Das 77. Capitel.
Einen Holunder-Strauch vor eine Stall-Thür gepflantzt / bewahret das Vieh vor Zauberey.

[317] Wer dieses practiciret, überhebet dem lieben GOtt einer grossen Mühe; scil. denn wenn der Holunder das Vieh für dem Teufel bewahret, darff es GOtt nicht thun. Ja möchten manche sagen / GOtt hilfft durch natürliche Mittel, als wie durch die Leber des Fisches, davon im Büchlein Tobia zu lesen ist. Dem aber dienet zur Antwort: Daß in der gantzen H. Schrifft ja nicht ein eintziges Exempel zu finden sey woraus zu erweisen wäre, daß man durch dergleichen Dinge Schutz wider den Teufel, oder wider Zauberey erlangen könne; sondern es wird vielmehr an allen Orten H. Schrifft gelehret, wie ein Mensch eintzig und allein seine Hoffnung und Vertrauen auf GOtt und seine Hülffe setzen solle, und auf nichts anders. Denn was das[317] Exempel im Büchlein Tobiä anlanget, so ist solches nicht so wohl für ein Exempel und Geschichte, als vielmehr für ein Lehr-reiches Gedichte anzunehmen / sintemahl Lutherus es selbst nur für eine kluge Fabel hält. Ich setze aber den Fall, das es eine wahre Geschicht sey, so ist damit noch lange nicht erwiesen, daß wenn man diß oder das thue, so sey man für Zau berey bewahret. Denn, wenn man die Begebenheit mit dem jungen Tobia überleget, so wird man befinden /daß nicht so wohl der Rauch von der Fisch-Leber den Mord-Geist aus des Tobiä Braut-Kammer vertrieben habe, als vielmehr Tobiä u. seiner Braut ihr andächtiges und gläubiges Gebet und Vertrauen zu GOtt. Daß aber Tobias auch die Leber auf Kohlen geworffen hat, u. damit geräuchert, ist auf des Engels Rath geschehen, welchen Tobias, als einen treuen Gefehrten, schon wird erkannt haben, daß er ihm nichts rathen werde / das wider GOttes Ehre lauffe. Hat demnach die geistlichen Mittel denen leiblichen fürgezogen, aber doch auch das letzte auch nicht verworffen, weil er es in Befehl hatte zu thun. Wo stehet aber geschrieben, daß man solle Holunder für die Vieh-Ställe pflantzen, um dadurch dem Viehe Schutz wider die Hexen zu verschaffen? in GOttes Wort wirds niemand finden / aber wohl in der alten Weiber Philosophie, welche sicherlich nicht GOttes Wort, sondern des Teufels Schrifften heissen möchte. Zu dem, so habe ich nach nicht gehöret, daß einer, der um oberwehnten Ursach willen einen Holunder für seinem Stall gepflantzet[318] hat, vorher sein gläubig Gebet zu Gott gethan hätte, daß Gott ihn und sein Vieh vor allem Unglück und Zauberey behüten wolle, so lange dieser Holunder da stehen werde; sondern es wird vielmehr GOttes gantz vergessen, und verlassen sich auf den elenden Holunder, den doch weder der Teufel noch die Zauberer etwas achten, ob er sich gleich stellet, als ob er sich davor fürchtete. Denn eben darum, daß nur die Leute in ihren Aberglauben gestärcket werden mögen, hält der Satan innen, denenjenigen Schaden zu thun, die solche unnütze Mittel gebrauchen, und stellet sich, als ob er eine gewaltige Furcht vor diesen Dingen trüge; er bekömmt aber, auf solche liestige Art, die meisten Menschen in seine Gewalt, also, daß mancher unbedachter und in Aberglauben ersoffene Narr zuletzt selbst nicht weiß, welcher Teufel ihn eigendlich geschoren habe.


Satan hält ja den Holunder

Nur vor einen schlechten Plunder,

Da er sich doch kan so stellen,

Als ob er und seine Gesellen

Sich von solchen kahlen Sträuchen

Müste lassen wegverscheuchen,

Da er desto eher doch raubet

Dessen Seel, der dieses glaubet.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 317-319.
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