Dritte Szene

[21] Das griechische Lager.


Trompeten. Es treten auf Agamemnon, Nestor, Ulysses, Menelaus und andre.


AGAMEMNON.

Fürsten,

Kann Gram mit Gelbsucht eure Wangen färben?

Der weite Vorwurf, den Erwartung bildet

Bei jedem Plan auf Erden hier begonnen,

Entbehrt gehoffter Größe. – Unstern und Hemmung

Keimt in den Adern hocherhabner Tat,

Wie Knorren, durch zu üpp'gen Saft erzeugt,

Der schlanken Fichte Wachstum stockend lähmen,

Daß sie gekrümmt und siech nicht hoch erwächst.

Auch kann's, ihr Fürsten, nicht befremdlich sein,

Wenn uns Erwartung täuscht, und Trojas Mauern

Noch aufrecht stehn, bedroht seit sieben Jahren,

Weil jede Kriegstat schon in vor'ger Zeit,

Von der uns Kunde zukam, ward gekreuzt,

Und im Versuch weit abgelenkt vom Ziel

Und jenem geist'gen Vorbild des Gedankens,

Das ihr ein Traumbild schuf. Weshalb denn, Fürsten,

Seht ihr beschämten Blicks auf unser Werk,

Als wäre Schmach, was doch nichts anders ist,

Als des erhabnen Zeus verzögert Prüfen,

Ob noch im Menschen fest Beharren sei?

Denn nicht erprobt sich dieser echte Stahl,

Begünstigt uns Fortuna – denn alsdann

Scheint Held und Feiger, Narr und Weiser, Künstler

Und Tor, Weichling und Starker nah verwandt –


Doch in dem Sturm und Schnauben ihres Zorns

Wirft Sond'rung mit gewalt'ger, breiter Schaufel

Alles aufschüttelnd, leichte Spreu hinweg;

Und was Gewicht und Stoff hat in sich selbst,

Bleibt reich an Tugend liegen, unvermischt.

NESTOR.

In schuld'ger Ehrfurcht deinem heil'gen Thron,[21]

O Agamemnon, wird dein letztes Wort

Nestor erläutern. In dem Kampf mit Wechsel

Bewährt sich echte Kraft. Auf stiller See,

Wie fährt so mancher gaukelnd winz'ge Kahn

Auf ihrer ruh'gen Brust und gleitet hin

Mit Seglern mächt'gen Baus?

Doch laß den Raufer Boreas erzürnen

Die sanfte Thetis, – rasch durchschneidet dann

Das starkgerippte Schiff die Wellenberge,

Springt zwischen beiden feuchten Elementen

Gleich Perseus' Roß – wo bleibt das eitle Boot,

Des schwachgefügte Seiten eben noch

Wettkämpften mit der Kraft? Es flieht zum Hafen,

Wenn's nicht Neptun verschlingt. So trennt sich auch

Des Mutes Schein vom wahren Kern des Muts

Im Sturm des Glücks; denn strahlt es hell und mild,

Dann wird die Bremse quälender der Herde

Als selbst der Tiger; doch wenn Stürme spaltend

Der knot'gen Eiche Knie darniederbeugen

Und Schutz die Fliege sucht, – ja, dann das Tier des Muts,

Wie aufgeregt von Wut, wird selber Wut,

Und brüllt, in gleichen Tönen widerhallend,

Dem zorn'gen Glück entgegen.

ULYSSES.

Agamemnon,

Du großer Fürst, Gebein und Nerv der Griechen,

Herz unsrer Scharen, Seel' und einz'ger Geist,

In dem Gemüt und Wesen aller sollte

Beschlossensein, – hör', was Ulysses spricht,

Den Beifall und die Huld'gung abgerechnet,

Die, Mächt'ger du durch Rang und Herrscherwürde,

Und du, Ehrwürd'ger durch dein hohes Alter,

Ich euren Reden zolle (die so trefflich,

Daß Agamemnon und der Griechen Hand

Sie sollt' in Erz erhöhn, und deine gleichfalls,

Ehrwürd'ger Nestor, silberweiß, mit Banden

Aus Luft gewebt, stark wie die Ax', um die

Der Himmel kreist, sollt' aller Griechen Ohr

An deine weise Zunge fesseln) – doch,[22]

Du Staatsmann und du Fürst, vergönnt Ulysses,

Nach euch zu reden.

AGAMEMNON.

Sprich, Held von Ithaka: so sicher ist's,

Daß kein unnützes, kein gehaltlos Wort

Je deine Lippen teilt, als wir erwarten,

Wenn Hund Thersites anstimmt sein Gebell,

Je Witz, Musik, Orakel zu vernehmen.

ULYSSES.

Troja, noch unerschüttert, wär' gefallen,

Und herrenlos des großen Hektor Schwert,

Wenn folgendes nicht hemmte:

Verkannt wird Seel' und Geist des Regiments;

Und seht! So viele Griechenzelte hohl

Stehn auf dem Feld, so viel Parteien-Hohlheit. –


Wenn nicht der Feldherr gleicht dem Bienenstock,

Dem alle Schwärme ihre Beute zollen,

Wie hofft ihr Honig? Wenn sich Abstufung verlarvt,

Scheint auch der Schlechtste in der Maske edel.

Die Himmel selbst, Planeten und dies Zentrum,

Reihn sich nach Abstand, Rang und Würdigkeit,

Beziehung, Jahrszeit, Form, Verhältnis, Raum,

Amt und Gewohnheit in der Ordnung Folge;

Und deshalb thront der majestät'sche Sol,

Als Hauptplanet, in höchster Herrlichkeit

Vor allen andern; sein heilkräftig Auge

Verbessert den Aspekt bösart'ger Sterne,

Und trifft, wie Königs Machtwort, allbeherrschend

Auf Gut' und Böses. Doch wenn die Planeten

In schlimmer Mischung irren ohne Regel,

Welch Schrecknis! Welche Plag' und Meutereil

Welch Stürmen auf der See! Wie bebt die Erde!

Wie rast der Wind! Furcht, Umsturz, Graun und Zwiespalt

Reißt nieder, wühlt, zerschmettert und entwurzelt

Die Eintracht und vermählte Ruh' der Staaten

Ganz aus den Fugen! Oh, wird Abstufung,

Die Leiter aller hohen Plan', erschüttert,

So krankt die Ausführung. Wie könnten Gilden,

Würden der Schule, Brüderschaft in Städten,

Friedsamer Handelsbund getrennter Ufer,[23]

Der Vorrang und das Recht der Erstgeburt,

Ehrfurcht vor Alter, Szepter, Kron' und Lorbeer

Ihr ewig Recht ohn' Abstufung behaupten?

Tilg' Abstufung, verstimme diese Saite,

Und höre dann den Mißklang! Alles träf'

Auf offnen Widerstand. Empört dem Ufer

Erschwöllen die Gewässer übers Land,

Daß sich in Schlamm die feste Erde löste;

Macht würde der Tyrann der blöden Schwäche,

Der rohe Sohn schlüg' seinen Vater tot;

Kraft hieße Recht – nein, Recht und Unrecht, deren

Endlosen Streit Gerechtigkeit vermittelt,

Verlören, wie Gerechtigkeit, den Namen.

Dann löst sich alles auf nur in Gewalt,

Gewalt in Willkür, Willkür in Begier;

Und die Begier, ein allgemeiner Wolf,

Zwiefältig stark durch Willkür und Gewalt,

Muß dann die Welt als Beute an sich reißen

Und sich zuletzt verschlingen. Großer König,

Dies Chaos, ist erst Abstufung erstickt,

Folgt ihrem Mord: –


Und dies Nichtachten jeder Abstufung

Geht rückwärts Schritt für Schritt, indem's hinauf

Zu klimmen strebt. Des Oberfeldherrn spottet

Der unter ihm zunächst, den höhnt der Zweite,

Den nächsten dann sein Untrer:so vergiftet

Vom ersten Schritt, der seinem Obern trotzt,

Wird jeder folgende zum neid'schen Fieber

Kraftloser, bleicher Nebenbuhlerschaft: –


Und solch ein Fieber ist's, das Troja schirmt,

Nicht eigne Stärke. Kurz, den Troern schafft

Nur unsre Schwäche Frist, nicht eigne Kraft.

NESTOR.

Sehr weislich hat Ulysses uns enthüllt

Die Seuch', an welcher unsre Macht erkrankt.

AGAMEMNON.

Der Krankheit Art hast du durchschaut, Ulysses;

Welch Mittel nun?

ULYSSES.

Der Held Achilles, den die Meinung krönt

Als Nerv und rechte Hand des ganzen Heers, –[24]

Das Ohr gefüllt mit seinem luft'gen Ruhm,

Wird frech und launenhaft, und ruht im Zelt,

Verspottend unser Tun. Mit ihm Patroklus,

Auf einem Lotterbett, treibt freche Possen

Den lieben langen Tag,

Und stellt mit tölpisch lächerlichem Pathos

(Das der Verleumder Nachahmung benennt)

Uns all' zur Schau. Manchmal, o großer König,

Agiert er deine höchste Majestät,

Stolzierend wie ein Bühnenheld, des Geist

Im Kniebug wohnt, und den's erhaben dünkt,

Der Bretter Schall und hölzern Echo hören,

Wenn er mit steifem Fuß den Boden stampft, –


So jämmerlich verdreht und übertrieben

Verzerrt er deine Hoheit. Wenn er spricht,

Klingt's wie geborstne Glocken: sinnlos Zeug,

Wie es von Typhons Schlund hervorgebrüllt

Noch Bombast schiene. Bei dem schalen Wust

Liegt breit und faul Achilles auf den Polstern,

Lacht aus der tiefen Brust ihm lauten Beifall,

Ruft: »Herrlich! Das ist Agamemnon völlig!

Nun spiel' mir Nestor! Räuspre, streich' den Bart

Wie er, wenn er zu reden Anstalt macht!« –


Er tut's und trifft's, wie Nord und Süd sich treffen,

So ähnlich, wie Vulkan der Gattin ist.

Doch Freund Achill ruft nochmals:»Meisterhaft!

's ist Nestor ganz! Jetzt spiel' ihn mir, Patroklus,

Wie er sich nachts beim Überfall bewaffnet.« –


Und dann, wie klein! Muß selbst des Alters Schwachheit

Zur Posse dienen; hustend räuspert er,

Schiebt, krankhaft fuschelnd, an des Panzers Hals

Die Nieten ein und aus: und bei dem Spaß

Stirbt Herr Großmächtig, schreit: »Genug, Patroklus!

Schaff' Rippen mir von Stahl! Sonst spreng' ich alle

Vor übermäß'ger Lust!« So dient den beiden

All unsre Fähigkeit, Natur, Gestalt,

Besondre Gab' und allgemeine Art,

Vollbrachte Tat, Entwurf, Befehl und Plan,[25]

Auffoderung zum Kampf, Antrag um Stillstand,

Erfolg und Mißgeschick, was ist und nicht ist,

Zum Stoff für Albernheit und Übertreibung.

NESTOR.

Und von dem schlimmen Beispiel dieser zwei,

Die, wie Ulysses sagt, die Meinung krönt

Mit Herrscherton, ward mancher angesteckt.

Ajax, voll Eigendünkels, trägt das Haupt

So hoch gezäumt, so trotzig wie der breite

Achilles; bleibt in seinem Zelt wie jener;

Gibt Schmause den Partei'n; schimpft unsre Waffen,

Als wär' er ein Orakel; hetzt Thersites,

Den Schalksnarr'n, der wie Münze Läst'rung prägt,

Durch niedrigen Vergleich uns zu besudeln,

Mit Schimpf und Hohn zu schmähn auf unsre Drangsal,

Wie sehr uns auch ringsher Gefahr bedräut. –

ULYSSES.

Sie lästern unsre Politik als Feigheit;

Sie stoßen Weisheit aus dem Rat des Kriegs,

Verlachen Vorbedacht und würdigen

Nur Tat der Faust – die stille Geisteskraft,

Die prüft, wie viele Hände wirken sollen,

Wenn's Zeit erheischt, und durch mühsame Schätzung

Voraus bestimmt, wie zahlreich sei der Feind, –


Das alles hält man keines Fingers wert,

Bettarbeit nennt man's, Stubenkrieg und Schreibwerk;

So daß der Widder, der die Mauern bricht,

Und die Gewalt und Sturmkraft seiner Wucht

Den Rang hat vor der Hand, die ihn gezimmert,

Ja selbst vor denen, die mit List und Klugheit

Scharfsinnig seine Wirkung angeordnet.

NESTOR.

Dies eingeräumt, so gilt Achilles' Pferd

Viel Thetis-Söhne!


Trompetenstoß.


AGAMEMNON.

Horcht! Wes die Trompeten?

Sieh, Menelaus!

MENELAUS.

Von Troja!


Äneas tritt auf.


AGAMEMNON.

Was führt Euch hieher?[26]

ÄNEAS.

Ist dies

Des großen Agamemnon Zelt?

AGAMEMNON.

Ja, dieses.

ÄNEAS.

Darf einer, der ein Herold ist und Fürst,

Mit offner Botschaft nahn des Königs Ohr?

AGAMEMNON.

Noch sichrer, als geschützt vom Arm Achills,

Vor allen griech'schen Häuptern, die einstimmig

Als Haupt und Feldherrn Agamemnon ehren.

ÄNEAS.

Höflich Gewähren; Sicherheit vollauf.

Wie mag, wer diesen höchsten Blicken fremd,

Von andern Sterblichen ihn unterscheiden?

AGAMEMNON.

Wie?

ÄNEAS.

Ich frag', auf daß ich Ehrfurcht in mir wecke

Und ein Erröten auf die Wange rufe,

Beschämt, so wie Aurora, wenn sie kühl

Zum jungen Phöbus schaut.

Wer ist der Gott im Amt, der Helden lenkt?

Wer ist der Hochgebieter Agamemnon?

AGAMEMNON.

Der Troer höhnt uns, oder Trojas Ritter

Sind überfeine Hofherrn.

ÄNEAS.

Hofherrn so mild und adlig, ohne Wehr,

Wie Engel hold geneigt: also im Frieden.

Doch fehlt im Kriegsschmuck Zorn nicht, kräft'ger Arm,

Der Glieder Macht, getreues Schwert, – und, Gott voran,

Kein Herz so muterfüllt. Doch still, Äneas!

Still, Troer! Leg' den Finger auf die Lippe,

Des Ruhmes Würdigkeit verliert an Wert,

Wenn der Gepriesne selbst mit Lob sich ehrt:

Doch Lob, das vom besiegten Feind erklingt,

Der Taten Ruf ist's, der zum Himmel dringt.

AGAMEMNON.

Trojan'scher Ritter, nennt Ihr Euch Äneas?

ÄNEAS.

Ja, Grieche, also heiß' ich.

AGAMEMNON.

Eu'r Geschäft?

ÄNEAS.

Verzeiht, es ist für Agamemnons Ohr!

AGAMEMNON.

Er hört nichts heimlich, was von Troja kommt.

ÄNEAS.

Auch kam ich nicht von Troja, ihm zu flüstern;

Trompeten lass' ich schmettern an sein Ohr[27]

Und weck' es, aufmerksam sich mir zu neigen;

Dann will ich reden.

AGAMEMNON.

Sprich, so frei wie Luft;

Dies ist nicht Agamemnons Schlummerstunde;

Vernehmen sollst du, Troer, er ist wach:

Er selber sagt es dir.

ÄNEAS.

Trompet', erklinge

Mit eh'rnem Schall durch all die trägen Zelte;

Und jedem tapfern Griechen tu' es kund,

Was Troja edel meint, das spricht es laut.


Trompetenstoß.


In Troja lebt, o großer Agamemnon,

Ein Prinz, Hektor mit Namen, Priams Sohn,

Den diese dumpfe, lange Waffenruh'

Verrostet hat. Nimm die Trompeten, sprach er,

Und rede so: Ihr Kön'ge, Fürsten, Herrn,

Ist einer von den Edeln Griechenlands,

Dem mehr die Ehre gilt als seine Ruh',

Der mehr nach Ruhm strebt, als Gefahren scheut,

Der seinen Mut wohl kennt, nicht seine Furcht,

Der seine Dame mehr liebt als in Worten,

Mit müß'gen Schwüren ihrem Mund gelobt, –


Und ihren Wert und Reiz behaupten darf

Nicht bloß mit Liebeswaffen, – dem entbiet' ich:

Im Angesicht der Griechen und Trojaner

Beweist es Hektor, oder müht sich drum, –


Er hab' ein Weib, verständ'ger, schöner, treuer,

Als an die Brust jemals ein Grieche schloß: –


Und morgen ruft er mit Trompetenklang

In Mitten eurer Zelt' und Trojas Mauern,

Daß sich ein Griech' erheb' in Liebe treu.

Tritt einer auf, wird Hektor hoch ihn ehren;

Wenn keiner kommt, wird er in Troja sagen:

Die griech'schen Frau'n sind sonnverbrannt und unwert

Des Splitters einer Lanze. – Dies mein Auftrag.

AGAMEMNON.

So, Prinz, verkünd' ich's unsern Liebenden.

Hat keiner ein Gemüt also entzündet,[28]

Kam keiner mit uns her. Doch wir sind Ritter:

Und sei mit Schmach vom Rittertum vertrieben,

Wer nicht schon liebt, geliebt hat, noch wird lieben!

Drum, wer in Lieb' ist, sein wird oder war,

Der stelle sich, sonst biet' ich selbst mich dar.

NESTOR.

Sag ihm vom Nestor, der ein Mann schon war,

Als Hektors Ältervater sog die Brust, –


Er ist nun alt, – doch findet sich im Heer

Kein edler Mann, in dem ein Funke glüht,

Zu stehn für seine Dame. – sag ihm dies:

Den Silberbart berg' ich im Goldvisier

Und in der Schiene den gewelkten Arm:

So tret' ich auf und sag' ihm, mein Gemahl

Besiegt' an Schönheit seine Ältermutter,

An Keuschheit alle. Seinem Jugendmut

Zeug' ich's mit meinen sieben Tropfen Blut.

ÄNEAS.

Verhüte Gott, daß Jugend also selten!

ULYSSES.

Amen!

AGAMEMNON.

Erlauchter Lord Äneas, reicht die Hand!

Ich führ' Euch, Herr, in unsern Pavillon:

Achill vernehme, was Ihr heut bestellt,

Und jeder griech'sche Ritter, Zelt für Zelt –


Dann speist mit uns, eh' Ihr nach Troja kehrt,

Und edler Feindesgruß sei Euch gewährt!


Sie gehn ab.


Es bleiben Ulysses und Nestor.


ULYSSES.

Nestor –

NESTOR.

Was sagt Ulysses?

ULYSSES.

In meinem Hirn erzeugt sich ein Gedanke;

Seid Ihr die Zeit, ihn zur Geburt zu fördern!

NESTOR.

Was ist es?

ULYSSES.

Dies: man sprengt mit stumpfem Keil

Den harten Klotz. Den überreifen Stolz,

Der hoch in Saat geschossen in dem üpp'gen

Achill, muß unsre Sichel schleunig mähn,

Sonst streut er rings dieselbe böse Saat,

Uns alle zu ersticken.[29]

NESTOR.

Wohl! Und wie?

ULYSSES.

Der Kampf, zu dem der tapfre Hektor ruft, –


(Obschon in Allgemeinheit ausgesprochen)

Zielt doch zunächst allein nur auf Achill.

NESTOR.

Der Zweck ist augenfällig; wie ein Ganzes,

Des Großheit sich aus kleinen Teilen formt.

Und wird dies kund getan, so zweifle nicht,

Achilles, wär' auch sein Gehirn so trocken

Als Libyens Strand – (und doch, Apoll bezeug's,

's ist dürr genug), – wird mit eilfert'gem Urteil,

Ja, 'unverzüglich, Hektors Zweck durchschaun,

Daß er auf ihn gezielt.

ULYSSES.

Und sich der Ford'rung stellen, denkt Ihr?

NESTOR.

Ja;

So muß es sein. Wer mißt sich sonst mit ihm,

Der aus dem Kampf mit Hektorn Ehre brächte,

Als nur Achill? Ist's gleich ein Spielgefecht,

Hängt an der Kampfesprobe doch die Meinung.

Denn unser Köstlichstes schmeckt hier der Troer

Mit seinem feinsten Gaum, und glaubt, Ulysses,

Man wird unpassend schätzen unsre Würze

Nach dieser Eitelkeit; denn der Erfolg,

Obschon des einen Mannes, gibt den Ausschlag

Dem allgemeinen gut und schlimmen Ruf –


Und solcher Index (ob auch kleine Lettern,

Verglichen mit der Bände Folge) zeigt

In Kindsgestalt den Riesenkörper schon

Von dem, was kommen soll. – Man sieht im Streiter,

Der sich dem Hektor stellt, nur unsre Wahl:

Und Wahl, einmüt'ger Einklang alles Urteils,

Leiht Würde dem Erkornen, kocht heraus

Gleichsam von unsrer aller Wert und Kraft

Die Quintessenz des Manns. Mißlingt es dem,

Welch Herz faßt dann der Sieger in dem Kampf,

Die eingebild'te Ehre noch zu stählen!

Der Ehrenpunkt belebt dann jedes Werkzeug

Nicht minder kraftvoll, als Geschoß und Schwert

Vom Arm geführt.[30]

ULYSSES.

Verzeihung meinem Wort!

Drum muß Achilles nicht mit Hektor kämpfen.

Zeigt wie ein Krämer erst die schlechtste Ware,

Vielleicht bringt Ihr sie an; geläng' es nicht,

Dann wird der Glanz der bessern Euch erhöht,

Zeigt Ihr die schlechte erst. Drum gebt nicht zu,

Daß Hektor und Achill zusammenfechten:

Sonst folgen unsrer Schmach wie unserm Ruhm

Zwei höchst verderbliche Gefährten nach.

NESTOR.

Mein altes Auge sieht sie nicht: wer sind sie?

ULYSSES.

Der Ruhm, den sich Achill erringt vom Hektor,

Wär' er nicht stolz, wir alle teilten ihn:

Doch allzu übermütig ward er schon;

Und lieber möcht' uns Libyens Sonne dörren,

Als seiner Augen Stolz und bittrer Hohn,

Besiegt ihn Hektor nicht: und wich' er ihm,

Zerstörten wir den allgemeinen Glauben

Durch unsres Helden Schmach. Nein, losen wir

Und lenken's klug, daß Tölpel Ajax ziehe

Das Blatt zum Kampf mit Hektor! Unter uns

Rühm' Euer Zeugnis ihn als besten Krieger;

Das wird Arznei dem großen Myrmidonen,

Der auf die Volksgunst pocht; dann sinkt sein Kamm,

Der stolz sich wie der Regenbogen bäumt.

Kommt der schwerköpf 'ge Ajax heil davon,

Erhebt ihn unser Lob; und schlägt's ihm fehl,

Dann bleibt doch stets die Meinung unverletzt,

Daß wir noch beßre haben. Wie's auch fällt,

Des Plans geheime Absicht muß gelingen:

Ajax, erwählt, rupft dem Achill die Schwingen.

NESTOR.

Ulysses,

Jetzt fängt dein Vorschlag an, mir einzuleuchten;

Und ungesäumt soll Agamemnon gleichfalls

Ihn kosten. – Gehn wir in sein Zelt sofort;

Hier zähm' ein Hund den andern: Stolz allein

Muß dieser Bullenbeißer Knochen sein.


Sie gehn ab.[31]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 21-32.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Troilus und Cressida
Troilus and Cressida
Troilus und Cressida: Zweisprachige Ausgabe
Troilus and Cressida. Troilus und Cressida
Troilus und Cressida

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon