416. Der Glockengießer zu Augsburg.

[440] Von Isabella Braun.


Kochend ist die Glockenspeise,

Weiße Blasen springen auf.

In des Künstlers stolzer Weise

Fällt des Meisters Blick darauf.

Kurze Frist ist noch gegeben

Und es wird der heiße Fluß

Reif zum ruhmgekrönten Leben,

Reif zum kühnen Glockenguß.


»Lehrling,« – spricht der Meister, – »wache!

Wache ob des Feuers Glut!

Stiller Blick sei deine Sache,

Sichre und getreue Hut.

Rühre nicht den Zapfen, Knabe!

Schüre nur das Feuer an.

Eines wenn vollbracht ich habe,

Sei dann rasch das Werk gethan.« –
[440]

Und der Lehrling ist alleine. –

Unverwandten Blicks er schaut

Auf des Gusses zarte Reine,

Den der Meister ihm vertraut.

All sein Sinnen ist verloren

In dem wogenden Metall,

Und er hört in seinen Ohren

Tönen schon der Glocke Schall.


Und ihm ist's, als ob die Glocke

Eins mit seinem Leben sei,

Und als ob die Fluth ihn locke,

Endlich sie zu machen frei.

Und er sieht die Masse wogen, –

Es erfaßt ihn Angst und Graus –

Und der Zapfen ist gezogen –

Strömend dringt der Guß heraus!


Und er sprühet, frei gelassen

In die Glockenform hinein; –

Sieh! da stürzet in Erblassen

Bang der Meister nun herein;

Sieht den kühnen Knaben stehen

Mit dem Zapfen in der Hand,

Da begreift er, was geschehen

Und ihn faßt des Zornes Brand.


Es erbeben seine Glieder,

Wilden Blickes, sinnberaubt

Schwingt er seinen Hammer nieder

Auf des Knaben schwaches Haupt;

Und des Lehrlings Todesbeben

Ist der Glocke erster Gruß,

Ist ihr erster Blick im Leben –

Denn gelungen ist der Guß. –


In des Thurmes hohem Bogen

Man die prächt'ge Glocke schaut,

Doch kein Strang hat sie gezogen

Noch zu ihrem ersten Laut.

Denn mit ihrer ersten Stunde

Hat vermählet sich der Tod:

Lehrling schläft im Erdengrunde,

Meister bangt in Todesnoth. –


Meister muß die Schuld bezahlen,

Die der blut'ge Mord begehrt;

Doch in seines Todes Qualen

Ist ein Wunsch ihm noch gewährt:

Und bei seinem letzten Gange

Den er zum Schaffote wallt –

Nun mit ihrem ersten Klange

Mächtig seine Glocke schallt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 440-441.
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