Kapitel XXXVIII.

[407] Percy. – – Hier liegt mein Pfand!

Ich wills bis zu des Lebens letztem Hauch

An dir beweisen.


König Richard II.

(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe. Bd. I, S. 192.)


Selbst Lukas Beaumanoir wurde durch Rebekkas Züge und Benehmen gerührt. Von Natur war er weder grausam noch hart, aber sein Blut war kalt, und infolge seiner eben so übertriebenen wie mißverstandenen Begriffe von Pflicht hatte sein Gemüth eine gewisse Härte angenommen, die durch sein ascetisches Leben noch erhöht wurde. Dazu kam, daß das hohe Amt, welches er bekleidete, ihm nach seiner Meinung die Nothwendigkeit auferlegte, den Unglauben und die Ketzerei auszurotten, und daß er dies als seine heiligste Pflicht betrachtete. Seine Gesichtszüge verloren viel von ihrer gewohnheitsmäßigen Strenge, als er das holde Wesen anblickte, das so ganz allein, ohne andre Freunde und Beschützer als ihre Tugend und Unschuld, sich mit so viel Geist und Muth vertheidigte. Er bekreuzte sich zweimal, da er sich nicht Rechenschaft geben konnte über die ungewohnte Besänftigung eines Herzens, das bei solchen Gelegenheiten dem Stahl an Härte zu gleichen schien.

»Mädchen,« sprach er endlich, »wenn das Mitleid, das ich für Dich empfinde, dem Einflusse Deiner bösen Künste entspringt, so ist Deine Schuld sehr groß. Doch ich schreibe es lieber den sanfteren Gefühlen der Natur zu, die sich schmerzlich ergriffen fühlt, daß eine so schöne Gestalt das Gefäß der Verworfenheit sein soll.[408] Bereue, mein Kind! Bekenne Deine Zaubereien, wende Dich ab vom Bösen, umfasse dieses heilige Zeichen, und alles soll gut werden mit Dir, jetzt und später. In irgend einer Schwesterschaft des strengsten Ordens sollst Du Zeit haben zu Gebet und Buße, und zu jener Reue, die Dich nie gereuen wird. Thue dies und behalte Dein Leben! Was hat denn das Gesetz Mosis für Dich gethan, daß Du dafür sterben solltest?«

»Es ist das Gesetz meiner Väter,« entgegnete Rebekka feierlich. »Es wurde gegeben unter Donner und Gewittersturm in einer Wolke und im heiligen Feuer auf dem Berge Sinai. Das, wenn ihr Christen seid, glaubt auch ihr; es wurde, so sagt ihr, widerrufen, das aber haben meine Lehrer mich nicht gelehrt.«

»Lasset unseren Kapellan vortreten,« sagte Beaumanoir, »und die hartnäckige Ungläubige belehren« –

»Verzeiht die Unterbrechung,« entgegnete Rebekka sanft; »ich bin ein Weib, und nicht geschickt, für meine Religion mit Worten zu streiten; aber ich kann für sie sterben, wenn es Gottes Wille ist. Erlaubet mir, um Eure Antwort auf meine Forderung eines Kämpfers zu bitten.«

»Gebt mir ihren Handschuh,« sagte Beaumanoir. »Ein sehr schwaches und hinfälliges Pfand für einen so tödtlichen Zweck,« fuhr er fort, nachdem er das feine Gewebe und die zarten Fingerchen einen Augenblick betrachtet. »Siehst Du, Rebekka, wie sich Dein kleiner leichter Handschuh zu unseren schweren Stahlhandschuhen verhält, so verhält sich Deine Sache zu der des Tempels; denn es ist unser ganzer Orden, den Du herausforderst.«

»Werft meine Unschuld in die Wagschale,« antwortete Rebekka, »und der seidne Handschuh wird den stählernen aufwiegen.«

»Du bleibst also bei der Weigerung, Deine Schuld zu bekennen, sowie bei Deiner kühnen Herausforderung?«

»Ich bleibe dabei, edler Herr,« sagte Rebekka.

»Sei es denn so, im Namen des Himmels,« entgegnete der Großmeister, »und möge Gott das Recht ans Licht bringen!«

»Amen,« riefen die Präceptoren dazu, und dieses Wort hallte dumpf in der ganzen Versammlung wider.

»Brüder,« sagte Beaumanoir, »ihr wißt recht gut, daß wir diesem Weibe die Wohlthat der Entscheidung durch den Zweikampf[409] hätten versagen können; doch wenn auch Jüdin und Ungläubige, ist sie doch auch eine Fremde und Schutzlose, und Gott verbietet, ihr die Wohlthat unsrer milden Gesetze zu versagen, wenn sie dieselben in Anspruch nimmt. Außerdem sind wir eben so gut Ritter und Krieger wie Diener des Glaubens, und es wäre eine Schande für uns, unter irgend einem Vorwande einen Zweikampf auszuschlagen. So also steht die Sache. Rebekka, die Tochter Isaaks von York, ist durch viele und verdächtige Umstände der Zauberei angeklagt, die sie an der Person eines edlen Ritters unsers heiligen Ordens verübt haben soll, und sie hat zum Beweise ihrer Unschuld auf einen Zweikampf angetragen. Wem, ehrwürdige Brüder, sollen wir nach eurer Meinung wohl das Pfand dieses Kampfes überliefern, indem wir ihn zugleich zu unserem Kämpfer auf dem Platze ernennen?«

»Dem Brian de Bois-Guilbert, den es hauptsächlich betrifft,« sagte der Präceptor von Goodalricke, »und der überdies auch am besten weiß, wie sich die Wahrheit dieser Sache verhält.«

»Wenn nun aber,« sagte der Großmeister, »unser Bruder Brian unter dem Einfluß eines Zaubers steht? – Wir sprechen bloß der Vorsicht wegen, denn keinem Arm unseres heiligen Ordens würden wir diese, oder selbst eine noch wichtigere Angelegenheit mit mehr Vertrauen und Vorliebe übertragen.«

»Ehrwürdiger Vater,« versetzte der Präceptor von Goodalricke, »kein Zauber kann einem Kämpfer etwas anhaben, der sich zum Gottesurtheil stellt.«

»Du hast Recht, Bruder,« sagte der Großmeister. »Albert Malvoisin, gib dies Pfand dem Bois-Guilbert! Wir geben Dir den Auftrag, Bruder,« fuhr er, zu letzterem gewendet, fort, »Deinen Kampf männlich zu bestehn, und zweifeln durchaus nicht, daß die gute Sache siegen werde. Und Dir, Rebekka, bestimmen wir von heute an den dritten Tag, um einen Kämpfer zu finden.«

»Ein kurzer Zeitraum,« erwiderte Rebekka, »für eine Landesfremde und Andersgläubige, um jemand, der Leib und Leben für sie wagen will, zu suchen.«

»Wir können ihn nicht verlängern,« sagte der Großmeister, »denn der Kampf muß vor unsern Augen gefochten werden, und wichtige Geschäfte rufen uns am vierten Tage von hier ab.«[410]

»So mag Gottes Wille geschehen!« sagte Rebekka, »ich vertraue auf ihn, für den ein Augenblick zu meiner Rettung so gut genügt wie ein Jahrtausend.«

»Wohl gesprochen, Mädchen,« sagte Beaumanoir; »doch wir kennen den sehr wohl, der sich in einen Engel des Lichts zu verkleiden weiß, um uns ins Verderben zu locken. Es erübrigt noch, den Platz zum Kampfe – und wenn es dazu kommt – zur Hinrichtung zu bestimmen. Wo ist der Präceptor dieses Hauses?«

Albert Malvoisin hielt noch immer Rebekkas Handschuh in der Hand, und sprach sehr ernst mit Bois-Guilbert, doch mit leiser Stimme.

»Wie?« sagte der Großmeister, »will er das Pfand nicht nehmen?«

»Er will, er hat es angenommen, ehrwürdigster Vater,« sagte Malvoisin, indem er den Handschuh unter seinen eignen Mantel gleiten ließ. »Für den passendsten Kampfplatz halte ich die Schranken von St. Georg, die dem Präceptorium angehören, und als Exercierplatz dienen.«

»So sei es denn,« sagte der Großmeister. »Rebekka, in diese Schranken mußt Du Deinen Kämpfer bestellen. Thust Du es nicht, oder unterliegt er, so mußt Du, dem Urtheil entsprechend, den Tod der Zauberin sterben. Lasset diesen Urtheilsspruch bekannt machen, und öffentlich verlesen, damit niemand sich mit Unwissenheit entschuldige.«

Einer von den Kapellänen trug sogleich den Befehl in ein großes Buch ein, während der andere das Urtheil des Großmeisters mit lauter Stimme vorlas.

Nach Beendigung dieses Aktes sprach der Großmeister »Amen«, und das Wort hallte von allen Seiten des Saales wider.

Rebekka sprach nicht, sondern blickte zum Himmel und blieb mit gefalteten Händen eine Minute lang in dieser Stellung. Hierauf bat sie den Großmeister bescheiden, daß er ihr eine Gelegenheit verschaffen möge, sich mit ihren Freunden in Verbindung zu setzen, um ihnen ihre Lage kund zu thun, und damit sie wo möglich einen Kämpfer für sie gewännen.

»Das ist gerecht und gesetzmäßig,« sagte der Großmeister; »wähle Dir einen Boten, dem Du vertrauen magst, und er soll frei in Deinem Gefängniß aus- und eingehen.«[411]

»Ist denn niemand hier,« sagte Rebekka, »der aus Liebe zu einer guten Sache oder um reichen Lohn der Bote einer Unglücklichen sein will?«

Alles schwieg, denn niemand hielt es für sicher, in des Großmeisters Gegenwart irgend ein Interesse für die verleumdete Gefangene zu verrathen, damit er nicht der Hinneigung zum Judenthum verdächtig werden möchte.

Rebekka stand ein paar Augenblicke in unbeschreiblicher Angst da, dann rief sie aus: »Ist es wirklich so? Soll ich in diesem Lande der edlen Angeln rettungslos des einzigen Mittels beraubt sein, aus Mangel an Menschlichkeit, die man dem niedrigsten Verbrecher nicht verweigern würde?«

Endlich erwiderte Higg, der Sohn Snells: »Zwar bin ich nur ein verstümmelter Mann; allein daß ich mich doch einigermaßen wieder rühren und bewegen kann, verdanke ich ihrer milden Hilfe. Ich will Deine Botschaft ausrichten,« sagte er zu Rebekka, »so gut es ein Krüppel vermag. Wären doch meine Füße im Stande gut zu machen, was meine Zunge Dir Schlimmes zugefügt!«

»Gott regiert alles,« sagte Rebekka; »er kann Judas Gefangenschaft durch das schlechteste Werkzeug enden. Um seine Botschaft auszurichten, ist die Schnecke ein so schneller Bote als der Falke. Suche Isaak von York auf, hier ist, wovon Mann und Roß bezahlt werden können, und übergib ihm dies Blatt – gewiß wird ein Kämpfer für mich sich erheben! Lebe wohl! Von Deiner Eile hängt Leben und Tod ab.«

Der Mann nahm das Blatt, welches nur einige hebräische Zeichen enthielt. Manche aus der Menge widerriethen ihm, sich mit einem so verdächtigen Papier zu befassen. Doch Higg war entschlossen. »Sie hat meinen Leib gerettet,« sagte er, »sie wird, das glaube ich gewiß, meine Seele nicht in Gefahr bringen wollen. Ich werde mir meines Nachbars Buthan Klepper borgen, und dann bin ich in York, so schnell es Mann und Pferd vermögen.«

Allein es fügte sich, daß es nicht einmal so weit zu reiten brauchte, denn ungefähr eine Viertelstunde vor dem Thor des Präceptoriums kamen ihm zwei Reiter, die er an ihren großen gelben Mützen und ihrer Kleidung sogleich für Juden erkannte,[412] entgegen. Als er näher kam, erkannte er in dem einen den Isaak von York. Der andere war der Rabbiner Ben Samuel, und beide hatten sich so nahe an das Präceptorium gewagt, weil sie gehört hatten, daß der Großmeister ein Kapitel wegen des Processes gegen eine Zauberin zusammenberufen habe.

»Ich bin,« sagte Isaak, »unruhig in meinem Herzen, diese Anklagen wegen Zauber müssen so oft ihre bösen Praktiken gegen unser Volk bemänteln.«

Der Rabbiner suchte Isaak zu trösten und ihm seine schlimmen Ahnungen auszureden, als Higg dem Isaak das Blatt überreichte. Sobald Isaak dasselbe anblickte, sank er stöhnend von seinem Maulthier und lag da gleich einem Sterbenden.

Der Rabbiner stieg sogleich von seinem Thiere und wollte schleunigst Isaak zu Ader lassen, als dieser sich von selbst wieder zu erholen begann. Alsbald riß er sich die Mütze vom Haupte und streute Staub auf sein graues Haar.

»Kind meines Kummers!« rief er, »wohl solltest du Benoni heißen, statt Rebekka. Warum muß Dein Tod meine grauen Haare in die Grube bringen, bis ich in der Bitterkeit meines Herzens Gott fluche und sterbe?«

»Bruder,« sagte der Rabbiner, mit großem Entsetzen, »Du bist ein Vater in Israel und stößest solche Worte aus? Ich glaube gewiß, das Kind Deines Hauses lebt noch.«

»Ja, ja, sie lebt,« versetze Isaak, »allein wie Daniel in der Löwengrube. Sie ist gefangen bei jenen Belialskindern, und sie werden ihre Bosheit an ihr ausüben, und weder mit ihrer Jugend noch mit ihrer Anmuth Mitleid haben. Ach, sie war ein Kranz von grünen Palmen um mein graues Haupt! Und sie muß nun verwelken in einer Nacht, gleich dem Kürbis des Jonas! Kind meiner Liebe! Kind meines Alters! O Rebekka, Rachels Tochter! Der dunkle Schatten des Todes hat Dich umhüllt!«

»Aber lies doch das Blatt,« sagte der Rabbiner, »vielleicht finden wir noch einen Weg der Rettung auf!«

»Lies Du, Bruder,« sagte Isaak, »denn meine Augen sind Wasserquellen.« Der Arzt las Folgendes in der Zunge seines Volkes:

»An Isaak, den Sohn Adonicams, den die Heiden nennen Isaak von York![413]

Fried und Segen der Verheißung komme hundertfach über Dich! Mein Vater! ich bin verurtheilt zu sterben für ein Vergehen, von dem meine Seele nichts weiß – nämlich Zauberei.

Mein Vater! könnte ein starker Mann gefunden werden, der um meinetwillen Schwert und Speer führen wollte, nach der Sitte der Nazarener, so könnte Deine Tochter mit der Hilfe Gottes wohl noch gerettet werden. Es gibt nur einen Nazarener, in den ich dieses Vertrauen setze, das ist Wilfred, der Sohn Cedrics, den die Heiden Ivanhoe nennen. Sag ihm, daß, wenn Rebekka lebt oder stirbt, sie lebt oder stirbt, frei von der Schuld, deren man sie zeiht.

Wenn aber die Töchter unsres Stammes und Du um mich trauern müssen, dann, alter Vater, bleibe nicht in diesem Lande der Grausamkeit und des Blutvergießens, sondern ziehe nach Cordova, wo Dir ein Bruder lebt unter dem milden Schatten Boabdils, des Saracenen. Grausamer und roher sind die Nazarener Englands gegen die Kinder Jakobs als die Gläubigen des Khorans.«

Isaak war außer sich vor Schmerz; er zerriß sein Gewand und bedeckte sein greises Haupt wiederholt mit Staub, wobei er ausrief: »Mein Kind! meine Tochter! Fleisch von meinem Fleisch – und Bein von meinem Bein.«

Der Rabbiner aber sprach ihm Muth ein; er schlug vor, Isaak solle gehn und Ivanhoe aufsuchen, während er in York, durch Versprechungen großer Summen einen Kämpfer zu erkaufen hoffe. Isaak willigte ein, und sie trennten sich.

Als sie nach beiden Richtungen hinzogen, blieb Higg, der lahme Sohn Snells, noch ein paar Augenblicke stehen, um bald dem einen, bald dem andern nachzuschauen.

»Diese filzigen Hunde von Juden!« sagte er endlich. »Muß ich mich bei der nächsten Osterbeichte vom Pfarrer auszanken und mein ganzes Leben lang von den Buben auf den Straßen: ›Judenbote‹ schimpfen lassen – und nicht eine Zechine geben sie einem dafür!«

»Hätte mirs das Mädchen nicht angethan, die ich beinahe auch für eine Hexe halte, nicht einen Schritt hätte ich für die beiden Knicker gemacht. Aber wenn ich an sie denke, so könnte ich Hobel und Säge für sie hergeben, um sie zu retten, und die Bindaxt noch obendrein.«

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 407-414.
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