105. Das Evangelienbuch von St. Emmeram.

[106] Codex aureus zu München. Arnolf de mir. B. Emmer. I., 6. Ertl rel. II., 125. Hund metrop. I., 191. Oefele I, 548. P. Colom. Sanftl's Abh. Regensburg 1786. Vat. Mag. 1841. S. 229 u.A.


Nach alter Sitte zog der König Conrad nach St. Emmeram, um zu beten an den Gräbern seiner Vorfahren im Reiche, der beiden letzten Carolinger, Arnulf und Ludwig. Er legte den zehnten Theil des Regensburger Zolles als Seelgeräth auf den heiligen Altar. Gleichwohl führte er, von einem gelehrten Hofkaplan angeregt, im Schilde, dem Kloster seine schönste Zierde zu rauben, das kostbare Evangelienbuch, das Karl der Kahle nach St. Denys geschenkt hatte, und das darauf nach St. Emmeram gediehen war. Die Mönche, fürchtend die mächtige Bitte, fragten Tuto, den Bischof. Der befahl ihnen, das Buch auf den Altar zu legen, und sprach zum Könige: »Der, so dies Buch dem Kloster entzieht, den wird der Heilige zu Rede stellen am großen Tage des jüngsten Gerichtes, wenn ihn nicht früher noch des Himmels Strafruthe züchtiget.« Der König, der unsanften Mahnung zürnend, befahl das Buch gleich vom Altar zu nehmen, verließ das Gotteshaus und stieg zu Pferde. Die Trabanten reichten ihm das Kleinod. Aber er fühlte plötzlich einen so nagenden Schmerz in den Eingeweiden, daß er augenblicklich vom Pferde mußte, mächtig gerührt in sich ging und das Buch wieder zurücktragen ließ. Doch blieb ihm ein beständiges Nachgefühl dieses Wehes bis an seinen, nur zwei Jahre darauf, zwei Tage vor der Weihnachtsfeier, erfolgten Tod. – Dem Bischof Tuto aber ging das Wunder, so er gewirkt, und seines Fluches rasche Erfüllung nicht minder zu Herzen. Er ließ St. Emmeram einen Altar von Goldblech machen und durch einen berühmten Meister aus Griechenland mit Perlen und Edelsteinen gar herrlich verzieren. Das Buch aber ziert jetzo König Ludwigs Bücherschatz in München.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 106-107.
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