II

[329] Der Soldat und das Stubenmädchen.


Prater. Sonntagabend.

Ein Weg, der vom Wurstelprater aus in die dunkeln Alleen führt. Hier hört man noch die wirre Musik aus dem Wurstelprater, auch die Klänge vom Fünfkreuzertanz, eine ordinäre Polka, von Bläsern gespielt. Der Soldat. Das Stubenmädchen.


STUBENMÄDCHEN. Jetzt sagen S' mir aber, warum S' durchaus schon haben fortgehen müssen.

SOLDAT lacht verlegen, dumm.

STUBENMÄDCHEN. Es ist doch so schön gewesen. Ich tanz so gern.

SOLDAT faßt sie um die Taille.

STUBENMÄDCHEN läßts geschehen. Jetzt tanzen wir ja nimmer. Warum halten S' mich so fest?

SOLDAT. Wie heißen S'? Kathi?

STUBENMÄDCHEN. Ihnen ist immer eine Kathi im Kopf.

SOLDAT. Ich weiß, ich weiß schon ... Marie.

STUBENMÄDCHEN. Sie, da ist aber dunkel. Ich krieg so eine Angst.[329]

SOLDAT. Wenn ich bei Ihnen bin, brauchen S' Ihnen nicht zu fürchten. Gott sei Dank, mir sein mir!

STUBENMÄDCHEN. Aber wohin kommen wir denn da? Da ist ja kein Mensch mehr. Kommen S', gehn wir zurück! – Und so dunkel!

SOLDAT zieht an seiner Virginierzigarre, daß das rote Ende leuchtet. s' wird schon lichter! Haha! Oh, du Schatzerl!

STUBENMÄDCHEN. Ah, was machen S' denn? Wenn ich das gewußt hätt!

SOLDAT. Also der Teufel soll mich holen, wenn eine heut beim Swoboda mollerter gewesen ist als Sie, Fräul'n Marie.

STUBENMÄDCHEN. Haben S' denn bei allen so probiert?

SOLDAT. Was man so merkt, beim Tanzen. Da merkt man gar viel! Ha!

STUBENMÄDCHEN. Aber mit der Blonden mit dem schiefen Gesicht haben S' doch mehr tanzt als mit mir.

SOLDAT. Das ist eine alte Bekannte von einem meinigen Freund.

STUBENMÄDCHEN. Von dem Korporal mit dem aufdrehten Schnurrbart?

SOLDAT. Ah nein, das ist der Zivilist gewesen, wissen S', der im Anfang am Tisch mit mir g'sessen ist, der so heisrig redt.

STUBENMÄDCHEN. Ah, ich weiß schon. Das ist ein kecker Mensch.

SOLDAT. Hat er Ihnen was tan? Dem möcht ichs zeigen! Was hat er Ihnen tan?

STUBENMÄDCHEN. Oh, nichts – ich hab nur gesehn, wie er mit die andern ist.

SOLDAT. Sagen S', Fräulein Marie ...

STUBENMÄDCHEN. Sie werden mich verbrennen mit Ihrer Zigarrn.

SOLDAT. Pahdon! – Fräul'n Marie. Sagen wir uns du.

STUBENMÄDCHEN. Wir sein noch nicht so gute Bekannte.

SOLDAT. Es können sich gar viele nicht leiden und sagen doch du zueinander.

STUBENMÄDCHEN. 's nächstemal, wenn wir ... Aber, Herr Franz –

SOLDAT. Sie haben sich meinen Namen g'merkt?

STUBENMÄDCHEN. Aber, Herr Franz ...

SOLDAT. Sagen S' Franz, Fräulein Marie.

STUBENMÄDCHEN. So sein S' nicht so keck – aber pst, wenn wer kommen tät!

SOLDAT. Und wenn schon einer kommen tät, man sieht ja nicht zwei Schritt weit.[330]

STUBENMÄDCHEN. Aber um Gottes willen, wohin kommen wir denn da?

SOLDAT. Sehn S', da sind zwei grad wie mir.

STUBENMÄDCHEN. Wo denn? Ich seh gar nichts.

SOLDAT. Da ... vor uns.

STUBENMÄDCHEN. Warum sagen S' denn: zwei wie mir? –

SOLDAT. Na, ich mein halt, die haben sich auch gern.

STUBENMÄDCHEN. Aber geben S' doch acht, was ist denn da, jetzt wär ich beinah g'fallen.

SOLDAT. Ah, das ist das Gatter von der Wiesen.

STUBENMÄDCHEN. Stoßen S' doch nicht so, ich fall ja um.

SOLDAT. Pst, nicht so laut.

STUBENMÄDCHEN. Sie, jetzt schrei ich aber wirklich. – Aber was machen S' denn ... aber –

SOLDAT. Da ist jetzt weit und breit keine Seel.

STUBENMÄDCHEN. So gehn wir zurück, wo Leut sein.

SOLDAT. Wir brauchen keine Leut, was, Marie, wir brauchen ... dazu ... haha.

STUBENMÄDCHEN. Aber, Herr Franz, bitt Sie, um Gottes willen, schaun S', wenn ich das ... gewußt ... oh ... oh ... komm!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT selig. Herrgott noch einmal ... ah ...

STUBENMÄDCHEN.... Ich kann dein G'sicht gar nicht sehn.

SOLDAT. A was – G'sicht ...

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

SOLDAT. Ja, Sie, Fräul'n Marie, da im Gras können S' nicht liegenbleiben.

STUBENMÄDCHEN. Geh, Franz, hilf mir.

SOLDAT. Na, komm zugi.

STUBENMÄDCHEN. O Gott, Franz.

SOLDAT. Naja, was ist denn mit dem Franz?

STUBENMÄDCHEN. Du bist ein schlechter Mensch, Franz.

SOLDAT. Ja, ja. Geh, wart ein bissel.

STUBENMÄDCHEN. Was laßt mich denn aus?

SOLDAT. Na, die Virginier werd ich mir doch anzünden dürfen.

STUBENMÄDCHEN. Es ist so dunkel.

SOLDAT. Morgen früh ist schon wieder licht.

STUBENMÄDCHEN. Sag wenigstens, hast mich gern?

SOLDAT. Na, das mußt doch g'spürt haben, Fräul'n Marie, ha!

STUBENMÄDCHEN. Wohin gehn wir denn?[331]

SOLDAT. Na, zurück.

STUBENMÄDCHEN. Geh, bitt dich, nicht so schnell!

SOLDAT. Na, was ist denn? Ich geh nicht gern in der finstern.

STUBENMÄDCHEN. Sag, Franz, hast mich gern?

SOLDAT. Aber grad hab ichs gsagt, daß ich dich gern hab!

STUBENMÄDCHEN. Geh, willst mir nicht ein Pussel geben?

SOLDAT gnädig. Da ... Hörst – jetzt kann man schon wieder die Musik hören.

STUBENMÄDCHEN. Du möchtst am End gar wieder tanzen gehn?

SOLDAT. Na freilich, was denn?

STUBENMÄDCHEN. Ja, Franz, schau, ich muß zuhaus gehn. Sie werden eh schon schimpfen, mei Frau ist so eine ... die möcht am liebsten, man ging gar nicht fort.

SOLDAT. Na ja, geh halt zuhaus.

STUBENMÄDCHEN. Ich hab halt dacht, Herr Franz, Sie werden mich z'aus führen.

SOLDAT. Z'haus führen? Ah!

STUBENMÄDCHEN. Gehn S', es ist so traurig, allein z'haus gehn.

SOLDAT. Wo wohnen S' denn?

STUBENMÄDCHEN. Es ist gar nicht so weit – in der Porzellangasse.

SOLDAT. So? Ja, da haben wir ja einen Weg ... aber jetzt ists mir zu früh ... jetzt wird noch draht, heut hab ich über Zeit ... vor zwölf brauch ich nicht in der Kasern zu sein. I geh noch tanzen.

STUBENMÄDCHEN. Freilich, ich weiß schon, jetzt kommt die Blonde mit dem schiefen Gesicht dran!

SOLDAT. Ha! – Der ihr G'sicht ist gar nicht so schief.

STUBENMÄDCHEN. O Gott, sein die Männer schlecht. Was, Sie machens sicher mit einer jeden so.

SOLDAT. Das wär z'viel! –

STUBENMÄDCHEN. Franz, bitt schön, heut nimmer, – heut bleiben S' mit mir, schaun S' –

SOLDAT. Ja, ja, ist schon gut. Aber tanzen werd ich doch noch dürfen.

STUBENMÄDCHEN. Ich tanz heut mit kein mehr!

SOLDAT. Da ist er ja schon ...

STUBENMÄDCHEN. Wer denn?

SOLDAT. Der Swoboda! Wie schnell wir wieder da sein. Noch immer spielen s' das ... tadarada tadarada ... Singt mit. ... Also, wanst auf mich warten willst, so führ ich dich z'haus ... wenn nicht ... Servus –[332]

STUBENMÄDCHEN. Ja, ich werd warten.


Sie treten in den Tanzsaal ein.


SOLDAT. Wissen S', Fräul'n Marie, ein Glas Bier lassens Ihnen geben. Zu einer Blonden sich wendend, die eben mit einem Burschen vorbeitanzt, sehr hochdeutsch. Mein Fräulein, darf ich bitten? –

Quelle:
Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Band 1, Frankfurt a.M. 1962, S. 329-333.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Reigen
Reigen: Die Einakter
Reigen: Zehn Dialoge
Reigen: Reclam XL - Text und Kontext
Reigen: Zehn Dialoge
Reigen: Komödie in zehn Dialogen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon