
RÖSSELMANN.
Der Eifer auch, der gute, kann verraten.[962]
WALTER FÜRST.
Schiebt man es auf, so wird der Twing vollendet
In Altorf, und der Vogt befestigt sich.
MEIER.
Ihr denkt an euch.
SIGRIST.
Und ihr seid ungerecht.
MEIER auffahrend.
Wir ungerecht! Das darf uns Uri bieten!
REDING.
Bei eurem Eide, Ruh!
MEIER.
Ja, wenn sich Schwyz
Versteht mit Uri, müssen wir wohl schweigen.
REDING.
Ich muß euch weisen vor der Landsgemeinde,
Daß ihr mit heftgem Sinn den Frieden stört!
Stehn wir nicht alle für dieselbe Sache?
WINKELRIED.
Wenn wirs verschieben bis zum Fest des Herrn,
Dann bringts die Sitte mit, daß alle Sassen
Dem Vogt Geschenke bringen auf das Schloß,
So können zehen Männer oder zwölf
Sich unverdächtig in der Burg versammeln,
Die führen heimlich spitzge Eisen mit,
Die man geschwind kann an die Stäbe stecken,
Denn niemand kommt mit Waffen in die Burg.
Zunächst im Wald hält dann der große Haufe,
Und wenn die andern glücklich sich des Tors
Ermächtiget, so wird ein Horn geblasen,
Und jene brechen aus dem Hinterhalt,
So wird das Schloß mit leichter Arbeit unser.
MELCHTHAL.
Den Roßberg übernehm ich zu ersteigen,
Denn eine Dirn des Schlosses ist mir hold,
Und leicht betör ich sie, zum nächtlichen
Besuch die schwanke Leiter mir zu reichen,
Bin ich droben erst, zieh ich die Freunde nach.
REDING.
Ists aller Wille, daß verschoben werde?
Die Mehrheit erhebt die Hand.
STAUFFACHER zählt die Stimmen.
Es ist ein Mehr von zwanzig gegen zwölf!
WALTER FÜRST.
Wenn am bestimmten Tag die Burgen fallen,
So geben wir von einem Berg zum andern
Das Zeichen mit dem Rauch, der Landsturm wird[963]
Aufgeboten, schnell, im Hauptort jedes Landes,
Wenn dann die Vögte sehn der Waffen Ernst,
Glaubt mir, sie werden sich des Streits begeben
Und gern ergreifen friedliches Geleit,
Aus unsern Landesmarken zu entweichen.
STAUFFACHER.
Nur mit dem Geßler fürcht ich schweren Stand,
Furchtbar ist er mit Reisigen umgeben,
Nicht ohne Blut räumt er das Feld, ja selbst
Vertrieben bleibt er furchtbar noch dem Land,
Schwer ists und fast gefährlich, ihn zu schonen.
BAUMGARTEN.
Wos halsgefährlich ist, da stellt mich hin,
Dem Tell verdank ich mein gerettet Leben.
Gern schlag ichs in die Schanze für das Land,
Mein Ehr hab ich beschützt, mein Herz befriedigt.
REDING.
Die Zeit bringt Rat. Erwartets in Geduld.
Man muß dem Augenblick auch was vertrauen.
– Doch seht, indes wir nächtlich hier noch tagen,
Stellt auf den höchsten Bergen schon der Morgen
Die glühnde Hochwacht aus – Kommt, laßt uns scheiden,
Eh uns des Tages Leuchten überrascht.
WALTER FÜRST.
Sorgt nicht, die Nacht weicht langsam aus den Tälern.
Alle haben unwillkürlich die Hüte abgenommen und betrachten mit stiller Sammlung die Morgenröte.
RÖSSELMANN.
Bei diesem Licht, das uns zuerst begrüßt
Von allen Völkern, die tief unter uns
Schweratmend wohnen in dem Qualm der Städte,
Laßt uns den Eid des neuen Bundes schwören.
– Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Not uns trennen und Gefahr.
Alle sprechen es nach mit erhobenen drei Fingern.
– Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.
Wie oben.
– Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
Und uns nicht fürchten vor der Macht der Menschen.
Wie oben. Die Landleute umarmen einander.[964]
STAUFFACHER.
Jetzt gehe jeder seines Weges still
Zu seiner Freundschaft und Genoßsame,
Wer Hirt ist, wintre ruhig seine Herde
Und werb im stillen Freunde für den Bund,
– Was noch bis dahin muß erduldet werden,
Erduldets! Laßt die Rechnung der Tyrannen
Anwachsen, bis ein Tag die allgemeine
Und die besondre Schuld auf einmal zahlt.
Bezähme jeder die gerechte Wut,
Und spare für das Ganze seine Rache,
Denn Raub begeht am allgemeinen Gut,
Wer selbst sich hilft in seiner eignen Sache.
Indem sie zu drei verschiednen Seiten in größter Ruhe abgehen, fällt das Orchester mit einem prachtvollen Schwung ein, die leere Szene bleibt noch eine Zeitlang offen und zeigt das Schauspiel der aufgehenden Sonne über den Eisgebirgen.
Ausgewählte Ausgaben von
Wilhelm Tell
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74 Seiten, 4.80 Euro
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro