Rom

[304] So bin ich denn unwidersprechlich hier an der gelben Tiber, und zwar in keinem der letzten Häuser. Man hat hier im Hause viel Höflichkeit für mich und mehr Aufmerksamkeit, als mir lieb ist, denn ich merke, daß ich viel teurer leben werde als in irgend einem Wirtshause, wie mir meine Landsleute, die den römischen Rommel etwas verstehen, auch schon erklärt haben. Ich habe meine Adressen aufgesucht. Uhden und Fernow empfingen mich mit Humanität und freundschaftlicher Wärme. Du kennst die Männer aus ihren Arbeiten, welche gut sind; aber sie selbst sind noch besser, welches nicht immer der Fall bei literarischen Männern ist. Ich bin also schon kein Fremdling mehr am Kapitole. Auch den selbständigen, originellen und etwas barocken Reinhart sah ich gleich den zweiten Tag und mehrere andere deutsche Künstler. Gmelin ist ein lebhafter, jovialischer Mann, der nicht umsonst die Welt gesehn hat, und der eine eigene Gabe besitzt, im Deutschen und Französischen mit der lebendigsten Mimik zu erzählen.[304]

Der Kardinal Borgia, an den ich einen Brief hatte, nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf. Ein anderer würde in seinem Stil Herablassung sagen; nach meinem Begriff läßt sich kein Mensch herab, wenn er mit Menschen spricht, und wenn irgendein sogenannter Großer in seinem Charakter noch Herablassung nötig hat, so steht er noch lange nicht auf dem rechten Punkte. Ich war genötigt, meine Anrede französisch zu machen, da ich mir im Italienischen nicht Wendung genug zutraute, mit einem solchen Manne eine zusammenhängende Unterredung zu halten. Er antwortete mir in der nämlichen Sprache; aber kaum hörte er, daß ich Latein wußte, so fuhr er, für einen Kardinal drollig genug, lateinisch fort, dieser Sprache das Lob zu reden, durch welche die Nationen so fest zusammenhangen. Haec est illa lingua, setzte er hinzu, quae nobis peperit Livios atque Virgilios. Et Tiberios et Nerones, hätte ich fast durch die Zähne gemurmelt. Ein Wort gab das andere, ich mußte ihm einiges von meiner Kriegswanderung nach Amerika erzählen und von meinem Wesen in Polen, und der alte Herr fiel mir mit vieler Gutmütigkeit um den Hals und faßte mich im Ausbruch der Jovialität nicht allein beim Kopf, sondern sogar bei den Ohren. Ein alter militärischer General Sr. Heiligkeit stand dabei, und es wurde ein herzliches Trio gelacht, in das ich so bescheiden als möglich mit einstimmte. Du wirst schon wissen, daß man in Rom mehr Mönchsgenerale als Kriegsgenerale antrifft. Beide spielen mit Kanonen, und es wäre nicht schwer zu entscheiden, welche die ihrigen am besten zu gebrauchen wissen. Ich erhielt die Erlaubnis, ohne Einschränkung immer zu dem Kardinal zu kommen, welches für einen Pilger, wie ich bin, keine Kleinigkeit ist. Er stutzte gewaltig, als er hörte, ich wolle übermorgen mein Bündel nehmen und[305] des Weges weiterwandeln, billigte aber meine Gründe lachend, als ich ihm sagte, ich wollte vor der heißen Jahreszeit meinen Spaziergang nach Syrakus endigen und auf meiner Rückkehr mich länger hier aufhalten. Er bot mir keine Empfehlung nach Veletri an, um dort freieren Eintritt in das Familienkabinett zu haben, worüber ich mich einigermaßen wunderte. Aber man hat Schwierigkeiten mit den Franzosen gehabt, und einige fürchteten sogar, die Franzosen würden die ganze Sammlung wegschaffen lassen. Das geschieht nun zwar, wie ich höre, nicht, aber es ist doch begreiflich, daß dadurch etwas Furchtsamkeit und Unordnung entstanden sein mag. Übrigens bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüglich Kabinette und Gallerien zu sehen, und tröste mich leicht mit meiner Laienphilosophie.

Eben habe ich Canova gesehen und unsere Freunde Reinhart und Fernow. Es ist überall wohltätig, wenn sich verwandte Menschen treffen; aber wenn sie sich auf so klassischem Boden finden, gewinnt das Gefühl eine eigne Magie schöner Humanität. Canova hat eine zweite Hebe für die Pariser gearbeitet, die mir aber mit den Veränderungen, die er gemacht hat, und die er doch für Verbesserungen halten muß, bei weitem nicht so wohl gefällt wie die venetianische. Du kennst meinen Enthusiasmus für diese. Er hat, deucht mir, dem Urteil und dem Geschmacke der Franzosen geschmeichelt, denen ich aber in der Anlage einer Batterie eher folgen wollte als in der Kritik über reine Weiblichkeit. Es bleibt an allen ihren schönen Weibern immer noch etwas von dem Charakter aus dem alten Palais Royal zurück. Er hat auch zwei Fechter nach dem Pausanias gemacht, die nach langer Ermüdung zur Entscheidung einander freien Stoß geben. Der eine hat soeben den furchtbarsten Schlag vor die[306] Stirne erhalten, – dieses ist der Moment – und reißt sodann mit entsetzlichem Grimm seinem Gegner mit der Faust auf einen Griff das Eingeweide aus. Sie gelten für Muster der Anatomie und des Ausdrucks. Da sie keine Beziehung auf reine, schöne Humanität haben, konnten sie mich nicht so sehr beschäftigen, denn Furcht und Grimm sind Leidenschaften, von denen ich gerne mich wegwende. Die Stelle aus dem Pausanias ist mir nicht gegenwärtig; ich weise Dich auf ihn. Demoxenus heißt, glaube ich, der eine Fechter. In einigen Tagen werde ich durch die Pontinen nach Terracina und sodann weiter nach Süden gehen, damit ich vor der ganz heißen Jahrszeit, wenn's glückt, wieder zurückkomme. Mißglückt es – denn man spricht gar wunderlich – so mögen die Barbaren mich auf ihrer Seite haben. Ich will mich nicht durch Furcht ängstigen, die auf alle Fälle kein guter Hausgenosse in der Seele ist. Zu Ende des Jahres hoffe ich post varios casus Dich wiederzusehen.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 304-307.
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