1822

Ungefähr anderthalb Jahre vor den eben mitgetheilten Ereignissen, saßen einige junge Damen in der Eremitage auf dem Wege, der nach dem alten Schlosse von Baden-Baden führt, und sahen von weitem die im Grünen umherwandelnden Brunnengäste vorüberziehen.

Wer kennt nicht, wenigstens dem Ruf und Namen nach, das freundliche vom Schwarzwald umfriedete Thal mit seinem stillen Reiz, seiner milden Luft und seinen in weiter Ferne verblauenden Vogesen! Schon hier zu athmen, ist der kranken Brust eine Wohlthat.

Die jungen, in der Einsiedelei versammelten Plauderinnen aber waren alle gesund; sie schalten[3] die Stille der Saison, die Einsamkeit der Gassen, den Mangel an einem wahrhaft geselligen Verkehr und wollten die Schönheit der Umgebung nicht als Ersatz dafür anerkennen.

Und allerdings hat in Baden-Baden die Natur eine so verlockend-süße Sirenenstimme, daß es schwer fällt, ihr zu widerstehen, und sie das eigentliche Salontreiben Tages hindurch fast unmöglich macht, es hat sich in das Dunkel der hier schon früh und schnell einbrechenden Nacht geflüchtet, in welcher aber leider der grüne Tisch nicht nur die grüne Aue, sondern sogar die blumen- oder schmetterlingsartigen Tänzerinnen verdrängt und das Spiel nicht selten allen Zauber der Jugend und Schönheit überbietet.

Du hast gar nicht zu klagen, Leontine, sagte eine kleine niedliche Majorsfrau, du hast den interessantesten Brunnengast der ganzen Saison auf deinem Hausflur.[4]

Bis jetzt sind wir aber in dieser Bekanntschaft noch nicht weiter als zum ehrfurchtsvollen Gruß, lachte diese.

Ist denn die schöne, schwermüthige Dame, mit welcher er immer geht, seine Gemahlin?

Meint ihr den Polen mit dem unaussprechlichen Namen? fragte eine Dritte.

Leontine, so rede doch! Du mußt doch etwas von deinen mysteriösen Nachbarn wissen! riefen die Andern.

Ich weiß gar nichts. Alle Morgen begegne ich Beiden auf dem Wege zur Promenade, wo es eben bei besagter ehrerbietiger und meinerseits höflicher Verbeugung bleibt.

C'est tout? fragte die hübsche Fürstin L....

C'est tout! erwiderte gravitätisch betheuernd Leontine. Mais non, pardon! die junge schwarze Dame ist nicht seine Frau, sondern seine Schwester.

Mein Onkel, fuhr die Fürstin fort, behauptet,[5] der Curliste zum Trotz, der junge Mann sei gar kein Pole.

O! sagte Gräfin Hohenheim, er hat doch so ganz den polnischen Gesichtsschnitt, und dann den wehmüthig-stolzen Ausdruck um den Mund –

Haben Sie ihn einmal polnisch reden hören, Comtesse? fragte die Zweiflerin.

Nein; er spricht immer französisch mit den Damen, die er am Brunnen kennt, auch mit seiner Schwester.

Nun sehen Sie! Am Ende hat mein Onkel doch recht?

Aber er hat ja einen ganz polnischen Namen –

Die kleine Prinzessin sah ungemein welterfahren aus und versicherte: Man kann sich aber auch einen falschen Namen geben!

O ja, wenn man ein Barbiergeselle ist; aber ein Mann von Stande!

Ich habe ihn einmal gesprochen, meinte Fräulein von Herchentheim; er machte mir und[6] meiner Cousine Platz, als der König hier durchkam und plötzlich auf der Allee ein großes Gedränge entstand. Er benahm sich sehr höflich und zeigte den besten Ton und Anstand. In der Nähe ist er wirklich sehr schön. – Freilich fällt mir eben ein, daß er auch damals mit seiner Schwester nur französisch sprach.

Das mußte er jedenfalls aus Artigkeit Ihretwegen, liebes Fräulein! sagte die Prinzessin etwas ungeduldig. Ihr Urtheil ist nicht contemporain Ihres Gefallens.

Eben schritt der junge Mann, wie gewöhnlich, ernst und schwermüthig vor sich hinstarrend, quer über den lichtensteiner Weg; die junge Dame an seinem Arme war heute noch bleicher als sonst, sie schien sehr leidend. Er stützte sie auf's Sorgsamste und als sich in der Allee ein leichter Abendwind erhob, suchte er erst die Schwester noch dichter in ihren Mantel zu hüllen, und bewog sie dann endlich, und[7] wie man an den lebhaft bittenden Geberden deutlich wahrnehmen konnte, nicht ohne Mühe, mit ihm umzukehren. Er zeigte übrigens dabei eben so viel heftige Ungeduld als Liebe. Es ist kein Pole! sagte die Prinzessin, und zerpflückte gedankenvoll eine Sternblume.

Leontine aber beschloß, noch diesen Abend das Räthsel gelöst zu sehen.

Der Zufall verwirklichte den Scherz, doch auf trübere Art, als sie es erwarten konnte.

Sie mochte, ihrer Reisegefährtin harrend, die noch auf der Promenade war, ein Stündchen auf ihrem Zimmer zugebracht haben, als sie plötzlich die Klingel ihres Nachbarn drei-, viermal heftig anziehen hörte; fast in demselben Augenblicke ward drüben eine Stubenthür aufgerissen und sie erkannte seine Stimme, die laut und dringend nach dem Hausmädchen rief. Es lag etwas so Beängstigendes, Heftiges in diesem Ton, daß Leontine, von der ihr eigenen[8] Herzensgüte unwiderstehlich fortgerissen, aufsprang und ihrerseits die Thür nach dem Flur öffnete, um zu sehen, ob ein Unglück geschehen und ob man ihres Beistandes bedürfe.

Ein Bild fast wahnsinniger Verzweiflung stand der junge Pole vor ihr; kaum aber gewahrte er sie, so stürzte er auf sie zu und beschwor sie im reinsten Italienisch, mit den rührendsten Worten; um Beistand für seine unglückliche Schwester, die nach einem ganz unerwarteten Blutsturz ohnmächtig geworden, und, von dem heftigen Anfall erschöpft, noch bewußtlos, starr, o Gott! vielleicht sterbend, daliege. Er wolle zum Arzt laufen, die Leidende aber nicht allein zurücklassen. Auf sein Rufen und Klingeln sei Niemand gekommen.

Ohne einen Augenblick sich zu besinnen, antwortete ihm Leontine, ebenfalls italienisch, in wenigen tröstenden Worten und eilte zu der Kranken in das offen stehende Zimmer. Eben[9] kamen der Kellner und das Dienstmädchen die Treppe herauf, das heftige Klingeln hatte sie endlich herbeigezogen. Es ward nach dem Arzt geschickt und der junge Mann folgte Leontinen. Fast zugleich näherten sich Beide dem Sopha, auf welchem das schöne Mädchen todtenblaß, einer gebrochenen Blume gleich, noch immer in krampfhafter Erstarrung und regungslos lag.

Nach einigen angewandten Hausmitteln erholte sie sich in Leontinens Armen. Der herbeigerufene Arzt fand den Zustand durchaus nicht augenblicklich gefährlich, schien jedoch im Ganzen die Gesundheit der Fremden für sehr schwächlich zu halten. Er verschrieb Arzneien, versprach nach ein paar Stunden wiederzukommen, und empfahl die größte Ruhe, vorzüglich aber jede Gemüthserregung zu meiden.

Traurig schüttelte Trzebinski das schöne Haupt. Mit dem Arzt hatte er, wie mit dem Kellner wieder französisch gesprochen; die Kranke[10] war zu schwach zum Reden. Seltsam, daß er ganz vergessen zu haben schien, daß er Leontinens Hilfe italienisch erbeten. Mit rührender Einfachheit dankte er ihr für die ihm und seiner armen Schwester erwiesene Güte und bat sie, der Leidenden morgen wieder eine Stunde zu gönnen. Jetzt erst bemerkte Leontine, daß, bei aller äußeren Eleganz des Benehmens, wie der äußeren Umgebung der Geschwister, Beide ohne eigne Bedienung waren.

Leontine war durch Zufall diesmal nicht mit ihren Eltern in Baden, sie erwartete die Generalin erst in drei Wochen, welche diese mit Geiersperg in Karlsruhe zubrachte. Josephine hatte gewünscht, die geliebte Tochter nach einem fröhlich durchtanzten, sehr ermüdenden Carneval einen etwas längeren Aufenthalt in der stärkenden Luft des schönen Thals genießen zu lassen. So ward es möglich, daß Leontine, die mit der hingebendsten Liebe ihrer[11] Mutter anhing, allmälig in ein Vertrauen sich gezogen fühlte, das sie vielleicht in deren Gegenwart nicht angenommen, jedenfalls aber nie ihr verheimlicht haben würde.

Am nächsten Morgen benutzte sie die erste Gelegenheit des Alleinseins, um ihre Nachbarin zu besuchen, Stanislaus saß an deren Lager. Leontine hatte nicht vergessen, daß Herr von Trzebinski, wie der junge Pole sich nannte, im überraschten Schmerz sie italienisch angeredet und schon im ersten Augenblick dieser unbewußten Annäherung dessen trauriges Geheimniß errathen. Das Entbehren aller sie begleitenden Dienerschaft war für Polen von Stande ohnedies so auffallend, daß es ihre Vermuthung zur Gewißheit erhob. Das Willenlose jenes momentanen Vertrauens störte sie nicht, hatte ja doch in jener beängstigenden Qual das tiefste Gefühl seines Herzens sich ihr ausgesprochen! Gerade in dieser absichtslosen Hingebung lag[12] für sie ein gewisser Reiz. Sie schwieg, bewahrte das Geheimniß mit fast religiöser Treue, während der neckische Dämon ihres unbezwinglichen Humors sie dennoch mitunter zu allerlei verfänglichen Fragen verleitete, die ihm den Schreck eines plötzlichen Erinnerns an seine eigne Unvorsichtigkeit geben sollten.

Sie fand Rosalien zwar nicht besser, aber bei vollkommener Besinnung, voller Dankbarkeit und rührender, stiller Resignation. Gern weilte sie ein paar Stunden an deren Lager; und da das mit Gästen überfüllte Haus die Dienste einer überall in Anspruch genommenen Hausmagd als ganz unzulänglich erscheinen ließen, sandte sie ihr die sehr zuverlässige Babet.

Trzebinski sah zu Leontinen auf wie zu einem Schutzengel und kleidete seinen glühenden Dank in alle Farben einer durchaus südlichen Nationalität.

Gräfin Werden, in deren Gesellschaft Leontine[13] in Baden war, bemerkte auch heute nicht ihre verspätete Rückkehr. Das Fräulein sagte kein Wort, weder von der Krankheit ihrer jungen Nachbarin, noch von der zufällig angeknüpften Bekanntschaft. In dem Augenblicke war das gänzliche Verschweigen bloßer Uebermuth, aber noch im Laufe des nämlichen Tages fühlte sie vom eigenen Muthwillen sich gefangen und das Besprechen der ganzen Begegnung unmöglich gemacht. Als nämlich die gute Gräfin und deren nächste Bekannten, von der Tarantel der Neugier gestochen, in immer wunderlichkrauseren, immer abenteuerlicheren Vermuthungen über die Fremden sich ausließen, vermochte es Leontine nicht, ruhig zuzuhören, unwillkürlich reizte sie die Damen zu noch tolleren Äußerungen und Voraussetzungen und hatte sich in ihrer vortrefflichen Laune bald so fest gerannt, daß es ohne gänzlichen Verstoß gegen alle conventionellen Formen nicht mehr ausführbar[14] blieb, die dem Gespräch vorangegangene Bekanntschaft der interessanten Polen einzugestehen.

Zum Glück war Gräfin Werden eines jener bevorzugten Wesen, die nur ihren Tag los sein müssen, gleichviel um welchen Preis und in welcher Gesellschaft. Sie ließ Leontinen gewähren. Sie fand in jedem nicht den Curpflichten geweihten Augenblick irgend eine Bekanntschaft zu machen, eine Handarbeit zu besehen, entdeckte einen noch nicht gekannten Laden, einen neuen Spazierweg, eine vorzügliche Kuchensorte, – faute de mieux, sogar eine verarmte Familie, deren Umstände sie sorgfältig erforschen mußte, und alle diese vielen Gründe machten ihr das Zuhausebleiben unmöglich. Enfin je ne suis pas sa gouvernante! sagte sie, wenn Leontine ablehnte, sie zu begleiten.

Auf diese Weise machte es sich ganz von selbst, daß Leontine einen Theil des Tages[15] bei ihren neuen Freunden zubringen konnte, ohne von der Gräfin vermißt zu werden.

Stanislaus von Trzebinski – so stand sein Name in der Brunnenliste – hatte sich längst auf seine frühere Unvorsichtigkeit besonnen; er errieth aber auch Leontinens zartes Bewahren seines traurigen Geheimnisses und wußte es ihr doppelt Dank, da ihm, allgemeine Äußerungen und Klagen über den gedrückten Zustand seines Vaterlandes abgerechnet, sehr schwer wurde, über Polen zu reden – das er nicht kannte!

Rosalie war ein schwärmerisch-weiches, kaum noch durch die lockersten Bande der Erde angehörendes Wesen. Im Kloster aufgewachsen, kannte sie die Außenwelt gar nicht, aber Religion und Vaterlandsliebe waren in ihrer jungen Seele zu einem Brennpunkt vereint, von dem alle Radien ihres Lebens ausgingen, dem[16] alle Kräfte desselben wieder zuströmten: außer ihnen war das Nichts.

Der Norden, so erschien ihr Baden, die kalte Fremde erweckten eine, sie täglich mehr und mehr aufreibende Sehnsucht in ihrer leidenden Brust; das Gefühl einer unvermeidlichen, vielleicht lebenslänglichen Verbannung von Italien senkte sich, ein langsamer Tod, wie mit schweren dunkeln Flügeln auf ihre Sinne, auf ihr in Heimatsbangen vergehendes junges Herz. Mit jedem Tage nahmen ihre wenigen Kräfte ab. Der Arzt sah sich genöthigt, ihren Zustand als höchst bedenklich zu erklären, und bald reichte weder Leontinens, noch Babet's Pflege mehr aus. Zum Glück hatte Badens Heilquell eine der in Köln lebenden barmherzigen Schwestern hergezogen; Leontine suchte sie auf und die lange Gewöhnung mitleidiger Selbstverleugnung ließ die gute alte Renate ihrer eigenen kaum vollendeten Genesung vergessen,[17] um mit den neu geschenkten Kräften neuen Pflichten sich zu unterziehen. Daß die fromme Alte zwar ein wenig französisch, aber weder italienisch noch polnisch konnte, war ein zufälliger Gewinn, der das Geheimniß der freiwillig Verbannten, Geflüchteten sicherte und ihre Gegenwart nur heilbringend erscheinen ließ.

Als Leontine die Schwester Renata zu Rosalien führte, ergriff Stanislaus ihre Hand, ihr Gewand, und drückte sie an seine Lippen; er war im Begriff, ihr zu Füßen zu sinken. Alles, alles, jeden Trost meiner verödeten, zerrissenen Existenz danke ich Ihnen! hauchte er bebend.

Leontine war, tief erschüttert, zum ersten Male keines erwidernden Lautes fähig; es gab kein Wort für diese so ganz ungewöhnliche Lage.

Gräfin Werden sprach den ganzen Tag von der bedauernswerthen Krankheit der jungen polnischen Dame; für ihr Leben gern wäre sie[18] hinübergegangen. Leontine sah sich durch immer neue, sich häufende Gründe zu immer sorglicherem Schweigen gezwungen. Wie hätte sie der Gräfin Zudringlichkeit von ihren unglückseligen Freunden abzuwenden vermocht, hätte diese ihre Bekanntschaft mit denselben ahnen können!

Doch keine noch so sorgsame Pflege vermochte es, der armen Rosalie Blütenleben zu fristen. An ihrem Sterbelager, an der stillen ganz prunklosen und doch so selig vertrauenden Frömmigkeit des jungen schönen Mädchens und der hingewelkten alten Nonne, die, unermüdlich in Nachtwachen und Dienstleistungen, der eigenen geringeren Leiden gern vergaß; an dem innern Verstehen dieser Beiden durch Alter, Bildung und Vaterland so ganz verschiedenen Naturen lernte Leontine den Werth eines begrenzenden Glaubens, die Gefahr ihrer eigenen Ansichten erkennen. O, wie beneidete sie selbst[19] Jean Carlo, wie er jetzt ohne Scheu vor ihr sich nennen ließ, um den Trost seiner Fürbitte, um sein inbrünstiges, den von Heiligen erfüllten Himmel erstürmendes Gebet; denn nach demselben ward er ruhiger, er hörte die fromme Schwester mit stiller Ergebung an, er faßte neue Hoffnung und einte die Palme des Friedens der Dornenkrone, die sein Vaterland ihm als letztes Geschenk hinterlassen. Aber diese Dornen stachen schwer und tief, er litt unsäglich!

Nachdem König Ferdinand des Vierten Reise nach Laibach der Neapel kaum gewährten Constitution den frühen Todesstoß gegeben, nachdem die lange Jahre hindurch heimlich vorbereiteten Pläne des Carbonarismus eigentlich bereits vernichtet waren, hatte dennoch ein Sproß des Freiheitsbaumes sich grünend zu erhalten vermocht. Boralli's Schilderung der Lage des Königs in Laibach erweckte eine durchgehende[20] allgemeine Begeisterung und Krieg! ward die überall im ganzen Lande widerhallende Losung.

Jean Carlo hatte sich im Gebirg, wo er die Truppen organisiren half, den festesten Glauben an die Thatkraft seines Volkes bewahrt. Ueber jeden Zweifel hinweg trugen ihn die Flügel seiner jungen Phantasie und der feurigsten Verehrung für Guglielmo Pepe, seines Oheims langjährigen Freund und Waffengenossen. Als aber kurz nach dem so glänzenden Beginnen des Kampfes diese Flügel, gewaltsam geknickt, zur nutzlos mit Bürgerblut befleckten Erde niedersanken, als die regellose, wilde neapolitanische Armee, ohne Disciplin, ohne Kriegsübung, ja sogar ohne hinreichende Waffen, der Uebermacht des sieggewohnten österreichischen Heeres fast ohne Widerstand erlag, als mehr noch als alles dies der durch lange Knechtschaft entartete Charakter der niedern Volksclassen dem Gelingen allzukühner, zu rascher Entwürfe einen[21] innern, ja den allergefährlichsten Feind entgegenstellte, da focht Jean Carlo unter dem Helden seiner Wahl – um die Gunst des Todes. Sie ward ihm nicht! Er erlebte es, bei Rieti durch General Walmoden die Ueberbleibsel des unglücklichen Heeres zerstreut zu sehen. Pepe ging nach Neapel zurück und brachte nichts mit sich dahin, als die trostlose Nachricht seiner eigenen Niederlage.

Jean Carlo's Oheim, der ihn an Vaters Statt erzogen, dessen Adjutant er in dem kurzen Feldzuge gewesen, an dessen Seite er den goldnen Freiheitstraum geträumt, ward vermißt; ob er gefallen, ob geflüchtet, war nicht zu ergründen.

Zerbrochen an Leib und Seele, hatte Jean Carlo neben ihm gefochten, bis er selbst bewußtlos niedersank. Ihn weckte die Nachricht der neuen Schmach, die Carascosa's Heeresabtheilung getroffen.[22]

Als er in einem kleinen Dorfe von seiner Wunde insofern genesen war, daß er aufstehen und sich bewegen konnte, zog er Erkundigungen ein. Die vom König eingesetzte provisorische Regierung hatte einen Preis auf seines Oheims Kopf gesetzt.

Monato, Hiacinth de Passe fielen, unzählige Bekannte, Freunde und Verwandte des unglückseligen Jünglings büßten Leben oder Freiheit ein, ihn selbst retteten günstige Zufälligkeiten und die Zuneigung eines mit seinem Hause befreundeten Fürsten, Medici, der sein Pathe war. Ihm ward die Flucht erleichtert.

Längst ruhten seine Eltern im Grabe, ihm blieb eine einzige Schwester, die in einem unfern Neapel gelegenen Kloster in Pension war.

Als er in der Nacht, verkleidet, sich hinüberschlich, um Rosalien ein vielleicht letztes Lebewohl zu sagen, fand er die Äbtissin desselben, eine Base seiner Mutter, von all den[23] Sorgen um die Ihren schwer erkrankt und schon im Todeskampf. Der Einzug des Königs war nahe, die Amnestie für Alle, die bis zum vierundzwanzigsten März an geheimen Gesellschaften Theil genommen, noch nicht ausgesprochen, über Jean Carlo's mögliche Rückkehr in sein Vaterland nichts vorauszusehen, und kein einziger Verwandter, dem er die Schwester übergeben konnte, ungefährdet oder frei, die meisten heimlich verborgen oder geflüchtet. Noch vor Anbruch des nächsten Tages stand die Auflösung der Äbtissin zu erwarten, die wortlos des armen jungen Mädchens zarte Hand in die seine legte. Rosalien blieb nur die Wahl des schützenden Schleiers, das Kreuz des Heilands, oder das Schwere der herben Theilnahme am ungewissen Geschick ihres Bruders.

Sie wählte das letzte. In fast wahnsinniger Verzweiflung umklammerte sie den einzigen Beschützer, der ihr geblieben, und beschwor ihn[24] unter heißen Thränen, sie nicht zu verstoßen, sie nicht allein in dem der Knechtschaft geweihten Lande zurückzulassen, sie mit sich zu nehmen in die Fremde – ach! die Ärmste kannte ja diese Fremde nicht, die sie um seinetwillen lieben zu können hoffte, in welcher sie nur für ihre Todten und für die einstige Auferstehung ihres Volkes zu beten gedachte und in der sie unbewußt sich selbst den frühen Tod erbeten hatte.

Die dringende Eile der Stunden und die Thränen des armen Kindes siegten. Vereint flohen die Geschwister.

Eine Weile lebten sie unbemerkt in Frankreich und gingen dann nach der Schweiz. Von dort aus ward Jean Carlo nach Baden geschickt, weil seine schlecht geheilte Wunde aufgebrochen. Ach, eine unendlich tiefere öffnete sich ihm dort, als die Hoffnung schwand, Rosaliens Gesundheit herzustellen, deren Schwäche der junge Mann früher bei seinen sie immer[25] momentan neu belebenden Klosterbesuchen nicht wahrgenommen hatte.

Die Ärzte schrieben ihr Uebel einer Erkältung beim Uebergang der Alpen zu – der Tod will ja eine Ursache haben.


Leontine, Schwester Renate und Jean Carlo saßen in stummem Schmerz am Bett der plötzlich, nach einem neuen heftigen Blutauswurf sanft wie ein Kind Entschlafenen; die Nonne betete still für die durch den unerwarteten Tod ohne die Gnadenmittel der Kirche Hinübergegangene; Leontinens Hand ruhte zum ersten Mal lange in der ihres armen Freundes; Keines versuchte ein lautes Wort.

Im Hause ahnete noch Niemand die Gegenwart des Todes. Renate hatte selbst die geweihten Kerzen zu Haupt und Füßen des Sterbelagers angezündet, den Priester hatte[26] man nicht mehr rufen können, so schnell hatte der Scheidekuß des Lebens die bleichen Lippen des schönen Mädchens berührt.

Die Badegäste und Wirthsleute schliefen, auf den Straßen hatte sich ringsum Ruhe verbreitet, nur ein überwachter Orgelmann drehte auch schon halb schlafend unter einem fernen Fenster sein letztes Ständchen ab, es war ein veraltetes Volks- und Liebeslied; unwillkürlich mußte Leontine darauf hören. »Keine Nessel, kein Feuer kann brennen so heiß als heimliche Liebe, die Niemand nicht weiß.«

Lange saßen sie so schweigend; endlich begann Carlo zu reden. Er blickte nach dem noch nicht ergrauenden Tage; sein unruhiges Blut trug die Unthätigkeit des Schmerzes nicht, und es lastete der Gedanke auf ihm, die geliebte Leiche hier im fremden Lande zurückzulassen. Sollte Rosalie als Polin mit einer Lüge in's dunkle Grab gelegt werden? Welche Hoffnung[27] blieb dann dem Trauernden, in möglich besseren Tagen wenigstens die schöne Hülle der Schwester dem Geburtslande wieder heim zu bringen, dem die Lebende entrissen zu haben er so tief bejammerte? Ach, Schmerz und Glück zogen ja ihn wie sie in jedem Athemzug hinüber! – Mit heftig erwachender Leidenschaftlichkeit erneuten sich seine Klagen. Trostlos stand Leontine neben ihm, sie litt unaussprechlich und ach! sie wußte keinen Rath für diese neue Form der Qual. Vergebens bot sie ihm ihres in wenig Tagen erwarteten Stiefvaters Hülfe. Jede Mittheilung des Geheimnisses an einen Dritten lehnte er bestimmt ab.

In diesem Augenblicke hatte die fromme Schwester, die in stillen Fürbitten am Fußende des Lagers kniete und in tiefster Sammlung das Gespräch nicht beachtete, ihre Gebete beendet. Sie schritt der Thüre zu und, schon an der Schwelle, sagte sie leise: Ich gehe zum[28] Dechanten; man wird nun bald zur Frühmesse läuten, er wird schon aufsein.

Wie ein Lichtstrahl durchzuckten die einfachen Worte Jean Carlo's verdüstertes Gemüth. Ja! rief er aufspringend, im Schoos der Kirche, in der Hingebung an ihre beseligenden Wahrheiten finde ich die Gewährung einer Versicherung, die nichts Irdisches mir zu geben vermag. Die gefalteten Hände fest auf die Brust gedrückt, blickte er aufwärts und ein Ausdruck der schwärmerischsten, inbrünstigsten Frömmigkeit überflog den Schmerz seiner Züge.

Ja, fuhr er fort, von dir, mein reiner Engel! kam mir der Gedanke. Die Beichte sichert mein Geheimniß und bürgt mir für die Erfüllung deines letzten Erdenwunsches!

Er hob den Schleier, der das Antlitz der Gestorbenen deckte; sie war unaussprechlich schön. Leise küßte er ihre weiße Stirn, dann fuhr er, zu Leontinen gewendet, fort: Ach, Signora![29] könnten Sie fühlen, was in diesem Augenblicke meine arme zerrissene Seele wie ein Friedensbote durchzieht und das wilde Thier in mir bändigt. O, könnten Sie mit mir glauben, so wie Sie mit mir gelitten haben; wie Sie oft mitten in der Verzweiflung mir einen Sonnenstrahl des Glücks in die Lebensöde gesandt! Er küßte heftig ihre Hände und wandte sich dann wieder der Leiche zu, die er mit immer steigendem aber stillerem Schmerz betrachtete.

Könnte ich mit ihm glauben! wiederholte sich leise Leontine. Kann ich's denn nicht? Sie legte den Kopf zurück in die Lehne des Sessels und einzelne große Thränen rollten über ihre hochrothen Wangen.

Da öffnete sich leise die Thür, lautlosen Schrittes trat der Dechant ein, hinter ihm ein Chorknabe, der am Eingange stehen blieb. Er kannte die Geschwister wohl, obschon nur unter polnischem Namen; es that ihm weh, daß sein[30] Beichtkind ohne die letzten Tröstungen der Kirche geschieden war. Nun kam er, von der alten Schwester herbeigerufen, den Rest der Nachtwache mit dem unglücklichen Bruder der Verstorbenen zu theilen und den Ritus der Kirche zu vollziehen.

Der Dechant war noch ein junger Mann mit fast durchsichtig bleichem Gesicht; auch ihm schien die Verheißung eines frühzeitigen Todes auf die gedankenklare Stirn gedrückt. Eine große Milde und Sanftmuth sprach sich in seinem ganzen Wesen aus; so war auch sein Ruf von makelloser Reinheit.

Leontine hatte nie einen andern katholischen Geistlichen gekannt, oder auch nur außer der Kirche gesehen, als den alten Domine, dem sie so übel mitzuspielen pflegte. Sie kannte die sanfte Suade, die Gewalt der Einwirkung katholischer Formen, dieses weiche Herrschen, dieses feste Ergreifen und Tragen der Seele nicht,[31] das in dem Riesenbau jener Kirche, in der Gestaltung jener höchsten Manifestation des menschlichen Geistes sich ausspricht, und nun in der vollendetsten Ausübung überwältigend ihr entgegentrat.

War der Dechant mit den Verhältnissen der polnischen Familie unbekannt, die er vor sich zu sehen wähnte, hatte der Anblick der jugendlichen Leiche ihn dieselben vergessen machen? Genug, er hielt Leontine vielleicht der heißen Thränen wegen, die während seiner Worte ihr Gesicht überströmten, für Trzebinski's Gemahlin und sprach in diesem Sinne auch zu ihr, ermahnte sie, dem schwer Geprüften nun auch die Verlorene zu ersetzen, sich wo möglich noch enger ihm anzuschließen, und wie aus der Tiefe der Verwesung die Kraft eines erhöhten Lebens der leiblichen und geistigen Natur sich entringe, so auch diesem so früh geöffneten Grabe ein Gott geheiligtes Leben der Liebe entsprießen zu lassen.[32]

Jean Carlo weinte so heftig, daß er nicht sogleich die Kraft hatte, die Anrede des Geistlichen zu unterbrechen, der im Begriff war, in einem kurzen Uebergange dem Formular der Kirche sich zuzuwenden und deren Ceremonien zu vollziehen, als endlich Leontinens furchtbare Erschütterung und ihr Zittern des jungen Mannes Aufmerksamkeit gewaltsam auf sie zurücklenkten. Er ergriff mit dem Ausdruck der tiefsten Verehrung ihre Hand und geleitete sie der Thüre und Babet zu, die schluchzend in derselben stand, dann wandte er sich wieder zum Dechanten; in demselben Augenblick schloß sich die Thüre hinter Leontinen, und halb bewußtlos folgte sie Babeten in ihr Zimmer.

Es war Mittag und die Trauerkunde hatte sich bereits durch das ganze Baden verbreitet, als die todtmatte Leontine die Augen aufschlug; die gewandte Babet hatte der Gräfin eine unruhige,[33] durch die Nachbarschaft der Kranken schlaflose Nacht des Fräuleins vorgelogen.

Aber mit dieser Nacht hatte ja nun auch das Zusammenleben mit dem neugewonnenen Freunde aufgehört! Der lange Tag verging, ohne daß Leontine mehr von dem hörte, was sich drüben begab, als was auch die andern Hausgenossen erfuhren. Sie sandte, wie die meisten Bewohnerinnen des Hotels, einen Blumenkranz, der schönen jungen Todten auf den Sarg zu legen. Daß er aus Orangenblüten und Granaten bestand, ließ man für einen Zufall gelten; die Thränen, die als Thau ihn benetzten, bemerkte Niemand. Kaum war die Begräbnißstunde bestimmt, so vereinten sich die Gräfin und ihre Freundinnen, um der Ceremonie zuzusehen. Es war ein Drängen und Treiben um die offene Grabhöhle, als hätten Alle das schöne Mädchen gekannt, oder als gälte[34] es eine Lustpartie. Leontine warf sich weinend auf ihr Bett und schützte Kopfweh vor.

Noch am nämlichen Abend überbrachte man ihr einige Zeilen von Jean Carlo's Hand. Sie hielt das Blatt noch in der ihren, als draußen Babets aufjubelnde Stimme die Ankunft Geierspergs und Josephinens verkündete; kaum blieb Leontinen Zeit, das Papier zu verbergen, so lag sie schon in ihrer Mutter Armen.

Von nun an begann ein ganz neuer Lebensabschnitt. Geiersperg liebte joviale Geselligkeit, war gern in Baden und fand eine Menge alter Bekannte, Kriegsgefährten und Jugendgenossen daselbst. Auch Josephine ward von einem kleinen Kreise freudig begrüßt, eine Landpartie, eine Ausfahrt jagte die andere.

Die Generalin ging freundlich auf jeden Vorschlag der Art ein, ihre Lebensstellung war in der zweiten Ehe eine ganz andere geworden, als sie in der ersten, im Jugendrausch der Begeisterung[35] geschlossene Verbindung mit Waldau gewesen. Die Zeit war ja so ganz verändert, es war Friede, und hatte auch dieser Friede nicht alle Träume und Verheißungen des ihm vorangegangenen Kampfes erfüllt, so waren doch materielles Behagen oder industrielles Wirken überall an die Stelle der früheren Romantik getreten, die Josephinens Blütenzeit belebte und deren mitunter sehr dunkle Schatten die letzten Jahre Waldau's vor Erschlaffung bewahrt hatten. Denn selbst als ihn Krankheit und der schwere Druck der Ereignisse zur Unthätigkeit verdammten, hatte sich das Wechselspiel von Sorge, Angst und Freude, das man Leben nennt, immer noch in weit höheren Potenzen um ihn her entwickelt, als es nun im freundlichen Beisammensein mit Geiersperg der Fall war.

Waldau war ein Idealist, im Alltäglichen ganz unerfahren; man mußte unaufhörlich für[36] ihn sorgen. Geiersperg sorgte lieber noch für Andere, als daß er ihrer Leitung sich hingab; er fürchtete beständig, gehandhabt zu werden, wie er es nannte, und wollte alles selbst machen. Hatte Josephine in ihren ehemaligen Verhältnissen zerrissene Herzen, kränkelndes Leben und die Keime nationaler Hoffnungen gepflegt, hatte sie damals oft jede Seelenkraft bis zur höchsten Spannung anstrengen müssen, so pflegte sie jetzt, ohne jedoch an Elasticität des Geistes einzubüßen, mit nicht geringerer Anmuth die Blumen und Bäume, die ihres Gemahls Lieblinge waren, zog seine Jagdhunde auf und bewunderte mit wirklich aufrichtiger Freude die von Geiersperg geschossenen Auerhähne und Schnepfen. Sie war eigentlich nicht minder glücklich als sonst, denn bei ihr war das Glücklichsein fast eine Eigenschaft des Charakters geworden.

Leontinens Erziehung war ihr nicht ganz[37] gelungen, das fühlte sie selbst, doch, wie viele Mütter, blieb sie dabei blind für deren Mängel; und dann hatte ja Leontine ihres Vaters Fehler! Geiersperg tadelte sie strenger, schon deshalb mußte Josephine die Tochter entschuldigen. Vor allem war ihm nicht recht, daß sie kein Junge war; er hätte so gern einen Sohn gehabt. Darum hatte er die Verbindung mit seinem Neffen Albert fast leidenschaftlich gewünscht; sie sollte seiner väterlichen Liebe Enkel geben. Im Ganzen konnte er die excentrischen Weiber nicht leiden; – und hast mich doch geheirathet? sagte Josephine.

Aber Geiersperg nahm ihren Kopf zwischen seine beiden großen Hände und küßte sie herzlich. Von dir, liebes Kind, kann ja hier gar nicht die Rede sein, du bist mein lieber, närrischer excentrischer Engel! Aber im Häuslichen bemerke ich, Gott sei Dank! nur, wie du mir alles leicht und lieb machst. Wenn die Leontine[38] excentrisch sein wollte, wie du, so hätte ich nichts dagegen.

Geierspergs schönste Jahre waren die gefahrreichen des Kriegs und seiner geheimen Vorbereitungen gewesen; auch nachdem er den Dienst verlassen, blieb er innerlich Soldat. Alles, was auf das Militär sich bezog, interessirte ihn lebhaft; in seinem Hause herrschte die strengste Disciplin, in seinem Herzen blieb er der alte loyale, seinem Könige unbedingt ergebene Kriegskamerad. Selbst wo sein klarer Verstand tadelte, ließ sein Gefühl dem Tadel selten Raum zum Wort, und Leontine hatte ganz recht, ihn einen Ritter aus dem Mittelalter zu nennen. Hätte der König seiner innersten, heiligsten Ueberzeugung zuwider gehandelt, hätte er ihn oder die Seinen durch irgend eine Ungerechtigkeit noch so unheilbar schwer verletzt, Geiersperg war der Mann dazu, in solchem Falle sich lieber eine Kugel vor den[39] Kopf zu schießen, als den Grundsatz der tiefsten Anerkennung und Verehrung der Legitimität seines angebornen Herrschers aufzugeben, mit dem sein ganzes Wesen verwachsen war.

Sehr natürlich hatten ihn die politischen Ereignisse des Jahres Zwanzig in Neapel oft und ernstlich beschäftigt; so lange die Volkssache nicht von der des Königs getrennt war, hatte er wahrhaften Antheil an ihr genommen. Seine langjährige Freundschaft für einige der Hauptagenten des bewaffneten Interventionssystems hatte ihn nicht gehindert, sich an dem begeisterten Aufflammen der italienischen Jugend von Grund aus zu erfreuen, es weckte in ihm ja tausend und aber tausend Erinnerungen! Später tadelte er das seiner Meinung nach in unklugem Eifer zu weit gehende Parlament und fühlte sich in seinen Ansichten etwas gestört; dennoch machte es ihm sichtlich Vergnügen, wenn Leontine ihm triumphirend die Zeitungen vorlas,[40] in denen die Fabier und Bruttier der Abruzzen eine so glänzende Rolle spielten.

Als sich aber der Aufstand immer bestimmter gestaltete und er das ganze Unternehmen an der Muth- und Kraftlosigkeit des eigentlilichen Volkskernes scheitern sah, ergriff ihn eine echt soldatische Ungeduld, er warf die Zeitungen in einen Winkel und ging eine ganze Weile, von unreifem Zeuge, Kinderstreichen und dummen Jungen murmelnd, im Hause umher. In Baden hatte die ganze Geschichte vergleichsweise längst einen komischen Anstrich für ihn bekommen, den er mit seinen alten Waffenfreunden im besten Humor ausbeutete, und deren derbe und körnige Späße der armen Leontine in's Herz schnitten. Es war rein unmöglich, in dieser Stimmung über Jean Carlo's Lage mit ihm zu reden.

Vielleicht war es diese im Kreise ihrer Lieben zum ersten Mal empfundene Entfremdung[41] ihres innigsten Gefühls, welche Leontinen in den Abgrund eines hoffnungslosen, in tiefes Geheimniß gehüllten Verhältnisses fast widerstandlos hineinriß.

Jean Carlo begnügte sich eine Weile mit Schreiben; aber sein junges Leben war so plötzlich leer geworden, jedes Interesse darin schien erloschen, Vaterland und Schwester waren ihm entrissen. In Baden von jeder Verbindung mit den ihm nach und nach in Frankreich und der Schweiz bekannt gewordenen italienischen Flüchtlingen abgeschnitten, verstand er nicht einmal die Sprache, die er um sich reden hörte; war es ein Wunder, wenn in dieser gänzlichen Abgeschiedenheit, im kochenden Blut des Jünglings die Leidenschaft für Leontinen eine Höhe erreichte, die ihn jeder Rücksicht nicht nur vergessen ließ, nein, die sie ihm geradezu unmöglich machte?

Sein Zimmer war dem der so Heißgeliebten[42] gegenüber; er hörte sie kommen, gehen. Trotz Josephinens Anwesenheit fand er bald Mittel, ihr zu nahen, sie zu sehen, zu sprechen, sie mit all dem tiefen Zauber seiner poetischen Liebesglut zu umstricken, deren Anblick ihr völlig neu war, die sie nie zuvor gekannt, nie früher geahnt. Denn bei uns wird ja ein wirklich vornehmes Mädchen so sorgsam gehütet, kein Laut, kein Hauch der rohen Heftigkeit der Leidenschaft oder auch nur menschlich-sinnlicher Schwäche berührt jemals ihr Ohr; sie weiß nicht einmal um die Existenz derselben. Und wenn nun auf diese ätherreinen Sinne, auf diese schneeigklare Gedankenfläche die Liebe in Gestalt der heißen Leidenschaft ihr Siegel drückt – wer darf es wagen, sie mit gemeinem Maß zu messen, oder eine Klugheit von ihr zu fordern, die in ihrer Lage eine Erniedrigung, eine Entwürdigung wäre?

Jean Carlo ließ nicht ab, bis sie an seinem[43] Herzen, in seinen Armen ihm bebend Gegenliebe gestanden und zuletzt, vom Uebermaß seiner sich immer steigernden Wünsche und Qualen unwiderstehlich fortgerissen, ihm geschworen hatte, nie einem Andern ihre Hand zu reichen.

O, welche Glutwogen der Poesie, des Fanatismus und der sie vergötternden Sinnlichkeit schlugen über des armen Kindes so leicht erregbarem Herzen zusammen!

Wie schal und abgeschmackt erschienen ihr jetzt die früheren Bewerbungen der Männer, die ihr bis dahin von ehrerbietiger Ergebenheit vorgeschwatzt und darin wahrscheinlich nur der Mode oder ihren brillanten Vermögensumständen gehuldigt hatten.

Wenn Jean Carlo spät Abends leise in ihr Stübchen hinüberschlich, Stundenlang vor ihr kniete, ihre kleinen Füße küßte, ihren heißen Athem trank – dann wieder, in plötzlich erwachendem Zorn gegen sich selbst, fast verzweifelnd[44] sich anklagte: daß sie mit einem Male die Welt ihm geworden, daß er um ihretwillen sein Vaterland vergesse, daß sie die heilige Jungfrau sei, zu der sein Herz bete – wenn seine heißen wollüstig-schmerzlichen Thränen ihre Hände benetzten, oder wenn er, von der eigenen Glut aufgeschreckt, aufsprang und fortlief, um in der wilden Aufregung seines Wesens mit keinem Hauch ihre kindliche Unbefangenheit zu beleidigen, dann aber, wie gebannt, am Thürpfosten fest angeklammert stehen blieb und nur von fern mit trunkenem Auge die Wonne ihres Anblickes in sich sog, bis dann zuletzt langsam, allmälig die unbegrenzte Herrschaft, die sie über ihn ausübte, die Gewalt seines Gefühls beschwichtigte, ihn zurücklockte und er leise wieder näher trat und mit zitternden Lippen zur »guten Nacht« ihre Fingerspitzen kaum zu berühren wagte, als wäre sie das ihm von Priesterhand geweihte Bild des Allerheiligsten –[45] dann mußte ja wol vor allen diesen unverstandenen und doch so beseligenden Empfindungen die ruhige Ueberlegung weichen, die ihr in einsamen Minuten eine Verbindung mit Jean Carlo als unmöglich erscheinen ließ.

Auf den Spaziergängen traf Leontine zuweilen mit dem Dechanten zusammen. Immer machte sein Anblick wieder denselben tiefen, ihr unerklärlichen Eindruck einer höheren Gewalt auf sie. War sie allein, so redete er sie an, und auch er nannte sie Jean Carlo's Stütze, seinen einzigen Trost. Den erhabeneren, an welchen er selbst sein vielleicht einst eben so schmerzlich-bewegtes Herz gewiesen, nannte er ihr nicht; aber dennoch lag in jedem seiner Worte die Glorie der Kirche, welcher er angehörte; immer hob sich aus ihnen, wie in weiter Ferne, eine Friedenshalle empor, die auf goldenen, eine Welt tragenden Säulen ruhte und den Zagenden ein sicherndes Asyl bot. Ach![46] und Leontinens in solchem Zwiespalt von Angst und Seligkeit bestürmtes Herz hatte eines solchen so nöthig!

Josephine ahnte von dem Allen nichts; sie lachte über Geierspergs Späße, mit denen er gegen die Neapolitaner zu Felde zog, sie freute sich über Leontinens blühende Wangen und lobte sie, daß sie nicht tanzte. Daß diese einen Ausbruch von Jean Carlo's wüthender Eifersucht scheute, konnte die Arme nicht ahnen.

Der Sommer ging zu Ende, mit ihm gar mancher bunte Liebestraum. Plötzlich ward der Tag der Heimreise bestimmt. Jean Carlo's Abschied war herzzerreißend. Er kehrte nach Genf zurück, wo er den Winter zugebracht; nach Berlin traute er sich nicht, er fürchtete erkannt und überliefert zu werden.

In des Dechanten Gegenwart, der einen Augenblick aus Jean Carlo's Zimmer zu ihr hinüberkam, ihr Lebewohl zu sagen, zwang er[47] die Geliebte, ihm das Versprechen zu wiederholen, nie einem Andern, als ihm, anzugehören, und schwur ihr Treue und Anwendung jeder ihm zu Gebot stehenden Kraft, um ihr sobald wie möglich ein ihrer würdiges Loos zu bieten. Mit dem Versprechen, einander täglich zu schreiben, schieden die Verlobten.

Aber was konnten Briefe einer glühenden Seele, wie die Jean Carlo's war, gewähren? Trotz aller damit verbundenen Gefahr sah er Leontinen mehre Male in Berlin; und als sie im nächsten Frühjahr zu ihren Verwandten nach Schlesien ging, folgte er ihr auch dorthin.

Seine Verhältnisse hatten in diesem Jahre eine Art günstiger Gestalt gewonnen. Obschon sein Name noch immer mit dem seines Oheims zusammen auf der Liste der zum Tode Verurtheilten stand, öffnete sich ihm dennoch durch des Fürsten Medici Vermittlung die Aussicht auf einen künftigen ungeschmälerten Genuß seiner[48] Einkünfte im Auslande, das allerdings nur eine beaufsichtigte Freiheit, zugleich aber die Wahrscheinlichkeit der Milderung des Richterspruchs in den einer längeren Verbannung ihm bot.

Und doch waren es gerade diese Hoffnungen, die während eines Sommeraufenthalts Leontinens auf den Gütern ihrer Vettern in Schlesien einen Bruch herbeiführten, dessen Folgen für Beide unberechenbar blieben.

Die Familie des Baron Lersheim, bei welcher Leontine sich aufhielt, sah oft und gern Fremde in ihrem Hause. Jean Carlo ließ sich ganz unvermuthet als einen schweizer Gelehrten, einen Genfer, dort einführen, was er um so eher konnte, da er der Sprache unbedingt mächtig war.

Schön, gewandt, mit dem kräftig pulsirenden Leben in jedem Zuge des Geistes wie der Gestalt, mußte der junge, wirklich liebenswürdige[49] Mann gefallen, und bald hatte er das warme Interesse aller Mitglieder des kleinen Kreises sich gewonnen.

Anfangs genoß das schöne Paar der ganz unerwarteten Blütenzeit ihrer Liebe, im Schutz dieser unschuldigen Mystification, ohne Vor- noch Rückblick, in der anmuthigen Frische eines jungen Gefühls und jungen Glücks. Ach, nur zu schnell trat die vernichtende Schwüle der Leidenschaft in ihr siegend-verheerendes Recht! Bald ekelte Beide das Spiel mit der so ernsten Empfindung ihrer Lage an. Jean Carlo gestand dem Baron, wer er sei, und stellte ihm frei, das ihn gefährdende Geheimniß auch den Seinen mitzutheilen.

Lersheim dankte ihm gerührt für das ihn ehrende Zutrauen, zog aber vor, bei der noch immer über des jungen Mannes Haupt schwebenden Gefahr, die es schützende Hülle nicht zu heben. Den jungen Fräulein lag die Politik[50] zu fern, als daß sie überhaupt etwas Anderes in der Erscheinung des Fremden bemerkt hätten, als daß er augenscheinlich ihrer Cousine Waldau den Hof mache! Die Baronin mochte eine dunkle Ahnung eines traurigen Geschicks ihres Gastes haben, aber zu sehr gewöhnt, ihr Urtheil immer auf das ihres Gemahls zu stützen, suchte sie nicht eigenmächtig nach der Lösung des von ihm nie berührten Räthsels. So vergingen mehre Monate.

Jean Carlo hätte indessen kein Mann und kein verliebter Italiener sein müssen, wenn ihn dies tägliche, öffentliche und doch so geheimnißreiche Zusammensein mit der von Bewerbern umringten Geliebten nicht gesteigert und zu immer heftigeren Wünschen entflammt hätte. Fräulein von Waldau war nicht nur eine sehr glänzende Partie mit einem ganz unabhängigen Vermögen, sie gehörte auch zu jenen fast dämonisch die Phantasie entzündenden Gestalten, deren[51] Gegenwart berauschend auf die verschiedenartigsten Männer wirkt, ihre Sinne reizt und quält; sie war eine der Frauen, die der Leidenschaft den Wahnsinn zugesellen. Eine ihr angeborene, durch Erziehung und Umgebung ganz unberührt erhaltene Art Unbefangenheit, eine Unschuld der Unkenntniß, die sie noch gefährlicher machte, ließ sie dem Gemeinen wie dem Unrecht lachend und unbefleckt vorübergehen.

Jean Carlo's heftiges Gemüth, die ihn beherrschende Glut seines Gefühls machten ihm seine Lage bald unerträglich. Er konnte es nicht aushalten, sie andern Männern gegenüber zu sehen, ohne sein Anrecht auf ihr Herz geltend zu machen, er vermochte es nicht, die ihr angeborene Koketterie zu ertragen und machte ihr oft ungerechte Vorwürfe, ja heftige Scenen um unbedeutender Kleinigkeiten willen.

Vergebens bezeigte ihm Leontine die innigste Neigung; vergebens machte sie ihn auf die[52] Nothwendigkeit aufmerksam, der Welt kein ernsteres Einverständniß mit ihr ahnen zu lassen; vergebens stellte sie ihm vor, daß des Barons Theilnahme am Geschick eines politischen Verbrechers sich in Abneigung verwandeln werde, sobald dessen Einfluß auf das Leben seiner nächsten Verwandten ihm klar werde; daß ihre Familie eine Verbindung mit einem Ausländer, auf dessen Kopf noch immer ein Preis stehe, nicht zugeben könne; daß bei einer bloßen Andeutung derselben ihr Vetter sie ihren Eltern augenblicklich zurückschicken müsse – Jean Carlo hörte nichts, begriff nichts, als die Unmöglichkeit, diese ewig sich erneuende Gefahr ihres Verlustes auszuhalten.

Alle solche Erklärungen unter den Liebenden führten nur zu erneuten Klagen und der Versicherung: daß er ruhig sein und ihr ganz gewiß unbedingt folgen würde, wenn er wisse, daß keine Ueberredung noch Gewalt sie ihm zu[53] rauben vermöge, daß er aber ohne diese Sicherung nicht nach der italienischen Grenze gehen könne, wohin ihn Fürst Medici und sein, wie er, geretteter Oheim beschieden hatten, um Rücksprache der Milderung des Urtheils und der sie bedingenden Umstände wegen mit ihm zu nehmen.

Leontine trieb ihn seinem eigenen Interesse nach zu dieser Reise; ihn selbst hatte der Wahnwitz der Eifersucht zu tief erfaßt; er vermochte weder den Gedanken los zu werden, daß einem Glücklichern gelingen könne, in seiner Abwesenheit die Braut zu bewegen, das ihm gegebene Wort zu brechen, noch sich zu der Trennung zu entschließen, von welcher eine spätere Verbindung mit ihr abhing.

Tage um Tage, Wochen um Wochen vergingen in dieser sich immer neu gestaltenden Selbstqual. Am Ende führte eine unbedeutende Auszeichnung, die Leontine einem Andern zu Theil werden ließ, einen förmlichen Bruch[54] herbei. Der verzweifelnde Zorn, mit welchem Jean Carlo sie mit einer alle Rücksicht verachtenden Heftigkeit der Lieblosigkeit beschuldigte, sie in starrer Muthlosigkeit freigab, ihr sogar ganz entsagte, reizte sie übermäßig; in zornigen Thränen wandte auch sie sich von ihm ab.

Im raschesten Uebergange der Klage über sie zur Selbstanklage, wiederholte er ihr nun, daß er unter all diesen Bedingungen und Einschränkungen nicht mehr zu leben vermöge, daß er auf ewig von ihr scheide, daß er den Wink des Himmels, sie freizulassen, sie nicht auch noch dem Fluch seines Schicksals preiszugeben, nicht mehr widerstehe. Noch einmal zog er sie an seine Brust, noch einmal bedeckten seine glühenden Küsse ihre Augen, ihren Mund, ihre glänzende Stirn, dann riß er sich gewaltsam los und stürmte fort. Vergebens suchte sie ihn zu halten, vergebens schrieb sie ihm, beschwor[55] ihn, wieder zurückzukehren; er war fort nach Breslau; mehrere Tage hörte sie nichts von ihm.

Eine unnennbare Angst erfaßte nun ihr Herz. Seit Jahr und Tag hatte sie ihn, trotz aller Koketterie, als ihren Verlobten, fast als ihren Gatten betrachtet. In Thränen zerfließend, malte sie sich ihr eignes Unrecht aus, ihren Leichtsinn, ihre Gefallsucht, die Geiersperg so unzählige Male ihr vorgeworfen – ihr dämonisches Anlocken und Aufregen der Männer, die ihr den Hof machten, bis sie die Gequälten, Gereizten zu irgend einer allzuheftigen Äußerung ihrer Leidenschaft veranlaßt und sie ihr nun plötzlich ganz grenzenlos misfielen, oder ihr gar lächerlich wurden – sie klagte sich auf's Unbarmherzigste an, auch gegen Jean Carlo nicht geduldiger gewesen zu sein, um seine Eifersucht zu schonen. Mit jeder fliehenden Minute steigerte sich ihre Sorge, unwiederbringlich ihn erzürnt, ihn auf immer verloren zu[56] haben. Sie schrieb ihm nochmals nach Breslau, erhielt aber keine Antwort.

Es ließ ihr keine Ruhe, unter einem Vorwande fuhr sie hinüber. Sie kannte die Hausleute, bei welchen er wohnte, es waren Handwerker; sie bestellte etwas und fragte nach ihm. Noch war er da – morgen wollte er reisen – da lag sein Paß – großer Gott, nach Neapel! Sie verstand ihn gleich: ohne sie mochte er nicht leben! Noch einmal wollte er unter erborgtem Namen sein Vaterland aufsuchen, dessen sonnengoldene Schönheit begrüßen, dann sein Haupt den Rächern ausliefern; das Dasein war ihm plötzlich zu schwer, um es noch weiter zu schleppen.

Anstatt zur Hausthür hinauszugehen, versteckte sie sich; in einem Augenblicke, da alles still war, schlich sie wieder die Treppen hinauf – sie wußte die Nummer seines Zimmers. Athemlos langte sie oben an; der Finger versagte[57] das Anklopfen, der Fuß das Tragen der bebenden, fliegenden Glieder. Gewaltsam riß sie die Thüre auf und stürzte bewußtlos auf die Dielen des Vorplatzes vor ihm nieder –

Jean Carlo empfand den für ein Mädchen, wie Leontine, ungeheuern Entschluß, zu ihm auf seine Stube zu kommen, mit so beseligender, alle Einwendungen seines früheren Gefühls niederschlagenden Gewalt, daß er, wie berauscht von diesem Glück, zu ihren Füßen sank und, fester als je ihr verbunden, lange nur in wortlosem Entzücken ihr zu danken im Stande war. Aber allmälig kehrte den Glücklichen die Besinnung zurück. Vor allen Dingen mußte die Geliebte das Haus verlassen, aber vorher sollte er ihr versprechen, blos bis zur italienischen Grenze zu reisen, dort seinen Oheim aufzusuchen und alle Schritte zur Erreichung der Milderung des gesprochenen Urtheils zu thun. Und abermals fiel die entsetzliche Last auf seine Seele; zum[58] ersten Male wagte er in dieser grenzenlosen Hingebung Beider Herzen an einander das Wort: Heimliche Vermählung!

Leontine erschrak; aber sei es, daß der schon allzu ungewöhnliche, bei einer Dame ihres Standes unerhörte Schritt, dem Geliebten in die Stadt, in seine Stube gefolgt zu sein, sie verwirrte; sei es Abspannung nach der ungeheuern Angst, die sie während der letzten vierundzwanzig Stunden erduldet – sie widerstrebte nicht so bestimmt, als Jean Carlo gefürchtet.

Sein Muth wuchs durch diese unverhofft mildere Stimmung; in immer bewegteren, immer eindringlicheren Worten schilderte er ihr von Neuem seine Sorge, sie durch Zwang oder Ueberredung während seiner Abwesenheit zu verlieren; er beschrieb ihr den unendlichen Trost des Gefühls, mit ihr unauflöslich fest verbunden zu sein und die Gewißheit mitzunehmen,[59] in der Verbannung wenigstens sicher des ihm nicht mehr zu weigernden Glückes zu bleiben – bis endlich halb verlockt, halb ermüdet, das unbesonnene Mädchen ihm unter der Bedingung nachgab, gleich nach der Trauung seine Reise anzutreten. Welche Feder vermöchte den Wonnetaumel seines Dankes wiederzugeben! Die Erinnerung daran hat oft Leontinens späteres Leben durchleuchtet wie ein Meteor des Glücks.

Nun aber ging zu ihrer Verwunderung alles in fliegender Schnelle. Kaum hatte der Geliebte ihr Ja, kaum hatte er sie wohlbehalten und unbemerkt den Ihren wieder zugeführt, so war auch der alte Domine gewonnen, die Trauung zu vollziehen, durch welche er die Seele seiner »lieben Frölen« dem einzig beseligenden Glauben zu sichern wähnte. Die zu dem italienischen Geschäft bereits früher ihm verschafften Papiere, welche Jean Carlo's Geburt, Rang, Vermögen und Identität bewiesen, waren[60] zur Hand. Ehe Leontine zu klarer Besinnung kam, war der sie auf ewig fesselnde Schritt gethan.

Derselbe Freund, der Viatti im Hause eingeführt, ein geachteter Mailänder, der seit Jahren schon in Deutschland lebte und mit der Familie des Baron Lersheim verkehrte, ward unvermuthet, nebst noch einem unter dem Domine stehenden Geistlichen, zum Zeugen der Trauung gemacht; auch Babet wohnte ihr bei, sie war leicht zu bereden, denn Leontine war, wie wir wissen, einundzwanzig Jahre alt, folglich mündig.

Wenige Tage nach der Vermählung reiste Jean Carlo wirklich seinem gegebenen Worte gemäß ab; er schied zwar mit blutendem, aber auch mit hoffnungsreichem Herzen.

Leider aber scheiterten alle die ihn so beglückenden Hoffnungen beim Wiedersehen seines Oheims an beider Männer leidenschaftlich ihren[61] früheren Projecten anhangendem Charakter. Jean Carlo und sein Oheim fanden es in dem so unglücklich gewählten Zeitpunkte unmöglich, sich der jetzt abermals schwer bedrohten Gemeinschaft ihrer ehemaligen Verbündeten zu entziehen. Die umsichgreifende Carbonaria hatte abermals unvorsichtige Schritte gethan, deren unselige Folgen nun auch Jean Carlo's Leben erfaßten.

Ein ganzes Jahr verging Leontinen in namenloser Angst, sie sah ihn nicht wieder! –

Ab und zu schrieb er ihr unter Babets Adresse, aber, ach! die nöthige Vorsicht machte seine Briefe unklar. Monate lang entbehrte sie jeder Nachricht, oft wußte sie sogar nicht, wo er war. Leontine litt; sie hätte weit mehr gelitten, hätte ihr leichter Sinn sie nicht über manchen Abgrund schauderhafter Möglichkeit hinweggetragen. Der Schritt war einmal geschehen,[62] es lag nicht in ihrer Natur, mit sich selber darüber zu rechten.

Wenn sie dann und wann über jene Zeit nachdachte, mischte sich ein höchst peinlicher Vorwurf für ihren Gemahl in dies Nachdenken; er hatte sie einer unabsehbaren Reihe von Schmerzen preisgegeben, wenn ihre Eltern die unglückliche Uebereilung entdeckten; er hatte ihre Ehre sogar gefährdet, und leise, leise flüsterte sie sich's zu: er hatte leichtsinnig gehandelt, sie preisgegeben – aus nicht ganz edeln Gründen.

Leontinens liebenswürdige aber vielgestaltig bewegte Natur konnte vom Augenblick zu leidenschaftlichen Ergüssen sich hinreißen lassen, die eigentliche Macht einer Geist, Sinn und Willen überwältigenden Leidenschaft begriff Leontine nicht.

Die Herbstreise des Jahres zweiundzwanzig brachte sie wieder nach Baden, und die ferneren bereits mitgetheilten Ereignisse nach Bern, wo[63] sie hoffte, Annen ihr Geheimniß entschleiern zu können, als ein Brief Jean Carlo's seine Rückkehr von der italienischen Grenze und seine nahe Ankunft in Bern meldete, wohin ihn der Wahnsinn der heftigsten Sehnsucht nach Leontinen zog, während eben eine Fremden-Verordnung publicirt wurde, welche unter die strengsten gehörte, die je bekannt gemacht wurden.

Während also alle nur einigermaßen in ihr betheiligten Fremden Bern zu verlassen eilten, langte Jean Carlo daselbst an. Das Uebrige ist unsern Lesern bekannt.


Josephinens plötzlicher Eintritt, der die so gewaltsam überraschenden Mittheilungen Leontinens unterbrach, brachte den Grafen Roderich augenblicklich zur Besinnung; die gewohnte Gastfreundschaft, die anerzogene Höflichkeit, die im Duell vor dem tödtenden Stoß den Kämpfenden[64] den Gruß auferlegt, siegten auch jetzt, sogar der Schwester gegenüber. Er war der Erste, der auf sie zuging, sie mit wenigen herzlichen Worten bewillkommnete und sie bat, ihm eine unvermuthete Störung zu verzeihen, die sie Alle das Rollen ihres Wagens habe überhören machen.

Auch Anna wandte sich rasch der verehrten Frau zu und legte Leontinen aus ihren Armen an das Herz der Mutter, die, völlig arglos, dem ungeheuern Schlage, der sie treffen sollte, die heitere Stirne bot. Die Freude, ihre beiden Kinder wiederzusehen, wie sie die beiden jungen Frauen gern nannte, verblendete sie, der ganze peinliche Zustand ward nicht sogleich von ihr bemerkt, ja sogar dessen unwillkürliche Andeutung in ihres Bruders Worten vermochte nicht, sie aus dem Taumel von Glück aufzuschrecken, der sie beim Anblick der so lang entbehrten Theuern überwältigte. Sie hatte ja[65] die Tochter überraschen wollen, so fiel ihr nicht einmal deren lauter Aufschrei besonders auf, sie maß ihn dem freudigen Erstaunen bei.

Die Gewalt des Augenblicks beherrschte Aller Zungen; Niemand hatte den Muth, den schneidenden Schmerz sogleich in die freudeschlagende Brust Josephinens zu senken, deren Hände die nun auch hinzugetretene Sophie mit Thränen und Küssen bedeckte, deren Hals die herbeigestürmten Knaben jauchzend umklammerten und dann von ihr weg und dem eben erblickten Vater zuflogen, den sie bereits unten im Wagen vergeblich gesucht.

Victor Hugo hat so schön gesagt: das Kind sei der Engel im Hause. Die Freude der Kleinen legte ihren reinen Himmel auf die Gewitterschwüle dieser Stunde; ihr Jubel war so hinreißend, ihr Fragen nach allen mitgebrachten Schätzen, all ihr überwältigendes Schwatzen,[66] Kosen und Erzählen so lieblich, daß sie den Sieg davontrugen.

Erst als Josephine längst am Frühstücktische saß und plötzlich ganz unbefangen zu Annen sagte: Ich habe dir noch nicht gratulirt, zu Roderichs Avancement! Wenn ihr nach Wien kommt, wirst du Gelegenheit haben, deinem Hange zur Musik recht gründlich nachzugeben – da fiel das Unvermeidliche einer Erklärung wie ein Meteorstein aus klarer Luft Allen auf's Herz.

Niemand antwortete. Roderichs Züge umwölkten sich, krampfhaft verzogen sich seine Lippen zum Ausdruck eines fast hassenden Zorns – er gedachte Gotthards. Anna erbleichte. Die Zwischenzeit hatte indessen für jeden Einzelnen das Gute gehabt, daß Alle gleich deutlich empfanden: die Entdeckung des unseligen Geheimnisses müsse von Leontinen selbst ausgehen. Sie hatte die sie überkommene Schwäche bereits niedergekämpft; nur den Schmerz, den[67] sie ihrer Mutter geben müsse, fühlte sie in unsäglicher Qual. Auf einen fast gebieterischen Wink ließ man sie mit derselben allein.

Keine von Beiden hat je über diese entsetzliche Stunde gesprochen; weder Leontine, noch die Generalin haben je die Art und Weise der Enthüllungen berührt, die das schöne klare Leben der Letzteren mit einem nie wieder weichenden Schatten der Sorge überdeckten. Umsonst versuchte es Leontine jetzt und später, die Aussicht auf eine wahrscheinliche und baldige Lossprechung Jean Carlo's als tröstendes Licht in das plötzliche Dunkel fallen zu lassen, das sie selbst in der Mutter Seele geworfen, umsonst nannte sie ihr den Rang, erwähnte sie die bedeutenden Vermögensumstände ihres Gemahls. So viel Mühe sich die arme Mutter gab, der Tochter Loos nicht durch unnütze Vorwürfe noch trüber zu machen, so wenig vermochte sie, die gewohnte Fassung zu erringen – ihr Muth[68] schien plötzlich gebrochen. Theils war es das noch immer über Jean Carlo schwebende Beil des Henkers, das sie so entsetzte, theils mochten Erinnerungen an ihre früheste Jugend, an die Revolution und Waldau's Geschick ihr Gewicht an den ohnehin so schweren Augenblick hängen und die Elasticität ihres Wesens zerdrücken.

Als Leontine geendet und sie nicht mehr im Zimmer sprechen hörte, schlich Anna herein und mischte ihre Thränen mit denen, die langsam und schwer den starren Augen ihrer mütterlichen Freundin entrollten. Aber auch ihre zärtlichsten Worte vermochten es nicht, die Eisrinde zu schmelzen, die sich ertödtend über deren Züge und Herz gezogen. – Lange saßen alle Drei stumm und sinnend neben einander; ach, es ist etwas Furchtbares um dies endlose Herumwälzen eines räthselhaften Gedankens, dem Gott keine Lösung verliehen![69]


Roderich war sogleich zu Gotthard hinübergegangen, den er mit den Knaben beschäftigt fand.

Vergebung, Herr Graf! rief dieser, rasch aufspringend und Kronberg ehrerbietig entgegentretend, es wäre meine Schuldigkeit gewesen, Ihnen aufzuwarten; ich glaubte Sie aber noch bei den Damen.

Ein Wink des Grafen entfernte die Kinder. Sie wußten im Voraus um meine Ankunft? fragte er streng und kalt.

Ja, aber ich vermuthete sie minder bald.

Und konnten dennoch sie nicht erwarten, ohne vorher auf eine Art und Weise in die inneren Angelegenheiten meiner Familie, oder meines Hauses, einzugreifen, die, gestehe ich's Ihnen, so ungewöhnlich ist, daß man sie unbesonnen nennen muß.

Der Graf hatte sich in einen Lehnsessel geworfen, Gotthard stand ruhig vor ihm.[70]

Es ist mir lieb, Herr Graf, daß man Ihnen sogleich meinen Antheil an einer Sache ausgesprochen, die zu berühren, ich kein Recht hätte; es erspart mir eine Art Geheimniß, die mir drückend wäre. Doch gestehe ich, nicht geglaubt zu haben, daß dies Wagniß mir Ihren Tadel zuziehen könne; wenigstens nicht, insofern Sie selbst dabei betheiligt sind.

Ich bitte, fahren Sie fort, sagte Kronberg sehr vornehm.

Ich hatte am Morgen die Nachricht bekommen, daß ich die Ehre haben würde, der Gesandtschaft nach Wien vom Ministerium als Commissarius beigegeben zu werden, und daß Sie, Herr Graf, Ihr Diplom bereits erhalten; ich hatte bis dahin nur unter der Hand diese Nachricht und noch keine übernommene Verpflichtung; Sie, Herr Graf, waren schon Gesandter. – Mich dünkt, setzte er mit einer leichten Verbeugung hinzu, daß Sie selbst fühlen[71] müssen, daß mir ein innerer Zwang bereits gebot, die Interessen der Gesandtschaft, die ich begleiten soll, über die meinen zu stellen. Hier im Hause konnte nach Ihrer Ankunft der junge Mann weder verborgen bleiben, noch gefänglich eingezogen werden, so mußte er vor derselben Bern verlassen. Mir scheint, ich habe sehr einfach gehandelt; inwiefern Ew. Gnaden Familie dabei in's Spiel kommt, kann ich freilich nicht begreifen.

Erstaunt blickte der Graf den Hofmeister an. Woher kommt dem Menschen diese Sicherheit, dieser diplomatische Aplomb? Er biß sich in die Lippen, er war offenbar zu weit gegangen und Gotthard im Vortheil. Im Gefühl dieses von ihm verfehlten Schrittes ward er ärgerlich – im Ärger unbedacht, denn er setzte hinzu: Wenn, wie Sie sagen, das Interesse des Staates, dem wir nun beide angehören – er legte einen verbindlichen Ton auf die[72] letzten Worte – Ihre Handlungen bedang, wenn Sie eine allerdings mich compromittirende Verhaftung des jungen Mannes mir ersparen wollten, wozu, fuhr er sehr ernst und gebieterisch fort, mußten denn die Damen in's Spiel gezogen werden?

Sie hat ihm alles gestanden! sagte sich Gotthard, aber er blieb unerschütterlich, obschon das Herz ihm in den Halsadern schlug und ein heftiger innerer Zorn sein sonst so blasses Gesicht röthete.

Sophie, die Kammerfrau Ihrer Frau Gemahlin, wußte um das Geheimniß, erwiderte er kalt, so schien mir es der Anstand zu erfordern.

Weiß er, wen er uns gerettet oder nicht? fragte sich der Graf. Hat Jean Carlo geschwiegen? –

Uebrigens, fuhr Gotthard fort, konnte die ganze Sache mislingen und ich selbst gefänglich[73] eingezogen werden, auf diesen Fall wünschte ich meine Ehre gesichert und meine Papiere, die ich versiegelt der Frau Gräfin übergab, in besserem Gewahrsam, als sie in meinem Zimmer es sein konnten.

Diesen Umstand hat sie mir verschwiegen! dachte Roderich. Und bei meiner Frau, bei einer Dame, glaubten Sie dieselben gesichert?

Sie waren nicht der Art, der Frau Gräfin irgend einen Nachtheil bringen zu können –

Aber, unterbrach ihn der Graf, mit immer steigendem Ärger, ich werde dennoch nie begreifen, wie Sie hierin irgend ein Verhältniß zu meiner Nichte ahnen konnten?

Ahnungen begreift man wol überhaupt nicht, erwiderte Gotthard fast lächelnd, aber in durchaus höflichem Tone.

Der Graf stand auf, ging erst eine Weile im Zimmer auf und ab und stellte sich dann an's Fenster. Er bemerkte drüben seine Frau,[74] die noch auf Leontinen wartete und in unbeschreiblicher Traurigkeit still vor sich hinblickte. Das verstimmte ihn noch mehr. Ich bitte Sie, Herr Gotthard, mir aufrichtig zu sagen, was Sie von dieser unglücklich-unklaren Geschichte wissen; die ganze Sache greift so traurig in unser Aller Dasein ein.

In Ihr Dasein? rief Gotthard erbleichend. Mein Gott, da liegt vielleicht ein zweites Geheimniß vor, dessen Fäden ich unbewußt erfaßt! – Ich halte den jungen Mann für geborgen. Durch besondern Zufall hatte ich den Paß eines verstorbenen Landsmannes, eines Architekten, der am Tage vor seiner Abreise von hier plötzlich erkrankte und verschied, er war mit mir vom Rhein hergezogen. Das Signalement paßte ungefähr, es mußte auch dem Glücke etwas zu thun übrig bleiben. Geld hatte der Graf. Ich war über des Nachbars Dach zu ihm geklettert, weil er auf mein wiederholtes[75] Pochen an seine Kammerthür nicht öffnete und ich nicht Madame Sophiens Losungswort wußte. – Als ich an's Fenster klopfte, entschloß er sich endlich, mich zu hören, ließ mich aber nicht sogleich ein, sondern begann unsere nähere Bekanntschaft damit, mir ein Pistol auf die Brust zu setzen.

Den Teufelskerl amusirt die Gefahr! dachte Kronberg und seine Jugend flog ihm wie eine Lichtwolke vorüber.

Gotthard erzählte fort: Allmälig überzeugte ich ihn; wir verständigten uns, ich stieg durch's Fenster zu ihm ein; er gab meinen Gründen nach. Einen Hausschlüssel hatte ich, und wir verließen vor Tagesanbruch zusammen das Haus und er – die Stadt.

Und, fragte Roderich, und – er sagte Ihnen, wer er sei?

Gotthard zögerte einen Augenblick, dann[76] erst antwortete er: Allerdings; es war der Jüngere der beiden Grafen Viatti.

Und wie erfuhr meine Nichte –?

Er schrieb ihr; ich machte die Aufschrift und legte das Blatt in die Stadtpost.

Und Sie wußten, daß ein Preis auf seinem und seines Oheims Kopf steht?

Wenn ich das nicht gewußt, was hätte mich dann vermögen sollen, meine eigne Existenz zu gefährden?

Herr Gotthard, sagte der Graf kurz, das Alles hätten Sie für mich als Gesandten gethan?

Gotthard ward todtenblaß, die directe Frage überwand ihn, er war nicht darauf gefaßt.

Kronberg maß ihn von Kopf zu Fuß; in den Triumph des mühsam errungenen Sieges mischte sich das Gefühl einer undeutlichen Qual und eines sich steigernden stolzen Widerwillens, er sprach nun sehr besonnen: Und wenn die[77] Sache mislang, junger Mann? Und wenn Ihr unbedachtsam rascher Schritt den Grafen Viatti, dessen Verhältnisse nicht zu kennen Sie vorgeben, auf's Schaffot gebracht hätte, was dann? – Mit ihm sterben? Davon konnte keine Rede sein, ich mußte Sie retten, und hätte ich Sie für wahnsinnig ausgeben müssen, und hätte Sie gerettet; aber – brachte Sie das Ihrem phantastischen Ziel auch nur um eine Linie näher? Welche fabelhafte Brücke hofften Sie aus diesem Wagstück sich zu erbauen? Von der Sonderbarkeit des Mittels, sich bemerklich, ausgezeichnet oder gar vorgezogen zu machen, wollen wir gar nicht reden!

Jetzt verstand Gotthard wirklich nicht. Langsam wiederholte er: Bemerkt? vorgezogen? – Hatte denn der Graf eine Ahnung, einen Verdacht? Ihn überschlich eine schneidende Eiseskälte, die sein Blut erstarren machte. Er schwieg.[78]

Es sollte mir unsäglich lieb sein, nahm Kronberg das Wort, wenn Sie mich wirklich nicht verständen!

Und doch, erwiderte der junge Mann, muß ich nun um eine Erklärung Sie ersuchen. Vor etwa vier Wochen begegnete Professor Schulz zuerst auf der Treppe Ihrer Etage dem Grafen; dasselbe geschah mir wenige Tage darauf bei einem Auflauf in der Gasse, den die Arrestation einiger Carbonaris veranlaßte; es ward mir nun die Gewißheit, daß mehre Mitglieder Ihres Hauses um seinen Aufenthalt in Bern wußten und vielleicht auf unvorsichtige Art denselben zu verbergen suchten. Eine Woche später, im Augenblicke der wiederholten Bekanntmachung einer sehr geschärften Fremdenordnung, die ihm die Flucht abschnitt, entdeckte ich sein Versteck. Gestern erfuhr ich Ihre Rückkehr und Ernennung zum Gesandten in Wien; es war leicht, die Unannehmlichkeiten zu[79] errathen, welche Ihnen aus dieser Angelegenheit entstehen mußten. Die Verhältnisse, in denen Graf Viatti hier im Hause stand – oder mir zu stehen schien.

Also wußten Sie es doch?

Ich erwähnte ja wol schon, daß ich Sophiens Worte: ce n'est pas lui! zufällig gehört. Mir schien die einzige Lösung aus einem Gespräch mit ihm erwachsen zu können; ich bat ihn um Offenheit und gestand ihm, daß ich selbst –

Wie? Sie wagten? – Doch freilich, Sie wollten ihn retten! Aber um welchen Preis? (Also weiß er's nicht! setzte er innerlich hinzu.)

Um welchen Preis, Herr Graf? Jetzt verstehe ich in der That gar nicht – was wollen Sie sagen? Darf ich bitten –

Mein Gott, Sie sagen ja selbst, daß Sie ihm Ihre unsinnige Schwäche bekannt, und ich sehe, daß er diesen Wahnsinn benutzt hat. Es[80] begreift sich allenfalls, was konnte ihm am Ende eine solche Rivalität schaden!

In diesem Augenblick verwirrten sich Gotthards Ideen wie vorhin die des Grafen, er hielt den Uebergang für eine Falle; daß Kronberg während des ganzen Gesprächs vorausgesetzt, Gotthard habe eine Neigung zu Leontinen gefaßt und deshalb ihn mit allem Stolze seines Ranges und seiner bisherigen Stellung behandelt, fiel ihm nicht entfernt ein. Er wurde verlegen und fand nicht sogleich eine Antwort.

Da es jetzt auf die Möglichkeit unseres Beisammenseins ankommt, da ich nur höchst ungern die Carrière eines talentvollen jungen Mannes störend unterbrechen möchte, so erlauben Sie mir schließlich noch eine Frage. Haben Sie je gewagt, sich auszusprechen? – irgend Jemanden eine Thorheit einzugestehen – die – weiß Leontine?[81]

Das Fräulein? Wie kann ich das wissen, Herr Graf!

Nun, jedermann weiß doch, ob er sein Gefühl verräth. Haben Sie irgend Gründe zu glauben, daß das Fräulein Ihre Leidenschaft errathen hat?

Ich? eine Leidenschaft für das Fräulein? – Gotthards Augen wurden starr, er sah blaue und rothe Funken und keinen äußeren Gegenstand mehr.

Und für wen denn sonst? fragte der Graf.

Beide Männer schwiegen; sie standen plötzlich als Todfeinde einander gegenüber. Hier konnte kein Wort mehr ausgesprochen werden.

Wie bei vielen Männern, deren Eitelkeit an die Stelle einer Herzensforderung tritt, war in Kronbergs Seele ein wunder Fleck: das instinctmäßig errathende Gefühl, von seiner Frau nicht eigentlich geliebt zu sein. Der Quell dieser schmerzenden Empfindung war zugleich der[82] eines stolzen Verbergens seiner geheimen, nagenden Eifersucht; lieber würde er Annen einem Abgrund von Schuld und Reue zugeschleudert haben, als daß er jemals diese Schwäche einer Leidenschaft eingestanden hätte, deren Äußerung er auf's Tiefste verachtete.

Nach diesen Andeutungen wird man begreifen, wie er nach kaum minutenlangem Schweigen, ohne weiteren Uebergang, sogleich mit Gotthard von den Kindern zu reden begann, deren so höchst vortheilhafte Entwicklung er dankbar pries und zugleich sein höchstes Bedauern darüber aussprach, daß die neue Lebenswendung Gotthard natürlich nicht mehr erlauben werde, sich ferner mit der Erziehung derselben zu befassen, da ernstere und höhere Pflichten es ihm von jetzt an unmöglich machen müßten. Glauben Sie mir, schloß er im wohlwollendsten Tone, daß ich die Größe dieses Verlustes für meine Knaben schmerzlichst zu schätzen[83] weiß. Indessen wäre es Thorheit, daran auch nur zu denken.

Gotthard stiegen die Thränen in die Augen. Er fühlte sich mit einem Male aus jedem Zusammenhange mit der Geliebten losgerissen, er empfand den trennenden Schnitt, der die Bande des heiligsten Vertrauens zwischen ihnen löste, er sah sich auf eine ganz einfach herbeigeführte Weise gewaltsam aus dem Hause in's Weite hinausgestoßen, verbannt; und doch geschah das Alles so natürlich; die Kinder, die seinem Herzen so nahe standen, mit deren Interesse jede Faser ihres Lebens ihm verwachsen schien, sah er durch ein einziges Wort sich geraubt – er vermochte keine Erwiderung zu finden.

Möchten Sie, junger Freund! fuhr Kronberg mit fast väterlicher Güte fort, seine schöne Gestalt hoch aufrichtend, indem er jetzt mit jeder Sylbe eine größere Herrschaft über sich errang, möchten Sie jede neue Lebensstellung so[84] zu Ihrem Vortheil einnehmen, jede Forderung so völlig genügend erfüllen, als dies bei uns geschehen ist. Ich dringe nicht in Ihr Geheimniß in Bezug auf den Grafen, ich bitte Sie Ihrerseits, nicht erforschen zu wollen, welche Verpflichtung die Meinen hatten, ihn zu retten. Nehmen Sie meinen Dank für das, was Sie, wie ich jetzt einsehe, im Einklang mit unsern Empfindungen, ohne Kenntniß der näheren Umstände gethan. Sie haben, obschon unvorsichtig, dennoch edel gehandelt, und ich freue mich, Ihnen dies als Ergebniß unseres langen Gesprächs sagen zu können. Er wandte sich, freundlich mit der Hand grüßend, der Thüre zu.

Gotthard eilte ihm nach und versuchte dem fast an der Schwelle Stehenden auseinanderzusetzen, daß er wenigstens die Oberaufsicht über der Kinder Unterricht und den ferneren Gang ihrer Bildung für's Erste sich zu erhalten wünsche, und daß eine Stellung, wie[85] die ihn erwartende, unmöglich seinen ganzen Tag in Anspruch nehmen könne. Er sprach beklommen.

O, bester Herr Gotthard, sagte lachend Kronberg, Sie kennen Wien nicht und möchten sich einen Atlas von Unbequemlichkeiten und Unthunlichkeiten aufbürden. Nein, nein; seien Sie überzeugt, daß ich und die Gräfin, die natürlich ganz einverstanden mit mir ist – Gotthard wurde wieder todtenbleich, der Graf sah es, aber kein Zug des triumphirenden Gesichts verrieth ihn – Niemanden lieber die Leitung der Erziehung unserer Kinder überlassen möchten; aber Sie werden bald sehen, daß es unmöglich ist.

Apropos, fuhr er fort, indem er die Hand auf den Drücker legte, Sie werden wohl thun, nach Berlin zu eilen, um sich den Herren dort zu präsentiren. Eigentlich wollte ich Ihnen das gleich sagen und vergaß es; ich wünschte aber,[86] Sie reisten spätestens morgen früh, damit Sie mit uns zugleich in Wien eintreffen, am achten werde ich dort sein.

Als sich die Thüre hinter ihm schloß, stürzte Gotthard mit einem lauten Schmerzensschrei auf das Sopha und barg sein Gesicht tief in die Kissen – ihm war wie nach einer furchtbaren Operation, oder als sei ihm das Herz aus dem Leibe gerissen, als dehne sich das lange leere Leben unabsehbar weit aus vor ihm zu einer Ewigkeit der Pein und des Hasses. In diesem Augenblick hätte er kalten Blutes den Grafen zu ermorden vermocht.

Sie sehen! sie sehen, noch einmal sie sprechen! Keine Erdengewalt, kein Gottesfluch, kein Himmel und keine Hölle hätten ihn in dem Vorsatze wanken gemacht.

Er ging entschlossen und fast ruhig hinüber, denn wenn Leidenschaft und ein unerschütterliches Wollen zusammenstoßen, entsteht eine wunderbare,[87] dämonisch über dem Leben schwebende Ruhe; er ging geradezu zu Sophien und ließ sich bei der Gräfin melden.

Und er sah sie. Welche höhere Natur hätte nicht im Leben eine solche Gipfelstunde höchster Qual und höchster Seligkeit gehabt, die ihr den Maßstab zu leihen vermöchte für die Minuten dieses wieder einander Gegenüberstehens.

Anna hatte fürchterlich mit sich gerungen, um sich den Vorsatz abzuzwingen, ihm Leontinens Vermählung zu verschweigen. Als sie ihn sah, drang ein solcher Strom der klarsten Lebenswahrheit in ihr Herz, daß sie nicht entfernt daran dachte, ihm irgend etwas zu verbergen. Als er von ihr ging, hatte er ihr ausgesprochen, daß er sein Leben ihrer würdig machen werde. Was Beide einander eigentlich gesagt, wußte keines von ihnen, es tönte kein einzelnes Wort ihnen nach von dieser Unterredung; was sie von einander wußten, war wie[88] ein ursprünglich Angeborenes in die tiefste Tiefe ihrer Seele gesunken.

Als Gotthard aufstand, um zu gehen, fiel ein unermeßlicher Schreck, wie eine erdrückende Gewalt auf Annens Geist; sie starrte ihn sprachlos an und streckte unbewußt die Hand aus, als wolle sie ihn halten. Er faßte diese weiche Hand und küßte sie sanft. Gräfin, sagte er, die Augen fest in ihr Herz schlagend, als sollten sie auf ewig darin wurzeln, Sie haben einmal gefragt, ob ich ein lebenslanges Verstehen und Festhalten des Herzens zu begreifen, zu glauben vermöchte? Was der Mensch in das erwidernde Wort zu legen vermag, ist wenig – er ist ein Bettler, wenn er spricht, ein Bettler, der sich mit geborgten Lumpen kleidet, die seiner Seele nicht passen – dennoch habe ich geantwortet, weil Sie fragten. In dieser Stunde, die mich von Ihnen bannt, und doch zum ersten Mal, das fühle ich jetzt mit[89] überraschender Gewalt, mich Ihnen frei gegenüberstellt, lassen Sie mich Sie auf die Antwort verweisen, die Ihnen mein Leben geben wird. Er schwieg einige Secunden, um das Beben seiner Stimme zu bemeistern, und wie eine plötzliche Jugend überflog die himmlische Schüchternheit der Liebe seine Züge, eine weiche, schmerzliche Zaghaftigkeit verwandelte den festen Mann wie durch Zauber zum Jüngling. Der Laut haftete fest auf den zögernden Lippen; endlich entrang sich ihnen ein leises, kaum hörbares: Leben Sie wohl! vergessen Sie nicht, daß ich meines Daseins Blüte und Frucht auf Ihren Weg gelegt, nicht als ein Opfer, o nein, – er schlug die Augen aufwärts, aber ohne den Muth, sie anzusehen, blickte er nur vor sich hin, in die Weite des blauen Himmels – nur als Ihr Eigenthum!

Was wollte denn Herr Gotthard? fragte eintretend der Graf.[90]

Seine Papiere holen und mir Lebewohl sagen.

Kronberg bemerkte das convulsivische Zittern ihrer Stimme sehr genau. Er schwieg, setzte sich aber zu ihr auf's Sopha und blieb den ganzen Abend bei ihr. Sie sprachen von gleichgültigen Dingen; selbst Leontinens schwer bedrohtes Geschick wagte keines zu berühren. Josephine und ihre Tochter schrieben an Geiersperg.

Kronberg war entsetzlich aufgeregt, er litt tausendfache Qualen; mit angespannter Kraft beherrschte er jeden Blick, jedes Wort. Seine frühere Liebe für Anna war momentan erwacht in all ihrer Stärke; das Recht auf ihren Besitz, die Willenlosigkeit, mit welcher sie jeden Ausdruck desselben ertrug, und der ihm ganz fremde Anblick der Leidenschaft in diesen Augen, die für ihn stets nur Wohlwollen, Güte, einen freundlichen Blick gehabt, in jahrelangem Beisammensein, in jahrelanger Hingebung, drangen[91] wie ein zweischneidiges Schwert in sein Herz. Roderich war eine heftig sinnliche Natur, aber poetisch dabei, poetisch und verfeinert bis zur Selbsttäuschung, umkränzte er den Becher des Genusses mit den Rosen der Phantasie. Wo keine Liebe ihm entgegenlachte, nahm er den Schein derselben in willkürlicher Uebertreibung dafür hin, aber er war dennoch viel zu klug, um die gewaltige, durchleuchtende Wahrheit des Daseins einer solchen Liebe, wie er sie empfunden zu haben wähnte und vergeblich in seiner Frau gesucht, in ihrer strahlenden Gegenwärtigkeit, in der ihn marternden Realität, die seine Eifersucht so peinlich stachelte, zu übersehen.

Es wird vorübergehen! sagte sich seine Eitelkeit. Aber was ist's? Sein Äußeres? – er hatte das Gefühl, schöner zu sein, als Gotthard – also seine Jugend! – In dieses Analysiren ihres Gefühls mischten sich ihm die heterogensten Empfindungen des Stolzes, einer[92] misachtenden Erinnerung an Annens frühere, denen Gotthards ähnliche Verhältnisse und ihrer Anhänglichkeit an dieselben mit der ihn vernichtenden Angst vor einem möglichen Ridicule.

Gegen Abend stürzte Egon, in Thränen gebadet, in's Zimmer und an Anna's Brust. Mutter! Mutter! laß mich mit Herrn Gotthard gehen, bei ihm bleiben!

Herr Gotthard kommt wieder, sagte Anna weich.

Ja, aber er wird in einem andern Hause wohnen, fuhr der Knabe fort, und uns keine Stunden mehr geben. Ich mag keinen andern Lehrer, wir wollen Beide mit zu Herrn Gotthard gehen.

Und Vater und Mutter verlassen? fragte Kronberg streng, indem er den Arm des Knaben ziemlich hart ergriff.

Du thust mir weh, Papa! schluchzte das Kind, ich will dich und Mama alle Tage besuchen;[93] aber ich kann nichts lernen ohne Herrn. Gotthard; und wer soll mit uns gehen und uns alles zeigen? Laß mich mit ihm, Vater!

Kronberg schleuderte zornig den weinenden Knaben von sich, der wieder hinüberlief.

Herr Gotthard scheint eine Art Hexenmeister, sagte er scharf und kalt; ich hasse dergleichen Uebertreibungen. Hast du dich denn gar nicht um die Kinder bekümmert, daß diese Albernheit so tiefe Wurzeln schlagen konnte?

Herr Gotthard ist dieser Liebe völlig werth, erwiderte Anna stolz; er hat unsäglich viel für die Kinder gethan.

Roderich lächelte verächtlich. Diese Magnetiseurs-Eindrücke sind de mauvais goût. Ich bin ganz froh, den Menschen los zu sein, obwol er ein vortrefflicher Arbeiter scheint und mir in Wien von bedeutendem Nutzen sein wird.

Mit großer Anstrengung hatte er dem Anfang[94] seiner Phrase das Ende angeknüpft. Er verließ das Zimmer.


»Ich vermag es kaum mehr, an die Wirklichkeit meines Glückes zu glauben, lieber Otto!« schrieb Vrenely. »Seit Anna und Leontine und Alle fort sind, ist mir, als habe mir nur wunderschön von dir geträumt, wie in den ersten Wochen unserer Bekanntschaft, wo ich kein Auge schloß, ohne dein liebes Gesicht sogleich vor mir zu sehen. Es kam Alles so entsetzlich schnell. Die Generalin und meine Leontine schien ein mir unverständlicher, tiefer Gram zu beugen; auch Anna hat grausam gelitten. Ich ahne wol einen Theil, doch nicht den ganzen Umfang ihrer Schmerzen; aber wenn ich die edle Frau und ihre Verhältnisse betrachte, muß ich die Augen niederschlagen, sie steht so einsam mitten unter den Ihren; – wie ist mir[95] doch das Glück, einem vollen Blütenkranz gleich vom Himmel auf die Stirn gefallen!

Du könntest Annen noch in einem der Nachtquartiere sehen, da sie der Pferde wegen so gar kurze Tagereisen machen; jedoch das Alles schreibt sie dir selbst – ich möchte dich nur leise bitten, dir die Freude nicht zu versagen, meint' ich nicht, dein liebes Herz sei der beste Berather. Ach, mein Otto! ich möchte um die Welt nicht, daß du Annen jemals vergäßest, kann ich gleich nicht recht ausdrücken, warum.

Laß uns vereint unsre Kraft anwenden, ihr den dornenreichen Weg zu erleichtern – diese Wege über die sogenannten Höhen des Lebens sind so öde, so traurig! Man verarmt im Steigen und verliert alle Kleinode und Blütenschätze, die man in den stillen Thälern errungen; sie haben den Glanz und das Eis unserer Alpenpfade, aber sie scheinen mir gefährlicher[96] und grausamer, als unsere Gletscher mit all ihren drohenden Schrecken.«

Es war ein trüber, kalter Samstagsmorgen, als Otto dies und Annens Abschiedszeilen erhielt. Er hätte hin gekonnt; er ließ sich ein Pferd satteln und ritt es auf halb ungebahnten Wegen todtmüde, übernachtete in einer Dorfschenke im Gebirg und kehrte erst am Sonntag, Abends, spät nach Basel zurück, als ihn die Montags-Collegien zwangen, jeden Gedanken an ein nochmaliges Wiedersehen – wieder Scheiden Anna's aufzugeben.

Nach vierundzwanzig Stunden lag er an einem nervös-rheumatischen Fieber darnieder; doch seine kräftige Natur überwand es bald. Er stand auf, ermannte sich gewaltsam, las seine Collegien, arbeitete im Laboratorium und lebte so von einem zum andern Tage.

Vrenely hatte entsetzlich gelitten durch sein Schweigen, aber nicht zum zweiten Male geschrieben.[97] Endlich schrieb er ihr auch, daß er krank gewesen, Annen aber erwähnte er mit keinem Worte.

»Ich danke dir«, schloß sein Brief, »damit begann mein Verhältniß zu dir, damit laß mich fortfahren bis zum Ende. Ich danke dir, daß du bist, wie du bist, daß du mich kennst und mich verstehst. Vertraue mir ferner und laß mich gewähren, reden, schweigen, wie es das Herz in mir verlangt; auch ohne Laut, Theuerste, wird es dem deinen immer antworten.«


Balsamisch weich legte sich das Frühjahr auf die ermüdete, aus manchen Wunden noch blutende Erdenwelt; im größeren Theile Europa's war eine momentane politische Ruhe eingetreten; in Wien bereitete sich König Johanns Uebergabe des brasilianischen Throns unter den[98] Diplomaten vor; in der Gesellschaft wogte das gewohnte Kunst-, Liebes- und Intriguenwesen wie immer. Es war noch früh im Jahr, im Salon war es noch Winter, draußen jubelten die Lerchen auf, die goldnen Sonnenstrahlen küßten die Blütenknospen der Veilchen, Marien- und Sternblümchen wach. Seit den auf den vorigen Seiten erzählten Ereignissen war über Jahr und Tag vergangen. Die Einzelnen des früher in Bern versammelten Kreises waren auseinandergerissen, andere neue Glieder an deren Stelle in der Kette jener scheinbar so eng verbundenen Existenzen eingefügt, das Wechselspiel des Lebens hatte in mancher Beziehung sein Recht geltend gemacht.

Anna's Herz war nicht heiterer geworden; gleichgültigen Auges sah sie auf die belebten Straßen und glänzenden Equipagen, auf das anmuthig-laute wohlhäbige wiener Volksleben nieder, das durch dieselben hinwogte und an[99] welchem ihr leichter Wagen sie vorübertrug. Sie hatte nach beendeten Ferien ihren Egon in sein Institut zurückgebracht – nun war es wieder leer um sie, wohin sie auch blickte.

Jetzt fuhr eine glänzende Stadtequipage heran. Anna schreckte zusammen und entfärbte sich, ihr Blick ruhte eine Secunde lang fast ängstlich auf den spiegelhellen Scheiben des Wagenfensters, es ward rasch niedergelassen. Kronberg grüßte sie freundlich – verbindlich, fast wie ein Fremder – und sie flogen einander vorüber.

Als sie in ihr Cabinet trat, um vor der Soirée noch ein Stündchen zu ruhen, saß ihr alter invalider Freund St. Luce bereits in demselben. Sie schon hier, lieber General? Das ist freundlich von Ihnen, daß Sie mich erwarteten, sagte sie leichthin.

Sie wissen, verehrte Freundin, daß ich mich gar nicht gern so rottenweise mit dem ganzen[100] Trosse Ihrer Anbeter zugleich begrüßen lasse, erwiderte er, indem er ihr seine einzige Hand bot – ihm fehlte ein Arm – auch habe ich auf ein Plauderstündchen in Ihrem Boudoir gerechnet, wenn Sie nicht noch Toilette machen.

Nur eine fertige Coiffure drücke ich mir auf den Kopf; ich bin sogleich wieder bei Ihnen. Sie verschwand durch eine Seitenthür und kehrte nach wenigen Minuten im schwarzen eleganten Gesellschaftskleide und dem zierlichen, ebenfalls schwarzen, Aufsatz zurück. Nun, General! was haben Sie mir Neues mitgebracht?

Une pensée, erwiderte lachend der Gefragte, und zwar in Stiefeln und Sporn. (Das Gespräch wurde französisch geführt.) Ich sagte besser noch auf deutsch: »ein Vergißmeinnicht!« ich habe den ehemaligen Besitzer Ihres Posthörnchens, Ihren Monsieur August, aufgefunden.[101]

Ach! Sie sind wahrhaftig eine Art Hexen-Schatzgräber und höchst glücklich im Finden.

Dies Mal nicht ganz. Rathen Sie einmal, wer es ist?

Wie kann ich, lieber General!

Mein alter Bediente und ehemaliger Reitknecht August, der mich seit zwölf Jahren nicht verlassen hat, und dem unzählige Mal die Gnade geworden, Ihnen in oder aus dem Wagen zu helfen!

Ist's möglich? das freut mich ungemein. Aber daß mir das nie geahnt!

Zwölf Jahre ist der alte Kerl in meinem Dienst, ihm fehlt glücklicherweise nur der Gebrauch des linken Armes; aber das Ding bammelt ihm noch zur Seite, er hat nicht, wie ich, blos einen armen Stummel aufzuweisen – kurz, wir helfen einander eben aus; das Schicksal hat uns ja Beide auf einem Felde in einer Stunde getroffen. Zwölf Jahre schweigt[102] der Narr, und heute, erst heute, erzählt er mir, daß er die Frau Gräfin, wie er Sie par excellence nennt –

Das ist eine Artigkeit für Sie, General! weil Sie mir die Cour machen!

Es war eine bis heute, wo er mir sein älteres Recht, Sie zu verehren, bewiesen.

O, schicken Sie mir ihn, lieber Freund! sagte Anna innig und weich, ich bin ihm noch ein Gegengeschenk schuldig. Sie zeigte auf eine kleine Uhr über ihrem Schreibtische, an welcher die ihr von August geschenkte Berlocke hing. Leider ist Monsieur August ein Prophet gewesen, und das Posthorn bläst die obligate Begleitung zu allen Hauptmelodien meines Lebens.

Wissen Sie auch warum?

Vermuthlich, weil ich nicht mehr gern reise und allzugern gereist habe. Was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle.[103]

Geht noch, das Alter zu ertragen, wenn man sechsundzwanzig Jahre zählt.

Sie müssen nun nicht mehr so bestimmt von meinem Alter sprechen, General! nicht eher, als bis mein ältester Sohn erwachsen ist, dann bin ich nach Ihren französischen Grundsätzen der Galanterie stets ein Jahr älter als er, also positiv jünger, als jetzt. Aber was meinen Sie wegen der Prophezeiung?

Daß Sie uns schwankenden, unsicheren Naturen das Bild der Stabilität in der ewig wechselnden Umgebung zu geben bestimmt sind – Sie bleiben überall Sie selbst. Er sah sie mit tiefem Wohlwollen an, es überflorte eine Art Wehmuth seine heitere, mit Narben verzierte Stirn.

Sophie brachte auf einem silbernen Präsentirteller ein Paar weiße Handschuhe, ein Batisttaschentuch und Trauer-Armbänder von Lava. Anna reichte ihr den wunderschön geformten[104] Arm, um dieselben zu befestigen; St. Luce sah mit heimlich vergnügter Bewunderung zu, aber er wagte kein Wort. Noch immer in Trauer? fragte er endlich.

Kronberg fürchtet die Todten nicht, erwiderte Anna schwermüthig, nur die Lebenden sind ihm – unbequem.

Ist Ihr Bruder noch in Wien?

Leider!

Kann ich etwas für Sie thun?

Sie schüttelte traurig das Haupt. Morgen, lieber Freund! jetzt muß ich mir die Augen hell erhalten. Sophie hat das Zeichen zum Aufbruch gegeben. Ihren Arm, General!

Sie traten in den Gesellschaftssaal und fanden dort bereits einige Herren versammelt, die der Gräfin Ankunft erwarteten. Bald vergrößerte sich der Kreis; Duguet machte den Maître d'hôtel und führte die Aufsicht über eine glänzende zahlreiche Dienerschaft. Es war[105] eine Reihe Zimmer geöffnet, in der eine sehr verschiedenartige Menge sich hin und her bewegte, denn die Gesellschaft war keine besonders für diesen Abend eingeladene, sondern einer der gewöhnlichen Empfangstage der Kronbergs hatte den bunten Kreis gebildet. Anna machte unvergleichlich die Honneurs, sie vergaß Keinen, hatte für Alle Blicke, Worte, Aufmerksamkeit; sie störte keine einzige Coterie, keine partie carrée, keine Unterhaltung Zweier, die unter funfzig Menschen allein zu sein glaubten; sie übersah keinen von Langeweile Bedrohten, kein erstes Auftreten, keine schüchterne Unsicherheit, und that das Alles so leicht, so ganz ungezwungen natürlich, daß jedem Einzelnen war, als bescheine gerade ihn die Sonne ihres Wohlwollens. Die jungen Männer umdrängten sie mit ungeheuchelter Bewunderung, die hübschesten Frauen vergaben es ihr; nur konnte Niemand von ihnen begreifen, daß sie,[106] die so allgemein Ausgezeichnete, kein einziges der ihr von allen Seiten gebotenen Herzen annahm, daß man nirgends die Anknüpffäden eines werdenden Verhältnisses gewahrte, obschon ihr aus manchem Auge mehr als gewöhnliche Theilnahme entgegenleuchtete, obschon unter dieser Männerschar mehre einer mühsam gezügelten Glut der Leidenschaft für sie beschuldigt wurden; die anmuthige Frau nahm das Alles hin, als müsse es so sein, es überraschte sie nicht, – vielleicht war ihr darum auch gar nichts gefährlich.

St. Luce schien in ihre Nähe gebannt, er hing an ihrem Auge, am flüchtigsten Ausdruck ihrer Züge; er bewachte sie wie ein geliebtes Kind und suchte den kleinsten ihrer Wünsche zu errathen. Es hatte etwas seltsam Rührendes dies stille um sie Hergehen ohne allen Anspruch. Er stand noch im kräftigen Mannesalter, aber die schweren, schlecht geheilten Wunden, der bei[107] Montmartre zurückgelassene Arm, das steif gewordene, gelähmte Bein hatten ihn fast zum Greise gemacht, sie ließen ihn um zehn bis zwölf Jahre älter erscheinen, als er war. Daß ihn ein sehr warmes Freundschaftsgefühl zur schönen Deutschen hinzog und ihn an ihre Schritte fesselte, ließ sich leicht bemerken, doch lag in der sonderbar verlassenen Stellung der jungen Gräfin eine wunderliche Entschuldigung; daß sie eines führenden Arms, eines freundlichen Beachtens bedürfe, sah Jedermann, und somit schien die Wahl des ältesten ihrer Verehrer zum steten Begleiter ihr nur den allgemeinen Beifall sichern zu können.

Seit vielen Monaten schon stand Anna wirklich allein in der Gesellschaft, wie im Leben. Ohne das Gefühl einer ihn peinlich nagenden Eifersucht verloren zu haben, hatte Roderich damit begonnen, ihr eine volle, ja vielleicht übertriebene äußere Freiheit aller Handlungen[108] gewaltsam aufzudringen. Nach und nach hatten sich dem heimlichen Ingrimm dieser sorgfältig verhehlten Leidenschaft noch andere Gründe zugesellt, seine Frau auf eine Weise zu vernachlässigen, die weder mit seiner öffentlichen Stellung, noch mit den damaligen wiener Gewohnheiten und Sitten der großen Welt im Einklange stand, so leicht dieselben auch waren.

Daran thut er indessen nicht besonders Unrecht, sagte Baron Luthbert; man kann doch wahrhaftig nicht Zeitlebens in seine eigene Frau verliebt bleiben! Und übrigens ist ihr alter Verehrer St. Luce auch nur – eine Uebergangsperiode.

Die kleine Capacelli ist allerliebst! Man sagt, Kronberg wird sie gar nicht wieder auftreten lassen.

Ganz gut, erwiderte Herr von Feldenau, aber man muß die Dehors beobachten! Daß[109] er die Sängerin in seiner eigenen Equipage fährt, ist unverantwortlich, er kann ihr ja ihren besondern Wagen halten!

Sie meinen, weil sie keine Frau von Stande ist?

Ja, schauen's, mein bester Baron, Verhältnisse der Art wird es geben, so lange die Welt steht. Aber jede Dame aus unserem Kreise kann uns die Gnade erzeigen, unserer Equipage sich zu bedienen, das fällt nicht auf, da ist nichts dagegen zu sagen; aber so ein hübsches Weibchen sie ist, die Capacelli – Das Gespräch ging in leises Flüstern über. Ach, was, sagte endlich Luthbert, wir haben es Alle nicht besser gemacht!

Es schlug zehn Uhr; Kronberg trat eben mit einigen Herren vom Diplomatencorps in den Saal. Die Theater waren zu Ende, die Gesellschaft vergrößerte sich und wurde lebendig. Es ward Musik gemacht und in einem Nebensaal tanzten die jungen Leute.[110]

Nein, sagte eine schöne blasse Frau mit tief blauumringelten Augen, ich mag dies kalte Feuer nicht; man hat keinen solchen Blick ohne innere Empfänglichkeit! Die Gräfin Kronberg spielt Komödie und täuscht uns Alle; ich mag dies Andersscheinen, als man ist, nicht.

Mein Gott! erwiderte ihre Nachbarin, sieht denn Niemand, daß diese arme Frau nur kalt scheint, weil sie an innerer Glut zusammenbricht?

Die Meisten sehen es wirklich nicht; ich möchte aber das Zauberwort kennen, das ihr inneres Leben löst, ich lese es auf keiner dieser Stirnen.

Geben Sie Acht, da ist er! bemerkte hinter ihnen eine Stimme.

Aus der Thüre des Nebensaals trat Gotthard! sein fragender Blick suchte Annen.

Ein interessanter Kopf! sagte die blasse Frau. Wer mag das sein?

Gotthard war eine halbe Stunde früher von Berlin zurückgekommen, wo er mehre Monate[111] zugebracht. Kronberg hatte Annen noch gar nicht wieder gesprochen und ihr folglich kein Wort von dessen Ankunft gesagt. Mitten in der ernstesten Unterhaltung mit einigen Koryphäen jener Tage hatte er den Kopf so gewendet, daß er Beide beobachten konnte.

Gotthard sah es im Spiegel; aber er hatte sie drei volle Monate nicht gesehen, seine Züge drückten das Aufjubeln seines Herzens aus. Anna's Gesicht überflog ein brennendes Roth. Beide grüßten sich zugleich und begannen schon nach den ersten Bewillkommnungsformeln ein langes Gespräch, in dem sie eigentlich nichts sagten und dennoch Jedes von ihnen unendlich viel zu verstehen meinte.

Den liebt sie? fragte die blasse Frau. Aber wer ist es? wiederholte sie.

Ein junger Envoyé des preußischen Hofs, nicht eigentlich der Gesandtschaft attachirt, aber doch mit ihr in Beziehung; er soll bereits im[112] Ministerium als Geheimer- und Cabinetsrath Sitz und Stimme haben, erzählte Gräfin Schlichten. Man sagt, er sei ein – sie flüsterte ihrer Freundin einen Namen in's Ohr – und werde eine enorme Carrière machen.

Jetzt sieht er sie – jetzt redet er sie an! Die blasse Frau seufzte und versank in wahrscheinlich düstere Träume und Erinnerungen, denn sie wurde noch starrer und bleicher, und sagte kein Wort mehr.

Da ist der junge Gotthard wieder, bemerkte ein ungarischer Offizier seinem Nachbar. Sehen Sie doch, welche plötzliche Veränderung in der Kronberg! Ein solcher Blick und ich würfe ihm mein Leben nach, wie eine ausgepreßte Orange.

Bah! bah! Seien Sie nicht so excentrisch, mein guter Fritz! Befehlen Sie Ananas-Eis? Die Frau ist bildschön! Nach ihm wird sie accessible werden; warten wir's ab![113]

Sie vergessen, daß Sie von der Gräfin Kronberg sprechen, sagte fest und scharf St. Luce, der hinter den beiden Herren gestanden.

Der Offizier maß ihn von Kopf zu Fuß und drehte ihm, wie zufällig, den Rücken, um dem Tanz im Nebenzimmer zuzusehen. Der alte Narr ist auch in sie verliebt, murmelte er vor sich hin.

Was thut denn hier ein französischer Ehrenlegionist? fragte ein Anderer.

Er sitzt als Niobe neben dem Herzog von Reichstadt. Früher war er eine Creatur Napoleons, aber eine der unschädlichen; als man den Herzog von Reichstadt herbrachte –

Das arme Kind! Ihm sieht der Tod aus den Augen! Schon jetzt fühlt er das Entsetzliche seines Geschicks!

Ich bitt' Ihnen, er ist ganz vergnügt! sagte ein dicker, behaglicher Major.

St. Luce ist dem französischen Kaiser sehr[114] attachirt gewesen, fuhr der Erste fort; nachdem er ihm in den Schlachten von Leipzig und Montmartre seine Gliedmaßen geopfert, ist ihm nur das Herz geblieben, das ihn dem Knaben nach, hierher gezogen hat. Man hat ihn anfangs beobachtet, aber – Das Gespräch verschwamm wieder im allgemeinen Stimmengebrause.

Unterdessen standen Anna und Gotthard noch mitten im Saale; sie hatten die Außenwelt vergessen.

Wie anders hatten die anderthalb Jahre Gotthard zur Welt und zu Annen gestellt! Sein ungewöhnliches Talent hatte ihn dem Ministerium nach so kurzer Zeit schon unentbehrlich erscheinen lassen. Noch hatte freilich seine Lage durch die Vielseitigkeit seiner Arbeiten, welche wiederholte Reisen zwischen Wien, Berlin und den älteren Provinzen veranlaßten, keine äußerlich bestimmte Form erhalten können. Er hatte[115] den Titel als Geheimerrath nur bekommen, weil man ihm einen Rang geben mußte; er schien zu jung, um ihn zum wirklichen Cabinetsrath zu machen; was jedoch irgend mit dem gewohnten Hergang verträglich, war für ihn geschehen, und die eiserne Consequenz, die er in den schwierigsten Angelegenheiten der Verwaltung und Gesetzreformen mit der klarsten Auffassung einte, hatten ihn längst mit Kronberg in gleiche Linie gestellt, dem diese Superiorität allmälig immer lästiger zu werden begann.

In der ersten Zeit ihres wiener Aufenthalts hatte Anna Gotthard öfters im Hause gesehen; er hatte es versucht, wenigstens durch Gespräche mit ihr der geliebten Kinder Unterricht noch eine Weile fortzuleiten, aber mit der ihm eigenen gewandten Hartnäckigkeit war es Kronberg dennoch gelungen, ohne irgend ein Dehors zu verletzen, ihn nach und nach immer ferner zu stellen. Anna hatte die nicht zu bergende Abneigung[116] ihres Gemahls gegen ihn für gekränkten Ehrgeiz gehalten und schwer, aber geduldig getragen.

In dem Kreise eleganter, aber ihr nicht gefährlicher junger Männer, mit denen Kronberg seine Gemahlin umgab und aus welchem er Gotthard möglichst auszuschließen suchte, begann deren Schönheit ein immer größeres Aufsehen zu erregen. Unter den eigentlichen Diplomaten hatten Gotthards meisterhaft in die seinen eingreifenden Arbeiten dem Grafen längst den Ruf eines ausgezeichneten Staatsmannes erworben, die ausgesuchte, elegante Bewirthung seiner zahlreichen Gäste hatte ihm den Namen eines Millionärs verschafft, und seiner stets unruhigen Eitelkeit war demnach für den Augenblick eine äußerst seltene, volle Befriedigung geboten.

Nur im tiefsten Innern seines Herzens nagte unausgesetzt der Wurm der sich stets erneuenden[117] qualvollen Ueberzeugung: daß diese schöne, geistreiche, von der ganzen sie umflatternden Männerwelt ihm beneidete Frau ihn nicht liebe, nie ihn geliebt habe, und daß ein Mensch ohne Rang und Namen den kostbaren Schatz erhoben, zu dessen Hüter ihn das Geschick, wie zum Hohne, eingesetzt.

In diese Periode fiel des Generals Bekanntschaft. St. Luce gehörte zu den alten Anhängern Napoleons, die ohne Eingriffe in den von ihnen als unvermeidlich erkannten Gang der Ereignisse, in stiller Trauer überall am Grabe ihres Kaisers zu stehen scheinen: ein wandelndes Mausoleum seiner einstigen Größe, das noch lange ihn überdauern wird.

St. Luce war ein Arm abgenommen, ein Fuß gelähmt; an unbefugte Einmischung in die durch Bonaparte's Tod ihm gleichgültig gewordene Politik des Tages war nicht zu denken. So ließ man ihn, da er ohnehin mehren[118] fürstlichen Familien Oesterreichs als unverdächtig bekannt war, ruhig sein kleines Erbtheil in Wien verzehren, wo seine Seele aus dem Anblick des geliebten Kaiserkindes eine Art innerer Lebenskraft einzusaugen schien.

Anfangs hoffte er viel für dessen Zukunft; Blüte um Blüte streiften die Jahre diesen geheimen Hoffnungen ab! St. Luce mußte den Keim des Todes langsam das junge Leben überwachsen sehen, doch hoffte er immer, selbst noch früher als der geliebte Knabe zu sterben, und konnte sich nicht entschließen, die Stätte des sich langsam öffnenden Grabes vor dem gefürchteten Augenblick zu verlassen. Da kamen Kronbergs nach Wien. Die Episode in Frau von Waldau's Hause, die dem jungen Manne eine so freundliche Erinnerung hinterlassen, tauchte mit erneuter Lebendigkeit vor seinem halb erstarrten müden Geiste auf – er sah Annen wieder und das ganze Herz ward ihm wach.[119]

Der alte Krieger liebte die schöne Frau mit aller Kraft, die ihm geblieben, aber er hätte selbst den Saum ihres Gewandes vor jedem Flecken hüten mögen; er ward ihr treuester Freund, folgte ihr wie ihr Schatten, war ihr Cavalier sans consequence – helas! wie er selbst zu sagen pflegte, und Kronberg that alles Mögliche, diese ihm sehr bequeme Anhängligkeit des alten Verehrers zu beschützen und zu proniren.

Als Gotthard sich mit der feinsten Berechnung aus dem Hause, ja so viel wie möglich sogar aus dem Gesellschaftskreise verwiesen fühlte, der Annen umgab, erwachte ein furchtbarer Zorn in seiner Seele. Anfangs kochte und tobte nur der wilde Wunsch nach Rache in ihm; er war entschlossen, den ihm an Talent weit untergeordneten Kronberg sinken zu lassen, ihn zu Grunde zu richten, ihn fühlen zu machen, welche Gewalt er über Anna's Herz habe,[120] was er thun könne; ihn brannte das Bewußtsein des so ganz unverdienten Mistrauens, das ihn getroffen, wie eine glühende Kohle fortglimmend in immer wachsender Glut. Bald aber siegte seine edlere Natur. Mit erneuten Kräften begann er auch in der ihm aufgedrungenen Ferne Anna's Geschick in Kronbergs Händen zu bewachen und, wo irgend die Umstände es gestatteten, zu erleichtern. Und leider bot gar bald von zwei Seiten zugleich sich hierzu die Gelegenheit.

Kronberg hatte sich, durch die immerwährende Anstrengung, seine Eifersucht zu verbergen und sich anders zu geben, als er in diesem Augenblicke wirklich war, in eine so grimmig Alles negirende Stimmung versetzt, daß ihm jedes längere Zusammensein mit Annen unerträglich ward. Sah sie ernst oder traurig aus, so schien sie ihm in Liebesgram sich zu verzehren; war sie heiter, so glaubte er sich betrogen und[121] sein klarer Geist ertappte sich selbst auf den abenteuerlich-lächerlichsten Vermuthungen. – Als ihm gelungen war, Gotthard fast ganz aus ihrer Nähe zu verdrängen, ward jedes unnöthige Gespräch mit ihr ihm doppelt peinlich, denn zu seinen übrigen Qualen gesellten sich die eines unreinen Gewissens und der Erkenntniß eines durchaus verfehlten Schrittes. Sehr bald bemerkte er den innern Kampf seiner Frau und die aus einer unnöthigen Beschränkung erwachsende gesteigerte leidenschaftliche Stimmung derselben; er fühlte, daß er das Feuer nur heller angeschürt, und in einer plötzlich ihn befallenden Art Muthlosigkeit versuchte er sich gewaltsam zu zerstreuen.

Unglücklicherweise reizten ihn gerade in diesem Augenblicke einige Neckereien seiner Bekannten; Baron Ruthberg klagte ihn der Eifersucht an, die ihn zu Hause festhalte. Kronberg begann, Annen zu vernachlässigen, sie seltener zu[122] begleiten und an Ruthbergs Seite eine Menge etwas zweifelhafter Vergnügungsorte und Arten aufzusuchen.

Er spielte, obgleich nur in guter Gesellschaft, hatte abwechselnd Glück und Unglück und schadete sich nicht bedeutend; er unternahm eine Art Touristenronde durch alle Theater und Volksgesellschaften, blieb aber insgeheim gelangweilt. Endlich machte er bei Ruthbergs Geliebter die Bekanntschaft einer spanischen Sängerin, die ihn anzog und amusirte. Dies Verhältniß, dessen lockere Fäden der innere Ueberdruß geknüpft, ward bald ein ihn fesselndes, was trotz momentanem Selbstvergessen bisher seit seiner Heirath nie der Fall gewesen. Und dennoch blieb er – eifersüchtig.

Anfangs erfuhr Anna nichts von dem Allen; erst als sie Kronberg im Theater einer Dame in eine grillirte Loge folgen sah, als sie derselben Dame in seinem mit dem Wappen[123] seiner Familie gezierten Wagen begegnete, erschrak sie, weit mehr vor dem Unpassenden seines Betragens und dem möglichen Aufsehen, als vor dem Gedanken seiner Untreue, vor dem Vergessensein da, wo sie so sehr geliebt gewesen. Ein unsäglich betrübtes Gefühl des Irrens im menschlichen Gemüth, eine bange Scheu vor der Vergänglichkeit seiner Empfindungen paarte sich der mildesten Anerkennung, daß sie ihn ja nicht durch Liebe an sich gefesselt. Und wiederum mischte sich dieser edleren Empfindung ein erleichterndes Aufathmen; sie fühlte sich im Innern minder schuldig, wohl aber sich und ihn tief beklagenswerth! – Denn ein ernsteres Nachdenken rief das Bild ihrer Knaben ihr in die Seele, eine solche Liaison mußte die Kinder ihr und Kronberg entfremden und sie zwischen die Eltern stellen. Sie beschloß, sich von Egon loszureißen und ihn in eine Pensionsanstalt[124] zu thun, und trug Gotthard auf, ihr eine passende zu finden.

Aus diesem Hinzuziehen des Freundes entwickelte sich die Nothwendigkeit, ihrem Gemahl zu verbergen, daß jener ihr noch in Rath und That beistehe, und somit hatte Kronberg abermals selbst den ersten ihm verheimlichten Schritt des erneueten Einverständnisses herbeigeführt.

Gotthards Klugheit verstand ihn zu decken. Kronberg ahnte nicht, wer ihm das Erziehungshaus empfohlen, in dem er seinen Knaben untergebracht. Gotthard aber sah nun das Kind täglich. Josephs Nähe glaubte Anna sich noch eine Weile gönnen zu dürfen, der Kleine war jünger und schwächer als Egon.

St. Luce hatte den jungen Geheimrath kaum zwei- oder dreimal in Kronbergs Hause getroffen, so war er im Geheimniß, obschon keines von ihnen eine Sylbe ihm anvertraute. Er sah sehr bald ein, daß Anna zum ersten Male liebe,[125] und trotz des unleugbaren neidischen Verdrusses darüber überflog ihn eine stille wehmüthige Rührung und ein fernes Erinnern der eigenen Jugend.

St. Luce war von guten bürgerlichen Eltern in der Normandie geboren. Die blutigere Revolutionsepoche fiel noch in seine Kindheit, sie hatte ihn nicht verhärtet; ihm war etwas von dem geblieben, was die Franzosen in der Provinz enfant de famille nennen, das ihn, trotz manchem leichtsinnigen Streich seiner eigenen früheren Jahre, an ein einfaches rechtliches Gefühl, auch in Männern Frauen gegenüber glauben ließ.

Es ist traurig, daß in einer Menge an Erfahrung reichen Männern der höheren Stände ein Unglaube entsteht, der sie ihr eigenes Geschlecht in Bezug auf das unsere fast unbedingt des Egoismus und der Unwahrheit anklagen macht, noch trauriger aber, daß unzählige Beispiele[126] dies Urtheil rechtfertigen, und zwar gerade da rechtfertigen, wo eine Menge höchst ehrenwerther Eigenschaften die Beschuldigung fast unbegreiflich erscheinen läßt.

St. Luce traute also Gotthard zu, daß ihn keine unlautere Absicht zu Annen zog, aber ihr Ruf, ihr Glück, ja selbst ihre Frauenehre schienen ihm deshalb nicht um ein Haar breit weniger gefährdet.

Kronbergs Verhältniß zur hübschen Spanierin war eben bekannt geworden, es war dem alten Freund höchst widerwärtig. In einem andern Augenblicke würde er es leichter genommen haben, jetzt aber erklärte er es für eine franche bêtise, welche Annen einem Abgrund zustoße. Und dann il n'y avait pas regardé de près! denn die Spanierin war dem Grafen untreu, das schien nun St. Luce nicht des Spektakels werth, den die alberne Geschichte machte,[127] und gar unwerth der kleinsten Thräne seines Lieblings.

Kronberg fühlte sein Unrecht auch, aber um so mehr trieb ihn die innere dämonische Gewalt, darin zu beharren. Was hätte er dagegen nicht um eine einzige Thräne Annens gegeben, wie theuer wäre ihm der Ausdruck der erwachenden Eifersucht, des Schmerzes in ihren Zügen gewesen! Ihre sanfte, würdige Haltung empörte ihn – gerade weil er sie billigen mußte. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als während Gotthards Abwesenheit ein unangenehmer Vorfall ihn Annen gegenüber in Vortheil setzte und ihm eine ganz neue, mit jenen Empfindungen durchaus nicht in Verbindung stehende Ursache zur Misbilligung und Unzufriedenheit mit ihr gab.

Anna trug die Trauer um ihren Vater, der sanft und ohne alle Leiden seiner Frau in's Grab gefolgt war.

Ihre beiden Brüder, von denen der eine[128] vier Jahre, der andere um eines älter war, als sie, hatten, nachdem sie mit der Generalin Geiersperg ihre Heimat verlassen, die schon früher gewählten Lebenseinrichtungen festgehalten: der ältere war Militär, der jüngere Kaufmann geblieben. Unglücklicherweise aber war der erste, durch Verwendung und Rath eines jungen Verwandten verleitet, in ein preußisches Regiment eingetreten, und als es später zum Offiziersexamen kam, fand man ihn unfähig, dasselbe zu machen. Das Nachstudiren, zu welchem ihn Vater und Freunde mit wohlmeinendem Rath anhielten, wollte dem bereits über die eigentliche Lernzeit hinaus Gewachsenen nicht schmecken, im Ueberdrusse des Mislingens wandte er sich dem praktischeren Artilleriedienst zu und ward endlich Unteroffizier und Feuerwerker.

In einer kleinen schlesischen Grenzstadt vergingen ihm nun mehrere Jahre, ohne irgend eine Spur in Herz oder Gemüth zu hinterlassen[129]

Bei Gelegenheit einer ernstlichen Krankheit, die ihm eine Unvorsichtigkeit beim Manoeuvre zugezogen, lernte er die Tochter seines Hauswirths, eines ehrsamen Bäckermeisters, näher kennen. Er gewann das frische, hübsche Mädchen lieb und sie erwiderte seine Liebe. Die im jetzigen Bürgerstande leider etwas leichter gewordenen Sitten begünstigten ein Verhältniß, dessen allzugroße Vertraulichkeit den jungen, durchaus nicht unredlichen Mann zu einer Verlobung zwang. Das Mädchen war nicht ganz arm, auch Louis hatte etwas Vermögen zu hoffen, die Einwilligung der Militärbehörde fand mithin keine Schwierigkeit; der alte Bürgermeister dagegen verweigerte die seine aufs Bestimmteste und Hartnäckigste. Er erklärte sehr ruhig seinem Sohne, daß seiner Ueberzeugung nach kein Mann eher heirathen solle und dürfe, als bis er eine Frau unabhängig zu ernähren im Stande sei, könne mithin Louis[130] nicht ohne den Theil seines Vermögens auskommen, den er, der Alte, noch selbst zum Weiterleben bedürfe, so könne von dieser Verbindung vorläufig keine Rede sein; wenn jedoch der Soldatensold und die Mitgabe der Braut ausreiche, werde er ihm sein Jawort nicht versagen; freiwillig dazu beitragen, daß ein Paar unvorsichtige Menschen sich in's Elend stürzten, wolle er nicht. Im Hintergrunde der Weigerung lag freilich noch der Umstand, daß der Katholicismus der in Schlesien wohnenden Braut dem alten Lutheraner zuwider war.

In dieser peinlichen Verlegenheit – denn er hatte das Mädchen wirklich lieb – wandte sich Louis an seine Schwester. Als auch ihre Fürbitten beim Vater nichts fruchteten und Brief auf Brief ihr die traurige Lage des Mädchens schilderten, bei deren Eltern der junge Mann bereits angehalten, versprach sie ihm ohne Kronbergs Vorwissen bis zum Tode des Vaters[131] einen bestimmten Beitrag zu seiner Wirthschaft, den sie ihrem sehr reichen Nadelgelde entnahm.

So weit war Alles gut. Die jungen Leute heiratheten und der Vater gab, obschon widerstrebend, seine Einwilligung, weil kein gerichtsgültiger Grund vorlag, sie zu versagen; auch würde die ihm eigene Art Ängstlichkeit den öffentlichen Widerspruch immer gemieden haben.

Einige Jahre gingen ungetrübt, ohne besondere Ereignisse den Eheleuten vorüber; Annen führten sie nach Wien. – Louis' Erstgeborenem hatte sich ein Schwesterchen zugesellt; er lebte zufrieden mit seiner jungen Frau, ihre Verhältnisse blieben kleinbürgerlich, was bei seiner Stellung und der Unbedeutendheit des Städtchens nichts auf sich hatte.

Da ward plötzlich das Regiment nach Glatz verlegt und nun reichte das Einkommen nicht mehr. Die Schwiegereltern thaten das Möglichste,[132] denn die Tochter wollte ihren Mann nicht verlassen, sie kehrten jeden Pfennig um, sparten sich's am Munde ab, vergebens! In der größeren Stadt, ohne den Beistand der Mutter, unter den ihr wildfremden Leuten, verstand das arme junge Weib die kleine Wirthschaft nicht so vortheilhaft zu führen, als daheim. Louis ärgerte sich, schalt sie, wenn sie weinte und lamentirte, wurde heftig, grob; auch in ihr traten die Mängel der Erziehung ihres niedern Standes vor: es ward ganz ernstlich schlimm und mußte doch getragen werden, denn die ärmeren Classen denken nicht so leicht an Scheidung, Katholiken nun gar nicht.

Da starb der Bürgermeister. Louis erhielt Urlaub, seine Angelegenheiten zu ordnen, und eilte nach Thüringen, die ihm zugefallene Erbschaft in Empfang zu nehmen. Aber, ach! des Alten kleines Vermögen, in drei Theile getheilt, zeigte sich an Ort und Stelle weit geringer,[133] als er vermuthet. Der zweite Bruder, der unterdessen in der kleinen Stadt, in welcher er in Condition gestanden, auch geheirathet hatte, bedurfte der ihm hinterlassenen Summe, um sein Geschäft zu vergrößern und Compagnon seines Schwiegervaters zu werden, mithin konnte ihm gar nicht einfallen, an Unterstützung seiner Verwandten zu denken.

Louis beschloß, seinen noch nicht abgelaufenen Urlaub zu einer Reise nach Wien anzuwenden, um Annen nicht nur zur Fortdauer seiner Pension und zur Entsagung ihres Antheils von der Erbschaft zu seinen Gunsten zu vermögen, sondern auch, um, wie er sich ausdrückte, seinen vornehmen Schwager zur Anleihe einer namhaften Summe »breitzuschlagen«. Er hielt sich zu all diesen Anforderungen vollkommen berechtigt: je enger die Gemüther, je größer die Ansprüche, das fehlt nie!

Anna saß nach einem ganz kleinen Diner[134] mit Kronberg, St. Luce und noch ein Paar Herren am Kaffeetische, den sich ersterer en petit comité nicht gern nehmen ließ. Geheimnißvoll neigte sich Duguet, indem er die silbernen Kannen auf den Tisch stellte, wie zufällig etwas tiefer als nöthig, und flüsterte ihr zu, wo möglich auf einige Minuten in das Nebenzimmer zu treten. Das war noch nie geschehen; sie erschrak und eilte unter einem Vorwande hinüber. Hier fand sie den soeben den Händen der Mauth entronnenen, mit dickem Staub bedeckten Reisenden, dem sie in ihrer Herzensfreude laut aufjauchzend in die Arme flog.

Ach! nach wenigen Minuten schon ward diese reine Freude der Schwester getrübt! Louis war zu sehr mit dem Drange seiner eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um andern Gedanken Raum geben zu können. Die durchaus eigennützige Absicht seines Besuchs trat sogleich in das grellste Licht. Des Vaters Tod schien[135] als Verlust gar keinen Eindruck ihm hinterlassen zu haben, die Enttäuschung in Hinsicht auf das geerbte Vermögen sprach sich scharf aus; Klagen über sein Geschick und die sehr bestimmte Bitte, ihm nicht nur die Pension zu lassen, sondern zu seinem Vortheil der Erbschaft ganz und gar zu entsagen, folgten einander so schnell, daß Annen kaum Zeit blieb, eine Frage oder ein erwiderndes Wort einzuschalten. Die kleine Summe, meinte Louis, sei ihr ganz gewiß entbehrlich, er sähe jetzt recht ein, wie sie mitten im Golde sitze, und auf der Post habe ihm auch schon Jemand mitgetheilt, daß sein Schwager, den er übrigens noch nie gesehen, Millionär sei.

Anna fühlte sich wie betäubt von dem Allen, sie war durchaus noch zu keiner klaren Auffassung der Umstände gekommen, als unglücklicherweise Kronberg, dessen unsinniger Argwohn[136] durch ihr ungewohntes Verlassen der Gesellschaft geweckt worden, in's Zimmer trat.

Es folgte eine für Anna sehr schwere halbe Stunde. Der junge Unteroffizier, seit Jahren an ganz untergeordnete Kreise gewöhnt, verletzte mit jedem Worte des Grafen Eitelkeit.

Abwechselnd verlegen durch die vornehme Haltung und sichtliche Ueberlegenheit desselben, und familiär mit dem Manne seiner Schwester, trug er seine Geschichte augenblicklich, ohne weitere Einleitung, auch ihm vor.

Kronberg wandte sich, ihn unterbrechend, zu Annen, die ihm leid that, und bat sie an seiner Statt auf ein Paar Minuten zu den Herren hinüberzugehen, um ihre längere Abwesenheit zu entschuldigen, zugleich aber Erfrischungen für ihren Bruder zu senden, der gewiß nach der Reise derselben bedürfe. Er winkte ihr freundlich mit den Augen und versprach, daß er sie gleich wieder ablösen werde.[137]

Anna hätte natürlich lieber gesehen, daß Kronberg drüben den Wirth gemacht hätte; es lag aber nach langer Zeit wieder einmal die edle, milde Güte in seinen Zügen, die ihn immer ihr gegenüber den Sieg davontragen ließ; und da dem vollströmenden Redefluß des jungen Kriegers ohnehin kein Einhalt zu thun möglich schien, ergab sie sich in das Unvermeidliche und ging. Sehr anmuthig sagte sie den noch um den Kaffeetisch versammelten Freunden, daß ein lieber unerwarteter Besuch aus der Heimat sie heute um die Freude ihrer Gesellschaft bringe und sie Kronberg allein das Vergnügen, sie zu unterhalten, überlassen müsse. Sie hatte kaum den Glückwünschen und Bedauern ihrer Gäste Genüge gethan, indem sie auf einen der nächsten Tage sie wieder einlud, um sich zu entschädigen, als Kronberg wirklich schon kam, um sie zu befreien. Aber, ach! der schöne Strahl des Wohlwollens in seinen Zügen war[138] erloschen, und sein convulsivisch zusammengekniffener Mund, sein ganz verändertes Aussehen erschreckten sie bis in das tiefste Herz.

Drüben fand sie ihren Bruder in der Aufregung des heftigsten Verdrusses. Er war im Sprechen mit Roderich immer vertraulicher geworden, hatte nicht nur die von Annen ihm zugestandene Summe jährlicher Rente erwähnt, sondern auch geäußert, er habe ihr das eigentlich viel zu hoch angeschlagen; wenn er gewußt hätte, wie reich sie sei, wie kostbar sie wohne und wie alles um sie her von Gold strotze, so würde ihm doch sehr schwer geworden sein, sich nicht mit größeren Ansprüchen an seine Schwester zu wenden. Es sei freilich einmal die schlimme Einrichtung in dieser Welt, daß der Eine in Sammt und Seide einhergehe, während der Andere barfuß laufe; aber Geschwister sollten doch immer an einander halten, und was ihn beträfe, er sei nur ein armer Schlucker,[139] würde aber, wenn Noth an den Mann gekommen, nie einen Augenblick angestanden haben, mit Schwester und Schwager sein bischen Salz und Brod zu theilen.

Statt Salz und Brod verzehrte er im Eifer eine kalte Rebhühnerpastete und trank starken Ungarwein und Burgunder durcheinander, die ihm Duguet zur Auswahl hingesetzt. Der ungewohnte Wein stieg ihm zu Kopfe und raubte ihm die Besinnung.

So, fuhr er fort zu peroriren, sollte Anna auch denken, und wenn sie ein rechtschaffenes Herz im Leibe habe, könne sie ihre Geschwister nicht in Schulden und Mangel versinken lassen; und dasselbe Vertrauen habe er auch zu seinem Herrn Schwager, darum rede er so offen, frischweg von der Leber. Er und seine Frau wären freilich nur arme, geringe Leute und ihre Freundschaft keine gräfliche, sie gehöre aber zu einem ehrsamen, achtbaren Handwerk, das seinen[140] Mann redlich und nothdürftig nähre. Daß ihn und seine Marie das Unglück betroffen, sei nicht ihre Schuld, sein Weib sei brav; aber der Herr Schwager könnten sich's ja leicht selber denken, denn er habe solchen Wohnortswechsel ja auch durchgemacht. Seine Frau verstehe in Glatz die Wirthschaft nicht so knapp und vortheilhaft zu führen; Annen werde es anfangs wol auch sauer geworden sein an fremden Orten.

Kronberg lächelte; in seinem ganzen Leben hatte er noch nicht mit Annen von der Wirthschaft gesprochen.

Louis trank ein Glas nach dem andern, wurde immer verworrener und steigerte sich in's Absurde. Allmälig siegte, trotz der feinen und gewandten Weise, auch in Kronberg die rohere Natur, er ward ärgerlich; ihn verdroß Annens Heimlichkeit, ihn verdrossen die auf nichts basirten Ansprüche des Schwagers, der nichts gelernt[141] hatte, und nichts gethan, als heirathen und Kinder in die Welt setzen, die er nicht ernähren konnte, und der nun herkam, um sein, Kronbergs, von seinen Ahnen und ihm selbst wohlerworbenes Gut mit ihm zu theilen, und zwar blos, weil er der Bruder einer Frau war – wieder hob die innere Schlange ihr Haupt – einer Frau, die ihren Mann nicht einmal liebte!

Der eine Gedanke war in Kronberg zur fixen Idee geworden, vielleicht gerade, weil er ihn nicht eingestand.

Sehr gemessen und ernst erklärte er Louis, daß er von dem ihm von Annen gewährten Zuschuß nichts gewußt, daß Niemand seinen Geldbeutel zu taxiren habe und er auf keinen Fall zugeben werde, daß Anna zu seinen Gunsten ihres Erbrechts sich begebe, weil es gegen sie selbst, dann aber auch gegen ihren jüngeren Bruder Franz unrecht sein würde. Ob er ihr[142] ferner überhaupt noch gestatten werde – er erschrak über das Wort, was ging denn ihn ihr Nadelgeld an? – oder rathen könne, fügte er sanfter hinzu, die mit so wenig Dank anerkannte Zahlung der Pension fortzusetzen, könne er für den Augenblick nicht bestimmen.

Nun brach der Ingrimm des vom ungewohnten Wein Erhitzten mit doppelter Gewalt los; er sprach von einem goldenen Bauer, in den freilich nicht immer Glück zu finden sei, äußerte, daß, wenn seine Schwester, die recht wohl wisse, welchem ihrer Brüder ihre Hülfe nöthig, nicht einmal den freien Gebrauch ihres Reichthums haben sollte, dann freilich sei die reiche vornehme Dame nicht besser daran, als seine eigne Frau; sie wären Beide arm, das sei wahr, er aber lege das Geld in eine Schieblade, über welche sie und er gingen. Er sähe freilich nun wol ein, bei den Adeligen sei Alles das anders; er habe oft seinen seligen Vater[143] innerlich angeklagt, daß er die Mutter zu knapp gehalten, und sie habe ihn oft gejammert, aber nun, wenn er's recht überlege, ginge es ja bei den Vornehmen nicht um ein Haar besser zu, die es obendrein nicht einmal brauchten, die das Geld haufenweise zum Fenster hinauswürfen, es verspielten oder zu allerlei liederlichen Streichen anwendeten, und das oft auf noch schlimmere Art, als der Soldat, der doch immer in den Augen der fein Gebildeten für den Ärgsten gelten müsse, während jene mit Comödiantinnen und Tänzerinnen Alles vergeudeten.

Das traf einen wunden Fleck in Kronbergs Brust. Der ganz absichtslose Ausdruck – denn Louis hatte ja keine Ahnung vom Dasein der Capacelli – fachte eine furchtbare Flamme des Zorns in ihm an. Nach wenigen schonungslosen, durch Eiseskälte und Schärfe des Tons gleich vernichtenden Worten verließ der Graf[144] das Zimmer und begab sich wieder zur Gesellschaft.

Dies Alles erfuhr oder vielmehr errieth Anna aus den rhapsodischen Ausbrüchen der Empörung, in welcher sie ihren Bruder fand. Ohne auf ihre Bitten oder mildernden Erörterungen zu hören, ergriff Louis seinen Tschako und rannte hinaus, sie hatte eben noch Besinnung, Duguet ihm nachzuschicken. Duguet, der immer wortlos die Stimmung und den Zustand seiner Gebieterin zu errathen verstand, folgte dem jungen Manne, führte ihn höflich in ein anständiges Gasthaus, besorgte sein Ränzel hin, bediente ihn und stand am frühesten Morgen mit einem Magazinschneider vor ihm, der einen äußerst anständigen Civilanzug ihm präsentirte.

Wer irgend Wien kennt, muß begreifen, daß Anna ihrem Gatten die möglichste Rücksicht auf Louis, des Unteroffiziers, äußere Erscheinung[145] schuldig war. Sie durfte Kronberg nicht den spottenden Fragen und Blicken der Ein- und Ausgehenden preisgeben, und gestern hatte doch auch ihr ein wenig vor der staubbedeckten Montur ihres Bruders, vor dessen sonneverbranntem Angesicht und harten Händen gegraut. Ohnehin mußten die in der kleinen Grenzstadt nicht feiner gewordenen Manieren desselben Kronberg störend sein, das war nicht zu ändern. Sie bewilligte alles, was Duguet für ihn verlangte; als sich aber die Thür hinter ihm schloß, schossen ihr ein Paar sehr bittere Thränen in die Augen.

Man gibt der menschlichen Charakterbildung allgemein klimatische und nationale Färbung zu; Niemand wundert sich, einen Italiener heftig, einen Spanier rachsüchtig, einen Holländer ruhig oder gar phlegmatisch zu finden, das alles ist als traditionell längst in die allgemeine Volksansicht übergegangen; aber an den nicht kleineren[146] Unterschied, den die äußere Stellung, die früheste Umgebung, der Umgang unserer ganzen menschlichen Entwicklung aufdringt, an die Modificirung der Ansichten und Begriffe, die sie erzeugen, denken Wenige, und doch steht diese Einwirkung der klimatischen noch immer wenigstens gleich.

Im Grunde hatten Beide, der Graf und der Unteroffizier, jeder von seinem Standpunkte aus, Recht, Beide mischten nur ihrer Selbstbeurtheilung einen Theil Selbsttäuschung zu. Der Cavalier hätte nicht vermocht, einem so hoch über ihm stehenden Verwandten mit solchen Anforderungen sich an den Hals zu werfen, aber Unterstützung, Avancement, Avantagen hätte er ohne Scheu von ihm erwartet und angenommen; seine edlere Natur würde vielleicht dabei mehr gelitten haben, aber die Noth hätte ihn wie jenen gezwungen.

Der kleine Bürger dagegen ging directer zu[147] Werke, ihm war die reiche Verwandtschaft eine bloße Fundgrube, die Delicatesse drückte ihn durchaus nicht. Als reicher Fabrikant würde er ähnliche zudringliche Ansprüche, wie er selbst sie an Kronberg machte, auf's Gröbste abgewiesen haben, dagegen aber, auch ohne Aufforderung, seiner armen Freundschaft beigesprungen sein in kurzer drängender Verlegenheit; einem reichen Verwandten hätte er vielleicht noch lieber beigestanden und hätte dann die Selbstbefriedigung geschmeichelter Eitelkeit mit in den Kauf genommen. Von welchem Standpunkte aus sollten oder konnten sich nun wol diese Beiden verstehen? Wem saß das brennende Nessuskleid frühjähriger Gewöhnung fester um Sinn und Seele?

Und auch im zarteren Charakter Anna's hafteten die ersten Erfahrungen des noch kaum in die Außenwelt blickenden Kinderauges. Sie fühlte sich in ihren Erinnerungen verletzt, zerspalten[148] und weinte – um ihren Bruder. Sie gedachte der übersehenden nichtachtenden Gleichgültigkeit, mit welcher Kronberg stets ihre Familie betrachtet; sie schaute weit zurück in ihrer Mutter Herz, die für jeden noch so entfernten Vetter Trost und Theilnahme in sich trug; sie gedachte Otto's und ihres Oheims Ankunft am Neujahrstage, und es kam ihr vor, als ertrage doch Kronberg ihre bürgerliche Abkunft sehr schwer.

Sonderbar, daß ihr nicht einen Augenblick beifiel, daß auch Gotthard ein Bürgerlicher sei! Es ist aber unleugbar, daß in unseren Tagen dem wirklich eminenten Talent überall Bahn bereitet ist und die Aristokratie des Geistes jede andere weit überflügelt, bei Männern und Frauen. Daß bei den letztern an den Fühlfäden des Gemüths, wie an den Wurzeln einer schönen Blume, der Heimatsboden fester haftet beim Verpflanzen, liegt an der innern Poesie,[149] mit welcher sie der Gegenwart überhaupt selten gestatten, der schönen Vergangenheit es gleich zu thun.

Vermöchten wir daher nur in dem jetzigen Ringen befugter und unbefugter Weltverbesserungen, Jeder in sich selbst die große Revolution zu bewerkstelligen, die das individuelle Urtheil von den Banden aller Gewöhnung und des eigenen Standpunktes erlöste, dann wäre wirklich dem intellectuellen Sein ein schöner Tag erschienen, es feierte dann seine goldne Zeit!

Aber als Louis nun nach vollendeter Umwandlung zu Annen sollte, erklärte er ihr schriftlich, sie müsse irgendwo mit ihm zusammenkommen, zu seinem vornehmen impertinenten Schwager setze er keinen Fuß mehr. Anna traf ihn auf der Promenade, fuhr mit ihm um ganz Wien herum, stieg am Glacis aus und ging mit ihm spazieren. Die gestrige Scene erneute sich. Anna versprach, die Pension ferner zu[150] zahlen, zu Abtretung des Erbtheils verstand sie sich aber nicht – ein dunkles Gefühl warnte sie. Als sie ihn verlassen mußte, um sich zum Diner zu kleiden, bat sie ihn, mit ihr den Abend in's Burgtheater zu gehen, sie wolle ihn abholen.

Mochte ihn ihre abschlägige Antwort verdrossen oder er vergessen haben, daß er selbst am Morgen sich geweigert, Kronbergs Wohnung zu betreten, er ward abermals heftig und meinte, vermuthlich dürfe sie ihn nicht in's Haus bringen, ihr Mann wolle den geringen Soldaten gar nicht einmal sehen, er werde ihn wol durch seine Lakaien zur Thür hinauswerfen lassen? Anna litt unsäglich. Im nämlichen Augenblicke rollte Kronbergs Equipage heran. Die Spanierin kannte Annen, sah sie mit einem stattlichen, sogar schönen jungen Manne gehen und lorgnettirte das Paar aufmerksam und dreist. Auch Kronberg sah schärfer[151] hin, trotz seiner Verwandlung erkannte er Louis; natürlich grüßte keines von Beiden.

Wer war das? Wer ist die? fragte Louis?

Ich weiß nicht, stotterte Anna verlegen und wurde abwechselnd bleich und roth.

Aber ich weiß es! Kreuz, Bomben und Granaten! Armes, armes Weib! – Er drohte ihnen mit der Faust nach. Ohne ein Wort weiter zu reden, führte er Annen an ihren Wagen, hob sie hinein, warf den Schlag zu und war verschwunden. Anna zitterte heftig, sie konnte kein Auge aufschlagen.

Wild wogte das Blut in Louis' kochender Brust, er glaubte, den Wagen einholen zu können, um zu erfahren, wohin der Graf mit seiner Geliebten fahre, aber die Pferde entschwanden ihm nach wenig Secunden. Betäubt, nach Entschluß ringend, trat er in ein Weinhaus. Er trank hastig, er wußte nicht wie viel, noch was. Am Morgen hatte er in[152] seinem Hotel allerlei Erkundigungen eingezogen und die widersinnigsten Uebertreibungen hatten ihn gegen den Grafen aufgehetzt; in seinem halben Rausch hielt er Kronberg für einen Schlemmer und niedrig schlechten Menschen, seine Schwester für eine arme verlassene Frau. Seine eignen Nodomantaden befeuerten ihn mehr und mehr, und ehe er selbst sich dessen klar bewußt worden, hatte der Portier, der ihn erkannte, ihm geöffnet und er war ungesehen in's Haus bis zu Kronbergs Zimmer vorgedrungen, woselbst er Posto faßte und ihn zu erwarten beschloß.

Unterdessen war Anna im Nachhausefahren St. Luce begegnet, den sie sogleich in ihren Wagen zu steigen und mit ihr nach Hause zu fahren bat. Der alte Freund erschrak, als er ihre heftige Erregung gewahrte. Halb verwirrt vor Angst, erzählte sie ihm den gestrigen Vorfall und daß Louis mit Kronberg hart an einander[153] gerathen; sie bat ihn, einen von Beiden zu bewachen, um ein noch schlimmeres Zusammentreffen zu verhindern. Wir haben Kronberg eben auf der Promenade begegnet, schloß sie verlegen, er fuhr an uns vorüber.

Das eine Wort war dem gewandten Franzosen genug, er wußte sogleich mit wem, und errieth das Uebrige. Nach wenigen Minuten verließ er seine schöne Freundin, um Louis zu besuchen, ging aber statt dessen zu Kronberg, drückte dem Bedienten, der ihn melden wollte, einen Gulden in die Hand und trat in dem Augenblicke in's Zimmer, als Kronberg eben seinen Schwager bei der Schulter ergriff und heftig auf ihn eindringend, wiederholend ausrief: Wer ist der Elende? Wer hat es gesagt?

Pardon, cher Comte! sagte der alte General und ließ im Eintreten seinen Stock fallen, den er, mit dem Rücken jenen zugewendet, äußerst mühsam aufhob. Auf diese Art gehindert,[154] irgend etwas von dem zu sehen, was vorging, fuhr er fort: Ich kam, Sie zu bitten, mich meinem jungen Freunde Müller vorzustellen, der freilich den brillanten Offizier von Anno 8 schwerlich in mir erkennen wird.

Kronberg hatte im Augenblick seines Eintritts die Hand von Louis' Schulter zurückgezogen, ihm standen die Schweißtropfen glühender Beschämung auf der Stirn, er hatte ja seinen Schwager beinahe wie einen Bedienten behandelt!

Louis faßte sich schneller, weil das Erkennen des Generals seine Aufmerksamkeit gewaltsamer in Anspruch nahm. St. Luce ließ sich innerlich von Beiden zu allen tausend Teufeln wünschen, hielt aber Stich und ruhte nicht eher, bis er Louis' Stimmung beschwichtigt hatte. Die außerordentliche Freundlichkeit des alten Mannes, der ihn wie einen Sohn an's Herz drückte, überwältigte ihn. Mit Bitten bestürmt,[155] den General zu begleiten, der ihm durchaus Wien zeigen wollte, wandte sich der junge Krieger etwas verlegen, doch jetzt in durchaus würdiger Weise, zu Kronberg: Ich stehe Ihnen morgen zu Dienst, sagte er kalt.

Auf Kronberg, der augenblicklich des schlauen Invaliden Spiel durchschaute, machte die Sache einen allmälig fast komischen Eindruck. Der alte Fuchs, dachte er innerlich, er hat ganz Recht! Mit einem Unteroffizier kann ich mich doch nicht schlagen! Und wegen der Capacelli! ich! Er reichte, plötzlich entschlossen, seinem Schwager die Hand. Vergeben Sie mir, ich bin zu rasch gewesen! sagte er mit anmuthiger Höflichkeit; Sie sind im Recht! Ist's aber irgend möglich, so nennen Sie mir nun endlich den Namen des Verleumders, ich bitte Sie dringend darum! Der Graf sah vollkommen beruhigt aus, und doch wogte das Blut noch in ihm, als wolle es seine Adern sprengen.[156] Ich habe vor meinem Freunde St. Luce kein Geheimniß! fuhr er bittend fort.

Louis schwieg immer noch. Er schämte sich, die Namen des Wirthes und einiger untergeordneten Personen zu nennen, ein inneres Zartgefühl hielt ihn zurück; er wußte, der reiche Graf würde solche Stimmen nicht gelten lassen. Morgen! wiederholte er entschlossen.

Nach secundenlangem Nachsinnen ließ ihn Roderich ruhig mit St. Luce sich entfernen.

Ein ungeheurer Schmerz hatte ihn ergriffen, es war ihm klar, Anna, Anna hatte über ihn geklagt! Anna hatte Geheimnisse vor ihm. Ein fressendes Mistrauen drängte sich in seine Seele und zwischen ihn und sie. Er ward rauh, unfreundlich, höhnisch gegen seine Frau, die diese neue Wendung seiner Laune nicht begriff und in der die Sehnsucht nach Gotthard mit jedem Tage fürchterlicher arbeitete und bohrte, wie[157] das tödtende Eisen, das man langsam in die verwundete Brust senkt.

Louis aber war wenige Stunden, nachdem er den Grafen verlassen, plötzlich heftig erkrankt; der klimatische Wechsel oder die ungeheure innere Aufregung, die das Gespräch mit demselben erzeugen mußte und die der nur an körperliche Strapazen Gewöhnte nicht in sich zu verarbeiten vermochte, zogen ihm ein Wechselfieber zu. Anna und St. Luce besuchten ihn täglich; Letzterem gelang es, ihm allmälig etwas ruhigere Ansichten einzuflößen und sein Betragen gegen den Grafen zu regeln. Kronberg ließ sich alle Morgen nach ihm erkundigen, ging aber nicht hin. Schweigend verdoppelte er Annens Nadelgeld. Sie muß doch anständig erscheinen können, sagte er bitter; aber sein Benehmen blieb folternd ungleich, hart und voller Mistrauen. Jedes Gefühl seines eigenen[158] Unrechts gegen sie war plötzlich aus seiner Seele geschwunden.

So standen die Dinge, als unerwartet, wie ein Trost des Himmels, Gotthard von Berlin zurückkehrte.

Am nächsten Morgen erwachte sie mit dem Gefühl: Er ist da, du wirst ihn sehen! Und in den Vormittagsstunden kam er. Sie durchsprachen in hieroglyphenartigen Worten Alles, was während jener tödtenden Trennungszeit an Beiden vorübergezogen; sie berührten es kaum und nur andeutend, denn bei solchem Ineinanderwachsen der Seelen bedarf es keiner langen Rede; jeder Blick, jeder Hauch, jedes Schweigen wird verstanden. Das eben ist ja das eigentliche Glück der höheren Liebe, daß sie zwei Menschen frei macht von all den kleinen Qualen und Fesseln des Nichtverstehens und der Seeleneinsamkeit.

Sie erzählte ihm auch von Louis, von seinem[159] Betragen und seiner Krankheit und daß er nun heimzureisen gedenke, doch seltsam mit dem Entschlusse dazu zögere von Tag zu Tag, ohne eigentlichen Grund. Als er sie verließ, begegnete ihm im Hinausgehen St. Luce.

Sonderbar, sagte dieser, ich bringe den jungen Müller durchaus nicht fort. Der Arzt findet ihn genesen; sein auf unser Schreiben verlängerter Urlaub ist fast abgelaufen; seine Rechnungen sind in unsern Händen, der Wirth, der Arzt, der Schneider – –

Und alles das muß die Gräfin zahlen? fragte Gotthard.

Leider! Sie besucht ihn alle Vormittage, er nimmt jedesmal halb und halb von ihr Abschied, versichert, ein förmliches Lebewohl sei ihm unerträglich, und am nächsten Morgen findet sie ihn wieder. Was kann das sein, er kann uns doch nicht immer so in Wien auf[160] dem Halse bleiben wollen! Sollte er verliebt sein oder heimliche Schulden gemacht haben?

Er hat gespielt, erwiderte Gotthard, wie durch plötzliche Eingebung. Ich will sogleich zu ihm.

Gotthard hatte die Fessel richtig erkannt, welche den Unglücklichen von seinem Krankenlager nicht sich lösen ließ. Louis war einem Stube an Stube mit ihm wohnenden Glücksjäger in die Hände gefallen und alles Geld, das er von Anna erhalten, jenem bereits zur Beute geworden.

Die Art und Weise, durch welche es Gotthard gelang, den Unbesonnenen zum Geständniß zu bringen, kann für uns kein sonderliches Interesse haben. Als die Summen berechnet waren, reichte Alles, was Louis an baarem Gelde besaß, nicht hin, die Hälfte der Schuld zu decken. Des ganz Unbemittelten Aufenthalt in einem Hotel, seine Krankheit, seine verschiedenen[161] Bedürfnisse hatten Annens Hilfsquellen erschöpft; sie hatte es nicht geradezu gesagt, Gotthard hatte es im Gespräch mit ihr durchfühlt, er übernahm sogleich einen Theil der Zahlung, für den andern sagte er gut und verließ Louis erst, nachdem er eine lange Unterredung mit dem Spieler gehabt und jenen zum Posthofe begleitet hatte.

In den letzten Momenten seines Aufenthalts, während Gotthard zu seinem Nachbar hinüberging, nahm Louis in einigen Zeilen Abschied von seiner Schwester und übergab den Brief dem Lohnbedienten des Hotels.

Nachdem auf diese Weise alles geordnet und Louis abgereist war, glaubte Gotthard Annen beruhigen zu müssen, ohne ihr jedoch von der sich auf einige und fünfhundert Gulden belaufenden Summe etwas zu sagen, die zu zahlen er übernommen, und von welcher er hoffte, sie solle ganz unerwähnt bleiben, um der theuern[162] Frau nicht auf's Neue eine Ursache zu geben, über ihren Bruder zu klagen.

Als er Annens Zimmer betrat, fand er sie in Thränen, sie hatte ihn angenommen, weil sie sich's nicht zu versagen vermochte. Es war die erste Unbesonnenheit ihrer Liebe, der erste Fehltritt. Louis hatte ihr alles geschrieben.

Zu redlich, einen ihm ganz Fremden um eine ihm bedeutend erscheinende Summe zu bringen, zu leichtsinnig, um die möglichen Folgen der Uebertragung seiner Anleihe zu bedenken, schien ihm der natürlichste Ausweg der, seine Schwester zu Gotthard's Schuldnerin zu machen. Kahl und nackt, ohne alle Selbstentschuldigung, hatte er ihr die Sache hingestellt, wie sie eben war; ja, er hatte sogar den aufgeregten fieberhaften Zustand, während welchem er dem Hazardspieler in die Hände gefallen, dem unverantwortlichen Betragen Kronbergs gegen sich und Annen zugeschrieben.[163]

Es lag wenig Liebe und gar keine Hingebung in diesen herben Abschiedsworten an seine Schwester, und dennoch schlossen sie mit der Voraussetzung, daß sie um seinetwillen den Verlust der paar Thaler leichter verschmerzen werde, als er, der freilich nur zerstörte oder halberfüllte Hoffnungen seinem armen Weibe heimzubringen habe.

Anna weinte bittere Thränen, Louis' Egoismus schnitt ihr in's Herz, sie fühlte sich zwischen Gatten und Bruder so fürchterlich allein, so fremd, wie in einer endlosen Wüste. Louis' Anklage ihres Mannes war schonungslos scharf, das Aussprechen seiner Treulosigkeit gegen sie that ihr aus ihres Bruders Munde weher, als in all den Bemerkungen der frivolen Gesellschaft, welche am Ende nur lachte, spöttelte und – vergaß.

Auch Gotthard, dem ganz unbegüterten Freunde, eine neue Last aufgebürdet zu sehen,[164] schmerzte sie – da hörte sie den ihn meldenden Bedienten. Als er aber nun eintrat mit dem milden freudigen Ausdruck in den geisteshellen Zügen, ward ihr, als senke sich plötzlich die Heimat um sie nieder, aus dem Himmel in ihr Herz.

Gotthard setzte sich diesmal neben sie, statt wie sonst ihr gegenüber. Ihm war so unsäglich wohl und leicht; war doch nun diese Sorge der theuern Frau entnommen.

Er sprach sogleich von Louis, ging freimüthig in dessen Lage und Ansicht ein, erst ihn beklagend, dann heiter ihn vertheidigend. Er schilderte ihr Schlesien, Glatz, das er kannte, das gemüthliche, etwas beschränkte Bürgerleben des Städtchens; sprach über manche kleine Vortheile und Annehmlichkeiten, die ein längerer Aufenthalt Louis und den Seinen dort gewähren müsse. Mit jedem neuen Abschnitt lichtete er die Farbe seiner Darstellung.[165]

Zuletzt erzählte er von sich, daß er selbst früher gern sein Glück auf einen raschen Wurf gesetzt und schwer dem Spiel entsagt. Er lobte Louis' sanftes Hinnehmen seines Eingriffs in eine ihm ganz fremde Angelegenheit; er breitete eine lange bunte Scenenreihe vor dem geliebten Blicke aus, wie man einem kranken Kinde ein Bilderbuch aufschlägt und mit ihm es durchblättert, und lockte so aus allen Tiefen ihrer Seele die Schmerzen und dunkeln Gedanken hervor, um sie wie mit einem balsamischen Zauber zu umweben. In diesem Augenblicke lag nicht die mindeste Leidenschaft in seinem Thun zu Tage; es war die Wundermacht des tief sein ganzes Sein durchdringenden Gefühls eines schonenden tiefen Wohlwollens, das er bewußt und sanft anwendete, wie ein Arzt die ihm inwohnende heilende Kraft.

Anna war, als habe sie noch nie Jemanden zugehört, oder als tauche ihre Kindheit wieder[166] auf, als säße sie noch auf Sophiens Schoos und lauschte emsig deren Erzählungen. Wie eine Blütendecke legten sich seine Worte auf die unruhige Qual ihres Innern. Mit einem unaussprechlichen Dankgefühl blickte sie zu ihm auf, der Widerschein ihrer Stimmung in seinem Antlitz rührte sie fast noch inniger, als sein Handeln. Wie selten war ihr wohlgethan worden in ihrem so beneideten und brillanten Leben! Und Er war ihr noch dankbar dafür, daß sie es annahm.

Die kleine irländische Ballade, welche Leontine am ersten Abende des Zusammenseins mit ihm gesungen, war Beiden eine Art inneren Palladiums geworden. An jenem Abend hatte Gotthard zuerst sich ihr ausgesprochen. Seitdem hatte er die Verse in Musik gesetzt und oft gesungen. Wenn Kronberg Annen ganz unverständlich wurde, spielte sie die Melodie; seltsam genug liegt diese Art Doppelempfindung[167] in der weiblichen Natur: sie wollte Roderichs früheres edles Bild sich hervorrufen, es festhalten, trotz den entsetzlichen Verzerrungen des Lebens, und dennoch blickten Gotthards ernste stetige Augen so tröstlich zwischen den Notenreihen sie an.

Anna saß in der Nähe des Fortepiano, auf demselben lag die Ballade aufgeschlagen; unwillkürlich fiel ihr Blick darauf, er umflorte sich, sie ward sehr düster.

Gotthard war ihr im Sprechen näher gerückt, sein Stuhl berührte die Sophaecke, in welcher sie ruhte. Sein Auge folgte dem ihren, aber er verstand den Zug ihrer Gedanken nicht sogleich; es trat eine jener gefährlichen Gesprächspausen ein, in denen die Gewalt des sich insgeheim entwickelnden Gefühls verrätherisch der Erwiderung im Augenaufschlag des Geliebten begegnet – Beide errötheten. Gotthard[168] ergriff ihre Hand und küßte sie unbewußt leise; sie ließ sie ihm eben so unwillkürlich.

Zum ersten Mal versagten sich ihnen Wort und Gedanken, die innere Flut der Empfindung und einer plötzlich sie überkommenden namenlosen schmerzlichen Ahnung überwältigte Beide. So saßen sie schweigend neben einander, dicht zu einander gebeugt, lautlos das Glück der Geliebten Nähe fühlend, scheu vor jeder noch näheren Berührung zurückbebend.

Da sprang die kleine Tapetenthüre auf, die aus dem Cabinet zu einer obern Zimmerreihe führte, Kronberg trat in dieselbe, er schleuderte den kleinen Joseph vor sich her, den er an der Hand herabgeführt.

Kannst du mir erklären, Anna! – begann er und blieb verstummend, staunend an der Schwelle stehen – er gewahrte Gotthard, der aufgesprungen war, der Knabe aber stürzte in des geliebten Freundes Arme, der ihn zärtlich[169] an sich zog und liebkoste. – Joseph, fuhr Kronberg nach einem höflich kalten Gruße fort, hat mich soeben gebeten, ihn zu seinem Bruder in's Institut zu thun, weil er dort Herrn Gotthard wieder alle Tage sehen würde. Er klagt über seinen Lehrer, daß er ihn geschlagen; wolltest du die Gnade haben, mir diesen Gallimathias zu erklären? In der That kann ich auch nicht begreifen, wie es zugehen mag, daß Sie, Herr Gotthard, meine Kinder täglich sehen?

Gotthard fühlte lebhaft, es gälte, die Geliebte vor einer neuen Form der Eifersucht zu schirmen, die Kronberg verzehrte. Beide Männer verstanden vollkommen einer den andern: Anna's Name durfte nie unter ihnen genannt werden. Sie saß beklommen, schwer athmend, still in ihrer Sophaecke.

Gotthard erwiderte stolz aber besonnen, daß der Director des Instituts sein Jugendfreund sei, den er allerdings während seines kurzen[170] Aufenthalts in Wien täglich besuche und bei welchem er den Knaben öfters treffe, zu dem ja immer noch die herzlichste Neigung ihn hinziehe.

Herr Gotthard, unterbrach ihn der Graf, als die Kinder noch das Glück hatten, Ihrer Obhut anvertraut zu sein, habe ich, der Vater, mir nie die kleinste Einmischung in Ihre Ansicht und Erziehungsart erlaubt. Sie würden mich verbinden, obgleich ich Ihre Theilnahme dankbar anerkenne, dasselbe jetzt für mich zu thun. Doch habe ich ohnehin mit Beiden andere Pläne und kam, sie mit der Gräfin zu besprechen. Vergeben Sie, daß ich Ihre Gegenwart in meinem Eifer nicht augenblicklich bemerkte; die Sache hat Zeit.

Mit gewohnter Leichtigkeit begann er ein Gespräch über ein von Gotthard verfaßtes Memoire, blieb eine halbe Stunde und verließ dann das Zimmer mit der Bitte an Gotthard,[171] mit Annen noch ein wenig Musik zu machen, indem er die auf dem Flügel liegenden Musikalien bemerkte; das Kind ließ er in dessen Armen zurück. Ernst blieben die Liebenden vor einander stehen: die dunkle Ahnung war schon Wirklichkeit geworden.

Anna, sagte endlich Gotthard, indem er den Knaben, der in seinen Armen eingeschlafen war – es war Abend geworden – auf's Sopha legte, Anna! wir müssen scheiden. Auf welche Weise ist mir selbst noch nicht deutlich, aber es gilt, Ihnen die Knaben zu erhalten, deren Verlust Sie zerstören würde. Gott weiß, ob ich Sie je wieder allein spreche, darum heute eine Bitte, für welche ich Ihre Verzeihung innigst erflehe.

Er blickte auf Joseph, das Kind schlief fest und sanft. Anna war in einer furchtbaren Stimmung, Gotthards volle bewegte Stimme[172] vibrirte in jedem Nerv ihrer bebenden Gestalt; sie konnte nicht reden, es erstickte sie.

Der Graf wird meine Einmischung in seine Verhältnisse unter keiner Form jemals vergeben, Sie würden immer dafür büßen. Sie wissen, Anna, daß mein Leben hier, wie in der Ferne Ihnen angehört. Ich werde Wien gleich nach der geschlossenen Uebereinkunft mit Metternich verlassen, mich ganz den Geschäften in den älteren Provinzen widmen. Der volle, tragende Strom der Zeit – Anna, er wird auch uns wieder zusammenführen und – es übermannte ihn, er schwieg einige Secunden – durch alle Verwandlungen der Tage hindurch werden wir einander erkennen. Nicht wahr, immer, überall?

Ich hoffe es, sagte sie, zusammenbrechend.

Nein, o nein, Anna! Sie müssen es wissen, unumstößlich gewiß, wie Sie wissen, was Ihnen das Höchste ist, wie Sie von Gott wissen, von der Fortdauer, tief aus dem Innern[173] der Seele heraus – sonst wäre mein Dasein eine Hölle! schloß er dumpf.

Ich weiß es! sagte sie fest. Er ließ sie los und ging nach seiner alten Art einige Male hin und wieder, um sich zu sammeln.

Es bleibt keine Zeit mehr, Wort und Ausdruck zu messen, wir haben kaum noch nach Minuten zu zählen; also meine Bitte.

Anna weinte, Gotthard trocknete leise ihre Thränen; aber er berührte ihre Augen nur mit dem Tuche. Hören Sie mich, fuhr er immer trauriger fort, jede kleinliche Rücksicht einer engherzigen Delicatesse muß in diesem Augenblicke schwinden! Ihr Gemahl darf nie, unter keiner Bedingung, auf keine Weise erfahren, was zwischen mir und Louis vorgefallen; die Verpflichtungen, die er und ich als Männer gegeneinander übernommen, müssen unberührt zwischen ihm und mir allein bleiben – das,[174] Gräfin, versprechen Sie mir! Es ist wichtiger, als Sie ahnen.

Louis hat mir alles geschrieben –

Unmöglich!

Ich weiß, welche Summe Sie für ihn übernommen. Er hat mir das Geld zu zahlen –

O Anna! rief Gotthard, schmerzlich ergriffen, indem er ihre Hände einen Augenblick an seine Brust zog, mußten Sie es aussprechen? Mußten Sie das elendeste Wort in dieser Stunde sich eindrängen lassen, die wahrscheinlich für uns keine Schwestern auf Erden hat? – Doch wie Sie wollen! Gleichviel; meine Bitte bleibt fest: kein Vorwurf, keine Scene, kein Misverstehen darf Ihnen das Geheimniß entlocken; Kronberg darf nie erfahren, was zwischen mir und Louis abgehandelt! O Freundin! versprechen Sie mir, was Sie nicht begreifen, ich bitte, ich beschwöre Sie darum!

Ich verspreche es! sagte Anna; und glauben[175] Sie mir, es ist kein Kleines, was ich thue, daß ich verspreche, was ich nicht übersehen kann!

Mutter! Gotthard! schrie das Kind im Schlaf. Beide eilten zu ihm. Gotthard küßte seine blonden Locken, die über die Sophalehne herabhingen – er sah traurig aus, wie van Eyks richtende Engel. Gott erhalte Ihnen den Knaben! rief er gepreßt, dann wandte er sich, um zu scheiden. In Beiden wogte der Kampf einer mit jedem Moment sich steigernden verzweifelnden Leidenschaft und seine schmerzliche Gewalt riß Herz an Herz. Gotthard drückte die zitternden Hände auf seine Augen. Nein! nein! rief er mit wachsender Heftigkeit, auch nicht den Schatten eines Fleckens auf diese Stunde! Er bog sich leicht zu Annen nieder und küßte ihr Gewand. Bleibe meine Heilige! flüsterte er und stürmte fort.

Anna sank weinend neben ihrem schlafenden Knaben in die Knie und betrachtete ihn lange;[176] sie dachte nicht deutlich, sie fühlte nur dumpf eine unsägliche Pein; und wie ganz von fern in Nebel eingehüllt, zog ihrer Erinnerung die erste Stunde ihres Kampfes vorüber, als ihr klar geworden, daß sie Gotthard liebe. Wenn ich nur nicht wahnsinnig werde! seufzte sie. Endlich küßte sie ihren Joseph wach, um ihn zu Bett bringen zu lassen.

Nach fünf Minuten hörte sie Kronbergs Schritt im Vorzimmer. Er sah erhitzt und unglücklich gestimmt aus; er kam von der Capacelli, die ihm irgend eine Scene gemacht haben mochte. Dem Ärger über sie gesellte sich die Entrüstung über Gotthards unverschämte Eingriffe in alle Rechte, die ihm die Natur und die bürgerliche Gesellschaft verliehen.

Anna, sagte er, ich hatte gehofft, die unglückselige Geheimnißkrämerei, die so traurige und ernste Folgen in Bezug auf Leontinen gehabt, würde in unserer Familie wenigstens nicht[177] Wurzel schlagen; ich habe mich geirrt! Je ne suis pas le dupe des phrases de Monsieur Gotthard! Wie er bei unserm Fortzuge von Bern mit Gewalt sich in die unselige Geschichte Viatti's eindrängte –

Mich dünkt, sagte Anna, wir verdanken ihm die Freiheit unseres Schwagers. Hast du vergessen, daß am Tage nach dessen gelungener Flucht Haussuchung die ganze Straße entlang gehalten wurde? Sie trat zu ihm und legte sanft die Hand auf seinen Arm. Beflecke dich nicht durch Undankbarkeit, Roderich!

Eben so, fuhr Kronberg fort, ohne auf sie zu hören, möchte er nur ohne Recht und Befugniß die Leitung des ganzen Bildungsganges unserer Söhne sich erhalten! Ich glaube nicht an Infallibilität, nicht einmal an die des heiligen Vaters.

Was soll das Alles? fragte Anna.

Du hast mir schmerzlich-klare Gründe gegeben,[178] vorauszusetzen, daß dieser Gotthard die Hand bei allen bedeutenderen Ereignissen unseres Lebens im Spiele hat; ich hätte aber wenigstens erwarten können, persönlich von seinen Einflüsterungen und Zwischenträgereien verschont zu bleiben!

Anna schwieg; wie eine Königin stand sie ruhig und ernst vor ihm. Ich verstehe dich nicht, sagte sie endlich.

Leider sind mir seine Beweggründe keine Räthsel mehr! Aber bedenke, fuhr er, immer heftiger aufbrausend, fort, bedenke genau, was du thust! Ein unedles Erspähen meiner Tritte und Schritte ertrage ich nicht! – Ich habe dir volle, unbegrenzte Freiheit in allen Handlungen gelassen – laß sie nicht in Beherrschung der meinen ausarten! Armes Kind! was hoffst du zu erreichen? setzte er, immer mehr sich steigernd, höhnisch hinzu. Meinst du, der Satan lasse mit sich handeln und sich einen Rest des einmal von[179] ihm ergriffenen Menschenglückes abdingen? Er hält fester, als Liebe und Glück.

Er warf sich auf das Sopha und blieb schweigend, als erwarte er ihre Antwort, mit verhülltem Gesicht vor ihr sitzen. Seine Brust arbeitete fürchterlich, er schien fassungslos. Hand und Schnupftuch verbargen ihr seine Züge.

Ich verstehe dich durchaus nicht, Roderich! wiederholte sie mit trauriger, aber fester Stimme. Meinst du jedoch eine Einmischung des Geheimraths, so ist deine Besorgniß grundlos, denn er steht auf dem Punkte, Wien auf lange zu verlassen.

Das ist nicht wahr! fuhr Kronberg auf, das wäre in seiner Lage Wahnsinn, Raserei! – Was will er damit? Hält er mich – er zitterte vor Wuth, seine Zähne schlugen aneinander – hält er mich etwa gar für eifersüchtig?

In diesem Augenblicke brachte der Jäger[180] des Grafen ein Billet. Roderich erbleichte; er las es mehre Male und verließ mit dem Jäger das Zimmer.

Nach wenigen Secunden kam er zurück und nahm seinen Platz wieder ein. In dumpfes Sinnen verloren, saßen die Gatten einander lange gegenüber. Endlich sprach Kronberg weiter: Unser Egon ist der ausgezeichnetste Knabe, den ich je gesehen –

Dank sei Gotthard, der seine Anlagen erweckte! dachte Anna.

Ich hoffe, er wird einst unter den Bedeutendsten seines Vaterlands zählen, darum will ich ihm keine berechnenden Erziehungsfesseln angelegt wissen, wie sie mich während meiner Jugend gedrückt –

Anna seufzte und schwieg.

Herr Gotthard und Consorten vermögen kaum, den Standpunkt zu erfassen, von welchem aus der junge Aar seinen Flug beginnen soll.[181] Ja! fuhr er plötzlich, wie in's Weite blickend, aber sehr trübe fort, er mag die Flügel ungebunden entfalten und des Vaters Beispiel soll ihn wenigstens vor einer sentimentalen Störung seiner Carrière bewahren, zu welcher auch ihn die Umstände stoßen könnten, und der in unsern Tagen überall nur die krasseste Lebensironie entgegentritt.

Um Gottes willen, Roderich! fuhr Anna bebend auf, was hast du über die Kinder beschlossen?

Die Knaben kommen sogleich nach Berlin unter Geierspergs Aufsicht, der sie in ein bedeutendes adeliges Institut thun mag.

Anna starrte unbeweglich vor sich hin, der Gedanke an diese Trennung lähmte ihre Sinne.

Kronberg sah nach der Uhr, dann sprach er fort: Geiersperg hat mit bewundernswerther Consequenz Viatti's Sache geführt; zweimal ist er in Mailand und Neapel gewesen. Graf[182] Gonfalonieri büßt mit lebenslänglichem Gefängniß, was hier, in schonender Milde, mit Verbannung und einem gegebenen Ehrenwort abgemacht wurde. Noch in diesem Monat hoffe ich meiner Nichte Ehre gesichert und die Folgen dieses tollen Schrittes ausgelöscht zu sehen, noch vor Ablauf des Sommers sie dem Kaiser als Gräfin Viatti vorstellen zu dürfen. Nun so viel gelungen, steht mehr zu hoffen! Und merke wohl, das danken wir Geiersperg! Geiersperg, dem Realisten. Mitten im Sprechen hatte Kronberg wieder nach der Uhr gesehen. Der zweite Act der Medea, sagte er plötzlich in ganz anderem Ton. Darf ich dich hinfahren? Mein Wagen wird bereits halten. – Eben meldete man St. Luce. Kronberg ließ ihn nicht zum Worte kommen, er mußte mit.

Und die Unglückselige, von tausend räthselhaften Empfindungen und Sorgen Beängstigte mußte in die Oper und das Ballet sehen, von[183] welchem seit drei Wochen die Rede war, und die Cavatine der Capacelli hören, die alle Welt entzückte. Kronberg brachte sie in ihre Loge, in welche auch St. Luce ihr folgte, dann verließ er sie. Sie wußte ihn auf der Bühne oder in der Capacelli Garderobe, aber sie machte eine glänzende Conversation mit einer Menge sie in der Loge umgebenden Herren, und war eine brillante, schöne, bewunderte Frau, deren türkischer Shawl und Schmuck unzählige neidische Blicke auf sich zogen. Das ist das Leben!

St. Luce wußte um Louis' Abreise, er flüsterte es ihr zu und sah bewegt aus dabei. Woher konnte er es schon wissen? In Anna's Seele flackerten die Gedanken, wie Irrlichter auftauchend und schwindend, sie vermochte keinen einzigen festzuhalten. Gotthard war nicht auf seinem Platze ihr gegenüber. Erst in der vorletzten Scene gewahrte sie ihn, sie sah, daß er nur kam, um zu erfahren, ob sie im[184] Theater sei. Nach wenigen Minuten, noch ehe der Vorhang fiel, war er verschwunden.

Kronberg ließ am folgenden Morgen Annen wissen, er komme nicht zu Mittag nach Haus. Den ganzen Tag über hieß es: er sei aus. Der heutige Abend war einer ihrer Empfangsabende, es kamen eine Menge Leute; aber weder Gotthard noch Kronberg erschienen. Anna war in tödtlicher Verlegenheit, sie ersann eine Entschuldigung um die andere. St. Luce, der ihre Angst sah, verließ die Gesellschaft, wie er sagte, um Gotthard zu sprechen. Einen Moment athmete sie leichter auf, als sie seinen Wagen aus dem Thor rollen hörte; vergebens, er kehrte zurück, Gotthard war nicht zu Hause.

Gegen halb elf Uhr kam endlich Kronberg; er entschuldigte sich leichthin mit der Abreise des hessischen Gesandten, den er in seinem Hotel habe aufsuchen müssen; er schien aufgeregt, mit Annen sprach er kein Wort.[185]

In einem Seitencabinet saß ein kleiner Männerkreis, einer unter ihnen erzählte etwas, worüber alle andern laut auflachten.

Ruthberg gesellte sich ihnen zu; sie begrüßten ihn immer noch lachend als Mephisto und fragten, ob er seinen Mantel zur Luftreise bereit halte? Ruthberg lachte auch; er schien den Scherz zu verstehen.

Ob die eigentliche Herzenskönigin ein Gretchen oder eine Helene sei, fragte man weiter. Ob der tugendhafte Bruder sich zufrieden gegeben habe?

Gar nicht! fuhr eine Stimme aus der entferntesten Ecke dazwischen, der eine Bruder hat den andern Bruder auf Ruthbergs Anstiften rein ausgeplündert!

Auf mein Anstiften? fragte Ruthberg halb erzürnt, halb belustigt.

Nun, das heißt auf des Mephisto Anstiften.

Hat denn Gretel-Helene zwei Brüder?[186]

Ach nein! der eine andere Bruder – ist der Bruder einer Heiligen, die wir Alle verehren.

Der Name wird hier nicht genannt, meine Herren! rief ein blonder Offizier.

Nicht einmal gedacht, bei solch einer Gelegenheit! setzte ein zweiter hinzu.

Zum Teufel, so erzählt mir's doch auch!

Nun also, Helene hat aus früheren Zeiten einen – Bruder.

Ah so!

Der Bruder ist natürlich ein Heide und seine Schutzgöttin die Fortuna. Da aber in der Mythologie immer eine gewisse Identitäts-Confusion vorherrscht, so hatte Venus früher als Fortuna –

Anastasius! wenn du uns die Sache ohne Mythologie vortragen möchtest?

Meinetwegen! Wir haben gestern, wie wir hier sitzen, zusammen im goldenen Löwen dinirt, den Nachmittag wollten wir ganz unter uns[187] ein Spielchen machen. Hubert suchte also den Bruder der Capacelli auf, damit er eine kleine Bank eröffne. Gondi kam; als aber hinter ihm die Thüre abgeschlossen werden sollte, erschien Ruthberg mit seinem Pylades.

Ohne Mythologie! schrie Ruthberg.

Nun, der Graf that erst etwas scheu und sah uns blos zu. Ruthberg pointirte. Die Bank verlor; als sie zahlte, legte sie markirte englische Banknoten auf, die der Graf erkannte.

Wie denn das?

Er hatte sie markirt aus England empfangen und die Nummern notirt, wie das oft geschieht, und gerade diese nämlichen Banknoten am selben Morgen dem weisen Solon ausgezahlt.

Der bittere Kelch dieser Erkenntniß verjüngte den Faust, den du Pylades nennst, er wurde zornig, als wäre er zwanzig Jahre alt.[188]

Aber Solon rührt ja keine Karte an, er spielt nie!

Eben darin lag die Affaire! Dem Solon hatte er sie gezahlt, wie kamen sie denn nach Verlauf so weniger Stunden alle in die Hände des – Bruders?

Das sieht einer abgekarteten Zufälligkeit so ähnlich, wie ein Ei dem andern, sagte der Blondin. Glaubte er denn an den Bruder?

Den Zusammenhang habe ich nicht weg, versicherte ein Anderer.

Die Frage war: ob der Bruder von seiner Schwester die beiden Noten, die sich auf etwa vierhundert Florins beliefen, erhalten habe, und für was man sie ihr gegeben.

Alle lachten. Ruthberg, nun erzähle uns die Geschichte weiter! Du gingst ja, nachdem Ihr verloren, mit ihm und Gondi fort.

Was ist da viel zu erzählen! Es fand sich eben, daß noch eine Sorte Bruder im Spiele[189] sei und sich heimlich aus dem Staube gemacht habe.

Und nun breitete sogleich Mephisto seinen Mantel aus und ihr flogt nach? –

Bah! rief Ruthberg, wir haben Wien nicht einen Augenblick verlassen!

Darüber schweigt die Geschichte; die Capacelli aber war unschuldig diesmal, nicht wahr?

Eben traten mehre Herren und Damen in das Cabinet, die Offiziere standen höflich von ihren Sitzen auf, das Gespräch hatte ein Ende.

Begreifst du, sagte der blonde Offizier im Hinausgehen zu seinem Freunde, was dieser Satan von Ruthberg mit Kronberg vorhat? Die ganze Ueberraschung scheint verabredet, weshalb hätte sonst Gondi in englischen Papieren gezahlt, die konnte er ja in fünf Minuten umsetzen? Es steckt irgend eine Teufelei dahinter.

Es ist ein großer Irrthum, zu glauben, daß nur in kleinen Städten geklatscht wird; beinahe[190] alle Männer in Annens Salon wußten einen Theil dessen, was ihr so räthselhaft blieb.

Paola Capacelli war in einem Punkte nicht um ein Haar anders, als die meisten ihrer Kunstgenossinnen; sie nahm die Auszeichnung, die ihr in vollem Maße ward, dankbar hin, sie freute sich der berauschenden Huldigungen, die ihr das Publicum zu Theil werden ließ, aber sie würde sie dennoch gern mit den minder geräuschvollen vertauscht haben, welche die Gesellschaft der schönen Frau aus höheren Ständen beut.

Kronbergs Betragen gegen sie, obschon er die reizende Spanierin nicht liebte, hatte durch die entsetzliche Qual, die ihm seine in einer Andern so tief gekränkte Eitelkeit verursachte, fast immer etwas Leidenschaftliches; sein Mistrauen, die täglichen Ungleichheiten seines ganzen Wesens, seine Heftigkeit, seine Unruh[191] konnten von einer Frau wie die Capacelli sehr leicht als glühende Liebe gedeutet werden.

Die unselige Spazierfahrt, auf welcher sie Louis neben Annen gesehen, erweckte zuerst in Paola's Brust den Gedanken, daß auch die Gräfin einen Liebhaber begünstige, daß Kronberg um seiner Ehre willen eifersüchtig sei und die Trennung einer Ketzerehe nicht zu den Unmöglichkeiten gehöre.

Die schöne Paola war nicht immer in einer so glänzenden Lebenssphäre gewesen, als die, zu welcher jetzt ihr Talent sie erhoben. Sie hatte traurige Tage der Armuth und Verlassenheit durchlebt. Das natürliche Kind des elenden Wirthes einer Posada im Gebirge, ward sie dem armen Flecken, in welchem sie geboren, schon als Kind von einem durchreisenden Italiener entführt, dem ihre schöne Stimme aufgefallen. Capacelli war sein Name; er hatte sie unterrichtet, erzogen, benutzt, verführt –[192] am Ende geheirathet, als sie kaum den Kinderschuhen entwachsen, um den Gewinn ihres Talents um so gewisser sich zu sichern.

Sehr natürlich war der alternde Maestro di Capella nicht der Einzige geblieben, den ihr Gesang und ihre Schönheit anlockten; noch ehe sie die Bühne betreten, hatte sich ein bisher durch ihr ganzes Lebensgewebe fortlaufendes Verhältniß zu einem bildschönen italienischen Vagabonden geschürzt, der in allen Hauptstädten Europas, in denen sie verweilte, bald als vornehmer Reisender, bald als Glücksritter und Spieler auftrat und wie ihr Planet, obschon minder oft sichtbar, um seine schöne Sonne sich drehte.

Seit einem Jahre hatte der Tod die Fessel ihres Ehestandes gelöst und die Zeit die der Liebe gelockert. Paola und ihr Geliebter waren darüber einig geworden, daß an eine engere, dauernde Verbindung unter ihnen Beiden zu[193] denken, eine Thorheit sei. Der Bequemlichkeit wegen hatte er sich in Wien für ihren Bruder ausgegeben. Seine ganz erschöpften Geldkräfte hinderten ihn für den Augenblick, in der höheren Gesellschaft aufzutreten; er hielt insgeheim in kleinen freundschaftlichen Cirkeln Bank und erntete im Whist und Ecarté die nöthigen Hülfsmittel dazu.

Gleich nach ihrer Heimkehr hatte ihm Paola das Begegnen der Gräfin Kronberg mitgetheilt und ihm befohlen, Nachricht über den Namen und Stand des jungen Mannes einzuziehen, den sie bei ihr gesehen, was, da Louis und Gondi dasselbe Hotel bewohnten, keine Schwierigkeiten fand.

Mehre Tage vergingen indessen doch, ehe er erfuhr, daß Louis Annens Bruder sei. Paola benutzte während derselben blindlings ihre Macht, Kronbergs Eifersucht auf die Gräfin zu steigern; das Misverstehen lag nur darin,[194] daß sie dabei den Fremden im Auge hatte, während jener alle ihre andeutenden Worte auf Gotthard bezog und sich bereits die Zielscheibe der öffentlichen Aufmerksamkeit wähnte.

In der heftigen Scene zwischen Kronberg und Louis, welche den Ausbruch seiner Krankheit veranlaßte, war Gondi ein unbewußter Hauptagent gewesen; seine sanguinischen Hoffnungen, eine Scheidung des Grafen von dessen Gemahlin herbeizuführen und Paola einst deren Stelle einnehmen zu sehen, hatten ihn zu sehr gewagten Uebertreibungen verleitet. Er hatte des Grafen Leidenschaft zur Capacelli mit glühenden Farben geschildert und Louis dadurch noch mehr erzürnt und verwirrt. Gotthards Dazwischenkunft löste endlich alle die Misverständnisse, indem sie zugleich Louis' augenblickliches Verlassen Wiens erzwang.

Seit dem letzten Ereignisse waren erst wenige Stunden vergangen, als Gotthard Annen von[195] der Abreise ihres Bruders benachrichtigte und Kronberg an Gondi's Spielbank saß. Er verließ mit diesem und Ruthberg den Saal. Ohne Umstände hatte ihm der Spieler gestanden, daß, obschon er die Noten aus Louis' Händen empfangen, dieselben von Gotthard stammten, und ihm eine Schuldverschreibung auf zweihundert Florins gezeigt, welche den Rest der verspielten Summe ausmachte.

Sehr natürlich nahm Kronbergs Gefühl sogleich eine andere Richtung; abermals trat ihm ja des Verhaßten Einfluß in Bezug auf Anna entgegen! Er eilte mit seinem Freunde in das Hotel, von da zur Post; Louis war wirklich abgereist. Fast wäre er auf den Gedanken gekommen, mit Courierpferden der Post nachzujagen. Ruthberg begleitete ihn überall hin, war aber hinterdrein indiscret und erzählte die Geschichte einigen guten Freunden, die sie weiter beförderten – und commentirten.[196]

Ruthbergs Benehmen hatte gar keinen besondern Grund, die Sache amusirte ihn; vielleicht regte sich die geheime Hoffnung in ihm, durch einen ohnehin unvermeidlichen, etwas schneller erweiterten Bruch des Grafen und Anna's irgend einen Vortheil zu ziehen – vielleicht trieb ihn der instinctartige Haß gegen Gotthard; er dachte nicht darüber nach.

Indessen führte er selbst die Klätschereien herbei, denen wir im Salon vierundzwanzig Stunden später zugehört; aber alle Anwesenden, die sie belustigten, bezogen Kronbergs unruhigen Zorn auf die Capacelli, Annens gedachte Niemand dabei; und geschah es ja, war es nur, um die schöne, liebe Frau zu beklagen.

Nachdem ihm am Abend alle Versuche mislungen, seinen Schwager zu erreichen und ihn noch um eine Erklärung zu bitten, hatte Kronberg, wie wir wissen, zu Hause in dem Anliegen seines Knaben einen neuen Grund der Erbitterung[197] gegen Gotthard gefunden; im Cabinet seiner Frau war sein erster Blick abermals auf den Verhaßten gefallen. Ein Billet Paola's hatte ihn während des Gesprächs mit Annen dringend auf die Bühne und nach der Oper zu sich beschieden, wo sie ihm einige sonderbare Mittheilungen versprach.

Gotthards so entschiedenes Verfahren gegen den ihm als Abenteurer bekannten Spieler und Louis' fast gewaltsam erscheinende Entfernung hatte Paola und ihrem Freunde Gondi viel zu denken gegeben. Der weibliche Instinct ließ sie vollkommen richtig rathen und sogleich wandten sich ihre Machinationen gegen Gotthard. Die Art und Weise, in welcher sie Kronberg die Sache vorstellte, die höchst gewandten Fragen, welche sie einer Wiederholung der Erzählung ihres Bruders verwebte, reiften in ihm einen Entschluß, dessen ganze Thorheit er fühlte, ohne die Kraft zu haben, ihn in sich zu ersticken.[198]

Als er am frühesten Morgen vor Gotthard stand, fiel ihm ein, daß er ihn im Grunde gar nichts zu fragen habe – was gingen ihn die Zahlungen des Geheimraths an? –

Gotthard saß, von einer Menge Acten und anderen Schriften umgeben, in seinem Arbeitscabinet. Ein tiefer Ernst umwölkte seine hohe Stirn; er sah den. Lenz nicht, der aus dem Gärtchen mit Rosenaugen in seine stille Zelle schaute, er hörte die Mahnung all der kleinen zwitschernden Vögel nicht, die so dringend bittend den Frühlingston der Menschenbrust, das leise sehnende Flehen um Liebe in seinem Herzen wach zu rufen schienen; er sah das Schattenspiel der Blütenranken nicht, das auf seinen Papieren phantastisch auf und niedergaukelte – jeder Sinn war der Außenwelt verschlossen und nur im tiefsten Innern wuchs ein einziger schmerzlicher entsetzlicher Gedanke riesenhaft, wie eine unermeßliche Nacht, und überdeckte wachsend[199] mit seinem Dunkel das reiche vollquellende Leben in und um ihn her, bis es zum Nichts zusammenschrumpfte.

Es ist grauenhaft, wenn die höchsten Steigerungen des Gefühls und des sichtenden Gedankens mit einem Male in einer unausweichbaren Ueberzeugung zusammenfallen, die wie durch einen Brennspiegel mit den Strahlen des Erhabenen, Ewigen über uns das kleine Hoffnungsleben des armen Menschenherzens verzehrt! Wenn seine ganze reiche Vergangenheit, all die bunten Elemente des Glücks seiner Zukunft, plötzlich wie ausgebrannt, schwarz verkohlt vor ihm da liegen, wenn in Minutenenge lange Jahre einer ganz leer gewordenen und doch noch zu durchlebenden Zeit drohend aneinander sich drängen! – solche innere Erlebnisse, solche Vernichtung des Erdenmaßes, mit dem wir sonst unsere Tage messen, hat manch braunes Haar in unbegreiflicher Geschwindigkeit gebleicht, manch[200] glanzlichtes Auge ausgelöscht, daß es fortan ganz farblos die Gegenstände zurückstrahlte, manch junges Blut haben sie stocken gemacht, als habe es der Eisfinger des Alters berührt, – aber, ach! getödtet haben solche Augenblicke nie.

Gotthard hatte die ganze Nacht hindurch über seine Stellung zu Kronberg nachgesonnen; es war ihm klar geworden, daß diesem sein sich stets wiederholendes Entgegentreten in allen engeren Lebensbeziehungen unleidlich qualvoll sein müsse, daß eine fast übermenschliche Kraft dazu gehöre, es zu dulden, nachdem Roderich seine und Anna's Neigung zu einander erkannt – und konnte Gotthard zweifeln, daß dem so sei?

Unbarmherzig riß er den Schleier selbst mitleidiger Täuschung entzwei; er war entschlossen, seiner Carrière eine andere, neue Richtung zu geben, von Annen sich zu trennen.

Seit gestern schauderte ihm vor der Tiefe seiner eigenen Leidenschaft; er hatte die Unmöglichkeit[201] empfunden, sie in jedem Augenblicke zu zügeln. Anna's Kummer hatte ihn der Kraft beraubt, sich selbst zu widerstehen. Er wußte, daß Kronbergs Charakter kein unedler, daß dessen Eitelkeit und Wankelmuth die Folge eines gewaltsam aus seinen Fugen herausgerissenen frühen Gefühls sei; er fühlte alle diese Gedanken, diese ernsten stillen Mahner mit tödtendem Entsetzen, denn sie verurtheilten ihn. Er konnte sich's nicht leugnen, dem Grafen das Unerträgliche aufgebürdet zu haben: die Superiorität eines Nebenbuhlers.

Und plötzlich, wie eine Verkörperung des eigenen Innern stand Kronberg selbst vor ihm, ruhig, edel in Anstand und Ausdruck.

Gotthard war einen Augenblick zu Muthe, als komme jener, ihn zu fordern auf Leben und Tod. Der Graf hatte sich gefaßt; er fragte ihn ganz einfach nach dem ihm vielleicht bekannten Zusammenhang der Zahlung einer[202] Spielschuld seines Schwagers, die dessen Mittel zu überwiegen scheine und dennoch abgetragen sei. Sie fühlen, setzte er hinzu, daß ich der Gräfin einen großen Schreck verursachen würde, wenn ich sie direct darum befragte.

Ich zweifle, daß sie um die Sache weiß, erwiderte Gotthard. Er erzählte eben so einfach, wie St. Luce erwähnt, daß Louis, obschon genesen, von Tag zu Tag seine Abreise verschoben hätte, wie er selbst darauf ihn besucht, des jungen Mannes Vertrauen gewonnen und mit ihm zu Abtragung der Schuld eine Uebereinkunft getroffen.

Ich brauche Ihnen, Herr Graf, setzte er verbindlich hinzu, nicht erst zu sagen, daß eine solche von Männern gegeneinander übernommene Verpflichtung kein Gegenstand des Gesprächs mit einem Dritten sein darf.

Kronberg schwieg; an der Marmorglätte dieses reinen festen Willens brach abermals seine Kraft.[203]

Aber, fuhr Gotthard fort, fürchten Sie keinen Flecken auf Ihres Herrn Schwagers Ehre; alles Nöthige ist von ihm selbst im Voraus besorgt und die am Total fehlende Summe wird noch heute in Gondi's Händen sein.

Kronberg stutzte. Gotthard sah völlig gleichgültig aus. Hier war nur eine Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Gotthard war mit seiner Gemahlin im tiefsten, innigsten Einverständnisse, oder Louis hatte in rasendem Stolz sein Erbtheil verpfändet; es konnten aber Monate, Jahre vergehen, ehe das aufzuklären war. Sie haben Sicherheit? fragte er kurz.

Vollkommne, erwiderte Gotthard. Aber nun, Herr Graf, gestatten Sie mir die Gunst Ihres frühen Besuchs zu benutzen. Mich hat ein Vorschlag, eine Bitte nach Wien zurückgeführt, deren Erfüllung ich Ihnen sehr ernstlich danken würde. Seine Unterlippe bebte convulsivisch, seine Stirn blieb klar. Die Hauptfragen[204] beim hiesigen Gouvernement sind erledigt, dem eigentlichen Juristen bleibt für den Moment wenig Bedeutendes mehr zu thun. Man hat uns hier den größern Theil der gewünschten Änderungen zugestanden, in den alten Provinzen fordern dagegen die Gesetzentwürfe zu Einführung ständischer Verfassungen meine Gegenwart und der Vorschlag des Vertrags mit Rußland bedarf einer strengen Revision – ich kam hierher, Sie zu bitten, Baron Stein vorläufig an meiner Statt die hiesigen Arbeiten zu übertragen, die etwaigen Memoires aber nach Berlin oder dahin mir nachzusenden, wohin das Ministerium mich beordert, wenn wir meine hiesige Aufgabe als vollendet ihm melden.

Mit unnachahmlicher Klarheit und unsäglich wehmüthiger Ruhe legte nun Gotthard dem Grafen seine zum Beschluß gereiften Geschäftspläne für sich und seinen Stellvertreter vor. Es lag ein fast heiliger Ernst in seinen Worten[205] und eine so tiefe Besonnenheit, daß Roderich, zur unwillkürlichsten Bewunderung hingerissen, zauderte, ihm zu antworten. Dies Anerbieten des edeln jungen Mannes überraschte ihn mit zermalmender Gewalt; er fühlte, daß, was auch Gotthard sagen möge, die Willkürlichkeit seiner Entfernung von Wien ihm künftig unübersteigliche Schwierigkeiten bereiten und hemmend in seine Thätigkeit eingreifen könne.

Noch schwieg er, da öffnete sich die Thür, St. Luce trat aus einem Nebenzimmer herein. Ohne aufzusehen, reichte ihm Gotthard die Hand. General, sagte er, ich habe bereits dem Grafen meine Wünsche eröffnet. Eine ungeheure Erschöpfung breitete ihr fahles Grau über seine Züge, es war eine Leichenfarbe, als habe der Tod ihn berührt.

Als endlich Roderich ihn verließ, stürzte er an des alten Freundes Brust; die innere Erschütterung hatte ihn jedes Ausdrucks seines[206] Schmerzes beraubt. Der General blieb den ganzen Tag bei ihm, pflegte ihn und sprach ihm zu, wie ein Vater seinem Sohne; aber all seine Beredsamkeit scheiterte an diesem stillen, stummen Weh.

Wahrlich, Eins des Andern werth! seufzte St. Luce.

In Kronberg stürmten indessen Schmerz und Gedanken nicht minder heftig; es war ihm unmöglich, jetzt seine Frau zu sehen. Tappend, unsicher, wie geblendet, durchirrte er die Straßen, sah die Menschen nicht, die ihm begegneten, vernahm nicht, was sie zu ihm sagten, es war, als habe ein unruhiger Wahnwitz ihn ergriffen. Nach stundenlangem Umhertreiben in Wiens Straßen ging er zur Capacelli, dort hatte man ihn bereits gesucht. Geschäftliche und gesellige Anforderungen bemächtigten sich seiner, umdrängten ihn, rissen ihn mit Gewalt in das Gewirr platter Alltäglichkeit.[207]

Mit unbeschreiblicher Sorge folgte Paola's Auge jeder seiner Bewegungen; bebend gewahrte sie die Macht einer Andern auf sein Herz, und ein glühender Haß, ein unvertilgbarer Wunsch nach Rache an der Gräfin begann sein geheimes Leben in ihrer Brust zu regen.

Sie saß zu Roderichs Füßen, küßte seine Hände, umwickelte ihn mit ihrer Zärtlichkeit, wie mit einem Zauberschleier, all seine Gedanken umrankte, umwob sie; mit all seinen Sinnen im Bunde, stritt ihre Leidenschaft gegen seinen Schmerz; abwechselnd launisch, weich, gewaltsam, ließ sie nicht ab von ihm, bis ihr endlich gelungen, ihn mit in den wirbelnden Strudel ihrer eigenen Empfindungen zu ziehen, und er ermattet, wehrlos an ihrem Busen lag.

Dann ward sie amusant, tändelnd, fast drollig, was ihrer hohen Gestalt, ihren markirten Zügen durch den Gegensatz einen Reiz wunderlichster Art verlieh; leise, leise weckte sie das[208] Leben wieder, das sie erst, wie vernichtend, in sich gesogen, sang ihm ihre Sirenenlieder vor und wendete in diesem seltsamen Spiel, das man eine Gefühlsorgie nennen könnte, das Herz ihm in der eigenen Brust, bis er willen- und bewußtlos die ganze übrige Welt in ihren Armen vergaß.

Gotthard hatte sich daheim still in sich beruhigt, der Abend war herangekommen, er rang mit dem Entschluß, zu Kronbergs Soirée zu gehen – sie zu sehen.

Gebe Gott, sagte er ernst, daß der Graf nicht allzulange zögert; die Hauptschritte zu meiner Versetzung müssen wir Beide zugleich thun. Ohne Bewilligung des Cabinets kann ich nicht abreisen, diese nicht erhalten, ohne seine officiell ausgesprochene Zustimmung.

Wenn er ihr wenigstens die Knaben ließe, murmelte der alte St. Luce trübsinnig vor sich hin; er will sie nach Berlin schicken.[209]

Das wird er nicht, erwiderte Gotthard sehr bitter, wenn ich hingehe.

St. Luce verließ ihn, um nach Annen zu sehen. Gotthard hatte versprochen, ihm zu folgen; aber als er gehen wollte, vermochte er es nicht, es war ihm mit einem Male unmöglich geworden, gerade heute, unter so vielen fremden Gesichtern sie zu sehen; als St. Luce zurückkehrte, um ihn zu holen, fand er ihn nicht mehr zu Hause.

Anna verging der Abend in tödtlich beklemmender Sorge. Als die letzten Anwesenden sich entfernten, war Kronberg schon wieder verschwunden, ohne auch nur ein Wort an sie gerichtet zu haben.

Ihm war zu Muthe, als habe er eine Art Hinterlist gegen sie gebraucht, er schämte sich, ohne deutlich zu wissen, weshalb. Das ritterlich Loyale seines Wesens empörte sich gegen[210] den Wunsch, Gotthards Anerbieten anzunehmen, und machte ihn verwirrt und befangen.

Am nächsten Morgen lag Anna an einem nervös-hitzigen Fieber gefährlich krank darnieder. In ihren Phantasien rief sie stundenlang Gotthards Namen, dann wieder die ihrer Knaben; waren diese bei ihr, so ward sie stiller, ließ aber keinen derselben los, wenn ihn ihre Hand erfaßte. Eine unsägliche Angst schien sie zu verzehren.

Jetzt war Kronberg wahrhaft beklagenswerth. Sophie wandte die höchste Sorgfalt an, das Verletzende zu bergen, ihn während der wilden Ausbrüche ihres Deliriums von Annens Lager entfernt zu halten, vergebens! In wüthend wahnsinnigem Schmerz klagte er nicht sie, sondern sich selber an, als suche er mit übertreibender Heftigkeit an der eigenen Qual sich zu weiden, und verließ kaum ihr Zimmer. Zur Capacelli ging er gar nicht in diesen Tagen.[211]

Als er aber einmal während eines etwas beruhigteren Schlummers der Kranken in seine Stube trat, fand er drüben Paola, in Thränen aufgelöst, am Boden kniend, vor einem seiner Fauteuils; sie betete und mischte unwillkürlich in die Worte ihres Rosenkranzes wilde Drohungen und Verwünschungen gegen ihn. Der spanische, etwas fanatische Charakter der Schönen sprach sich herb und bitter aus, fast war's Verachtung, die sie Roderich zeigte; als sie ihn aber genauer ansah, stürzte sie mit lautem Aufschrei in seine Arme. Unwillig drängte er sie zurück und begegnete ihr hart; weder ihr Mitleid mit seinen eingefallenen Zügen, noch ihr Zorn vermochten es, ihn zu rühren.

Duguet saß Tag und Nacht im Vorzimmer, dicht an der Thür des Cabinets seiner Gebieterin und harrte irgend eines Befehls; waren sie nicht bei ihr, hielt er die beiden Knaben auf dem Schoose, die mit ihm weinten.[212]

Gotthard kam wol zwanzig Mal des Tages zu Sophien, um Nachrichten einzuziehen. Mehre Mal fand ihn Kronberg in deren Zimmer; er saß gebeugt, in starrem Schmerz still vor sich hinblickend, so versteinert da, daß er den vor ihm stehenden Grafen nicht einmal gewahrte.

Als aber nach zehn, zwölf Tagen die Lebensgefahr vorüber war, reichte Gotthard sein Gesuch um vorläufige Entlassung an das Ministerium beim Grafen ein und forderte ihn auf, demselben seine schriftliche Zustimmung beizulegen.

Während man einer Antwort von Berlin aus harrte, übernahm St. Luce, welchem man den Zutritt nicht länger zu weigern vermochte, die Kranke, die nun außer Bett in ihrer Chaise longue lag, auf Gotthards mögliche Entfernung vorzubereiten. Wehmüthig reichte sie dem alten[213] Freunde die Hand. Ich wußte es! war Alles, was sie sagte.

Kronbergs Stimmung hielt nicht Stich, sie verwandelte sich, wie Annens Genesung vorschritt, mit jedem Tage mehr und mehr. Der Bruch mit der Capacelli war zu grell zur Dauer, er sah sie wieder und versöhnte sich mit ihr. Schon jetzt nahm er Gotthards Entfernung von Wien als etwas hin, das sich gebühre, daß seiner und Anna's Ehre wegen unvermeidlich, folglich kein Opfer sei; er war wieder der vornehme, vom Glück verwöhnte Aristokrat, der des Untergeordneten Dasein kaltblütig verbraucht.

Noch einmal sah Gotthard sie wieder, aber nicht allein; St. Luce begleitete ihn hin. Anna saß zwischen ihren Kindern; sie und Gotthard waren Beide überzeugt, daß vor der Hand von keiner Trennung der Knaben von ihr die Rede sei. Sie kannten Kronbergs Charakter und[214] verrechneten sich nicht; ihm war zu Muthe, als sei das Bleiben Egons der Kaufpreis für Gotthards Entfernung; obgleich er sich überredete, er würde dieselbe mit Gewalt erzwungen haben, wenn der junge Mann nicht von selbst den Forderungen der Umstände nachzugeben sich entschlossen, so fiel ihm doch nicht im Traum ein, an diesem Preise zu mäkeln. Alles Markten und Feilschen war ihm von Grund der Seele aus zuwider. Es mag so bleiben, sagte er sich, bis über's Jahr; der Kinder Anwesenheit wird sie für jetzt beruhigen und ich bringe dann später die beiden Knaben zugleich zu Geiersperg.

Gotthard schrieb Annen einige Abschiedszeilen; es waren wenige Worte, aber wie mit seinem Herzblut geschrieben. Sie weinte so heimlich, daß nicht einmal St. Luce ihre Thränen gewahrte. Ueberhaupt war Anna seit der Krankheit sehr verändert, die Trennung zerdrückte ihre noch nicht wieder erstarkte Körperkraft.[215]

Trennung! ein Wort, das man tausendmal hört und ausspricht, das man in tausend verschiedenen Gestaltungen in's Leben treten sieht und doch niemals in seinen Folgen im Voraus richtig begreift! dem Einen ein Ballast, der sein Lebensschiff im Gleichgewicht erhält, dem Andern der Stein, der ihn in die Todestiefe des Stromes hinabzieht; Jenem ein Hauch, ein Nichts, das er vergißt, indem er kaum es ausgesprochen, Diesem ein schweres Dunkel, das ihn lebenslang umgibt, in welchem er sich selbst verliert; – Ihr war's Erstarrung, Winterseelenschlaf. Sie vergaß der Trennung nie, in keiner Zerstreuung, in keinem Interesse, keiner Arbeit, ja sogar in keinem andern Schmerz. In jeder Secunde fühlte sie Gotthards Entfernung, wie man ein abgetrenntes Glied des eignen Körpers fühlt, immerfort es entbehrend, immerfort im Entbehren die Gegenwart seines Schattenbildes dunkel empfindend. – Sie[216] schrieb ihm nicht, sie fragte selten nach ihm; wenn ihr St. Luce zufällig eine Nachricht brachte, kostete das kleinste Wort derselben ihr einen ganzen Tag, sie konnte sich dann auf nichts mehr besinnen und ging umher wie ein Automat.

In der Gesellschaft sagte man: das Nervenfieber habe sie sehr stark angegriffen, und der diesjährige Sommer sei zu heiß.

Aber der Sommer und sein Siroccohauch verflogen – ihr Zustand war der nämliche geblieben: da brachte der October mit seinen bunten Blumen, die alle »Rosens spielten« und den Frühling nachäfften, die eine wahrste duftigste Frühlingsblüte, Leontinen.

Leontinens Lebenssonne stand im Zenith. Jean Carlo war begnadigt, das heißt, er war verbannt – verbannt auf zwanzig lange Lebensjahre, mit dem Vollgenuß seiner Einkünfte.[217]

Der Marchese Viatti trat in Wien mit solchem Glanze auf, daß Kronberg erschrak; er fürchtete, man werde einen Theil der schon gewährten Concessionen zurücknehmen. Er irrte; Oesterreich liebt die Pracht und den Reichthum, wie es die Wohlthätigkeit liebt und dem Hochstehenden wie dem Gemeinen gern den Genuß gewährt und bereitet, den materielles Wohl verleiht.

Das junge Paar miethete sich ein schönes Hotel, sah viele Leute bei sich; und da eine so nahe Verwandtschaft jede Rivalität aufhob, erhöhte sein brillanter Haushalt den Nimbus, der Kronbergs Gastlichkeit umgab. Die beiden Familien erhielten ein ungeheures Uebergewicht in der höhern Gesellschaft.

Sophie war fast immer auf dem Wege zwischen beiden Häusern. Bei Annen hielten sie die Kinder, und dann bedurfte ja die Kleine, wie sie insgeheim immer noch die Marchesin[218] nannte, ihrer nicht – die war so glücklich! – Duguet war nicht recht zufrieden mit dem Allen. Leontine hatte dem Dringen Jean Carlo's und der innern Unruhe ihres Gemüths nachgegeben – sie war zum Katholicismus übergetreten! Ob sie den so oft und schwer vermißten Frieden dadurch errungen, war in diesem Augenblick der vollen Blütenzeit ihrer äußeren Verhältnisse schwer zu entscheiden; kam sie doch kaum zur Ruhe des Nachdenkens über das Allernächste.

Duguet also war sehr unzufrieden mit diesem Schritt. A quoi bon ces bêtises? sagte er in seiner Revolutionsweisheit; er war nicht mit dem neuentstandenen Kaiserthum Bonaparte's zur alten Religionsform zurückgekehrt, die Déesse de la raison, die zu seiner Zeit ein sehr schönes Mädchen und später ein altes garstiges Äpfelweib in Bonn war, steckte ihm noch im Kopfe.[219]

Sophie gehörte dem Realismus an: sie fand den Schritt nöthig, der künftigen Kinder der Marchesin wegen. Kronberg kümmerte sich gar nicht darum; Anna blieb, wie immer, mild in ihrem Urtheil, sie begriff das Abschwören nicht, sie vermochte nicht an dessen absolute Aufrichtigkeit und Wahrheit zu glauben. Geiersperg, der das Ehepaar nach Wien begleitet hatte und so viel für dessen Vereinigung gethan, war, als er es erfuhr, mit Leontinen gleich zerfallen; er war ein eben so echter Protestant als loyaler Legitimist, der Religionswechsel schien ihm sündlich.

Selbst Annen gelang es nicht, ihn milder zu stimmen.

Wenn sie nur Jean Carlo genug liebt, um nie zu bereuen, sagte sie ihm, so ist's ja gut! Gott ist zu groß, um in der Wandlung der bloßen Form eine Sünde zu sehen; seit Ewigkeiten schaut er dem Wechsel alles Menschenwesens[220] zu, er wird auch hierin das Unabwendbare seiner gegebenen Naturgesetze gelten lassen. Sind denn die Veränderungen, welche Alter, Krankheit, Schmerz oder Glück oft plötzlich in unserer ganzen Sinnesart hervorbringen, kleiner? Schwört nicht der Greis die edeln Träume seiner Jugend ab? Und ist der Tod nicht vielleicht ein weit größerer, auf eignes Wollen erbaueter Uebertritt zu einer neuen Form der Anschauung des Höchsten?

Aber der Alte küßte sie und erwiderte: Wenn ich Gott meinem Herrn zwanzig Jahre als Cuirassier gedient, warum soll ich denn im einundzwanzigsten mein Regiment verlassen, die Uniform changiren, um ihm als Infanterist das Gewehr zu präsentiren? Du meinst es gut, Kindchen, aber du glaubst selbst nicht daran.

In einzelnen Minuten flog eine Wolke durch Leontinens reines Blau der Gegenwart; der[221] eine Schritt hatte sie all den Ihren, vielleicht sogar ihrem Vaterlande entfremdet.


Daheim in Berlin saß Josephine in stillem, sorgendem Kummer versenkt, täglich Briefe aus Wien erharrend oder schreibend. Ihre alte, schöne Heiterkeit, ihr Vertrauen auf das Glück ihrer Leontine kehrten nicht wieder. Der Glanz, der ihre Kinder in der Kaiserstadt umgab, freute sie wenig, sie war noch aus der Zeit, wo Comfort, Häuslichkeit und eine gemüthliche Gastfreundschaft höher galten, als eigentlicher Luxus; war nur immer Alles um sie so elegant, sauber und genügend für die sie Umgebenden, so vermißte Josephine nichts.

Leontinens Uebertritt hatte sie tief verletzt, auch sie vermochte nicht an die Dauer einer so im Fluge gewonnenen Ueberzeugung zu glauben, eben so wenig traute sie Jean Carlo's Trennung[222] vom Carbonarismus und den mit seiner ganzen Individualität so eng verwachsenen italienischen Verbindungen.

Fiel ihr Blick in die Zukunft, so bangte ihr noch mehr; sie fürchtete, Leontinen könne viel Trauriges bevorstehen; woran sollte ihr Gemahl in Preußen seine Interessen knüpfen? Deutschland war ihm fremd, keine Art fester Beschäftigung verband ihn mit demselben. Niemand nahm an seinem Streben Antheil, sogar die Gegenstände seiner Bewunderung in Kunst und Wissenschaft hatten eine der deutschen Ansicht fremdartige Färbung. Die neuere, meist didaktische italienische Poesie kann bei uns kein Element der allgemeinen Bildung werden; der Ausdruck seiner Vaterlandsliebe konnte leicht eben so wenig Anklang finden, denn seine excentrisch-grandiosen, auf Traditionen versunkener Größen erbaueten Lebensanforderungen mußten diesen durch lange herbe Erfahrungen gereiften[223] Männern, all den Professoren, Beamten und Offizieren, welche den Kern unserer Gesellschaft bilden, im Vergleich zu dem, was in Neapel wirklich geleistet worden, ein Lächeln ablocken, während sie den Staatsmännern strafbar erschienen. Und doch lag eine so tiefe Wahrheit in der Glut dieser Jünglingsseele, ein solcher Muth der Selbstaufopferung in diesem festen Glauben an eine mögliche bessere Zukunft. Josephinen traten die Thränen in's Herz. Wie lau erschien das allgemeine Mitleid, wie arm das Wort der Theilnahme an all den Qualen, die Jean Carlo durch Wiens brillantes Gesellschaftsleben hindurchtrug, unter dessen Glanz er schweigend das einmal Uebernommene mit verbissenem Ingrimm, einem Gefangenen gleich, der die Kette nachzieht, mühsam und schwer durch seine Tage schleppte.

Und nun sollte und wollte der Verbannte künftig in Berlin leben und Ruhe halten und[224] in den einmal angenommenen Formen und Grenzen der staatsgesellschaftlichen Zustände ausharren, ein langes Menschenalter hindurch!

Josephine seufzte recht schwer; fast scheute sie diesmal Geierspergs Rückkehr, der gewissermaßen durch seines Schützlings Aufenthalt in Wien die früher für diesen gethanen Schritte rechtfertigen mußte, und plötzlich durch den erst hier ihm bekannt gewordenen Religionswechsel Leontinens beleidigt und schmerzlich erregt, Wien selbst verließ, weil er durchaus mit seiner Frau fort und auf seine Güter ziehen wollte, um den Scandal nicht mehr zu sehen, daß ein Freifräulein des alten protestantischen Geschlechts der Waldau katholisch geworden!


Am Lager einer schönen blühend jungen Frau stand reisefertig ein kräftiger, auch noch junger Mann und suchte sie sehr sanft durch einen[225] leisen Kuß zu wecken. Die schöne Schläferin hatte eine ungemein zierliche Hand auf das seidne Deckbettchen einer dicht neben ihr stehenden Wiege gelegt, deren leisestes Schwanken sie wach rufen mußte. Sie mochte spät eingeschlafen sein, denn die ganze Einrichtung des Gemachs deutete auf bürgerlich frühe Stunden; die Sonne aber stand schon hoch und sie schlief noch so sanft und fest, als wäre das ihr erster Schlaf vor Mitternacht. Das kleine Mädchen in der Wiege sah dem Vater ähnlich, nur war es lichtblond, und auf dem weißen Kopfkissen lagen die klaren Löckchen wie Goldfädchen einer Stickerei und duldeten in ihrer Fülle das Mützchen nicht, das sie nach hinten zurückgeschoben.

Im Zimmer sah es ungemein friedlich und wohnlich aus; von Luxus war nicht viel zu bemerken, die Möbel waren derb und doch zugleich geschmackvoll, von Eichen- und Nußbaumholz;[226] in den Ecken und wo eben ein freier Platz sich gefunden, hatten sich recht gelehrt aussehende Bücherschränke eingenistet, auf welchen Prachtexemplare von Mineralien, Glasretorten und allerlei physikalische Instrumente so zierlich aufgestellt waren, daß sie beinahe einen Schmuck bildeten. Das Wohnzimmer, das sich an diese geräumige Schlafstube schloß, war ganz morgensonnenhell, die weit zurückgelegten grünen Jalousien ließen das Auge zum Fenster hinaus über den Garten in eine Schweizergegend zu weit entlegenen Bergen hinschweifen; seitwärts lag eine graue Stadt, es war Basel.

Endlich schlug die junge Frau ein Paar wunderschöne, dunkle Augen auf und ein lichtes Freudenroth röthete ihre Wangen; sie begrüßte mit dem frohen Blick zugleich den Tag, ihr Kind und ihren Mann, pfeilschnell von dem einen zum andern fliegend, so daß sie nicht einmal sogleich seine Reisetracht gewahrte. Vrenely,[227] sagte Otto, indem er sich neben das Bett und die Wiege setzte und seiner Frau herzlich die Hand zum Gutenmorgen bot, während du die Angst der stürmischen Nacht ausschliefst, hat sich mein innerer Horizont stark umwölkt. Ich habe einen Brief von Duguet bekommen und werde in einer Stunde zu Annen reisen. Sie hat Kronberg verlassen. Ich möchte dir das Alles gern unter Gottes freiem Himmel erzählen. Steh' auf, mein Kind, und komm' mir nach in den Garten!

Noch einen Augenblick stand er an der Wiege, wie innerlich Abschied nehmend von dem süßen Kinde, und sah, still gerührt, dessen rosiges Gesichtchen sich an; zu küssen wagte er es nicht, aus Sorge, es zu wecken.

Vrenely nickte ihm ihre Beistimmung zu, sie sprach fast weniger noch als sonst, aber nach zehn Minuten schon saß sie neben Gotthard auf der Rasenbank und las, über seine Schulter[228] hingelehnt, den traurigen Brief mit ihm zugleich.

»Lieber Herr! schrieb Duguet, ich muß Ihre Hoffnungen leider alle auf einmal zerstören. Es ist gar nichts besser geworden, seit uns die Familie des Grafen Viatti verlassen. Schlimm, ganz schlimm ist es geworden. Schon im vorigen Jahre, nachdem dieselbe im Februar nach Berlin gereist war, lebte unsre Frau Gräfin sehr still; sie blieb des Tages über fast immer allein, ging selten in Gesellschaft, sah deren aber zu Haus an den vier Empfangsabenden, weil es der Herr so wollte. Monsieur de St. Luce kam alle Tage zu ihr – ach! was hat er oft im Stillen gelitten um sie! – aber sie klagte nie; man sah ihr nur den heimlichen Kummer an.

Im vorigen Herbst hatte der Herr Graf der Mad. Capacelli ein schönes Landhaus gekauft und es sehr kostbar einrichten lassen, da[229] brachte er meistens seine Abende, oft auch die Mittagsstunden zu. Es war etwas wie eine gläserne Wand zwischen unserm Herrn und der gnädigen Gräfin. Seit Herrn Gotthards Abreise von Wien hatte sie keinen Muth mehr; und nachdem einmal ein Brief des Herrn Louis Müller an den Grafen gekommen, schien dieser innere Zwiespalt noch um Vieles zugenommen zu haben. Der Herr Graf machten der gnädigen Gräfin eine furchtbare Scene, in welcher sie, wie es mir vorkam, mit großer Festigkeit antwortete, sie wisse um diese Sache nicht.

Von da an ging es immer schlimmer; so lange aber der kleine Joseph im Hause blieb, sorgte sie für das Kind, das leider sehr kränklich ist, das zog sie von sich ab. Als jedoch Joseph in Pension zu seinem Bruder kam, lebte sie eigentlich nur an Sonn- und Festtagen, wo sie die beiden Knaben sah.

Unser Egon ist so wunderbar entwickelt,[230] daß er mit zwölf Jahren einem Jüngling von sechszehn gleicht; er hat in allen Classen die ersten Preise davongetragen, ist fest und entschlossen wie ein Mann. Vor etwa acht Tagen hieß es plötzlich, nun sollten Beide nach Preußen, Joseph in ein Cadettenhaus nach Berlin, Graf Egon nach Brandenburg in die Ritterakademie, um zu einem vollkommenen Cavalier erzogen zu werden. Nun, das muß man unserm gnädigen Herrn lassen, er ist selbst tapfer und ritterlich und voll feiner Sitte, wie ein Marquis aus der alten guten Zeit.

Unglücklicherweise soll jedoch unser Egon schon so viel gelernt haben und ein so großes Genie sein, daß er über ganz Brandenburg und die Ritterschule weg ist; ich glaube auch selbst, daß er mit zwanzig Jahren Minister werden könnte. Es sei rathsam, ihn in Berlin zu lassen, meinte die Familie. Das gab viel Streit, es wurden sehr viele Briefe geschrieben[231] und ich weiß nicht, wovon eigentlich die Rede war; der Herr Graf wurden aber mit einem Mal sehr heftig, was sie sonst selten in so hohem Grade sind, und befahlen, der Knabe solle gleich am folgenden Tage mit Mad. Capacelli, die zum Gastrolliren nach Berlin ging, dahin abreisen. Ich glaube immer noch, daß dem Herrn das Gastrolliren fatal war, denn er hat gewünscht, die Spanierin möge die Bühne ganz verlassen; sie aber soll geäußert haben: nur eine Heirath könne ihr diese Pflicht auferlegen.

Stellen Sie sich vor, bester Herr Professor! daß nun plötzlich unser Egon erklärte, er wolle lieber zu Fuß nach Berlin gehen, als mit Mad. Capacelli fahren, unter dem Schutze einer fremden Comödiantin reise ein Graf Kronberg nicht! Unser Herr schäumte vor Wuth – die Capacelli mußte es wol verlangt haben, um ihr Ansehen an den Tag zu legen! – nun sollte die Gräfin Schuld sein an des Knaben[232] Weigerung. – O lieber Herr! was für ein Auftritt! Als endlich die Saalklingel fünf bis sechs Mal heftig angezogen ward, stürzten wir, der Jäger, meine Frau und ich, Alle hinein – da lag unsere liebe, schöne Gräfin, todtenbleich und ohnmächtig auf der Erde in ihres Sohnes Armen. Er kniete neben ihr und sah aus wie der richtende Erzengel Michael. Der Graf befahl uns, seine Gemahlin, die unwohl geworden, sogleich zu Bette zu bringen, und verließ das Zimmer, ohne Egon eines Blickes zu würdigen.

Diesen Abend ward Niemand vorgelassen, nicht einmal Herr von St. Luce. Gegen Mitternacht rief die Gräfin meine Frau und befahl, Alles zu einer Reise Nöthige für sich und Graf Egon zu packen; sie wolle nach ihres Gemahls Wunsch und Befehl ihren Sohn selbst nach Berlin und Brandenburg geleiten; Niemand anders solle ihn hinbringen.[233]

Sie schrieb noch einige Zeilen an den Herrn, die ich, so spät es war, selbst hinübertrug zur Madame Capacelli. Drüben hatte es auch Verdruß gegeben; die Erzherzöge und andere hochgestellte Personen hatten sich bei dem Herrn Grafen nach dessen Gemahlin dringend erkundigt und eine so große Verehrung und Liebe für sie ausgesprochen, daß der unvermeidliche éclat dem Grafen steinschwer auf's Herz gefallen, was nun freilich die Sängerin entgelten mußte, obschon sie unschuldig daran war. O, lieber Herr Professor, wie sehr hat sich unser Herr verändert! Wer hätte das für möglich gehalten! Er war sehr hart gegen Beide; mir aber befahl er sogleich, am frühesten Morgen solle Egon bei ihm sich einfinden, dann werde er das Uebrige bestimmen.

Wir fuhren in unsern Reisevorbereitungen fort. Graf Egon war immer noch am Bett seiner Mutter. Als sie unsere Antwort vernahm,[234] verlangte sie aufzustehen, um noch Einiges selbst zu ordnen; Sie wissen, sie hat immer späte Stunden geliebt.

Als wir aber nach einer Weile den Grafen Egon wieder im Zimmer seiner Mutter hörten, liefen Sophie und ich an die Thüre desselben. Ach Gott! in meiner Angst beging ich etwas – qui est indigne! – ich sah durch's Schlüsselloch – da lag die Gräfin mit gefalteten Händen und strahlendem Gesicht, es leuchtete wie das einer Heiligen; mit gebogenen Knien lag sie vor dem zürnenden Kinde, das, wie wir gar wohl aus seinen Worten vernommen hatten, den Vater anklagte, daß er die Mutter zu Tode kränke. Alle ihre Vorstellungen hatten ja nichts gefruchtet. Egon fing die angebetete Mutter in seinen Armen auf, drückte sie mit tausend Liebkosungen an's Herz und schwur ihr, fromm und sanft wie ein Lamm den Vater anzuhören und ihm zu gehorchen. Wie[235] Diamanten standen die Thränen in seinen blitzenden, zornigen Augen, aber er zwang sich zum Gehorsam und hielt auch am nächsten Morgen Wort.

Noch einmal kam der Herr Graf zu seiner Gemahlin, was aber unter ihnen verhandelt worden, erfuhren wir nicht. Nach dieser Unterredung beschied sie Sophien und mich zu sich und befahl mir – nein, der Engel bat mich sogar – beim Grafen zu bleiben, damit der Herr einen treuen Diener um sich habe, die Reise sei ja von nicht langer Dauer; da wußte ich aus ihrer Verlegenheit, woran ich war. II faut respecter toujours les dehors! Ich blieb. Monsieur de St. Luce gab ihr seinen alten Diener August mit, der gewiß meine Stelle ganz ausfüllen wird. Der General ist auch ein Stück mitgereist; läge der Herzog von Reichstadt nicht darnieder, hätte er sie bis hin begleitet. Ganz spät Abends sind sie Alle[236] abgefahren. Der Graf war ausgeritten, um ihr auf der ersten Station wieder zu begegnen, hieß es. Ja, sie hat ihn nicht wieder gesehen; aber die Sache ging still und ohne Aufsehen ab.

In meinem Herzen aber ist eine unsägliche Angst; in Berlin wird sie nicht bleiben. Herr Gotthard ist in Paris, ich wage nicht, ihm zu schreiben. – Was General Geiersperg zu der Geschichte sagen wird!

An Sie, mein Herr Professor, glaubte ich, schreiben zu müssen; vielleicht gibt Ihnen das Herz etwas ein, das traurige Geschick unserer lieben Gräfin zu erleichtern.« etc. –

Ja wohl, lieber Otto, mußt du hin! sagte Vrenely. Wie ich gesehen, läßt du das Lisely auch schon einpacken; ich will ihm helfen. Und – fuhr sie, auf halbem Wege umkehrend, fort, indem sie dicht an ihn trat und ihre kleinen Hände auf seine hochschlagende Brust legte, so lege du ihr unser Glück an's Herz, wie ich mich[237] an das deine, als einen stillen Trost! Es hat mir lange geahnt, daß sie es nicht aushalten werde; daß aber Egon die Trennung herbeiführen mußte, ist hart. Denke ich mir die Möglichkeit, daß je unsere kleine Anna zwischen dich und mich treten könne, möchte ich lieber die Welt verlassen, in der ich doch so himmlisch glücklich bin.

Otto zog sie schweigend in seine Arme. Aber er war schon halb auf der Reise. Hältst du, fuhr er mit einem Male auf, die Trennung für eine dauernde?

Ja, Otto, erwiderte sie fest. Anna thut nichts halb. Nun laß mich einpacken gehen.

Und abermals blieb sie stehen. Otto, du wirst reiche Stunden haben, schöne und schwere. Versprich mir – sie stockte. – Was, mein Engel? – Sie von Grund aus rein zu genießen, wie Gott sie gibt, ohne Vor- und Rückblick, ohne gemachte Gewissenssorge, die[238] unnütz ist, denn ich traue dir! Und Gott traut dir auch, sonst würde er dir nicht die wunderliche Aufgabe senden. – Sieh', mein Liebster, fuhr sie fort, und schlang wieder den Arm um seinen Hals, ich bin so ruhig, weil ich weiß, – blühte dir dort ein eignes Glück, so liebe ich dich genug, – um deinetwillen den herbsten Schmerz zu ertragen und dir meines hinzugeben; aber dem ist nicht so; du bist der Gärtner nur, der einem Andern die schöne Blume pflegt. Ob der sie jemals blühen sehen wird – ja das ist eine andere Frage.

Otto erröthete. Du aber, sprach sie freundlich weiter, pflege die Blume; weißt du gleich nicht, wem Gott sie schenken wird, dem Tode – dem Leben – dem Glück? – Alles gleichviel! Pflege die Blume, wie die Parsen, von denen du mir erzählst, die Quellen in Kanäle fassen zu seiner Ehre.

Als sie fort war, fuhr Otto ein paar Mal[239] krampfhaft nach seinem Herzen; eine dunkle, trübe Stimmung, eine schaudernde Erinnerung vergangener Schmerzen ergriff ihn. Gewaltsam strich er die dunkeln Locken aus der Stirn und biß die Lippen fest zusammen, dann aber ermannte er sich rasch und ging zu Vrenely. Heiter ordnete das schöne Paar Alles zur Abreise und nach einer Stunde flog sein Char-abanc durch's Thal.

Nachmittags kamen die Nachbarinnen, sie hatten ihn fahren gesehen. Was ich froh bin, sagte Vrenely, ich hab' den Otto zu seinen Verwandten persuadirt, ich wollte seine Stube während den Ferien malen lassen. Bei so was taugt der Mann nicht im Haus; kehrt er zurück, ist Alles schmuck und sauber.

Die Thränen, die Vrenely die halbe Nacht hindurch vergoß, sahen weder Otto, noch die Nachbarinnen.[240]


Es ist eine sonderbare Erfahrung, daß fast jedes irgend bedeutende Menschenleben seinen tragischen Zeitpunkt hat; alltägliche Verhältnisse, deren Druck man Jahre lang ertragen, überwachsen mit einem Male, exotischen Gewächsen gleich, unser Streben, unsern Charakter, unsere Umgebung. Die bittere Aloeblüte einer solchen Erhöhung unseres Zustandes ist leider darin von ihren Schwestern verschieden, daß sie häufiger ihren Kelch entfaltet; indessen hat dennoch meistens das Menschenleben nur eine einzige solche Periode, deren Steigerungen alle zum nämlichen Ziele führen und dem Rest der Tage die Grundfarbe geben. –

Leontinens Wagen hielt in Brandenburg vor dem bescheidenen Hause, das Anna bewohnte. Sie sprang aus demselben und eilte hinauf. Ich konnte es nicht mehr aushalten, ohne dich! rief sie der Freundin entgegen. Es ist seelentödtend, Papa und Mama Domino[241] und Piquet spielen zu sehen, in der Gesellschaft leere Floskeln über Navarin zu hören und dabei Jean Carlo's tiefe Herzensglut auf unserem Herde Kartoffeln sieden zu lassen! O, wäre der Unglückselige unerweckt auf dem Felde der Ehre gebettet geblieben, nachdem er den kurzen, schönen Freiheitstraum geträumt!

Vergebens versuchte Anna ein Paar tröstende, mildernde Worte; Leontine schüttelte wehmüthig das Haupt und fuhr fort: das ist es eben, er verschweigt mir, wie den Andern, aus Schonung seinen Gram, aber ich sehe ihn – und doch, Anna, langweilt er mich auf's Entsetzlichste. Ich möchte ihn lieber Gift und Dolch handhaben sehen, als dieses Nichtsthun und sich so durch die Tage Hinschleppen an ihm erleben! Dieses Verdämmern der tiefsten Seelenkräfte in dumpfem Hinbrüten, und dann das Spielen mit Kleinigkeiten, großer Gott![242] wie kann ein Mann – ich bin ganz matt und müde davon, darum komme ich zu dir.

Und glaubst du denn, fragte Anna, daß ihn die so gesunkene Carbonaria noch interessirt, daß er sein Wort gebrochen und neue Verbindungen mit ihr angeknüpft hat?

Ja und nein! Er ist nicht aus einem Guß; das ist ja eben das Elend! Da er heilig gelobt hat, sich nicht mehr in diesen Wust schwächlicher Freiheitsversuche hineinziehen zu lassen, wird er Wort halten, das heißt, auf seine Art: er wird zu jenen Zwecken nur sein Vermögen den Einzelnen zuwenden, Geld auf Geld verschleudern, aber keine Details anhören. Drängen sie jedoch jemals gewaltsam an sein Ohr, so ist wol kein Zweifel, daß er mich verlassen würde im ersten als wichtig sich ankündenden Moment, um vielleicht nutzlos sein Haupt dem Beile preiszugeben. Die ganze Sache ist allmälig fixe Idee in ihm geworden.[243]

Mir scheint, du vergißt seine Nationalität. Hat er dies unermüdete Wiederauffangen abgerissener und verlorener Fäden seines Gewebes, dieses taumelnde Entzücken beim Klang des Wortes »Freiheit!« nicht mit den Edelsten seines unglückseligen Volkes gemein?

Mag sein. Aber lebe nur erst den ganzen langen Tag mit einer personificirten Idee, die nirgends ihren Anknüpfungspunkt in der Wirklichkeit findet; sieh diese tausendfach zerstückelten Fäden in der klaren Luft der Alltäglichkeit zerflattern wie den alten Weibersommer, der uns auch den schönen Frühling niemals wiederbringt, Anna! – Um einer begeisterten Ansicht Alles zu opfern und um sie, allen Umgebungen und Gegenwirkungen zum Trotz, zum Wirklichwerden zu zwingen, zum fruchttragenden Baum sie zu machen, um, mit einem Wort, die Basis einer Volksfreiheit aus seiner Persönlichkeit herauszubilden, gehört ein eiserner Wille[244] und Charakter, dann beugt sich ihm, dem Wollenden, die Welt, gleichviel, ob in starrer Demuth, oder lebendigem Gehorsam, gleichviel, ob zum Bau einer Republik oder eines Kaiserthums. Ein Napoleon oder ein Washington würden es vollbringen und höchstens hinterher in sich zu Grunde gehen, nachdem das ungeheure Ich mit dem äußern Stoff fertig geworden und seinen Höhepunkt erreicht hätte. So ein besonnen verharrender, fester Sinn, wie etwa Gotthards, vermöchte das vielleicht. – Sonderbar, daß ich ihn nie vergesse!

Anna schwieg verlegen. Leontine bemerkte es nicht und fuhr fort: Gut, daß ich Muth habe! Gib Acht, Jean Carlo endet auf dem Schaffot, ohne irgend etwas geleistet zu haben. Erschrick doch nicht so! Das habe ich bedacht, ehe ich meine Hand ihm gab. Ja, ihm fehlt Charakter, wiederholte sie flüsternd halblaut vor sich hin, und doch will er ihn einer Nation[245] verleihen und meint die Zustände des Volks wie aus einem Gefäß in's andere auszugießen zu einer neuen Gestalt. Gäbe es eine Allgemeinheit der Gesinnung, dann möchte dem Einzelnen das Große gelingen, es könnte den Tropfen bilden, der den Becher überfließen macht. Aber so! – Unsre Zeit fordert ja umgekehrt vom Einzelnen, was sie in solchem Falle von der Allgemeinheit verlangen sollte, eine Thatkraft, die in's Unermeßliche reicht: ein Regeneriren all der schlaff gewordenen Gemüther. Und der das könnte, ist, glaube mir, jetzt gar nicht auf der Welt. – Nach der Oekonomie der Natur, setzte sie heiterer hinzu, die eine gute Hausfrau ist, wird er auch wol kaum in unserm Säculum mehr geboren.

Einem Manne, wie Otto zum Beispiel, traust du also eine solche Gewalt nicht zu?

Nein, o nein! rief fast heftig Leontine; er[246] hat zwar Kraft, auch das Bewußtsein alles Einzelnen, aber nicht das Genie. Er hat ein friedliches Gemüth und neigt sich weit mehr dem Universum, als dem kleinen Vaterlande zu. Doch was fragst du mich? Gotthard ist vielleicht der Einzige, den wir kennen, der – Aber wo ist er jetzt?

Noch immer in Paris. In den paar Jahren unserer Trennung hat er seine Bahn zu einer Höhe gehoben –

Kind, ich sagte dir ja immer, daß er Minister werden würde!

Das sagt Duguet auch von mir, liebe Tante! rief lustig auflachend Egon, der aus dem Nebenzimmer eingetreten war, aber ich fürchte, du hast es sicherer getroffen. Herzlich willkommen! Er umarmte und küßte sie. Aber, sprach er fort, indem er sich nach allen Seiten umsah, wo ist denn Otto?

Leontine wurde blaß – leichenblaß.[247]

Anna hatte die ganze Zeit hindurch versucht, das Gespräch auf ihn zu bringen, sie hatte den wilden Ausbruch des Gefühls ihrer Freundin vorüberlassen, dann mit des Freundes Anwesenheit sie überraschen wollen, nun nahm ihr der Zufall das Wort von den Lippen.

Unaussprechlich tröstlich war Annen die plötzliche Erscheinung ihres Jugendfreundes gewesen; ihre Lage in Brandenburg war nicht angenehm. Die bei der Geburt von hoher Hand einem der Knaben verliehene Präbende konnte, wie sich bei Regulirung des Eintritts in die Militärschule fand, nicht angenommen werden, sie war gegen die Statuten, Anna's Bürgerlichkeit machte sie unmöglich. Egon, in dem sich bereits die Stimmung unserer jetzigen Jugend im Keime zu zeigen begann, war höchst aufgebracht, daß man nicht seiner Mutter wegen eine Ausnahme machte; er war vorläufig noch ein legitimer[248] Demagoge, der einer ganzen Welt die Freiheit und sich den Grafentitel gönnte.

In Berlin war Anna nur einen Tag geblieben; sie suchte Kronbergs Wünschen hinsichtlich der Kinder möglichst nachzukommen. Dem jüngern, trotz seiner Schwächlichkeit, zum Offizier bestimmten Joseph war diese Militärschule nothwendig, für Egon paßte sie nicht. Sie hatte an Kronberg geschrieben und harrte seiner Entscheidung, als unerwartet Otto, wie der Strahl eines milden schönen Sterns, die Nacht des Zweifels und Trübsinns in ihr brach und zertheilte. Er stand plötzlich im Zimmer und fragte mit den sanftesten Tönen seiner tiefen Stimme: Komme ich dir recht, liebe Anna? Du bedarfst vielleicht nicht den Arm, aber das Herz – vielleicht sogar den Kopf deines Jugendfreundes.

Mit unsäglicher Liebe hatte er sie seit mehren Tagen gepflegt, getröstet, zerstreut; frisch[249] und jugendlich, erschien er neben Egon fast wie ein älterer Bruder. Er zeigte sich ruhig und doch klopfte sein Herz, wie sonst, Annen entgegen, und doch war sie nicht minder schön, als damals! Und jetzt mit Einem Male war auch Leontine da und die unvergeßliche Zeit seiner Liebe drang wie eine Gegenwart auf ihn ein. Aber Otto verbarg seine tiefe Erschütterung, er hatte das in seiner Ehe still gelernt.

Leontinen traf sein Anblick wie ein Blitzstrahl.

Und ich bin katholisch geworden! dachte sie, was wird er dazu sagen? An ihrem namenlosen Schreck bei dieser Frage fühlte sie, wie sehr sie noch ihn liebe. Auch sie war vorsichtiger, sie schlug das Auge erst auf, als sie es ruhiger werden fühlte.

Immer noch war ihm Anna die seine Seele weckende, erwärmende Sonne, prächtig entfaltete sein Geist die Flügel ihr gegenüber, alle seine Ideen wuchsen und erweiterten sich. Nachts,[250] nachdem er von ihr gegangen, arbeitete er die kühnsten, schwierigsten Probleme seiner Wissenschaft aus, er lebte tausendfach, nach allen Richtungen hin, ohne zu ermüden; der Morgen fand ihn immer frisch und klar.

Aber keinen Augenblick vergaß er seiner Vrenely daheim. Täglich schrieb er ihr, und sein liebevoller, herziger Brief enthielt kein lügenhaftes Wort. Er freute sich mit tiefer, dankbarer Rührung seiner Häuslichkeit, ihrer und des Kindes; Stunden lang sprach er von ihrer Anmuth, Wahrheit und Güte. Daß sie und Anna zu der nämlichen Gattung Wesen gehörten, fiel ihm kaum ein; Meilen weit lagen diese Gefühle auseinander.

Eine Frau wird diese Doppelempfindung nie verstehen.

Bei Anna's Trennung von Kronberg war der Name der Capacelli nicht über ihre Lippen gekommen, nur von den Knaben war die Rede[251] gewesen. Anna hatte ihrem Gemahl blos angedeutet, daß sie, allen den Mislauten der Gegenwart ein Ende zu machen, ihre Entfernung für gut, für nöthig halte, und ihm des Sohnes unbedingten Gehorsam gelobt, wenn sie selbst ihn begleite. Ihre Freunde dagegen hatten die Annen durch das Verhältniß zur Capacelli erschwerte Stellung in Haus und Gesellschaft auf den Zustand ihres Gemüths übertragen; Niemand begriff, daß sie die ihr aufgedrungene Rolle der mishandelten unglücklichen Gattin so ruhig hinnahm, weil sie ihr Einsamkeit und ein leichteres Aufathmen gönnte. Erst als Kronberg einen Schritt thun wollte, der sie zu einer öffentlichen Erniedrigung gezwungen hätte, stieg der Gedanke einer Trennung in ihr auf.

St. Luce schrieb oft. Er war Kronbergs Freund geblieben und bis zu Otto's Ankunft, die Annen abermals zum Schreiben veranlaßte,[252] das einzige Verbindungsglied zwischen den getrennten Gatten unter sich und Gotthard, der noch immer in Paris sich aufhielt. Kronberg hatte noch nicht geantwortet.

Als Franzose hatte St. Luce den Vorfall mit der Capacelli leichter genommen, als Geierspergs und die Andern. Er warf Kronberg immer noch die Dummheit eines unnützen éclat vor. Allerdings war er jetzt auf einen momentanen gänzlichen Sieg der Spanierin gerüstet; auch er hielt die Trennung Anna's von Roderich für eine vielleicht dauernde, an gerichtliche Scheidung zu denken, fiel ihm nicht ein.

Wie es nur dahin gekommen? übersann er auf einem langen, einsamen Spaziergange; war doch eigentlich seit Anna's Krankheit nichts Bedeutendes geschehen! Kronberg war ja so reich, es konnte Annen wahrhaftig einerlei sein, mit welcher hübschen Frau er einen Theil seines vielen Geldes durchbrachte; eifersüchtig war[253] sie ja nicht. Uebrigens wenn er nun Pferde, Spiel und andere Zerstreuungen geliebt hätte, wäre es besser gewesen? – Eine deutsche Frau freilich kann sogar auf Jagdhunde eifersüchtig sein, man hat das erlebt, brummte er vor sich hin. C'est à peu près égal! – Wenn sie am Ende doch so eine Art kleinstädtischer Eifersüchtelei – quelque idée de petite ville – gehabt hätte? – Nun saß sie ganz unnütz in Brandenburg, allein, ohne Zweifel gedrückt von der neuen Schwierigkeit, die ihre bürgerliche Geburt dort dem Fortkommen der Kinder in den Weg legte! Fameuse bêtise allemande! murmelte er immer ärgerlicher. Sein Verdruß hatte den alten Herrn bereits um halb Wien herumgetrieben, als eine rufende, athemlose, vom Laufen halb erstickte Stimme: Monsieur! Monsieur de St. Luce! ihn Halt machen hieß.

Es war Duguet, der, in einer Art Gefühlsstrangulation heftig gesticulirend, auf ihn zustürzte,[254] eine Neuigkeit der wichtigsten Art schien ihm fast die Besinnung zu rauben, doch hatte er äußerlich alle Flaggen des innern Jubels aufgesteckt, sein Hut saß fast verkehrt, sein rothes Schnupftuch flog in der Luft über die Büsche weg, wie sonst die Serviette über die Möbeln. Unglücklicherweise war er vor lauter Bewegung fast sprachlos.

Endlich brachte er die Worte heraus: Der Herr Graf haben mit Madame Capacelli gebrochen, jeder Verbindung mit ihr entsagt, ihr das Haus geschenkt, brieflich von ihr Abschied genommen; vier Billets, die sie ihm geschrieben, unerbrochen zurückgeschickt; abgeschlagen, sie wiederzusehen. Baron Ruthberg ist gekommen, er hat ihn sehr freundlich empfangen, die Herrn sind in der besten Laune auseinandergegangen.

Bist du betrunken oder im Traume, mon cher? rief St. Luce, ergriff Duguet beim Kragen[255] und schüttelte ihn aus Leibeskräften, als wollte er ihn wach rütteln.

Das hölzerne Bein trug den General nicht mehr, er wankte. Zum Glück stand eine Bank in der Nähe. Duguet ließ sich respectuell schelten, schütteln, fragen, hatte jedoch für das Alles nur die eine Antwort: Mais c'est vrai, ma foi, c'est bien vrai!

Wie ein paar Inspirirte gingen der alte Herr und der alte Diener nach Hause. Die ganze Welt schien ihnen anders geworden. Nun muß sie ja wiederkommen!

Am nächsten Tage beklagte die ganze Crème der guten Gesellschaft in Wien diesen armen, guten, kleinen Narren! die Capacelli, die wegen eines Theatercontracts so halbtodt, elend und krank nach Berlin gemußt.

Paola war wirklich krank, sie liebte Roderich, weil er es ihr so entsetzlich schwer gemacht, ihre Zwecke bei ihm zu erreichen; sie war ihm[256] mitunter untreu, weil das einmal in ihrer Natur lag, weil ihr lange dauernde Treue ganz unmöglich war. Sie hatte bis zu diesem Augenblicke, der alle ihre Hoffnungen vernichtete, keineswegs aufgegeben, doch noch Gräfin Kronberg zu werden, und wirklich die Knaben mitzunehmen sich erboten, um sie zu gewinnen und ihr Ansehen in Berlin geltend zu machen; – und nun ohne alle Ursache, ohne irgend eine denkbare Veranlassung trennte er sich von ihr, und obendrein im Moment ihrer unvermeidlichen Abreise. Es war zum Wahnsinnigwerden!

Sie sann sich das Haupt müde, den Grund seines veränderten Benehmens aufzufinden; ihre Phantasie arbeitete sie in einen Fieberzustand hinein, in welchem sie wirklich endlich Wien verließ.

Mag sein, daß Roderich ihrer überdrüßig geworden, mag sein, daß sie die Saiten bei dem nicht mehr jugendlich fühlenden Manne zu[257] hoch gespannt; wer konnte dem reifen Diplomaten so ganz genau ansehen, was ihn bewegte? Er reichte seinem Freunde St. Luce die Hand und bat ihn, nicht davon zu sprechen.

Seine Freigebigkeit gegen Paola kannte keine Grenzen; er schickte noch eine Menge Geschenke in ihr Haus, die er ihr früher versprochen, es waren wirkliche Kostbarkeiten darunter.

Ruthberg und der ganze kleine Männerkreis, der ihn umgab, war theils in starre Bewunderung dieser Großmuth versunken, theils wüthend. Wer kann mit einer solchen Verschwendung Schritt halten? fragte Einer den Andern. Die Damen, deren Gunst diese jungen Herren sich rühmten machten ihre Bemerkungen ebenfalls; Jedes sah die Sache mit andern Augen an, sie erregte ein für Kronberg günstiges Aufsehen. Einige fromme Seelen freuten sich seiner Rückkehr zum Rechten; im diplomatischen Kreise sprach man diesen Abend bald da,[258] bald dort leise. Kronberg sah es. Er erklärte sich gegen Niemanden; war er vielleicht sich selbst nicht klar?

Duguet suchte den ganzen Tag hindurch in jedem kleinen Dienst eine an Anbetung grenzende Dankbarkeit, eine Art stummer Verehrung an den Tag zu legen; nie war er respectvoller gegen seinen Herrn gewesen. Der Kerl bedient mich, als ob ich der Kaiser wäre! sagte, immer noch lachend, Kronberg vor sich hin; aber es that ihm doch wohl.

Einmal fand ihn Duguet dem Bilde seines Sohnes gegenüber, er glaubte, die Worte zu vernehmen: Toller Bube! er hatte Unrecht in der Manier, in der Sache wahrhaftig nicht so ganz!

Es wäre Kronberg selbst sehr schwer geworden, sich von dieser plötzlichen Umwandlung seines Innern, vielleicht auch blos seiner Handlungsweise Rechenschaft zu geben. Der Hauptgrund[259] war wol: daß der Stachel der Eitelkeit ihn nicht mehr wund ritzte, mit ihm schwand seine scheinbare Leidenschaft zur Capacelli, die aus so vielen, so verschiedenen Elementen zusammengesetzt, so wenig wirklich war. Anna's Kälte erregte in der Entfernung nicht mehr seine Eifersucht, er fühlte es nicht mehr so nothwendig, ihr und der Welt eine scheinbare Gleichgültigkeit zu zeigen. Der Spanierin Hochmuth hatte sie zu einer unpassenden Forderung, ihn selbst zu einem noch viel unstatthaftern Schritt verleitet, dessen er sich nun hinterdrein schämte.

Anstatt Annens Briefe zu beantworten, beschloß er, selbst mit Courierpferden nach Brandenburg zu reisen und sie abzuholen. Daß sie irgend sich weigern könne, ihm zu folgen, fiel ihm nicht ein; die Sache war ja nun abgethan! Die Kinder konnten am Ende doch unmöglich bei ihr bleiben. Besser war es allerdings, Egon in Berlin zu lassen, und eben dort konnte Anna[260] ihn am ruhigsten von sich entfernt im Hause ihres Schwagers wissen.

Kronfeld hatte ein fast weibliches Talent, sich im Geist die Umstände so zurecht zu legen, wie sie seiner Neigung nach am günstigsten ihm erschienen.

Während er zu einer kurzen Abwesenheit in seinem Cabinet die gehörigen Verfügungen traf, ließ sich durch einen der Laquaien ein junger Mann melden, der um die Gnade bat, ihm aufzuwarten. Der Graf, in seine Arbeiten vertieft, erwartete einen neuen Secretär; ohne aufzusehen, nickte er gewährend. Gondi trat ein.

Mit einem Schwall bombastischer Worte und aller Uebertreibung seiner Jugend und seines Metiers gestand er dem Grafen, daß er nicht wirklich Paola's Bruder sei, schwur ihm jedoch, dem Gefühl und Verhältniß nach seit Ewigkeiten nicht anders zu ihr gestanden zu haben,[261] und hielt seinen eigenen Verdiensten eine lange Lobrede.

Zu seiner Verwunderung hörte ihn der Graf schweigend, ohne sonderliche Zeichen des Erstaunens, ruhig an. Gondi sprach sich nun gegen Paola's Charakter aus, klagte sie der größten Unzuverlässigkeit und Unwahrheit an und erbot sich, dem Grafen alle Beweise seiner Aussagen in die Hände zu geben.

Und was soll ich damit? fragte Roderich.

Von dieser mit tausend Ringeln Seele, Geist und Körper umwindenden Schlange sich lösen, sagte trotzig der Italiener, dem Zorn und Eifersucht das Gefühl erduldeter Mishandlung vergegenwärtigten bis zur Qual. Er ballte die Hände und biß vor Wuth in die eigenen Finger, dazwischen fuhr er mit seinen Ausrufungen und Schmähungen fort, bis ein fast convulsivisches Schluchzen ihn hemmte.[262]

Armer Narr! murmelte Kronberg. Gott sei Dank, daß ich nicht verliebt bin, wie er!

Immer trotziger und heftiger sprach Gondi sich aus; er war gekommen, weil er es ihr versprochen, freilich in ganz anderer Absicht; aber das Gefühl, daß sie in der inneren Empörung über Kronbergs Härte nun in Berlin ohne ihn neue Verhältnisse schließen werde, hatte momentan die alte Leidenschaft in ihm erweckt, und anstatt dem Grafen in der übernommenen Rolle Gutes von ihr zu sagen und durch ihren Jammer auf dessen Herz zu wirken, riß ihn das innere Empfinden ihrer Nichtswürdigkeit und seiner trostlosen Schwäche in ganz entgegengesetzter Richtung fort. Und dennoch, klagte er, bin ich selbst an sie gefesselt, dennoch würde mich mein Weg mit ihr zusammenführen, ginge auch der eine nach Süden, der andere nach Norden. Das ist's ja, daß man ihre fluchwürdige Sirocconähe nicht los wird![263]

Wir wollen nicht behaupten, daß Kronberg immer so klar gesehen, wie in dieser halben Stunde, obschon er in einem Winkel seiner Seele nie an den Bruder geglaubt; der junge Mann schien sich längst zurückgezogen zu haben und war ihm bei ihr nie in den Weg gekommen. Roderich hörte ihn fortwährend ruhig an bis zu Ende, dann sagte er ihm mit wohlwollender Freundlichkeit: er habe sein früheres Verhältniß zur Capacelli gekannt; übrigens sei es unwürdig von einem Mann, sich an einer Frau zu rächen; das weibliche Geschlecht sei übel genug gestellt in der Welt, dem männlichen gegenüber. Da aber sich zu rächen, wo man einst geliebt und Gunst gefunden, gälte in Deutschland für erbärmlich.

Mit großer Güte erkundigte er sich nach Gondi's persönlicher Lage, stellte ihm die Gefahr des Hazardspiels in Oesterreich vor, und bot ihm an, ihm beizustehen, wenn er eine andere[264] würdigere Lebensweise versuchen wolle. Endlich entließ er ihn mit einem Geschenk, bat ihn jedoch, nur im Fall, daß er sein bedürfe, ihn wieder aufzusuchen, da die Vergangenheit entschieden für immer abgethan bleiben müsse.

Seit langer Zeit athmete Roderich fröhlich auf, ein heiteres Gefühl der Selbstzufriedenheit floß durch seine Lebenspulse und drang ihm tief an's Herz. Und nun zu Annen! sagte er lächelnd.

Er hatte St. Luce vorgeschlagen, ihn zu begleiten; der junge Herzog von Reichstadt hatte sich wieder erholt, mit Freuden nahm der General das Anerbieten an. Duguet sang triumphirend seinen Marlborough und ließ unter seiner Aufsicht den Wagen packen.

So standen also die Dinge in Wien; unglücklicherweise hatte in Brandenburg, Berlin und Paris Niemand von dieser günstigen Umgestaltung der Verhältnisse die leiseste Ahnung.[265]

Gleich nach Anna's Abreise hatte der General an Gotthard geschrieben, der Brief kam an, als dieser eben seine Geschäfte in Paris beendet und zur Abreise bereit war.

Gotthard zählte noch nicht Dreißig; in diesen Jahren rollt das Blut noch rasch und glühend, einem Lavastrom gleich, in den Adern. Die Möglichkeit einer nicht entfernt durch ihn veranlaßten Scheidung ihrer Ehe, das Bewußtsein, Annen ein in jedem Bezug passendes Loos bereiten zu können, die Aussicht, ihr seine Hand zu bieten, mit der einzigen Frau, die er je geliebt, die er nie eine Stunde aufgehört zu lieben, vereint leben zu können, überwältigte ihn. Mit unwiderstehlicher Gewalt von der Macht des Augenblickes ergriffen, zauderte er keine Stunde, er flog nach Berlin. Sie war nicht mehr da; auch Leontine abwesend, bei ihr. Er erfuhr dies zufällig und konnte sich nun nicht entschließen, Geierspergs aufzusuchen, er[266] kannte Beide nicht. Wie ein Träumender ging er volle vierundzwanzig Stunden in Berlin umher. Er hielt es nicht länger aus; er nahm Postpferde und eilte nach Brandenburg.

Die kleine Stadt gewährte ihm nähere Details. Im Gasthof, wo er Erkundigungen einzog, erfuhr er, wo sie wohne; auch Otto's Anwesenheit ward ihm mitgetheilt. Er freute sich derselben, dann aber beneidete er ihn unbeschreiblich, daß er ihm zuvorgekommen und die ersten traurigen Tage mit Annen durchlebt hatte.

Mit einem Male hatte den sonst gefaßten, besonnenen Mann der Wirbel grenzenlos leidenschaftlicher Gefühle und Hoffnungen erfaßt, jede Secunde steigerte ihn; als habe ihn die Wünschelruthe einer zauberischen Gewalt berührt und tausend Quellen seines Herzens wach geschlagen, strömte die Fluth unsäglichen, fast tödtenden[267] Glücks durch sein ganzes Wesen. Er mußte sie sehen! jetzt – gleich! – –

Auch Anna war seit einer halben Stunde überaus glücklich. Sie hielt einen Brief ihres Bruders aus Schlesien in der Hand, den sie wiederholt durchlas. Louis war nicht mehr beim Militär, eine ihm unerklärliche, ganz unbekannte Fürsprache hatte ihm die Stelle eines Postmeisters mit einem kleinen Gehalt verschafft. Nachdem ihm durch seinen Hauptmann unter den Fuß gegeben worden, um seinen Abschied zu bitten, welchen er, da er die gehörige Anzahl Jahre gedient, »seiner geschwächten Gesundheit wegen« mit allen Ehren und Anerkennung guter praktischer Kenntnisse erhielt, hatte ihn der Antrag wie ein ihm vom Himmel zugefallenes Geschenk überrascht. Nun konnte er froh und ruhig mit seiner Familie leben, seine Kinder erziehen. Dem kleinen Amt war er völlig gewachsen. Er hatte ein Häuschen als Wohnung[268] angewiesen bekommen, und Feld und ein Gärtchen. Er schwamm in Wonne, und rührend schön war die wirklich tief gefühlte Dankbarkeit, mit welcher er der Schwester abbat, daß er je an ihr gezweifelt, während sie so redlich für ihn gesorgt. Es mußte ja ihr und Kronbergs Werk sein, daß er nun plötzlich so glücklich geworden. Louis erschien durch seine Reue und den Jubel seines Herzens so hingebend liebenswerth, daß Annen jeder frühere Miston aus dem Gedächtnisse schwand. Auch seine Frau hatte mit einer hübschen klaren Handschrift einige Zeilen voller Dank und Herzensfreundlichkeit dem Brief zugefügt; das Glück verleiht gut gearteten Menschen fast immer eine gewinnende Anmuth.

Anna war glücklicher, als Beide. Konnte sie wol einen Augenblick daran zweifeln, daß es Gotthard sei, der dies Alles möglich gemacht, der es für sie gethan zu ihrem Trost?[269]

Das Gefühl seiner Liebe überkam sie wie eine stille Seligkeit; Thränen überthauten das Blatt, das sie noch in den Händen hielt. Unwillkürlich war ihr, als empfinde sie wieder die Wohlthat seiner Nähe, ihre Lippen flüsterten bewußtlos seinen Namen. Ja, das bist Du, mein Gotthard! sagte sie leise und hob das noch umflorte Auge – großer Gott! es traf das seine! – Er lag zu ihren Füßen, faßte ihre Hände, drückte sie an seine Stirn, an seine Lippen. Besinnungslos sah sie ihn an, wiederholte aufschreiend seinen Namen und sank kraftlos, vom Augenblick überwältigt, mit dem Gesicht auf seine Schulter, an seine Brust.

Wer zählte je in einer solchen Lage die Minuten? Wie lange das Gefühl der namenlosen Wonne, dieses Anschauens des Geliebten, ohne Vor- noch Rückblick auf Vergangenheit oder Zukunft, gedauert, wußte Anna nicht. Jetzt saß er neben ihr auf dem Sopha; wie von[270] einem unerhörten seltsamen Traum befangen, lauschte sie seinen Worten. Lange verstand sie ihn nicht; plötzlich ward ihr sein Irrthum – ach! sein wahnsinniges Hoffen klar, wie ein Skorpion tödtete diese Stunde sich selbst, vernichtete das volle Leben, das sie genährt. – Was Gotthard wähnte, sagte, wünschte, paßte ja nirgends in die Wirklichkeit. Sie ihre Kinder verlassen! sie von Egon sich trennen! Nein, das war ja nicht zu denken, nicht zu thun, weit eher konnte sie sterben.

Mit Löwenmuth fiel die arme Frau über, das hoffnungschlagende Herz des Geliebten her und entblätterte alle seine Blüthen. –

Vergebens wiederholte er ihr, daß die Trennung von ihrem Gemahl bereits hinter ihr liege, daß es Raserei sei, einem bloßen Begriff ein ganzes Leben zu opfern.

Sie schüttelte stumm und traurig den Kopf,[271] aber seine Worte schmerzten sie, ohne sie irre zu leiten.

Anna! rief Gotthard endlich verzweifelnd, seit sechs Jahren habe ich eine freudenlose Existenz von Tag zu Tage hingeschleppt; im Edelsten, Erfolgreichsten, das ich zu leisten versuchte, klang immer die Todtenstimme meines Herzens vernichtend durch; ich fühle, daß mir der Boden unter den Füßen fehlt. Anna, lassen Sie mich meine Aufgabe vollenden! Gewähren Sie mir Frieden! Enden Sie diese rastlose Pein, dieses stachelnde Glückverlangen, dieses verzehrende über einer Unmöglichkeit Sinnen und Brüten, an welche zu glauben, der männlichen Natur eine schlimmere Vernichtung ist, als Krankheit oder Tod. Der Zwiespalt zerfrißt mit seinem Rost mein Herz, meine Sinne. Was zu thun Menschen möglich war, ist von beiden Seiten geschehen, und jetzt, da eine unbegreifliche Barmherzigkeit des Zufalls die Möglichkeit[272] einer innern Vollständigkeit, einer geistigen Genesung uns gewährt, jetzt wollen Sie in kränkelndem Pflichtgefühl einer unwahren Ueberzeugung, einer gemachten Nothwendigkeit sich und mich opfern?

Bis in's Tiefste erschüttert, hörte sie ihn an, dann begann sie zu erzählen. Je länger sie sprach, desto trüber wurde Gotthard. Sie sprach über Egon, über dessen richtenden Blick, der schon jetzt mit schneidender Schärfe den Vater getroffen, über die beiden Briefe, die sie selbst von Brandenburg aus an Kronberg geschrieben. Im Reden ward sie muthiger. O, mein Freund! sagte sie fest, wir können uns einander opfern, denn wir sind eins; aber kann ich den Knaben beider Eltern berauben? Hat meine Liebe zu Ihnen, Gotthard, des Vaters Herz ihm entfremdet, darf ich die Mutter auch von ihm trennen? Verlangen Sie nicht, was wir Beide nicht ertrügen.[273]

Leben Sie wohl, Anna! sagte Gotthard, bebend vor Schmerz, aber rasch entschlossen. Es war das letzte träumerische Aufflammen meiner Jugend, es war ein wundersüßer, schöner Traum, der, wie alle Morgenträume, in blasses Tagesgrau verweht! O Anna, Anna! nun darf ich dich niemals wieder sehen!

Er zog sie einen Augenblick an seine Brust, ihr war, als breche ihr Leben. O Gotthard! hauchte sie leise, sein Sie nicht allzu hart gegen uns Beide! Können wir denn wissen, was Gott über uns verhängt? Lassen Sie uns treu sein und still halten!

Es lag eine so tiefe, demüthige Gottergebenheit in Anna's Worten, wie in ihrem ganzen Wesen, daß plötzlich Gotthards milde Natur, wie wach gerufen, aus dem Dunkel des eigenen Innern sich erhob. Still hielt er sie in seinen Armen, sah sie weich und innig[274] an und strich ihre seidenen Locken zurück, die ihr in's Gesicht gefallen.

Nun denn, mein Engel, lebe wohl! Lebe tausendmal wohl! Nicht auf immer. Aber weine nicht, o weine nicht, Anna! Leise bog er sich nieder – Beide saßen noch auf dem Sopha – seine Lippen berührten kaum, sie streiften nur ihren goldnen Scheitel.

Monsieur de St. Luce, Madame! rief Auguste's Stimme. Die Thüre ward aufgerissen, Leontine, Viatti, Otto, St. Luce und – Kronberg standen vor den Unglückseligen.

Ein dumpfer ächzender Laut, kein Schrei, kein Seufzer – ein schneidendes Wimmern durchdrang das Zimmer. Kronberg lehnte sich wie bewußtlos an die Thür, Viatti unterstützte ihn. Leontine war auf Anna zugesprungen, die in todtenähnlicher Ohnmacht am Boden lag;[275] St. Luce und Otto hatten sich hastig zwischen Gotthard und Kronberg gestellt.

Wortlos, zitternd vor Grimm und wahnsinniger Verzweiflung starrten beide Männer einander an. Kronberg faßte sich zuerst, an Viatti's Arm verließ er das Zimmer.

Leontine trat entschlossen auf St. Luce zu. Sind Sie Auguste's gewiß? fragte sie, convulsivisch zitternd.

Wie meines Lebens, Frau Marquise!

So ist nichts verloren, denn unschuldig ist sie, so wahr Gott lebt! Aber jetzt schaffen Sie mir Sophie, lieber General, dann verlassen Sie uns. Bereden Sie mit Otto, was gethan werden muß.

Vor Allem, sagte der graue Invalide, ist die äußere Ehre, der Ruf der Unglückseligen vor einem unauslöschlichen Flecken zu wahren.

Still legte er sie mit Leontinens Hülfe auf's Sopha. Otto stand wie versteinert; etwas Furchtbares[276] war geschehen. Er verstand diese Möglichkeit nicht; eine Secunde lang war er an Annen irre geworden.

Kronberg war mit Viatti sogleich in den noch unten haltenden Wagen eingestiegen und fortgefahren; Niemand wußte wohin.

Gotthard stand im Vorhause und starrte mit gekreuzten Armen düster vor sich hin, als suche sein Geist die Möglichkeit einer Ausgleichung des Geschehenen, an die er selbst nicht glaubte. So fand ihn Otto. In zwei Worten hatten sich Beide verständigt, St. Luce's Brief hatte ja ihn hergelockt, wie Duguets Schreiben früher Otto.

Er wird mich fordern! sagte kalt und ingrimmig Gotthard.

Er wird mich hören! erwiderte Otto.

Unterdessen war St. Luce die Treppe herabgekommen; als Offizier sah auch er einen[277] blutigen Ausgang der Sache als unvermeidlich voraus.

Alle Drei gingen in den Gasthof, den Gotthard und Otto bewohnten. Sie erwarteten dort Nachricht von Kronberg. Gotthard war trübe, aber gelassen. Keiner von ihnen sah Anna wieder. Otto ließ Auguste rufen, um ihn zu befragen. Sie hatte sich erholt; in Leontinens sorgender Obhut wußten die Freunde die theure Frau geborgen. Persönlich ihr zu nahen, vermieden sie ohne alle Erklärung, um keinen Schein des Einverständnisses ihr aufzubürden.

Mehre Stunden vergingen in dieser Spannung. Gotthard benutzte sie, um auf den Fall eines Duells im Voraus alles Nöthige zu ordnen; er schrieb fortwährend, doch wie es beiden Freunden vorkam, nur in Staats- und geschäftlichen Angelegenheiten. Annen schrieb er nicht.[278]

Gegen Abend kam endlich die erwartete Ausforderung. Kronberg war mit dem Grafen Viatti in ein nicht allzuweit entlegenes Städtchen gefahren, von wo aus er den Kutscher mit dem Briefe zurückgesandt hatte. Die Ausforderung lautete auf den nächsten Morgen, als Ort der Zusammenkunft war ein Wäldchen zwischen Brandenburg und dem besagten Städtchen angegeben; das Billet selbst war in sehr gemessenen Ausdrücken an Gotthard gerichtet.

Ich wünsche, sagte dieser, daß es uns gelingen möchte, dem unvermeidlichen Duell eine scheinbare, dem wahren Anlaß fremde, Ursache zu geben, auf keinen Fall können wir auf eine gänzliche Verheimlichung desselben rechnen. Im Uebrigen stehe ich dem Herrn Grafen ganz unbedingt zu Befehl.

Er antwortete in wenigen Zeilen.

St. Luce und Gotthard beabsichtigten, in einer Stunde zu fahren; Otto war im Augenblicke,[279] da er des Grafen Aufenthaltsort vom Kutscher erfragt, vorausgeritten, er wollte ihnen zuvorkommen.

Er ließ sich bei Kronberg melden und ward sogleich angenommen. Zu seinem Erstaunen fand er Roderich in einer ganz unerklärlichen, selbst durch das Vorgefallene in dieser Weise nicht zu motivirenden Stimmung; seine Aufregung, die krampfhafte, fast fieberartige Rastlosigkeit, die ihm nicht einen Augenblick auf einer Stelle zu bleiben gestattete, das mit gänzlicher Erschöpfung wechselnde, hörbar heftige Schlagen seines Herzens, die fliegende Röthe seines Gesichts waren nicht natürlich; er kam Otto krank vor, was er aber, zornig auffahrend, leugnete.

Nach Otto's Ueberzeugung konnte der Graf in seinem Innern Anna's äußere sinnliche Treue unmöglich bezweifeln, über ihre Neigung zu Gotthard aber mußte er seit Jahren im Klaren[280] sein. Hierauf gründete er seine Hoffnung, die Sache beizulegen, er und St. Luce betrachteten das Duell als durch Viatti's Anwesenheit herbeigeführt, den der Zufall zum unwillkürlichen Zeugen des ganzen Auftritts gemacht.

Sehr anders erschien der Fall den Hauptinteressenten. Kronberg war fest entschlossen, Gotthard zum Krüppel zu schießen, oder ihm seine Kugel durch's Herz zu jagen. Gotthard hatte mit sich selbst abgeschlossen und war fertig mit Allem; er hatte eben so fest sich vorgenommen, unter keiner Bedingung auf den Grafen zu feuern. Beiden war auf diese Weise, wie bisher, noch ferner fortzuleben, unmöglich geworden.

Otto bat Kronberg, noch einmal ohne Zeugen ihn sprechen zu dürfen, ehe Gotthards Antwort durch den rückreitenden Diener anlange, die ohnehin durch seine Anwesenheit als gegeben zu betrachten sei. Kronberg versprach, ihn[281] ruhig zu hören, blieb aber in einem unstäten Auf- und Niedergehen im Saale. Otto erzählte nun von Duguets Brief, von dem Eindrucke, den derselbe auf ihn gemacht, und von seiner augenblicklichen Abreise von Basel, um Annen beizustehen in dieser Trennung ihrer Ehe, die auch ihm einer gerichtlichen Scheidung gleich geschienen.

Sie wissen, sagte er weich, daß Anna meine Schwester ist, nur glichen wir von jeher den Dioskuren, sie gehört den himmlischen an, ich der Mutter Erde. Und weiter malte er mit naturtreuen Farben ihr stilles Leben in Brandenburg aus, der Marquise Ankunft, Egons und Josephs Liebe zu Beiden und die sich an der freundlichen Gegenwart mildernde Stimmung Aller. Annens Unkenntniß jeder späteren Wendung in Gotthards Geschick trat in all' diesen Einzelnheiten deutlich hervor; in Otto's ganz einfacher Rede lag eine durchgreifend[282] wirkende Wahrheit. Das ganz Unvermuthete der Ankunft Gotthards schien den Grafen stutzig zu machen; er blickte Otto mit durchbohrender Gewalt in's Gesicht.

Können Sie, schloß dieser fest und scharf, auf den Fall eines unglücklichen Ausganges dieses Zweikampfs eine mögliche Form des Lebens der beklagenswerthen Gräfin sich denken? Welche Stellung bleibt der mit einem Mal durch diese Oeffentlichkeit Preisgegebenen vor der Welt? – Uns Protestanten beut kein Kloster eine schirmende Zuflucht; die harte, schwere, ihre Kräfte weit überwiegende Last wird erbarmungslos auf die zarten Schultern geladen und sie muß sie vor Aller Augen mit sich bis zum Grabe tragen. Und was gewinnen Sie selbst?

Wild auflachend, unterbrach ihn Roderich. Junger Freund, haben Sie nie Ihr Herz an einen Irrthum gehängt? Was ich gewinne?[283] Im Fall meines Todes die Gewißheit, daß, die mich getäuscht, betrogen, verrathen hat, über meinem Sarge kein Asyl des Glückes sich erbaut; im Gegenfall, daß ich nicht mehr dieselbe Luft mit dem Verhaßten athme? – Erschreckt hielt er ein: er hatte den Abgrund seiner langen Seelenqual verrathen!

Erstarrt blickte ihn Otto an. Entsetzlich! rief er aus. Ein kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, auf jeden Fall war Anna's Ruhe verloren – und auf immer! Wen auch der Schuß des Gegners treffe, jedenfalls traf er ihre ganze Erdenzukunft.

Eben hielt der Wagen, die beiden Herren langten an. Gotthard sah ruhig aus. Er näherte sich höflich dem Grafen und bat ihn um eine Gunst.

Kronberg verbeugte sich.

In gewählten, sehr sorgfältig überlegten Worten erklärte Gotthard: er sei überzeugt,[284] daß in Beider Brust der Wunsch, der Gräfin Ruf ihren Kindern makellos zu erhalten, überwiegend sei, deshalb sei er jetzt schon gekommen. Er erlaube sich, dem Grafen den Vorschlag zu thun, den Rest des Abends diesem Zwecke zu widmen, ein Souper und Karten bringen zu lassen und ihrem morgenden Zusammentreffen das Ansehen einer beim Spiel entstandenen Mishelligkeit zu geben.

Der Graf nahm das Anerbieten an, behielt sich jedoch das Recht vor, die Gattung der Waffen und die Einrichtung des Zweikampfes zu bestimmen, und wählte Pistolen.

Gotthard überließ ihm diese und jede andere nähere Bestimmung.

Es ward Wein gebracht, Essen, ein Spieltisch und Karten; dem Kellner deutete man an, daß man seiner vorläufig nicht bedürfe.

Ungefähr eine Stunde lang blieben die vier Herren beisammen; es herrschte eine eisige Höflichkeit.[285] Endlich erhoben sich Gotthard und Otto, einen Wundarzt aufzusuchen, der zugleich des Erstern Zeuge sein mußte, da Kronberg St. Luce dazu aufgefordert.

Sehr geschickt verbreiteten sie das flüchtige Gerücht eines Streites beim Ecarté. Jede Maßregel ward so getroffen, daß im Augenblick die Sache als ganz folgelos erschien, während ihr Ausgang zu einem bestimmten Schluß führen mußte.

Als sie zurückkehrten, stand Kronberg auf und trat Gotthard entgegen. Herr Geheimrath! sagte er, was auch morgen das Schicksal über uns entscheide, die Zartheit und Entschlossenheit, mit welcher Sie von der äußern Ehre der Mutter meiner Kinder eine Schmach, von dem Leben der Knaben einen tiefen Schmerz abwenden, verdient meinen achtungsvollen Dank. Obgleich es ein sehr schmerzendes Gefühl ist, das mir denselben auferlegt, gebieten mir Pflicht[286] und Ehre, Ihrer Loyalität vor diesen Herren die vollkommenste Anerkennung auszusprechen. Gotthard dankte schweigend.

Die beiden Freunde wollten einen nochmaligen Versuch der Versöhnung wagen, Kronberg wies sie stolz zurück, ergriff Viatti's Arm und verließ den Saal.

Es war ausgemacht worden, sich am nächsten Morgen um sechs Uhr am dazu bestimmten Orte zu treffen; die beiden Duellanten sollten von einer gegebenen Entfernung aus auf einander zu gehen und Jeder schießen, wann er wollte.

Als Kronberg und der Marchese sich wandten, das Zimmer zu verlassen, stürzte St. Luce auf Gotthard zu und drückte ihn an seine Brust wie einen Sohn, dann folgte auch er den Andern; als Secundant Kronbergs glaubte er nicht allein bei jenem verweilen zu dürfen.

Und nun eine Bitte, sagte Gotthard zu[287] Otto; haben Sie die Güte, mich morgen während des Duells nicht einen Augenblick aus den Augen zu lassen, das Uebrige mag der Doctor Hollau besorgen, der Ihr Mitsecundant ist. Ich wünsche, daß Sie Annen sagten, daß ich gehandelt, wie Der mußte, der ihr Herz gekannt. –

Ehe noch Otto ihm etwas zu erwidern vermochte, hatte er sein Schlafzimmer betreten und hinter sich abgeschlossen.


Anna's fieberheiße Hand ruhte noch zwischen den beiden Leontinens, ihr feuchter, glühender Blick hing noch an den bereits geschlossenen Lippen der Erzählerin. Leontine hatte ihr Alles mitgetheilt, was sie durch Duguet über Kronbergs Bruch mit der Capacelli und dessen rasche Abreise erfahren. – Anna war tief erschüttert. Roderichs Rückkehr zu der eignen ursprünglich edeln Natur seines Wesens glich[288] dem Morgentraume seiner ersten Neigung für sie; und gerade in diesem sein Bild verklärenden Lichte, gerade in dieser Milderung der stets unterdrückten harten Anklage ihres Innern gegen ihn mußte die Verzweifelnde sich ihn mit fast unumstößlicher Gewißheit als den Mörder des Geliebten denken. Das Duell, von dem sie überzeugt war, es finde statt, glich in ihren Augen keinem Zweikampf, denn sie blieb dessen Ausgangs gewiß. – Das zwiefach Dämonische der Empfindung übermannte sie. Laut aufschluchzend barg sie ihr Haupt tiefer in die verhüllenden Kissen; o wie gern hätte sie in kühler Erde es gebettet!

Auch Leontinens Elasticität schien gebrochen. Sie kniete am Bette der Freundin, die sie fortwährend mit angststierem Auge bewachte. Sie wußte selbst nicht, was sie so Entsetzliches fürchtete. Zwischen den Fingern knitterte sie ein kleines Zettelchen von Viatti's Hand, das[289] man ihr heimlich aus dem Gasthof zugeschickt; es sollte sie beruhigen und athmete doch nur die tiefste Empörung gegen Annen aus, die erst vor Kurzem ihrem Gatten das Mitwissen um einen inhaltschweren Brief mit frecher Großartigkeit abgeleugnet und jetzt vor dem Unglückseligen auf eine Weise entlarvt sei, die nur seinen Tod zu wünschen lasse. – Kronberg mußte ihm also unbedingtes Vertrauen geschenkt haben.

O hätte Leontine aus dieser engen Schlucht der Pein nur einen einzigen Moment in Viatti's Herz schauen können! Sie fürchtete mit verwirrender Sorge die Feuerbrände des Mistrauens, der wüthenden Eifersucht seiner ewig in sich arbeitenden und stets von außen unbeschäftigten Natur, deren Einfluß in diesem Augenblick Kronbergs Seele allein beherrschte! Doch wo ihn auffinden? – Das ganz Hülflose der Lage beider Frauen war schaudererregend.[290]

Und, seufzte sie – fortredend aus den sich innerlich jagenden Gedanken heraus – wenn es nun anders käme? O, es ist ja nur ein anderes Entsetzliche, dich daran erinnern zu müssen, daß auch Gotthards Kugel treffen kann! Aber das Grausenhafte bleibt sich immer gleich. – Nun, vielleicht, vielleicht trifft sie ihn nicht zum Tode; er ist besonnen. – Anna, jetzt, erst in diesem Augenblick, verstehe ich Jean Carlo's sich an den Glauben klammernden Trost ganz. In solchem Abgrund Wahnwitz erweckender Pein, die eine Menschennatur aus allen ihren Fugen reißt und sie zum Spielball der innern Höllengeister macht, beut nur allein die Kirche den schwachen Hoffnungsstrahl, der, ach! so klein, dennoch, unserer ewigen Lampe gleich, das nächste Dunkel hellt. O Anna! was hilft mir all mein Geist – trügerisch oder nicht – laß mir den einen kleinen Dämmerschein, an den ich mich mit aller Kraft des[291] Gemüthes anklammern möchte, den Gedanken an die Fürbitte! Ja bitten, bitten für den Beklagenswerthen, der den Tod gibt und sein eignes ganzes Leben hindurch an der furchtbaren Erinnerung stirbt. O könnte ich's mit ihm abbüßen! Der Mensch hat ja in solchem Jammer nichts, das er ergreifen kann, als den Kelch des Glaubens und das Kreuz der Buße!

Leontinens Haupt sank auf Annens Decke, sie weinte laut.

Anna richtete sich fast geisterhaft auf. Du zweifelst, um wessen Tod wir zu klagen haben? rief sie mit einer grauenerregenden Mischung von Qual und innig zärtlichklagender Lust. O, irre dich nicht! Gotthard ist vor Allem Mensch. Für Kronberg bete, daß ihm Gott vergebe, gegen seine innere Ueberzeugung zu handeln, weil es ihm die Scheinehre gebeut; bete für ihn, so lange du lebst, ich fürchte, ich vermag es nicht. – Großer Gott, ist es denn[292] möglich! Du glaubst, ich hätte schon verlernt, Gotthards Herz zu durchschauen? Du glaubst, er – werde je auf den Vater meiner Kinder zielen? Hast du denn nie ihn verstanden, nie dieses Mannes Charakter erkannt? Er stirbt für mich, wie er für mich gelebt. Er ist der Beneidenswerthe, der Freie, der das einfach Rechte darf!

Sie sank zurück in ihre Kissen und eine tiefe Erschöpfung hielt sie lange von jeder Äußerung zurück, bis sie wieder irgend ein Gedankenbild, ein Glockenschlag aufschreckte.

Sophie schlich still hinaus zu August und Duguet, die im Vorgemach trostlos bekümmert und gebeugt nebeneinander am Kamin saßen.

Und das sehen! sagte Duguet. Das Haus, das uns genährt, dem wir gedient dreiundzwanzig Jahre hindurch – das Haus zusammenbrechen sehen über der lieben Kinder Haupt, die in ihrer Sicherheit und Unschuld nichts ahnen![293] Jeden Moment können Graf Egon oder Joseph kommen und der Leiche ihres Vaters begegnen!

Wenn ich nur wüßte, wohin sie gefahren! seufzte August. Sophie trat zwischen die Beiden. Meine armen Freunde, sagte sie, mir ist nicht gut, ich bin von all dem Elend übersättigt, das ich auf der Welt gesehen; das Warten auf neues Unglück halte ich nicht mehr aus.

Mein Gott! fuhr sie fort und sank wie zerbrochen auf einen Stuhl, mit auf den Knien gefalteten Händen, ich habe zu viel davon mit durchlebt, erst die Revolution und die Marquise d'Alvigni, und die jungen Grafen, die ersten Kinder, die ich auferzogen – und deren Vater, dessen Kopf unter der Guillotine fiel. Dann meinen armen Marc, die lange bange Sorge um meine kleine Leontine. Nun das Herz meiner liebsten Herrschaft, meines Herzblatts! Siehst du, Duguet, es ist zuviel für so ein Paar alte Schultern.[294]

Er faßte erschrocken ihre Hand. Du bist krank, Sophie! Nimm deine Tropfen, thue mir's zur Liebe!

Auch August drang auf sie ein.

Nenni, nenni! sagte sie mit ihrem Lütticher, scharfen Dialekt, es hat nichts auf sich. Ein armer treuer Hund stirbt auch zu seines Herrn Füßen. Mais, j'en ai assez! Ich kann nur Euch Beiden gute Nacht sagen. Sie reichte jedem eine Hand.

Und mit plötzlich concentrirter Sorge überflog ihr Auge nochmals das Zimmer, ob auch nichts Nöthiges zu thun; da erreichte Leontinens Ruf ihr Ohr. J'y vais, j'y vais, Madame! sagte sie, indem sie von der Thür aus noch einmal, zum letzten Mal, auf ihre beiden Freunde zurückschaute.

Ich weiß, meiner Treu, nicht, wie mir ist, murmelte August, es ist mir so bitterwunderlich um's Herz. Zum Teufel! ich habe doch so[295] allerlei mitgemacht, Schlachten, Plünderung, Brand, und diese dumme Geschichte –

Duguet weinte still vor sich hin.

Allons, allons, vous pleurez? rief der alte Soldat. Mais fi donc! qu'est ce bête de pleurer pour ça!

Ihm selbst liefen zwei helle Thränen die Backen herunter.


Morgens um fünf Uhr trat Gotthard, völlig angekleidet, in Otto's Zimmer, den er auch fertig fand. Die gewöhnlichen Vorkehrungen wurden getroffen, auf den Fall der Flucht, der schweren Verwundung u.s.f.

Gotthard blieb ruhig am Tisch sitzen und ließ den Freund gewähren. Seit ihrer frühesten Studentenzeit hatten Beide, mit gar andern Interessen und Arbeiten überhäuft, sich[296] nie um ein Duell gekümmert, fast neugierig sah er ihm zu.

Halb sechs erinnerte er Otto, es sei Zeit. Sie gingen gelassen, wie zu einem ernsten Geschäft. Man hatte Kronbergs Pistolen mit Doppelläufen gewählt. Für den Nothfall steckte Otto ein zweites Paar ein. Den Arzt und Wagen sollten sie wie zufällig am Thore treffen.

Nach wenigen Minuten erschienen auch Kronberg, Viatti und St. Luce; die beiden Letzten ruhig, wie eines solchen Auftritts lange gewohnt; Kronberg, aufgeregter, als zu vermuthen bei so einem trefflichen Schützen und so gewandten Mann. Er sah glühend roth aus und in einer Weise bewegt, die weder zu seiner Ritterlichkeit, noch zu seiner Selbstbeherrschung paßten. Es flog Otto durch den Kopf, er sei doch krank.

Gotthard wurde bleich. Beide Herren grüßten einander; das Feld ward gemessen.[297]

Während der Zeit schaute Gotthard noch einmal über die weite Fläche der Gegend hin; die ersten, noch goldenen Strahlen der Sonne lagen auf den nächsten Baumgipfeln, der zum Duell gewählte Platz noch im Schatten, von ihnen unberührt, aber hell.

Die Secundanten gaben das Zeichen, die Herren traten an ihre Plätze.

Otto wandte, wie er's versprochen, kein Auge von Gotthard; der junge Arzt sah zum Rechten.

Beide spannten den Hahn ihrer Pistolen und schritten langsam aufeinander zu. Gotthard hob den Arm, hielt sein Pistol gespannt, völlig ruhig; keine Muskel des Arms, kein Zug des Gesichts zuckte.

Jetzt pfiff Kronbergs Kugel, sie streifte Gotthards linke Schulter, dieser hielt ruhig sein Pistol in unveränderter Lage und schritt weiter. Kronberg schrie auf und sank zusammen. Halt![298] Halt! riefen die Secundanten. Athemlos, aber fest wie eine Mauer, stand Gotthard.

Er ist todt! rief der Arzt.

St. Luce und Viatti suchten ihn vom Boden aufzuheben.

Unmöglich, unmöglich, meine Herren! rief mit Donnerstimme Otto; Geheimerath Gotthard hat nicht geschossen! Die Kugeln sind beide in den Läufen! Mit voller Besonnenheit riß er ihm das Pistol aus der Hand und setzte den Hahn in Ruhe.

Endlich begriff Gotthard, der den Tod von Kronbergs zweitem Schuß erwartete, was geschehen; auch er stürzte auf Kronberg los. Sie rissen seinen Rock, seine Weste auf, der Arzt holte seine Instrumente. Entsetzlich! schrie Gotthard und fiel mit gerungenen Händen auf den Leichnam nieder. Dem Grafen war eine Ader am Herzen zersprungen; er war todt.[299]


Langsam und feierlich zogen zwei Leichenzüge durch die sonst so stillen, heute von einer gaffenden Volksmasse gedrängt erfüllten Gassen Brandenburgs. Seltsam! auf den schmucklosen Sarg der armen Sophie, die sich am Vorabende des Duells krank gelegt und nicht wieder aufgestanden war, flossen die meisten, vielleicht die zärtlichsten Thränen. August und Duguet waren Beide trostlos. Welcher von Beiden ist denn der Mann? fragte ein altes Hökerweib.

Aber auch Kronberg ward tief und aufrichtig beweint. Das seltsame Geschick, das ihn betroffen, hatte die allgemeine Aufmerksamkeit auf den fremden Grafen gezogen, der eigens von Wien gekommen schien, um in Brandenburg zu sterben. Das Geheimniß des Zweikampfs war im ersten Schrecken vergessen, die Sache selbst verstellt, umgewandelt, widerrufen worden. Manche erzählten, der Graf sei auf[300] einer Spazierfahrt plötzlich todt in die Arme seiner Gemahlin gesunken, Andere, er habe wegen ihr sich mit einem ihm ganz Fremden geschossen. Viele Versionen des beklagenswerthen – und doch für Einen glücklichen Ereignisses durchzogen die Stadt.

Otto und Viatti hatten Annen die Trauerpost überbracht. In einem ernsten Gespräch unterwegs war es dem Ersten gelungen, Viatti die unselige Verflechtung der Umstände mitzutheilen und sein Urtheil über Annen zu berichtigen; doch blieb ein seltsamer Stachel in des jungen Mannes Brust. Es war Gotthard, der ihn gerettet in Bern, Gotthard, der, schuldig oder nicht, seines Oheims Tod herbeigegeführt, Gotthard, dessen frühere Dazwischenkunft seine Vereinigung mit seiner Gemahlin und durch dieselbe sein Lossagen von jeder Theilnahme der nie ganz endenden Freiheitsversuche Neapels veranlaßt hatte. Gotthard[301] blieb der Dämon seines Lebens, wie er der seines dahingeschiedenen Oheims gewesen.

Die Freunde geleiteten Annen und ihre Söhne der Leiche ihres Gatten und Vaters zu, die St. Luce mit unerschütterlicher Treue bewachte, und die Kinder wußten nur, daß er in einem Streite sich erhitzt, dann in der Morgenkühle vom Schlag getroffen sei; sie begegneten dem Trauerwagen und schlossen sich ihm an. Anna hatte den Muth, die Leiche gleich zu sehen.

Es war ein furchtbarer Augenblick! zu dunkel in seinen geistigen Tiefen, zu unergründlich an wechselnder Pein, zu niederschmetternd im Gefühl der Ohnmacht menschlicher Natur, als daß man ihn beschreiben könnte. Gotthard floh nicht, aber er zeigte sich nicht; ernst und trübe blieb er in dem kleinen Orte zurück, um abzuwarten, ob eine Klage gegen ihn sich erhöbe. Der junge Arzt nahm ihn in seine Wohnung auf.[302]

Geierspergs kamen Beide zur Bestattung, Viatti hatte ihnen einen Courier gesandt. Alles glitt zurück in die alte hergebrachte Form, in die Trauerflöre, in den Pomp einer fast fürstlichen Bestattung.

Als die letzten Töne des Trauermarsches verklungen und all dieser entsetzliche Schmuck des Todes verschwunden war, mit welchem wir zuletzt die Kleinheit und Erbärmlichkeit alles äußern Erlebens so schroff und grell durch den Gegensatz des der Leiche Bleibenden bezeichnen, wollten Geierspergs Annen nach Berlin mitnehmen.

Sie schlug es ab, übergab ihnen aber, nach des Vaters Willen, Egon, der seine Vorstudien in Berlin beginnen sollte. Sie selbst blieb mit Joseph, der in der Ritterakademie aufgenommen war, zurück. Nach Wien zog sie nichts. St. Luce versprach noch, einige Monate bei ihr zu verweilen. Otto gedachte heim.[303]

Anna! sagte er, als er am Vorabend seiner Abreise vor die in tiefe Witwentrauer gehüllte Freundin trat, die ernst und still seiner harrte, ich bringe dir Gotthards Abschiedsgruß. Er ist nach Berlin zurück. – Obschon es mir gelungen ist, im ersten Augenblick der Gefahr deines Freundes Hand als rein vom Blute deines Gatten zu zeigen, werden doch deine Knaben späterhin gewiß, wie so manche Andere, erfahren, daß eine Ausforderung, ein Zweikampf stattgefunden, und – die Welt wird ihnen das Warum nicht schenken. Deshalb meint Gotthard, er dürfe dich jetzt noch nicht aufsuchen; aber er wünscht dir zu schreiben. – Was mich selbst betrifft, Anna! – er sprach mit sichtlicher Selbstüberwindung – so rufen mich Pflicht und Dankbarkeit zurück in meine erworbene Heimat, zu meinen Studien, zu meinem Weib und Kind. Und du bedarfst deines Freundes nicht mehr; ein Anderer darf dir näher treten;[304] der Freund deiner ersten Jugend weicht zurück.

Lieber Otto! erwiderte Anna, ich danke dir viel, am meisten aber, daß dein mit meiner ganzen Kinderzeit so eng und fest verwachsenes Bild in so ganz klaren lichten Zügen mir bleibt – zu meinem Trost! – Kehre denn zu Vrenely zurück, sie wird sich um dich bangen.

Ja, das wird sie, sagte er, trübe vor sich hinblickend; denn ich habe ihr seit dem Unglück nicht wieder geschrieben, ich vergaß sie, mich, Alles, um dich! und um ihn, setzte er hinzu, den du liebst.

Den ich liebe! – Anna erröthete heiß, dann kehrte sie den Kopf mit einer edeln, fast königlich stolzen Wendung ihm zu. Ja, Otto! ich liebe ihn! Ich werde ihn lieben, so lange ich lebe, aber –

Sei recht glücklich, Anna! sagte er gepreßt. Er wandte sich, um zu gehen.[305]

Sie ergriff leise seine Hand und zog ihn neben sich nieder auf das Sopha, dann sah sie ihn still mit ihren großen veilchenblauen Augen an und hielt ihn so einen kurzen Augenblick. Erinnerst du dich noch deutlich unserer ersten Jugend? des dunkeln Hauses und der engen in stumpfen Winkeln ausbiegenden schiefen Gasse, in der gar nichts eine helle Farbe hatte? –

Als unser Herz, Anna! als unser fröhlich schlagendes Herz! –

Weißt du noch, fuhr sie fort, wie wir oft Sonntag Nachmittags Stunden lang hinübersahen in des so nahen Nachbars blindgebrannte Fensterscheiben, ganz überzeugt, es müsse irgend etwas da geschehen, und du erzähltest mir lauter Märchenanfänge –

Otto hatte sich zurückgelehnt in die Ecke, er hielt ihre Hand noch, aber sein Auge sah nur das damalige Kind, nicht sie. Drüben, sagte er langsam, wohnte der Mann, der die[306] Electrisirmaschine hatte. Wir fingen der Tante alten schwarzen Kater ein und electrisirten erst ihn, dann die Thürklinke, die den Hausknecht die Treppe herabwarf, als er den Kater suchte. – Wie hieß doch nur Euer Hund, dessen Gebell ich nachmachte, damit du herunterkommen solltest, um ihm die Hausthür zu öffnen?

Maus, sagte Anna und lachte. Ein gar närrischer Name für einen Hund. Der Vater hatte ihn lieb, es war ein alter steifer Spitz.

Ich seh' ihn noch! Und wie die Mutter böse wurde, wenn ich ihn Sonntags herausließ –

Ja, er lief mit bis zur Kirche. Ach, Otto! es ist, glaube ich, in der Welt nirgend mehr solch ein Sonntag!

Und Beide entwarfen sich das Bild eines Sonntags der kleinen Stadt, wie ihn nur die Jugend kennt, mit all seiner Poesie und all seinen Einschränkungen, seinen Freuden und seinem[307] Sonnenglanz, den die enge Bürgerhaushaltung widerstrahlt – nichts hatten sie vergessen.

Siehst du, Otto! fuhr sie fort, wäre ich in der engen, grauen Straße geblieben, vielleicht wäre ich glücklich und frei, aber so! –

Freilich, nun bist du eine Gräfin. Aber was schadet das?

Ich bin eine arme, in einen andern Boden versetzte Pflanze, sagte sie träumerisch-wach, die im Heimatsgrunde nicht zur Blüte kam. Ich habe nicht fest anwurzeln können in der fremden Erde, so kunstvoll sie des Gärtners Hand um mich her gelockert und gehäuft. Ich habe mich immer gefürchtet vor meinen eigenen Verhältnissen, ich habe mich fremd gewußt, nicht gefühlt unter allen diesen Fürsten und Grafen, deren Wesen mir nie imponirte, deren Interessen mir oft eben so flach und erbärmlich vorkamen, wie die meiner ersten Umgebung. In meinem Vaterhause hatte mich die oft rohe[308] Hand der Armuth, der Kleinlichkeit, der beklemmenden Sorgen kleinbürgerlicher Verhältnisse eingeängstet bis zum Hinüberflüchten in die mir neue, fernliegende große Welt; aber die in stille Winkel verkrochene, unter grauer Alterthümlichkeit fortblühende Poesie jener Lebensmorgendämmerung ließ meine Seele nicht los. Unablässig zog sie mir nach, rief mir das Herz zurück zu sich, daß es mir hätte zerspringen mögen in der Brust. Mein ganzes Leben hindurch hat mir eine goldene, helle Mittelstraße des Geistes geahnt, eine freie Entwicklung höchster, ungekränkter Menschlichkeit. Als junges Mädchen, als Frau sogar, habe ich sie bald hier, bald dort geträumt; jetzt träumen sie Millionen mit mir, die sie, leider! eben so wenig finden werden wie ich, obschon Alle sie suchen.

Otto drückte die liebe Hand, die er noch in[309] der seinen hielt. So viel, so offen hatte Anna nie über sich gesprochen.

Das waren meine Träume, Otto! fuhr sie fort, das war meine Vergangenheit. Nun hat mich das Leben plötzlich von beiden abgeschnitten und mich in eine grelle, helle Gegenwart geschleudert; Kronberg ist todt, die Gräfin Kronberg steht nun an seiner Stelle. Sie ist ihren beiden Söhnen einen makellosen Ruf und die Möglichkeit, sie unbegrenzt zu lieben, schuldig. Der Vater schläft den langen Todesschlaf, die Mutter muß für ihre Kinder wachen. – O, glaube mir, Otto! sie sollen sich menschlichschön und frei entwickeln, jeden Vorzug ihres Geschicks und jede Gunst des Zufalls genießen, aber keine einzige der meistens diese Gunst, diese Vorzüge begleitenden, oft sie bedingenden Fesseln soll mir die frischen, schönen Knabenseelen drücken oder beengen. Sie sollen keine Schwächlinge, keine Charakter- oder Geisteskrüppel[310] werden. Weder Viatti, noch Geiersperg sollen jemals einen entschiedenen Einfluß auf deren Lebensrichtung erhalten. – Es ist hart, denn jetzt kann und darf ich mein Geschick nicht an das meines Freundes schließen.

Anna! schrie Otto auf, ist das dein Ernst, wagst du schon jetzt dich zu entscheiden?

Und warum nicht jetzt? Heute, morgen, über's Jahr, ist das ein Anderes? Er wird auch jetzt mich verstehen. Otto, wer im Augenblicke des Zweikampfs den Muth hatte, mit dem Mörder des Geliebten fortleben zu wollen, um der Kinder willen, hat auch den, eine Trennung zu tragen, die nur eine äußere ist, nie eine innere werden kann!

Otto seufzte schwer. Du bist so jung und das Leben ist so entsetzlich lang!

Sie aber schüttelte den schönen Kopf und legte die Hand auf ihr bang schlagendes Herz. Und doch, traue mir![311]

Vom Nebenzimmer herüber tönte Leontinens leise Stimme, sie sang ein Lied, das Otto liebte. Einen Augenblick horchte er wehmüthig ihren Tönen, dann ging er hinein, auf lange Abschied von ihr zu nehmen.


Lied.

O nur kein Wort, kaum ein Gedanke!

Es spielt im Rosenkelch die Luft,

Es träumt der Schmetterling im Duft,

Der Abendhauch im matten Glanze;

Es winkt verschwiegen dir die Ranke,

Lockt in den Zauber dich hinein –

O nur kein Wort, kaum ein Gedanke! –


Da bricht ein Strahl die Wunderstille!

Wie all-lebendig Wald und Welt!

Nun spricht dein Herz, nun ruft das Feld;

Es schwirrt und summt um jede Pflanze;

Der Glutmoment warf ab die Hülle,

Aufblitzt der grelle Sonnenschein! –

Wo blieben Zauber, Traum und Stille?[312]


In Basel waren die Ferien zu Ende. Vrenely hatte zehn Mal die Nachbarn getäuscht mit der Versicherung: es gehe ihrem Manne gar wohl, er sei auf dem Rückwege. Aber nun ward ihr das Herz allzuschwer, so schwer, als zöge es sie unter die Erde.

Hatte sie den lauten Tag zur Ruhe gebracht, so kam die Nacht mit ihren noch lautern Träumen, das Elend schrie sie gewaltsam wach – und dann war er nicht da. Sie lief an's Fenster, riß es auf, gewiß, er mußte unten sein, sie hatte wol im Schlaf das Rollen des Wagens überhört, aber – da war nichts als Dunkel, und Herbstwinde sausten über die Baumwipfel und krachten, und schüttelten an Thür und Laden. Die Nacht schaute mit tausend schwarzen Augen durch die geöffneten Fenster in das schwach erhellte Zimmer, in dem sie schlafend und wachend immerfort wartete auf ihn.[313]

Es hatten schon viele Studenten angefragt, ob der Professor nichts habe hören lassen; die Collegia waren angeschlagen, die andern Vorlesungen begonnen. Manchmal war ihr, als rückten all die fernen Berge ganz eng zusammen, als würfen sie alle ihre rollenden, stürzenden Bergwasser, all ihre Lavinen und ihre Stürme ihr auf's Herz, als wanke der Fels unter ihrem Fuß, ja als könne ihr armer Kopf wol ganz irre werden, wenn ihr der eine Gedanke einfalle, den sie noch nicht dachte, nur ahnte, und den sie immer fortschob mit Gewalt, wenn er ihr näher treten wollte. Und nah lag er ihr, das fühlte sie wohl, entsetzlich nahe!

Nicht einmal beten konnte sie mehr, die Angst verwirrte sie und zerstreute sie; sie faltete dem kleinen Mädchen die noch willen- und bewußtlos herumgreifenden Händchen und blickte gen Himmel. Es war eben so gut wie ein Gebet.[314]

Endlich hatte sie beschlossen, ihm nachzureisen; denn sonst sterbe ich, sagte sie traurig vor sich hin, wenn ich nicht weiß von ihm, und das ist doch das Allerschlimmste. Sie rüstete sich, packte ein; es war nun Abend; der Herbstsonnenschein lag roth und brennend auf der altergrauen Stadt, sie sah ganz jung und rosig davon aus, das machte Vrenely Muth. Sie setzte sich mit dem Kinde auf das schon fertig gepackte Köfferchen und blickte über die Wiege weg in den wieder Tag und Leben verheißenden Strahl – da umfaßten sie plötzlich von hinten zwei kräftige Arme und drückten sie an ein warmes, treues Herz. Gott im Himmel! er war's und hatte sie überschlichen. Bleich, verkümmert, mager war er. Sie fragte nichts, schalt nicht, warf ihm nichts vor; sie zog ihn an den Tisch auf's Sopha, daß er bequem ausruhe, dann lief sie, Alles herbeizuholen, was den Ermüdeten erquicken konnte. Die letzten[315] Stunden hatte er zu Fuß gemacht, um auf Richtwegen früher anzukommen. Bei jedem, was sie brachte, fiel sie ihm um den Hals, drückte ihn an's Herz und eilte, noch mehr zu bringen. Zuletzt rückte sie ihm die Wiege noch bequem zurecht, daß er die Kleine immer sehen könne, und setzte sich still zu seinen Füßen auf einen Schemel. Er nahm das schlafende Kind und küßte es wach. Du siehst aus, wie der heilige Joseph! sagte sie lachend; all' ihre Munterkeit war erwacht.

Erst als er lange geruht, gegessen, getrunken hatte, legte sie ihr Köpfchen auf seine Schulter, sah ihn mit den glänzenden schwarzen Augen innig zärtlich an und sagte: Du hast wol viel gelitten? Ueber sich sagte sie gar nichts.

Otto spielte mit ihren langen Flechten und erzählte. Sie schreckte zurück auf dem Schemel, faltete entsetzt die Hände; so halb zurückgelehnt, starrte sie ihn an und lauschte ihm jedes Wort[316] von den Lippen. Gott, das war's! ächzte sie und ihre Thränen ließen ihr kein Wort weiter.

Als er geendet, weinte sie noch laut. Und ich, ich, die dich anklagte, deines Schweigens wegen, o vergib mir! vergib mir! Zärtlich küßte sie seine Hand, er aber zog sie an's Herz.

Diese Anna ist ein großartiges Weib, sagte Vrenely, ihre Augen trocknend; viel besser, als ich. Wie sehr begreife ich, daß du sie so liebst! Gott weiß, ich habe mein Kind lieb da in seiner Wiege; aber dir um des Kindes willen entsagen, das könnte ich nicht. Leontine hat sie oft dem Pelikan verglichen, der mit dem Herzblut seine Jungen letzt; nun gibt sie den Söhnen unendlich mehr, als so ein bischen Blut, denn das arme Herz schlägt fort in ihrer Brust ohne alles Glück. Und Er! o es ist ungeheuer!

Sie versank in ernstes Sinnen. Aber sage mir, fragte sie wieder, ist's unvermeidlich?[317] Gotthard hat ja den Anfang der Erziehung der Knaben –

Unter diesen Umständen, in dieser Stellung, mit diesen von allen Seiten drohenden Anklagen –

Ach! sagte Vrenely, es mag sein, daß sie muß; aber all diese hellen, klaren Lebenshöhen sind doch entsetzlich!

Nicht für Anna, liebe Vrenely! Sie barg ihr Haupt an seine Brust.[318]

Quelle:
Adele Schopenhauer: Anna. Theil 1–2, Band 2, Leipzig 1845, S. 1-319.
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