Das 85. Capitel.
Einem Kinde soll man seinen Badewisch nicht offt fortlegen / es hat sonst im Alter nirgend eine bleibende Stelle.

[424] Sieh doch, sieh doch! man muß doch alle Tage noch mehr lernen! Wäre es doch kein Wunder, man lernete sich unruhig? Denn es heist:


Der, so viel kan, muß auch viel thun,

Kan dannenhero wenig ruhn.


Und ein unruhiger Mensch hat nirgend eine bleibende Stelle; ein Holtzhacker oder Besen-Binder aber der bleibet: fein im Lande / und nähret sich redlich. Mich wundert aber doch gleichwohl, wie die alten Weiber für ihren vielen Künsten können Ruhe behalten? Zwar worinnen bestehet ihre Ruhe? im herum-lauffen und Avisen vertrödeln, Mägde und Gesinde verführen. Eheleute und Nachbarn zusammen hetzen, und so fort, daß mancher ehrlicher Mann oder Frau solchen[424] alten Drachen-Huren lieber die ewige Ruhe wünschen möchte / als täglich von ihnen verunruhiget zu werden. Auf daß ich aber nicht zu weit von dem vorhabenden Punct abweiche / so wende ich mich wieder zum Badewisch. Dieser nun ist nichts anders, als ein von Stroh gemachter Ring, den die Weh Mütter in die Bade-Molder legen, wenn sie ein Kind baden wollen, breiten hierüber einige Windeln, und legen alsdenn das Kind mit dem Köpffgen auf diesen mit Windeln bedeckten Stroh-Ring, und dieses heist des Kindes Badewisch. Wenn denn dieser Badewisch nicht an einem gewissen Ort geleget, sondern bald hier bald dorthin geschmissen wird / so halten alsdenn die Weh-Weiber, wie auch theils abergläubische Mütter dafür, ein solch Kind werde in seinem gantzen Leben wenig Bleibens an einem Orte haben, sondern bald hier und dort sein Heyl und Glück suchen / und doch nirgend keine bleibende Stätte finden. Es ist arg genug; hat denn irgend Eva des Cains Badewisch auch herum geworffen, weil GOtt ausdrücklich Gen. 4, 12. zu ihm sagt: Unstet und flüchtig solt du seyn auf Erden! Ach nein! ich finde daselbst gantz andere Ursachen; vom Badewisch wird nichts gedacht. Ich will zwar hiermit keine Application von Cain auf manchen ehrlichen und unglücklichen Menschen gemacht haben / der sich unruhig durch die unruhige Welt hindurch winden muß / als ob eben diese auch ihr unruhiges Leben mit Blutschulden verursachet hätten wie Cain; Nein, sondern nur die falsche Meynung[425] vom Badewisch zu zernichten. Zwar giebt es gleichwohl noch immer solche unstete und flüchtige Cains-Brüder, welche wegen Mord und Dieberey sich nirgend beständig aufhalten dürffen, und jaget sie ihr böß Gewissen osst von einem Orte wieder fort, da sie sich noch nicht einmahl haben nieder gesetzt. Ob nun zwar diese mit unserm vorhabenden Punct gar nichts zu thun haben sollen, so ist doch auch gewiß, daß ein Badewisch in diesem Fall auch nicht das allergeringste an einen Menschen effectuiren kan, und bleibt demnach ein loser Weiber-Traum.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 424-426.
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