|
[472] Die reine Sonn' zu Morgen
In goldnen Haaren bloß,
Den Brand noch trug verborgen
In ihrem Purpurschoß.
Da fand ich schon bei Zeiten
Am Grab im Trauren stehn,
Und Salben wohl bereiten
Die weinend' Magdalen.
Gleich wie, wann je zuweilen
Zur Frühlings-Morgenzeit,
Die goldnen Sonnenpfeilen
Die erste Hitz' verbreit',
Herab von Berg' und Rainen,
Von Felsen hoch und jäh,
Zerfleußt in sanftes Weinen
Der lind entlaßne Schnee.
So eben unverdrossen
Das Weib von Lieb' verwund't,
In Tränen ganz zerflossen
In tiefem Trauren stund.
Begierd' mit heißen Pfeilen
Ihr beide Augen schmelzt,[472]
Ohn' Unterlaß mit Eilen
Die hellen Tröpflein wälzt.
O weh der schwachen Seelen,
O weh dem Herzen wund!
Die Lieb' nicht konnt' verhehlen,
Sie sprach aus Herzensgrund.
»O Sonn' heb dich mit Machten,
Zum Grabe herwärts leucht;
Auf, auf, genug der Nachten,
Der Tag zu lang verzeucht.
Leucht mir mit deinen Strahlen,
Leucht mir zum finstern Grab;
Ach, ob ich wohl der Qualen
Mögt' heute kommen ab?« –
Sie hin zum Felsen gehet
Sucht mit den Augen drein,
Die Klüfte sie durchspähet,
Da wurd' ihr größre Pein.
Den Liebsten sie nicht findet,
Statt seiner sie ersehn
(Mut ihr und Sinn entschwindet)
Nur seiner Engeln zween.
Ach nicht, nicht euch ihr Knaben,
Ihr Jüngling' flügelreich;
Ach euch will sie nicht haben,
Weicht schöne Engel gleich!
Nur Jesu, nur den einen
Sucht einzig sie allein,
Sonst sucht und liebt sie keinen,
Ohn' ihn sie nicht kann sein.
Voll Eifer ohn' Verweilen
Sie rufet ihn zur Stund',
Ist tief mit bittern Pfeilen
Im Innersten verwund't.
Am Grab von allen Seiten
Sucht sie wohl hie und dort,
Schaut nah und in der Weiten,
Find't ihn an keinem Ort.[473]
Verwirrt, von Schmerz zerrissen,
Hat sie es nicht bedacht,
Und konnt' es jetzt nicht wissen,
Wen sie zu suchen tracht'.
Geblendet in dem Streben,
Ganz leidvoll wie sie ist,
Sucht sie im Grab das Leben,
Des Zweckes ganz vergißt.
Sie sucht in toten Kohlen
Den purpurschönen Glanz,
Von welkem Zweig will holen
Sie grünen Lorbeerkranz.
Sie Rosen will von Reben,
Von Dornen lesen Wein,
Von Scherben Gold erheben,
Vom Schatten klaren Schein.
O Weib, so gar verblendet
So ganz von Lieb' entäugt;
Das Wort bleibt unverwendet,
Die Wahrheit nimmer leugt!
Den du hier suchst in Steinen,
Im Grab, wo Tote ruhn;
Bald kömmt er zu den Seinen,
Vom Tod erstanden nun.
Darum laß dir nun sagen,
Laß von der Trauer ab,
Laß ab, laß ab dein Klagen,
Such Leben nicht im Grab!
Ach! Sie läßt nicht von Klagen,
Läßt nicht von Trauern ab;
Läßt ihr sogar nicht sagen,
Sucht immer in dem Grab.
Ohn' Sinn und ohn' Gedanken
Schwebt sie fast ganz entseelt,
Die Kräfte ihr entsanken,
Ist bis zum Tod gequält.
Sie selbst geht sich verloren,
Und forschet mit Geschrei,[474]
Wo der, den sie erkoren,
Wo sie wohl selber sei?
Sie sprach, mir ist entzogen
All' meines Herzens Freud',
Ihr Himmel rund gebogen
Stürzt über mich noch heut.
Versieget ist der Bronnen,
Geraubt mein Herzenslicht;
Du Schein der goldnen Sonnen,
Dich brauch' ich fürder nicht.
Ade Licht, Luft und Leben,
Ade hell weißer Tag;
Mich deiner will begeben,
Dich nicht mehr schöpfen mag.
Ermattet nun zur Erden
Sie traurend niedersinkt,
Und kläglich in Gebärden
Ihr Aug' zum Himmel dringt.
Verliebt, verirrt, verworren
Sie leidet Schmerz und Pein,
Bis Mark und Blut verdorren,
Die Tränen trocknen ein.
Ohn' Leben ich noch lebe,
Bin tot, ohn' Tod zugleich
Tot, lebend, immer strebe,
Wo ich ihn nur erreich'.
O Tod! o Menschenprasser!
O ungeheures Tier!
Luft, Feuer, Erd' und Wasser,
Ihr Elemente vier!
Wer, wo doch kann mir zeigen
Den Körper wundenvoll?
Ach nicht, nicht wollet schweigen,
Wes ich mich trösten soll!
Erhebet Schall und Stimme
Und ihm doch machet kund,
Er mich mit süßem Grimme,
Mit kühlem Brand verwund't.[475]
Von kühlen Feu'r und Flammen,
Von bitter-süßer Glut,
Von Lieb' und Leid zusammen
Mir schmelzet Herz und Mut.
Bald, bald mich unterstützet
Mit Laub und Blümlein zart,
Mit Zweiglein abgenützet
Von Bäumen schöner Art.
Aus Rosen mir bereitet
Gar weich die Liegerstatt,
Auch Lilien häufig spreitet,
Ich sink' zur Erde matt.
War doch von ihm geschrieben,
Zu ihm wer wachet früh,
Soll gleich auf sein Belieben
Ihn finden ohne Müh.
Schau da bei guten Stunden
Ich hab' gewachet früh,
Doch ihn nicht hab' gefunden
Nach viel gepflegter Müh'.
Er zwar vor wenig Tagen
War mir nicht wenig hold,
Weiß nicht, was zugetragen
Sich seither haben sollt'.
Wie hab' ich's denn verschuldet,
Und womit ihn entrust,
Daß aller Gnad' enthuldet,
Ich ihn verlieren mußt'?
Beim Kreuz ließ ich mich finden,
Hab' ihm die Purpurfüß'
Gekühlt mit Seufzen linde
Mit meinem Atem süß.
Zu Grab hab' ihn getragen
Mit vollem Totenrecht,
Und nach vollbrachter Klage
Hab' ihn da niederlegt.
Was war nun mein Verbrechen,
Was meine Fehl und Sünd'?[476]
An mir ich wollt' sie rächen,
So ich sie wissen künnt. –
Ja wahrlich doch hab' fehlet,
Es jetzt mir kömmt in Sinn,
Die Schuld bleibt nicht verhehlet,
Ich selber schuldig bin.
Als wir den Schatz begraben,
Die wundenreiche Leich',
Versperrt ich sollt' mich haben
Mit ihm ins Grab zugleich.
Mich sollte lassen tragen
Mit ihm zur Gruft hinein,
Mit ihm zu bleiben wagen
Im Sarg und Felsen sein.
Die Wort' hat kaum vollendet
Die weinend' Büßerin,
Zum Grab sich wieder wendet,
Schaut immer hin und hin.
Der Leib blieb doch entzogen,
Der Sarg noch leer und bloß,
All' Hoffnung ganz entflogen,
Das Leid noch eben groß.
Nur jene Knaben beide,
So droben saßen an,
Sie fragten gar bescheiden:
O Weib, was weinest dann?
Sie sprach: fragt ihr noch beide,
Was ich mög' weinen dann?
Man mir (euch recht bescheide)
Nahm ab den schönen Mann.
Drum Jüngling frisch und lebend
Euch hebet aus dem Grab,
Sucht überall durchschwebend,
Wen ich verloren hab'.
Gleich drauf sie sich entwendet
Vom Felsen mit Verdruß,
Aufs neu die Klag' verschwendet
Mit bittrer Zähren Guß.[477]
Allda ihr kam erscheinen
Der langgewünschte Held;
Vor ihr er stand mit Scheinen,
Doch fremd und unvermeld't.
O Weib, was soll dein Weinen,
Sag an, was dir gebricht?
Und ach, sollt' ich nicht weinen,
Das Weib hinwieder spricht.
Hast du nun ihn entstohlen,
Wo brachtest ihn doch hin?
Ich muß ihn dannen holen,
Komm sonst um Hirn und Sinn.
O Weib, und wolltest holen,
Und wolltest haben du,
Den Körper dir entstohlen
Aus seiner Totenruh?
Und wie, wann er dann eben
In Kett' und Banden läg?
Sie sprach: ich wollt' ihn heben,
Die Ketten ich zerbräch!
Und wie, wann er sollt' stecken
In Dornen ganz umringt?
Sie sprach: von Dorn und Hecken
Man doch die Rosen bringt.
Und wie, wann er umgeben
Mit Feu'r und Flammen wär'?
Das Feuer ließ mich leben,
Die Liebe brennet mehr.
Und wie, wann er von Bären
Und Löwen wär' bewacht?
Sie sprach: wollt' mich erwehren
Auch wohl der wilden Macht.
Hör' auf, es ist der Fragen,
Hör' auf, nun schon genug;
Sag' du, wer mich zu plagen
Den Leib von dannen trug.
Hast du ihn nicht entstohlen?
Dich hab' ich in Verdacht;[478]
Sag' an, ich muß ihn holen
Wie ich schon oft gesagt. –
O wohl hast du's getroffen,
Die Sach' nicht wissend, weißt,
Wen dein Verdacht getroffen
Ist schuldig allermeist.
Er selbst es ungelogen
Und er's in Wahrheit ist,
Der dir den Schatz entzogen,
Durch den verwund't du bist.
Nur schnell fall' ihm zu Füßen,
Halt an den Täter fest,
Leg' ihm den Raub zu Füßen,
In Armen haltend fest.
O Jesu, nicht verschiebe,
Den Dunst bei Seiten treib,
Dich kund nun einmal gibe
Dem höchst bedrängten Weib.
Nur bald nur laß erschallen,
Laß ihr zur höchsten Lust
Ein kleines Wörtlein hallen,
Ein Wörtlein dir bewußt.
Die Lieb' beginnt zu regen,
Und wie zum Morgen gut,
Der Blitz mit zarten Schlägen
Ein Flämmlein zeigen tut;
Mit Namen er sie rühret,
Er nur Maria klingt;
Gleich sie das Flämmlein spüret,
Gleich auf in Freuden springt.
Die Freud' in Adern wallet
Und wieder lebend Blut
Im süßen Feuer wallet
Und färbet Herz und Mut.
Den Pfeil wer je gefühlet
Geschwind in süßem Brand,
Im Brand, so wärmt und kühlet,
Mag's greifen mit Verstand.[479]
Allein, allein mag's wissen,
Und ihm recht bilden ein,
Wem je die Lieb' durchrissen
Leib, Seel' und Mark und Bein.
Buchempfehlung
Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.
110 Seiten, 4.40 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro