[321] Mündlich.
Eine halbe Stunde von Lindau, zwischen dem Schachenbad und Wasserburg, befindet sich jener der Familie Gruber gehörige und von dem[321] Gärtner Junghänel aus Muskau angelegte Garten, in welchem noch die Ueberreste, d.h. Unterstock nebst Graben der alten Burg Tegelstein zu sehen sind. Diese Burg war bis zu Ende der dreißiger Jahre wohl erhalten, zwei Stockwerk hoch, dicht von Epheu überwachsen, mit einer kleinen Zugbrücke versehen und rings vom Wasser umflossen, das mit dem Bodensee in Verbindung stand. Das Stiegenhaus befand sich auf der südlichen Seite der Burg in einem runden Thürmchen. Nördlich von dem Ueberreste dieser kleinen Burg befindet sich auf einige Schritte Entfernung der Burgstall mit noch einigen Oekonomie-Gebäuden. Der Burgstall selbst steht größtentheils noch, ist zu einem Gewächshaus verwendet und durch rothe Fenstereinfassungen verunziert. Von der Burg steht, wie gesagt, nur mehr der untere Theil, denn alles andere wurde auf den Wunsch des verstorbenen und in diesem Garten beerdigten Herrn Gruber entfernt und abgebrochen, weil er es für unpassend hielt, daß in einem Parke eine noch erhaltene Burg stünde. Der freilich damals ganz versumpfte und mit Schilf angefüllte Wassergraben wurde wieder gereinigt und einigen Schwänen zum Aufenthalt angewiesen. Die der ehemaligen Zugbrücke zunächst angebrachten Trauerweiden deuten sinnig auf den neuerungssüchtigen Abbruch dieser alten Zierde der Gegend hin. Von der Burg hat sich auch noch folgende Sage im Munde des Volkes erhalten.
In grauer Vorzeit lebte hier eine Wittwe, die Freifrau Anna von Tegelstein, mit einem Sohne und drei gar lieblichen, erwachsenen Töchtern. Die Mutter war in hohem Grade adelsstolz, meinte, der Mensch fange erst beim Freiherrn an und vergönnte den armen und unbemittelten Leuten kaum die Luft zum Athmen. Eines Tages kam auf die Burg eine Pächtersfrau in Trauer gekleidet und sprach zu der Edelfrau: »Gnädige Frau, meine einzige Tochter ist gestorben, sie zählte erst achtzehn Jahre und war die ganze Freude meines Lebens. Ich möchte wohl um ihre schwarzen Locken einen Kranz von weißen Rosen flechten, da sie doch eine Braut des Himmels geworden; erlaubt also, daß ich mir welche in eurem Garten hole, wo sie so schön blühen.« »Du magst einen Kranz von Brennnesseln für deinen elenden Balg binden,« fuhr sie die hoffärtige Frau an, »Rosen geziemen sich nicht für Bettelvolk, die sind nur für unsers Gleichen!« – »Nun so mögen denn Eure Rosen zu Todtenkränzen für Eure Töchter werden!« sprach die Pächterin entrüstet und verließ augenblicklich das Schloß. Der Fluch ging in Erfüllung. Die drei Töchter der Edelfrau starben binnen einem Jahre, und jede trug im[322] Sarge einen Kranz von weißen Rosen um das Haupt. Damit sollten aber die Leiden der stolzen Wittwe noch nicht zu Ende sein, denn nach der Volkssage sah man, wenn der Tod eines weiblichen Abkömmlings der Familie Tegelstein bevorstund, die Frau Anna gegen Mitternacht im Garten sitzen, und einen Kranz von weißen Rosen flechten. Nachmals kam das Schlößchen an die Familie Motz von Kempten, welche es vom Kloster St. Gallen zu Lehen hatte.