5.

[101] Laetus in praesens animus quod ultra est

Oderit curare, et amara lento

Temperet risu; nihil est ab omni parte beatum.

Horat.


Der Lenz erschien mit goldenem Gefieder;

Mild träufelt' er aus seinem bunten Kranz

Den frischen Thau des jungen Lebens nieder,

Und schmückte rings die Flur mit Duft und Glanz.

Voll Sehnsucht schien die Erde sich zu regen,

Die Weste wehten zart der jungen Flur

Den warmen Hauch beglückter Lieb' entgegen,

Und mächt'ge Kraft floß rings mit lauten Schlägen

In jedem Puls der ahnenden Natur.

Da häuft' ich frisches Grün und zarte Zweige

Dem Genius des Glückes zum Altar,

Und fleht' ihn an, daß er herniedersteige,

Für dich sein Ohr zu meinen Bitten neige,

Und bot ihm Duft und junge Blumen dar.

Sieh, er erschien im Glanz der Morgenröthe,

Und sein Panier, das, von dem Lenz geführt,

Rings durch den Kreis der weiten Schöpfung wehte,

War hell mit Gold und Rosen ausgeziert.

Da senkte mild der Thau der zarten Freude

Auf Hütt' und Königsthron, auf Wieg' und Grab,

Auf jeden Halm, auf's Blümchen in der Haide,

Verschönernd noch auf's Schöne sich herab.[102]

Doch wer die Huld des Genius verschmähte,

Wer, stumm versenkt in selbstgeschaffne Pein,

Die Freude mied und doch um Freude flehte,

Dem konnt' er nichts als eine Thräne weihn.

Auf dir auch sah ich seinen Blick verweilen:

Doch ihm verbot ein düstrer Geist der Nacht

Den süßen Kelch der Lust dir zu ertheilen,

Und traurend wich das Glück der höhern Macht.

Treulose, rief der Geist mit leisem Tone,

Treulose, sprich, was hab' ich dir gethan?

Wer zwang dein Herz von meinem Blumenthrone,

Der kalten Gruft des Schmerzes sich zu nahn?

Hab' ich dich nicht gebildet und erzogen?

Was Geist und Herz im reizenden Verein

Beglücken soll, hab' ich dir zugewogen:

Doch Andre nur verstehst du zu erfreun.

Die Grazien, die ewig dich umschweben,

Die Lächelnden, du kleidest sie in Schmerz;

Was dich umgiebt muß stets mein Hauch beleben,

Doch ach, er schlüpft nur selten in dein Herz!


O Freundin, sprich, soll ich die Worte glauben,

Womit der Geist den Staunenden verließ?

Soll das, was stets der Wonne Quell mir hieß,

Soll das Gefühl der Wonne dich berauben

Und Dornen streun' in's eigne Paradies?

Wer Freude giebt, der muß auch Freud' empfinden;

Kein Blümchen blüht für Einen nur allein;

Mit fremdem Glück muß unsres sich verbinden

Und jedes Lächeln unser Lächeln seyn.


O laß den Kampf erdichteter Gefühle,

Laß fern von dir die düstern Träume fliehn,[103]

Die gleich des Irrlichts trügerischem Spiele

Dich in das Graun pfadloser Wüsten ziehn.

O lerne Wahn von Schmerzen unterscheiden,

Und opfre nicht dem Gott, den du gemacht,

Erspare Kraft in dir für wahre Leiden,

Muth für Gefahr, Gefühl für künft'ge Freuden,

Der Hoffnung Stern für's dunkle Reich der Nacht.

Ein schleichend Gift ist jedes eitle Sehnen,

Für Geist und Herz ist jeder Gram ein Gift;

Was frommen, wenn kein Schmerz dich trifft, die Thränen?

Was frommt die Thräne, wenn der Schmerz dich trifft?


Siehst du das Kind dort auf der Wiese spielen?

Es lächelt froh dem blauen Himmel zu;

Was Freud' ihm giebt, das scheint es nur zu fühlen,

Kein innrer Schmerz verkümmert seine Ruh.

Und Blumen pflückt's mit kindlichem Verlangen;

Nur wenn ein Dorn die zarte Hand gefangen,

Schleicht das Gefühl der Unlust in sein Herz;

Ein Veilchen winkt, sein Kummer ist vergangen; –

Die Lust wohnt in uns, außer uns der Schmerz!


Wie ein Gespenst, das still und finster schwebet,

Die blut'ge Brust vom scharfen Dolch durchbohrt,

Den starren Blick von keinem Glanz belebet,

Vom Leichentuch die bleiche Wang' umflort,

So schleicht sich oft aus seinen Dämmerungen

Der düstre Schmerz in's heitre Reich der Lust,

Und hält uns fest mit kaltem Arm' umschlungen,

Und weht den Hauch der Gruft uns in die Brust.

O wehe dir, wenn mit den geist'gen Ketten[104]

Dich ohne Kampf das Schreckphantom umspann!

Nie wirst du dich aus seinem Kreise retten,

Weil du es scheust ist's ewig dein Tyrann.

Nein, ohne Furcht mußt du ihm widerstreben;

Umschling' es fest und kämpfe stark und kühn:

Bald wird es feig aus deinem Arm entschweben

Und in das Nichts, woher es kam, entfliehn.

Fast immer nur ist Schmerz ein Wahn zu nennen,

Und ach, zu oft ist selbst die Lust ein Wahn;

Doch sollen wir deshalb vom Glück uns trennen

Und sklavisch nur den starren Schmerz umfahn?

Nein, laß uns tief des Grames Quell ergründen;

Betrachtung heißt das ernste Zauberlied,

Vor dessen Bann die düstren Schatten schwinden,

Womit das Herz ein böser Geist umzieht.

Allein die Lust laß still und freundlich keimen;

Ist sie ein Traum, wer wehrt es dir zu träumen?

Denn der Moment macht Wahn zur Wirklichkeit.

Sey klug und thöricht um beglückt zu leben;

Verstand ward uns, den Schmerz zu fliehn, gegeben,

Allein die Lust ist dem Gefühl geweiht.


Wenn zarte Kunst, von der Natur geleitet,

Bei deinem Wink noch vor des Lenzes Nahn

Des Lenzes Schmuck vor unserm Blick verbreitet,

Dann folgt das Herz so gern dem süßen Wahn,

Vergißt so gern den Duft, der uns entzückte,

Wenn unsre Hand des Frühlings Blumen pflückte,

Und wähnt von dir den Frühling zu empfahn.

Warum die Lust durch den Gedanken stören,

Daß schön're Lust auf uns im Lenze harrt?

Wer weiß, was künft'ge Zeiten uns bescheren?[105]

Die jetz'ge Lust wird nimmer wiederkehren,

Drum halte treu dich an die Gegenwart.

Zwar ist es süß der Hoffnung zu vertrauen

Und sehnsuchtsvoll und gläubig aus der Nacht

In's Dämmerlicht und aus der Dämmrung Grauen

Zum ros'gen Glanz der Frühe hinzuschauen,

Wo mit dem Tag die zarte Lust erwacht;

Allein der Stern darf nur im Dunkel schimmern,

Und muß entfliehn, wenn hell die Sonne blinkt;

Den Augenblick, der jetzt dir Freude bringt,

Ihn kann kein Gott, kein Schicksal dir verkümmern:

Allein das Schiff, das noch mit Wellen ringt,

Das kann der Sturm im Hafen selbst zertrümmern,

Wenn das Geschick mit eh'rnem Scepter winkt.

Genügsamkeit, so heißt die zarte Blume,

Die in dem Hain des ew'gen Glücks sich hebt,

Um die kein Sturm mit rauhem Flügel schwebt,

Die still und zart in ihrem Heiligthume

Nur nach dem Strahl, nicht nach der Sonne strebt.

Genügsamkeit im Sehnen und Verlangen,

Genügsamkeit in Hoffnung und Genuß

Wird gern am Kelch der süßen Freude hangen,

Wird ohne Furcht den nahen Sturm empfangen,

Fliehn, wenn sie kann, und leiden, wenn sie muß.


Siehst du den Lenz in seiner Fülle keimen?

Es singt im Hain, die Blüthen sind erwacht,

Das Morgenroth erweckt zu süßen Träumen,

In Träume wiegt das Wehn der lauen Nacht.

Entweihe du mit halberstickten Klagen

Nicht den Triumph der jauchzenden Natur;

Laß nicht die Freud' in deinem Antlitz nur,[106]

Im Herzen auch laß dir die Freude tagen;

Die Wüste nur darf rauhe Dornen tragen:

Doch sorgsam tilgt der Gärtner ihre Spur.

Was dich umgiebt befiehlt dir dich zu freuen,

O folge gern dem Ruf der schönsten Pflicht,

Und laß mich bald dies strafende Gedicht

Als ungerecht in alle Winde streuen.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 101-107.
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