[32] Das griechische Lager.
Ajax und Thersites treten auf.
AJAX. Thersites –
THERSITES. Agamemnon ... wie, wenn er Beulen hätte? Vollauf, über und über, allenthalben –
AJAX. Thersites –
THERSITES. Und die Beulen liefen; gesetzt, so wär's: liefe dann nicht der ganze Feldherr? Wäre das nicht eine offne Eiterbeule?
AJAX. Hund –
THERSITES. Auf diese Art käme doch etwas Materielles aus ihm; jetzt seh' ich gar nichts.
AJAX. Du Brut einer Wolfspetze, kannst du nicht hören? So fühle denn! – Schlägt ihn.
THERSITES. Daß dich die griechische Pestilenz, du köterhafter, rindsköpfiger Lord!
AJAX. Sprich denn, du abgestandner Klumpen Sauerteig; sprich! Ich will dich zu einer hübschen Figur prügeln! –
THERSITES. Ich könnte dich leichter zu einem Witzigen und Gottesfürchtigen lästern; aber dein Hengst hält eher eine Rede aus dem Kopf, als du ein Gebet auswendig sprichst. Du kannst schlagen, nicht? Das kannst du? Die Pferdeseuche über deine Gaulmanieren! –
AJAX. Giftpilz! Erzähle mir, was hat man ausgerufen?
THERSITES. Denkst du, ich sei fühllos, daß du mich so schlägst?
AJAX. Was hat man ausgerufen?
THERSITES. Man hat dich als Narren ausgerufen, denk' ich.[32]
AJAX. Nimm dich in acht, Stachelschwein, nimm dich in acht! Meine Finger jucken!
THERSITES. Ich wollte, es juckte dich vom Kopf zu den Füßen, und ich müßte dich kratzen; ich wollte dich zum schäbigsten Scheusal in Griechenland machen. Wenn du dich einmal bei einem Ausfall voranwagst, schlägst du so schläfrig wie ein andrer.
AJAX. Ich frage, was hat man ausgerufen?
THERSITES. Jede Stunde brummst und grollst du auf den Achilles und bist neidisch auf seine Größe wie Cerberus auf Proserpinens Schönheit; ja, du bellst ihn an! –
AJAX. Frau Thersites!
THERSITES. Den solltest du schlagen!
AJAX. Fladen!
THERSITES. Der würde dich mit seiner Faust zu Krümchen quetschen, wie ein Matrose seinen Zwieback! –
AJAX. Du verdammter Köter! – Schlägt ihn.
THERSITES. So recht! –
AJAX. Du Hexenstuhl! –
THERSITES. Recht, recht so, du grützköpfiger Lord! Du hast nicht mehr Hirn als ich im Ellbogen; ein Packesel kann dein Zuchtmeister sein; du schäbiger, tapfrer Esel! Du bist hieher geschickt, um auf die Trojaner zu dreschen, und unter Leuten von einigem Witz bist du verraten und verkauft wie ein afrikanischer Sklav'. – Wenn du dich darauf legst, mich zu schlagen, will ich bei deiner Ferse anfangen und dir Zoll für Zoll sagen, was du bist, du Klotz ohne Eingeweide!
AJAX. Hund!
THERSITES. Schäbiger Lord!
AJAX. Köter! Schlägt ihn.
THERSITES. Mars' dummer Tölpel! – Nur zu, Grobian; nur zu, Kamel; immer zu! –
Achilles und Patroklus treten auf.
ACHILLES.
Was gibt es, Ajax? Warum tut Ihr das?
Was gibt's, Thersites? Wovon ist die Rede? –
THERSITES.
Ihr seht ihn da, nicht wahr?
ACHILLES.
Nun ja, was gibt's?[33]
THERSITES.
Nein, seht ihn an!
ACHILLES.
Das tu' ich ja; was ist denn?
THERSITES.
Nein, seht ihn Euch recht an!
ACHILLES.
Nun ja, das tu' ich.
THERSITES. Und doch seht Ihr ihn nicht recht an; denn wofür Ihr ihn immer halten mögt, er ist Ajax.
ACHILLES. Ich kenn' ihn ja, du Narr! –
THERSITES. Ja, aber der Narr kennt sich selbst nicht!
AJAX. Darum prügle ich dich.
THERSITES. O ho! O ho! Welche kleine Dosen Witz er von sich gibt! Seine Ausfälle haben Ohren so lang. Ich habe mehr sein Gehirn, als er meine Knochen zerschlagen. Neun Spatzen kann ich für einen Heller kaufen, und seine pia mater ist nicht so viel wert, als der neunte Teil eines Spatzen. Dieser Lord, Achilles – der Ajax, der seinen Verstand im Bauch trägt und seine Kaldaunen im Kopf, – ich will Euch sagen, was ich von ihm denke.
ACHILLES. Was?
THERSITES. Ich sage, dieser Ajax ...
Ajax will Thersites schlagen; Achilles tritt zwischen sie.
ACHILLES. Laßt doch, guter Ajax! –
THERSITES. ... hat nicht so viel Verstand –
ACHILLES. Nein, so muß ich Euch zurückhalten!
THERSITES. ... daß er das Öhr von Helenas Nadel füllen könnte, für die er zu fechten herkam.
ACHILLES. Halt Friede, Narr!
THERSITES. Ich hielt gern Friede und Ruhe, aber der Narr will nicht: seht nur, dieser da, der dort!
AJAX. Ei du schändlicher Hund, ich will ...
ACHILLES. Wollt Ihr Euern Witz gegen den eines Narren setzen?
THERSITES. Nein, gewiß nicht, denn des Narren Verstand würde ihn zu schanden machen.
PATROKLUS. Gib dich zur Ruhe, Thersites!
ACHILLES. Worüber zankt ihr?
AJAX. Ich hieß dem garstigen Schuhu, sich nach dem Inhalt des Aufrufs erkundigen, und da schimpft er auf mich los.[34]
THERSITES. Ich bin dein Diener nicht.
AJAX. Seht nur! Seht nur!
THERSITES. Ich diene hier freiwillig!
ACHILLES. Euer letztes Dienen war leidend, es war nicht freiwillig; niemand läßt sich freiwillig schlagen; Ajax war hier der Freiwillige, und Ihr wurdet zum Dienst gepreßt.
THERSITES. Meint Ihr! Euch steckt auch der Verstand größtenteils in den Sehnen, oder die Welt lügt. Hektor wird einen rechten Fang tun, wenn er einem von euch das Gehirn ausschlägt: eben so gut möchte er eine taube Nuß ohne Kern aufknacken.
ACHILLES. Fängst du auch mit mir an, Thersites?
THERSITES. Da sind Ulysses und der alte Nestor, dessen Witz schon schimmlicht war, ehe Euer Großvater Nägel auf den Zehen hatte, – die jochen euch wie ein Gespann Ochsen zusammen, daß ihr den Krieg umpflügen müßt.
ACHILLES. Was? Was?
THERSITES. Ja, meiner Treu! Hot, Achilles! Ho, Ajax! –
AJAX. Ich reiße dir die Zunge aus! –
THERSITES. Das macht nichts, ich werde hernach noch eben so beredt sein wie du.
PATROKLUS. Kein Wort mehr, Thersites; halt' Friede!
THERSITES. Ich muß Friede halten, wenn's Achills Troddel verlangt, nicht wahr? –
ACHILLES. Das war für dich, Patroklus!
THERSITES. Ich will euch gehängt sehn wie dumme Teufel, ehe ich je wieder in euer Zelt komme; ich werde mich zu Leuten halten, die ihre fünf Sinne haben, und die Zunft der Narren verlassen. Geht ab.
PATROKLUS. Glück auf den Weg!
ACHILLES.
Nun wißt: durchs ganze Lager ward verkündigt,
Daß Hektor morgen um die fünfte Stunde,
In Mitten unsrer Zelt' und Trojas Mauern,
Wird einen Ritter fodern zum Gefecht,
Der Lust hat, einen Gang zu tun; weshalb,
Das weiß ich nicht: 's ist Lumperei! – Lebt wohl!
AJAX.
Lebt wohl! Wer wird sich stellen?[35]
ACHILLES.
Ich weiß nicht: Lose soll'n entscheiden; sonst
Fänd' er wohl seinen Mann.
AJAX.
Aha! Euch selbst? – Da muß ich mehr von hören!
Sie gehn ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Troilus und Cressida
|
Buchempfehlung
Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.
62 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro