1.

[44] Die Reimmaas ist ein zahlbarer Begriff 2. gewisser Silben / wordurch die Reimarten 3. unterschieden /und die Reime abgemessen 4. werden.

2. Das Wort Reimmaas deutet dem eusserlichen Laut nach / klärlich und vornemlich an / das dadurch ein Maas und Weise / womit die Reime recht abgemessen und getheilet werden / zuverstehen sey. Wird demnach die Reimmaas alhie genant ein[44] Zahlbarer Begriff gewisser Silben / nemlich ein solcher Begriff /vorbildung oder abmessung / welche nach gewisser /entweder kurtzer oder länger Zahl / etzliche Silben ümscheust / in sich fasset und abmisset. Die Lateiner nennen jhre Reimmaassen Pedes, weil auch jhnen jhre Versche gewiß gängig müssen gleichsam daher lauffen / und so zureden / jhre gehörige Fuß-maas müssen wol in acht nehmen. Wir werdens ohn zweiffel in Teutscher Reimkunst nicht unvernemlich nennen können Reimmaas / weil dadurch / wie gesagt / die Reime werden gewißmessiger weise abgemessen / davon hernach völliger Bericht folget. Nach etzlicher Beliebung künne man es auch nennen Schritt oder Tritt.

3. Weil man alsbald bey anfänglicher anhörung oder lesung eines Reimes / den Unterscheid oder die Art desselben begreifft vnd weis auß vernehmung der Reimmaas; denn wie die erste und andere Reimmaas ist / also seynd in sothanem Reimgedichte auch die folgenden / gehet derowegen ein Reim langkurtzlich oder Trogaisch an / alsdenn ist der gantze Reim Trogaisch oder langkurtz / angesehen die Reimmaas nich / wie bey den Lateineren / als auch bey den Teutschen / zu wechselen und zu mengen seyn / nemlich in den reinen Haubt-Reimarten.

2. Die abmessung oder abtheilung des Reimes geschiehet nicht nach anzahl / und ordnung jeder Wörter / sonderen nach dem zahlbahrem begriffe gewisser Silben / nach anweisung der Reimmaas / dadurch also Kettenweis aneinander gefüget / und wegen solcher abmessenden Theilung dem Außspruche[45] nach / lieblich die Wörter verbrüdert werden. als:


∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ – ∪ –

Kein Last–er ist–so groß–das Demuth nicht bedeckt /

Und kei-ner Tu-gend Lob–das Hoff–art nicht befleckt.


Herr Harsd.


– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪

Lasset vns weinen und Trauren vertreiben

Klagen und-zagen sol-heute ver-bleiben;

– ∪ ∪ – ∪ ∪ – ∪ ∪ –

Klagen und-zagen ver-jaget jtz-und

Heute seyd lustig und machet es kunt.


Cæsius.


Doch ist wol zumercken / daß es nich übel klingt /sonderen vielmehr / Vermöge der Haubt Regulen Teutscher Sprachkunst vergönstiget sey und lieblich laute / wenn gantze Langkurtze / und Langgekürtzte Reime (Trogaisch und Dactalisch) nur nach jeden eintzelen Wörteren die Reimmaas haben / oder dadurch abgemessen werden: Denn weil allen Nenn-und Zeitwörter / so offt sie jhre zuffällige Letteren künnen an sich nehmen (quoties casus obliquos, tempora, genera etc. variant) langkurtz oder langgekürtzt / das ist Trochæi oder Dactyli werden /Item weil alle zweysilbige composita gleichfals Trochæi seyn / als ist die über grosse vielheit sothaner Trogaischen und Dactylischen Wörter leichtsam daher zuermessen. Wol vnd gut klinget derowegen:

– ∪ – ∪ – ∪ – ∪

Stetes wollen stetes dencken /

Stetes steigen / stetes lencken /

Stetes wünschen stetes hoffen /

Unser Hertze hat ge-troffen. etc.*
[46]

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 44-47.
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