Das 72. Capitel.
Wer in der Erndte das erste Korn einführet / der soll von denen ersten Garben etliche nehmen / und in die vier Winckel der Scheunen Creutze damit legen / so kan der Drach nichts davon holen.

[176] Das müste ein wunderlicher Drach seyn, der die Garben wegholete! Ich setze aber den Fall, er könne sie wegtragen, da denn freylich dieser Punct einträffe; aber, wie gewöhnlich, so werden etliche Fuder Geträyde auf die unten am Boden Creutz-weiß gelegten Garben gelegt, so müste doch der Drach erst das obenliegende Korn holen, ehe er auf die unten Creutz-weise liegenden Garben kommen kan; und also könte er freylich das Korn nicht holen, das unten Creutz weise liegt, weil er nicht darzu könte, dahero der Vortheil gar schlecht wäre, und dürfften wohl die Ratten und Mäuse das, was der Drache nicht finden könte, am allerersten ausstöbern. Weil aber insgemein gesaget wird / daß der Drache das und jenes holete, so möchte ich doch wissen, was man denn eigentlich durch den Drachen verstehe? denn es kan dieser Nahme auf dreyerley Art verstanden werden. Erstlich der Teufel an- und für sich selbst; zum andern der in der Lufft fahrende feurige also genannte Drach, und drittens ein natürlicher Drach, welcher ein grausamer grosser gifftiger Wurm oder Schlange, dergleichen der Ritter St. George soll erlegt haben. Es mag nun aber von diesen dreyen verstanden werden, welcher es wolle, so wird es doch Wunder geben, wenn dieser Punct soll behauptet werden. Denn so der Teufel an-und für sich verstanden wird, so kan dieser ja ohne GOttes Willen keinen Strohhalm biegen, noch von der Erden aufheben, geschweige, daß er gantze[177] Garben wegtragen soll: Zudem, so müste das ein Ehr-loser Christ seyn, welcher nicht bessere Waffen wüste für den Satan, als etliche Garden Creutz-weise zu legen: Solte denn ein andächtig gläubig Gebet nicht hundert mahl kläfftiger seyn? Der Teufel fragt viel nach deinen Creutzen, und holet, auf GOttes Zulassung, wohl dich abergläubischen Narren mit samt deinen Creutzen hinweg. Wolte iemand den in der Lufft zuweilen sichtbar fliegenden feurigen Drachen verstehen; wie denn manche wollen vorgeben, daß sie dergleichen in die Häuser, auch in die Scheunen hätten fliegen sehen; so muß ich zwar glauben, was der oder jener herschwatzet gesehen zu haben, was doch nicht wohl glaublich ist; iedoch kan ein auf diese Art verstandener Drache keinesweges Garben aus einer Scheune holen, weil solche Drachen nichts anders sind, denn natürliche Feuer, welche sich in der Lufft schnell entzünden, und mit der Lufft fortgetrieben werden, weil sie leichte und subtile schweflichte Dünste sind. Ob nun zwar mehrenmahls der Satan mit solchen Lufft-Feuern sein Spiel treibet, so würde solches doch nicht in das Stroh und ohne Anzündung aus demselben wieder heraus fahren, und gantze Garben mit hinweg nehmen, sondern es würde ein solch Meteorum oder fliegender Drache (zumahl, so der Teufel mit im Spiele wäre) gar bald die Scheune anzünden; auf welche Weise man freylich sagen möchte: Der Drach hätte das Korn hinweg geholet. Aber da würden 1000. Creutze nichts helffen. Wolte[178] einer aber drittens einen rechten natürlichen Drachen oder Lindwurm verstehen, so ist ja bekannt genug, daß dergleichen, GOtt Lob! in Europa nicht gefunden werden. Was denn aber nicht ist, dafür hat man sich auch nicht zu fürchten, noch zu dessen Abwendung einige Ceremonien zu gebrauchen vonnöthen. Bleibet demnach dieser ietzt vorhabende 72ste Punct wohl ein abgöttisches abergläubisches Wesen. Denn da dein Geträyde auf dem Felde unter GOttes Schutz für dem Teufel sicher gestanden hat, warum solte es denn GOtt, der dirs in die Scheune bescheret hat, daselbst nicht auch für dem Teufel behüten, ohne daß du deine Creutze ihm zu Hülffe machen müstest. Zwar wird auch fabuliret von einer Art Hexen-Schnitt, so auf dem Felde geschehen soll, wovon hier zu Lande viel Redens gemacht wird; weil ich aber noch nicht hinter die eigentliche Meynung der leichtgläubigen Leute gekommen bin, so übergehe es hier, will es aber in einem andern Capitel ins künfftige, gel. GOtt! genauer untersuchen. Zu diesem ietzigen Punct aber gebe meine offenhertzigen Gedancken an den Tag und bekenne, daß ob ich gleich das Creutz-Zeichen um des gecreutzigten Christi willen sehr hoch achte, so besorge ich doch, daß um solcher abgöttischen Creutze willen der Teufel desto mehr Macht an dem Korn oder Geträyde finden werde, als er sonst hätte, wenn der Herr des Geträydes sein Gut einig und allein dem Schutze GOttes anvertrauet hätte.
[179]

Es kömmet offt was weg von ein und andern Sachen,

Da man deßwegen nicht beschuldgen darff den Drachen.

Es thut es nicht der Drach, vielweniger der Teufel,

Die Frau, Knecht, Magd und Kind sinds eh; glaubs ohne Zweifel.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 176-180.
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