875. Das heilige Heiligthum.

[411] B.v. Ehrhart Beschr. der Pfarrkirche St. Martin in Memmingen. 1846. S. 83 ff.


Unter die Merkwürdigkeiten der Martinskirche zu Memmingen gehört von alten Zeiten her das sogenannte heilige Heiligthum, oder die heilige Wunderhostie, mit welcher es sich auf folgende Weise verhalten haben soll.

Die Besitzer zweier Mühlen, welche im Jahre 1215 auf dem sumpfigen Riede oder Moorgrunde unfern dem Pfarrdorfe Beningen gestanden, hätten sich damals in sehr verschiedenem Nahrungsstande befunden. Der Eine auf der dem Pfarrdorfe näher gelegenen Mühle hätte überreichliche Arbeit und Verdienst gehabt, der andere aber auf der der Stadt näher befindlichen sich aus Mangel an Arbeit in großer Dürftigkeit und Armuth befunden. Darüber neidisch und mißgünstig, habe denn der Letztere dem Erstern den Segen des Himmels dadurch zu entziehen, und dessen Glück sich zuzuwenden gehofft, wenn er seinem glücklichen Nachbar eine geweihte Hostie unter den sogenannten Laufer der Mühle lege. Dieß gottlose Vorhaben habe er auch bereits in der Nacht auf den grünen Donnerstag, den 16. April 1215, ausgeführt; da aber beinahe ein ganzes Jahr nichts darauf erfolgte, und er nach dieser Zeit die Hostie unverletzt unter dem Laufer fand: so hätte er sie nun von da weggenommen, und unter dem Kumpfe des Mahlsteins verborgen, zuvor aber den Dorfeinwohnern den Wohlstand des glücklichen Müllers verdächtigt, und sie aufgefordert, dessen Mühlwerk genau zu durchsuchen. Dieß sei nun am 12. März, dem Gregoriustag, 1216 geschehen, und der boshafte Müller selbst hätte dann, wie von ungefähr, zur Auffindung geholfen, welche natürlich großes Aufsehen erregt, und den unschuldigen Müller so in Schrecken gesetzt habe, daß dieser in die Stadt geflohen sei, um sich daselbst zu verbergen. Auf die Anzeige im Dorfe von diesem Vorgange sei der Ortsgeistliche im priesterlichen Ornate herbeigeeilt, um in reine Leinwand die heilige Hostie[411] aufzunehmen, die ihm indessen der gottlose Müller bereits in einem Becher entgegen getragen. Die Hostie sei bis dahin unverändert geblieben; aber nun, als der Geistliche sie auf die reine Leinwand gelegt, sei Blut aus derselben über seine Hände geflossen. Als der Ruf von diesem Wunder hieher, nach Memmingen gekommen, habe der damalige hiesige Offizial, oder bischöfliche Vikar, Heinrich Nogunk, den Prediger Landolt mit seinem Diener an Ort und Stelle geschickt, um sich darüber näher zu erkundigen, und als dieser die heilige Hostie noch voll Blut gefunden, hätte er sie nach der Stadt getragen, wo sie später vom Bischof Siegfried von Augsburg in eine Monstranz eingeschlossen worden. Zur Anbetung sei sie in der St. Martinskirche niedergelegt worden.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 411-412.
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