Paris

[556] Es würde anmaßlich sein, wenn ich Dir eine große Abhandlung über Paris schreiben wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur ungefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder fertig abzusegeln.

Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, ausgenommen ein Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs Dreier. Ich habe nicht das Introduktionstalent und im allgemeinen auch nicht viel Lust, mich sogenannten großen Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die ihrige und ist des Willkommens gewiß, trifft sie vielleicht selten zur schönen Stunde und hätte mehr von ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder ihrer öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist der Fall im allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht Ausnahmen gäbe. Mir deucht, man ist in dieser Rücksicht auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet oder verlangt vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönlichen Erscheinung dem Geist und dem Witz in seinen Büchern gleichkommen, oder ihn noch übertreffen; und man bedenkt nicht, daß das Buch die Quintessenz seiner angestrengten Arbeiten ist, und daß die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Geburtsnot sein sollte. Die Zumutung wäre grausam, und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es gibt zuweilen glückliche Geister, deren mündlicher extemporärer Vortrag besser ist als ihre gesichtetste Schrift; aber dieses kann nicht zur Regel dienen.

Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden[556] hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen Namen genannt, und er nahm mich sehr freundlich auf; und ich bin, so wie ich ihn nun kenne, versichert, ich würde auch ohne dies freundlich aufgenommen worden sein. Millin ist für die Fremden, die in literarischer Absicht Paris besuchen, eine wahre Wohltat. Der Mann hat eine große Peripherie von Kenntnissen, die echte französische Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in vielen Fächern und aus vielen Sprachen und eine seltene Humanität. Mehrere junge Deutsche haben den Vorteil, in seinen Zimmern zu arbeiten und sich seines Rats zu bedienen. Ich habe ihn oft und immer gleich jovialisch und gefällig gesehen. Auf der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ordnung und eine beispiellose Gefälligkeit gegen Fremde. Daß in der öffentlichen Gerechtigkeit große Lücken sind, ist bekannt, und daß ihre gepriesene Freiheit täglich preßhafter wird, leidet ebensowenig Zweifel. Ich hatte selbst ein Beispielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweite hatte dem Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen russischen Goldmünzen gemacht; schon der Metallwert muß beträchtlich gewesen sein. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber deswegen sind sie nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte danach. – »Sie sind nicht da.« – »Aber sie sollten da sein.« – »Freilich.« – »Wer hat denn die Besorgung gehabt?« Man schwieg. – »Der Kommissär muß doch bekannt sein.« – Man antwortete nicht. – »Warum untersucht man die Sache nicht?« Man zuckte die Schultern. »Aber das ist ja nichts mehr als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu fragen befugt[557] ist.« – »Wenn die Herren an der Spitze«, sagte man leise, »die doch notwendig davon unterrichtet sein müssen, es nicht tun und es mit Stillschweigen übergehen – wer will es wagen?« – »Wagen, wagen!« brummte ich. »So so, das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freiheit!« Meine Worte und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit, und es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der Erste, der nur so eine Äußerung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist, ist keine Freiheit; und wo keine Freiheit ist, ist keine Gerechtigkeit; der Begriff ist eins; nur in der Anwendung verirrt man sich, oder vielmehr man sucht andere zu verwirren.

In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel Inländer und Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem chinesischen Werke. Ich ließ mir den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir sauer, dieses zu lesen, und ich nehme lieber den Homer von Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich alles vorgezogen ist. In der Kupferstichsammlung hängt an den Fenstern herum eine gezeichnete Kopie von Raphaels Psyche aus der Farnesina; aber sie gewährt kein außerordentlich großes Vergnügen, wenn man das Original noch in ganz frischem Andenken hat.

Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louvre kam, war zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen Sammlung der Abgüsse und in Florenz bei der schönen Kopie des Bandinelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sei so im Original; und das konnte ich nicht glauben, oder ich beschuldigte den alten großen Künstler eines Fehlers. Die Sache war: das linke Bein, um[558] welches sich an der Wade mit großer Gewalt die Schlange windet, war im Abguß und in der Marmorkopie durchaus gar nicht eingedrückt. Ich weiß wohl, daß die große Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindert muß; aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war und auf dem Kunstwerk ist, mußte mit ihrer ganzen Kraft der Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen. Hier sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte die Stücke zusammengesetzt, aber eine kleine Vertiefung der Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar. Beim Abguß und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet zu haben und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich voll gemacht, als ob sie nur durch einen seidenen Strumpf gezogen würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und Beurteilung; mir kommt es vor, als ob die so verschönerte Wade deswegen nicht schöner wäre.

Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre, zum Nero, dem Sieger, machen. Klassische Stellen hat man wohl für sich, daß Nero in dieser Gestalt existiert haben könne; es kommt nur darauf an, daß man beweise, er sei es wirklich. Es wäre schade um das schöne, hohe Ideal der Künstler, wenn seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt haben. Indessen bin ich fast in Gefahr, in der Miene und besonders um den Mund des Gottes etwas Neronisches zu finden. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige seiner Mädchen; aber dafür sind andere dabei, die hohen Wert haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf, nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichtum beschreiben, den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur,[559] die Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige Geschichtsstatuen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und vor allen die beiden Brutus, die man links am Fenster in ein ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im ganzen nicht der Fall ist; denn die meisten Kunstwerke, selbst der Laokoon und der Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt und habe links und rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, daß ich lieber Geschichtsköpfe sehe als Ideale; und auch unter den Idealen finde ich mehr Porträts und Geschichte, als die Künstler vielleicht zugestehen wollen.

Die Gemäldesammlung oben ist verhältnismäßig noch reicher und kostbarer als der Antikensaal unten, aber die Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch fehlerhafter. Wenige Stücke, ausgenommen der große Vordersaal, haben ein gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bei Madonna Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter den Händen der Restauratoren; ich habe sie also nicht gesehen. Dafür war ich so glücklich, den Saal der Zeichnungen offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, daß Schnorr nicht mehr hier war! Er wäre hier in seinem eigentlichen Element gewesen. Das wichtigste darunter ist doch wohl auf alle Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner Schule, mir deucht fast so groß wie das Gemälde selbst. Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige wenige Veränderungen gemacht. Ich genoß und ließ die andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates und Diogenes und Archimedes. Im nämlichen Saale sah ich auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische[560] Vase mit der doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Daß die eine Inschrift Δεπας heißt, ist die höchste Wahrscheinlichkeit; aber die Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjektur des Gegenstandes, denn man könnte aus den Zügen ebenso gut Κορακας als Ηεπαυσο machen. Die Vermutung ist indessen sinnreich, wenn sie auch nicht richtig sein sollte. Vielleicht gibt irgendeine Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluß darüber.

Ich hatte gewünscht, David zu sehen, hörte aber in Paris so viel Problematisches über seinen Charakter, daß mir die Lust verging. Ich sah ihn nur ein einziges Mal in seinem kleinen Garten am Louvre, und sein Anblick lud mich nicht ein, ihm näherzukommen. Das tat mir leid, denn ich finde in dem Manne sonst vieles, was mich hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was ich von dem Manne fordere, den ich zu sehen wünschen soll. Vielleicht tut man dem strengen, etwas finsteren Künstler auch etwas zuviel; desto besser für ihn und für uns alle! Sein Sohn hatte die Höflichkeit, mich in das Atelier seines Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches Trauerstück. Man nennt es hier nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die Leichen der jungen Menschen werden eben vorbeigetragen, der weibliche Teil der Familie unterliegt dem Gewicht des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt entfernt in der Tiefe seines Kummers, er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Dies ist, nach meiner Meinung, die ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte und kann, soviel ich weiß, nach der Geschichte nicht darauf sein. Diese Arbeit hat mir[561] besser gefallen als die Sabinerinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols Entrée gezeigt werden. Ich weiß nicht, ob David es nötig hat, sich Geld zahlen zu lassen; aber die Methode macht weder ihm noch der Nation Ehre. Ich hatte nichts gezahlt, weil mich sein Sohn führte. Es tut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele leid, daß die Kunst hier so sehr merkantilisch ist. Über das Stück selbst schweige ich, da ich im ganzen der Meinung der andern deutschen Beurteiler bin.

In Versailles war ich zweimal; einmal allein, um mich umzusehen, das zweitemal in Gesellschaft mit Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles unentgeltlich, und überall war zuvorkommende Geselligkeit. In Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakai für zwei Stunden einen kleinen Taler; darüber murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den ehemaligen Zimmern des Königs dreißig Sols; dafür war er nicht höflich. Alles war teurer und schlechter, und alle Gesichter waren mürrischer. Das scheint mir nun so die eingewurzelte Natur des alten Hofwesens zu sein. Du wirst mir die Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinet ist sehr artig und enthält mehrere Kuriositäten, muß aber freilich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den Botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens. Darunter stand auch das Kreuz, und mich wundert, daß man es nach Abschließung des Konkordats noch nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf den Sälen oben[562] sind alle aus der französischen Schule, und es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr durch Geschichtsbeziehung interessant sind. Der Garten und vorzüglich die Orangerie wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist wohl wahrscheinlich, was man sagt, daß Bäume dabei sind, die schon unter Heinrich dem Vierten hier gestanden haben. Die Partien nach Trianon hinüber sind noch ebenso schön, als sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche unstreitig von allen am meisten durch die Revolution verloren haben, und bei denen das monarchische Wesen vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich, daß der Hof wieder hierher kommen werde, damit sie doch nicht gänzlich zugrunde gehen. Das ist geradezu ihre Sprache und ihr Ausdruck, und sie haben wohl daran nicht Unrecht. Wenn sie vom Großkonsul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen Hof; und wenn man die Sache recht ohne Vorurteil nimmt, ist er absoluter und despotischer als irgendein König von Frankreich war, von Hugo Capet bis zum letzten unglücklichen Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.

Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen, der der großen Nation mit zehnfachem Wucher zurückgibt, was die große Nation seine kleine seit langer Zeit hat empfinden lassen. Es war der vierzehnte Juli und ein großes Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm herzog. Früh hielt er große Parade auf dem Hofe der Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter in der Nachbarschaft die Revue passierten. Ich hatte daher Gelegenheit, zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Corps von den schönsten Männern, die man an einem Orte beisammen denken kann; nur kann ich mir in[563] den französischen Soldaten, ich mag sie besehen, wie ich will, immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen Enthusiasmus als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden. Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber vielleicht nur der Überlegene an Anzahl brauchen kann, hat das Ihrige auch getan. Von Bonaparte sollte ich wohl lieber schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen Mann sieht man auf zweihundert Meilen vielleicht besser als auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu liegen, Dir über ihn etwas zu sagen, und das will ich denn mit Offenheit tun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern nur der Freund der Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd, ich nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Manne von seiner ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt und habe seinen Mut, seinen Scharfblick, seine militärische und politische Größe nie verkannt. Problematisch ist er mir in seinem Charakter immer gewesen und ist es jetzt mehr als jemals, wenn man ihn nicht geradezu verdammen soll. Bis auf den Tag von Marengo, wo ihn Desaixs Tod aus den republikanischen Grenzen heraushob, hat er als Republikaner im allgemeinen handeln müssen; seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines Republikaners getan.

Als er aus Ägypten kam, trat er die Krise seines Charakters an. Wir wollen sehen, was er in Paris tut, dachte ich, und dann urteilen. Ich tadle ihn nicht, daß er das Direktorium stürzte; es war keine Regierung, die unter irgendeinem Titel die Billigung der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, daß er soviel als möglich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für sich in die[564] Hände zu bekommen suchte; es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel, diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. Seitdem hat er durchaus nichts mehr für die Republik getan, sondern alles für sich selbst – eben da er auf hören sollte, irgendetwas mehr für sich selbst zu tun, sondern alles für die Republik. Jeder Schritt, den er tat, war mit herrlich berechneter Klugheit vorwärts für ihn und für die Republik rückwärts. Land gewinnen heißt nicht die Republik befestigen. Die erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er atmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie fast alle Konstitutionen. Es tat mir an diesem Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt, der größte Mann der Weltgeschichte zu werden; er hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte sich herab, mit den übrigen Großen auf gleichen Fuß. Er ist größer als die Dionyse und Cromwelle, aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt sich ihren Ruhm. Daß er nicht sah, daß seine Konstitution die neue Republik zertrümmern und dem vollen Despotismus die Wege bahnen würde, das läßt sich von seinem tiefen Blick nicht denken; und über seine Absichten mag ich nicht Richter sein. Ich habe wider das Konsulat nichts, nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr republikanisch. Ich gebe zu, daß die Dauer der römischen Magistraturen von einem Jahre zu kurz war, zumal bei der Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer Gesetze de ambitu; aber die Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang. Der letzte Stoß war, daß der alte Konsul wiedergewählt werden konnte. Ein Mann, der fast zehn Jahre lang eine fast grenzenlose[565] Gewalt in den Händen gehabt hat, müßte ein Blödsinniger oder schon ein öffentlicher, verächtlicher Bösewicht sein, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich wiederwählen zu lassen, und sodann nicht Mittel, die Wahl zum Vorteil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik lebenslänglich sein; wenn es aber die großen sind, geht der Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht geglaubt, daß es so schnell gehen würde; aber auch dieses zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die Franzosen seien zur bestimmten Despotie gemacht, so kommen sie ihr überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wut gezeigt, aber selten republikanische Vernunft. Nicht, als ob nicht hier und da einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung freilich Ideen in Umlauf gekommen und furchbar bis zur Wut gepredigt worden, die man sich vorher nur sehr leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen sein werden; aber die halbe und falsche Aufklärung dieser Ideen und der Mißbrauch derselben geben den etwas gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände. Die Republik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine haltbarere Konstitution baut, als bis jetzt geschehen ist. Mir tut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel zugesehen und immer geglaubt und gehofft, daß aus dem wildgährenden Chaos endlich noch etwas Vernünftiges hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freiheit entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mir, als ob ich erster Republikaner geworden[566] wäre. Ich bin nicht der Meinung, daß eine große Republik nicht dauern könne. Wir haben an der römischen das Gegenteil gesehen, die doch trotz ihrer gerühmten Weisheit schlecht genug organisiert war. Ich halte dafür, daß in einer wohlgeordneten Republik am meisten Menschenwürde, Menschenwert, allgemeine Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist. Beweis und Vergleichung weiter zu führen würde wenig frommen und hier nicht der Ort sein. Wo nicht der Knabe, der diesen Abend in der letzten Strohhütte geboren wurde, einst rechtlich die erste Magistratur seines Vaterlandes verwalten kann, ist es Unsinn, von einer vernünftigen Republik zu sprechen. Privilegien aller Art sind das Grab der Freiheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit, oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas teil an manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht so leicht unbefangen auseinandergesetzt werde und die Beleuchtung Publizität gewinne. In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem einzigen Machtspruche zertrümmert und glaubt nun, genug getan zu haben, aber sie werden sich schon wieder einschleichen und festsetzen; und man arbeitete schon selbst dadurch für sie, daß man auf der Gegenseite ohne Schonung stürmte und zu weit ging. »Die Republik der Fische ist durch die freie Fischerei zerstört«, sagte der geistliche Herr ganz skoptisch in dem Postwagen; »und die freie Jagd gibt der Polizei genug zu tun, denn es macht allerhand Gesindel im Lande allerhand Jagd.« Muß man denn bei Abstellung der Ungebühr durchaus die Jagd freigeben? Oder ist dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frei sein. In jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht[567] der Eigentümer; und nur der Eigentümer kann die Befugnis haben, das Wild auf seinem Grundstücke zu töten, und hat den Prozeß gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner Nachbarn nicht tut. Das Lehnsystem ist in Frankreich abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen, denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach meiner Überzeugung ist die Grundlage der Freiheit und Gerechtigkeit in einem Staate, daß der Staat durchaus nur reine Besitzungen gibt und sichert und dafür reine Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die Rechtsverhältnisse vereinfacht und die Beeinträchtigung aller Art aufgehoben. Es entsteht daraus zwar notwendig ein Gesetz, das eine Einschränkung des Eigentumsrechts zu sein scheint; dieses ist aber nicht weiter, als insofern gar niemand ein Eigentumsrecht zum Nachteile des Staates haben kann und darf. Niemand darf nämlich die Erlaubnis haben, seine Grundstücke mit Lasten zu verkaufen oder auf immer zu vergeben, sondern muß sie durchaus rein veräußern. Nur durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse, alle Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnsystem, und dieses ist der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur Sklaverei. Wo es noch erlaubt ist, mit Lastklauseln Grundstücke umzutauschen, kann in die Länge keine wahre Freiheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu viele Grundstücke hat, daß er sie nicht durch sich und seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und bestellen lassen kann, so hat er eben deswegen für den Staat in jeder Rücksicht schon zuviel; er ist ihm zu reich. Er mag dann verkaufen,[568] aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so teuer, als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben; der Bürger ist jeder, der nur einen Fuß Landes besitzt. In detrimentum rei publicae finden keine Besitzungen statt. Es versteht sich von selbst, daß dann alle Steuerkataster nach der Regel Detri gemacht werden, und die erste Realimmunität ist der erste Schritt zur Despotie. Solange unsere Staaten nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse, nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich ist kein Gesetz, das den belasteten Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist vorauszusehen.

Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur Wiedereinführung des Lehnsystems; das ward allgemein gefühlt, aber niemand hat die Macht, dem Allmächtigen zu widerstehen, der den Bajonetten befiehlt. Die Bajonette sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit getan. Rom fiel, sobald sie es ward. Die Geistlichkeit spricht wieder hoch und laut. Freilich wird sie nicht so schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte System wurde auch nicht in einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, daß vor einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht schuld daran war, daß die Esel keine Hörner haben, sich höchlich freute, daß nun wenigstens ein Edelmann allein an der Spitze stehe; das übrige werde sich schon machen. Der Mann muß in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen, sich zu[569] machen. Man sagt, Caprara habe schon auf Wiederherstellung der Klöster angetragen, sei aber von Bonaparte zurückgewiesen worden. Bonaparte müßte nicht der kluge Mann sein, der er ist, wenn er ohne Not solche Sprünge machen wollte oder mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muß. Es ist das Glück des Adels und der Geistlichkeit, daß sie mit Modifikationen in seine Zwecke gehören. Wenn's not tut, wird sich schon alles geben. Daß die Katholizität in Frankreich noch vielen Anhang, teils aus Überzeugung, teils aus Gemächlichkeit, teils aus Politik hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich den Katholizismus zur Staatsreligion, das heißt zur herrschenden, gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so fortgeht, daß man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich selbst wurde durch die Rolle, die Bonaparte dabei spielte, gar nicht überrascht; es war seine Konsequenz; er war bei der Osterzeremonie der nämliche, welcher er in Ägypten war, wo er sein Manifest an fing: »Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat!« Er dachte mundus vult – ergo –; aber das Sprichwort ist nicht wahr, und es wäre zu wünschen gewesen, daß er nicht so gedacht hätte. »Il est un peu singe, mais il est comme il faut«, sagte der geistliche Herr im Postwagen. Wenn er Bonaparte dadurch richtig gezeichnet hat, so ist es zugleich ein gräßliches Verdammungsurteil für seine Nation. Nur die Zeit kam erleuchtend. Der Mann ist von seiner Größe herabgestiegen. Es wird erzählt, er habe die Fahnen weihen wollen, sei aber durch das Gemurmel der alten Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen, die Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und Petersburg entschieden republikanische Maßregeln nimmt, gilt dort mit Grund für widerrechtlich, und die Regierung[570] verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegenteil muß aus dem nämlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich gelten, man müßte denn in der Berechnung etwas höher gehen, welches aber sodann jedem Revolutionär in utramque partem zustatten kommen würde.

Jetzt lebt er einsam und mißtrauisch, mehr als je ein Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade; der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint selten und immer nur mit einer starken Wache und soll im Schauspiel in seiner Loge sogar Reverberes nach allen Seiten haben, die ihm alles zeigen, ohne daß ihn jemand sieht. Bei andern liberaleren Maßregeln könnte er als Fremdling wie eine wohltätige Gottheit unter der Nation herumwandeln, und sein Name würde in der Weltgeschichte die Größe aller andern niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür hat er auf den kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht getan. Ich könnte weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft großen Mann rein verehren; das kann ich nun hier wieder nicht.

Man sagt sich hier still und leise mehrere Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage des ägyptischen Manifests an hat sich meine Seele über seinen Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die Osterfeier sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabei bedeutend sagte: »Citoyen, vous entrez ici dans la chambre d'un tyran«, antwortete er mit schnellem Scharfsinn: »S'il avoit été tyran, il le seroit encore.« Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde![571] Als ihm vorgestellt wurde, das Volk murre bei einiger seiner Schritte, er möchte bedenken, erwiderte er »Le peuple n'est rien pour qui le sait mener.« Den Siéyès, den die Partei des Konsuls bei jeder Gelegenheit als einen Flachen, sehr subalternen Kopf darstellt soll er auf eine Erinnerung sehr skoptisch gesagt haben: »Si j'avois été roi en 1790, je le serois encore, et si j'avois dit alors la messe, j'en ferois encore de même.« Ich sage Dir, was man hier und bedächtlich an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es niemand, weil seine lettres de cachet ebenso sicher nach Bicetre führen als unter den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann war, willkürlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht wagte, begnügte er sich zu sagen, es sei alles sehr gut, aber jetzt nur etwas zu früh. Jedermann, der etwas weiter blickte, behauptete, es sei leider etwas zu spät. Das gesetzgebende Corps nennt man hier nur die Versammlung, durch welche er Gesetze gibt. Als ein Kommissär mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand, sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er bei dem schnellen Rapport ungeduldig mit den Finger geknackt und gesagt haben: »Ah, je saurai les attraper.« Das hat er gehalten. Er schmiedete das Eisen schnell, weil es warm war, nach vierzehntägigen Abkühlungen und Überlegungen möchte die Sache an ders gegangen sein. Über die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber sie ist nun geschehen.

Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen, le premier consul, le grand consul, le consul vorzugsweise.[572] Die beiden andern, die auch nur das Dritteil der Wache haben, sind neben ihm Figuranten, und ihrer wird weiter nicht gedacht als in der Form der öffentlichen Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn auch Sa Majesté, und ich stehe nicht dafür, daß es nicht ernst wird. Auch heißt er ziemlich öffentlich empereur des Gaules; vielleicht die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert! Auf Cäsar folgte August und so weiter.

Die Feier des Tages des Bastillensturms beschloß ein Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammengedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus und tat es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohen Magistraturen der Republik, wie sie noch heißt, in ihrem Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen, denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul ließ sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber nur ein kleiner Teil der Menge. Der Platz hielt vielleicht über Hunderttausend, und kaum der hundertste Teil gab die Ehrenbezeigung. Der Enthusiasmus war also nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen sein soll, und man sprach hier und da davon, daß die republikanischen Feste nach und nach eingehen sollten.[573] Das ist begreiflich. Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die Republik selbst, wie die meisten Zeichen länger währen als die Sache selbst.

Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe ich weder Lust noch Zeit noch Kenntnis. Die bunte Szene wandelt sich alle Tage interessant. Bloß der Garten der Tuilerien mit den Elysäischen Feldern, welcher die Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend ausmacht, gewährt täglich eine unendliche Verschiedenheit. Die Preßfreiheit ist hier verhältnismäßig eingeschränkter als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartüffe jetzt erschiene, man würde ihn ebensowohl verdammen als damals; und Moliere könnte wieder sagen: »Monsieur le président ne veut pas qu'on le joue.« Die Dekaden sind durch das Konkordat und die Einführung der römischen Religion notwendig geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch rechnet man in Paris fast überall wieder nach dem alten Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten als selbst in Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach Belieben; in Dijon mußte ich einige Male, sogar an der Wirtstafel, zur Fasten mit der Gesellschaft Froschragout essen, es war kein anderes Fleisch da. Mir war es einerlei, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist doch sonst nicht jedermanns Sache. So ging mir es noch mehrere Male auf der Reise. In Paris nimmt man freilich noch keine Notiz davon, aber man tat es auch ehemals nicht. Die alten Namen der Örter und Gassen treten nach und nach alle wieder ein, und eine republikanische Karte von der Stadt ist fast gar nicht mehr zu brauchen. Viele[574] stellen sich, als ob sie die neuen Namen gar nicht wüßten; so sah mich ein sehr wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in die rue de loi wollte, wies mich aber sehr höflich weiter, als ich sie rue de Richelieu nannte. Das Pantheon heißt wieder die heilige Genoveve und wird höchstwahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob sich dieses alles so sanft wieder machen wird, weiß der Himmel. Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen Modifikationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten schon überall von neuem mit ihren Anmaßlichkeiten hervor und finden Engbrüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn man die Güter der Emigranten nicht wieder herausgeben will. Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische Gerechtigkeit sein, aber der Mißbrauch kann weit führen. Man erzählt viele Beispiele, daß die französischen Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen gestatten. Laßt nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so seid ihr verloren! Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich sonderbare Abhandlung in einem öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele zwischen dem französischen und englischen Nationalcharakter zog. Man blieb ungewiß, ob das Ganze Ernst oder Ironie war. Er ließ den Briten wirklich den Vorzug des tieferen Denkens und behauptete für seine Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack. Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sei eine Sache des Geschmacks und der Mode gewesen, und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man fast geneigt, ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme Blut gekostet, und wenn[575] man so fortfährt, wird fast so wenig dadurch gewonnen werden als durch jede andere Mode der Herren von der Seine.

Die Polizei ist im allgemeinen außerordentlich liberal, wenn man sich nur nicht beigehen läßt, sich mit Politik zu bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das alte Schibboleth zu brauchen: panem et circenses. Wenn ich in irgendeiner großen Stadt zu leben mich entschließen könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr als eine andere Nation dafür gesorgt, daß man in der Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, die Elysäischen Felder, die Boulevards, Luxenburg, der Botanische Garten, der Invalidenplatz, Frascati und mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die man durchaus in keiner andern großen Stadt so trifft. Eine meiner sentimentalen Morgenpromenaden war, die Wachparade der Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender gewesen als diese ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für sein Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb! Zur Ehre unserer Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beide Füße so fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben vielleicht immer noch für Freiheit und Gerechtigkeit gefochten zu haben und verstümmelt zu sein.

Morgen will ich zu Fuße fort und bin eben bloß aus Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizei gewesen, denn man weiß doch nicht, welche Schwierigkeiten man in der Provinz haben kann. Meine Landsleute und Bekannten hatten mir gleich beim Eintritt in die Stadt gesagt, ich müßte mich mit meinem Passe auf der Polizei melden, und redeten viel von der Strenge.[576]

Ich fand keinen Beruf hinzugehen. Es ist die Sache der Polizei, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will; ich weiß nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach meinem Passe gefragt, auch nicht hier an der Barriere. Der Wirt schrieb meinen Namen auf und sagte übrigens kein Wort, daß ich etwas zu tun hätte. »Wenn mich die Polizei braucht«, sagte ich, »wird sie mich schon holen lassen; man hätte mir das Nötige an der Barriere im Wagen oder im Wirtshause sagen sollen.« Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier, der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich an, besah mich und den Paß und sagte sehr freundlich, ohne ihn zu unterschreiben: »Es ist weiter nichts nötig; Sie reisen so ab, wenn Sie wollen.« – Der Paß war noch der preußische von Rom aus. – »Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Lucchesini wollen vidieren lassen, das können Sie tun; aber nötig ist es nicht.« Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen tue ich nicht gern mehr, als ich muß; ich ging also nicht zu dem Gesandten.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 556-577.
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