[241] Zimmer im Gefängnis.
Es treten auf der Herzog als Mönch gekleidet und der Schließer.
HERZOG.
Heil Euch, Freund Schließer! Denn das seid Ihr, denk' ich.
SCHLIESSER.
Der Schließer bin ich; was begehrt Ihr, Pater?[241]
HERZOG.
Nach Christenlieb' und meiner heil'gen Regel
Komm' ich mit Zuspruch zu den armen Seelen
In diesem Kerker. Laßt, so wie's der Brauch,
Sie dort mich sehn, und nennet mir den Grund
Von ihrer Haft, daß ich, wie sich's geziemt,
Mein Amt verwalten mag.
SCHLIESSER.
Gern tat' ich mehr, wenn Ihr noch mehr bedürft.
Julia kommt.
Blickt auf, dort kommt ein Fräulein, hier verhaftet,
Die durch den Sturm der eignen Jugend fiel
Und ihren Ruf befleckt. Sie trägt ein Kind,
Des Vater sterben muß: ein junger Mann,
Geeigneter, den Fehl zu wiederholen,
Als drum zu sterben.
HERZOG.
Wann soll er sterben?
SCHLIESSER.
Morgen, wie ich glaube.
Zu Julia.
Ich traf schon Anstalt; wartet noch ein wenig,
Dann führt man Euch von hier.
HERZOG.
Bereust du, Kind, was du gesündigt hast? –
JULIA.
Ich tu's, und trage meine Schmach geduldig.
HERZOG.
Ich lehr' Euch, wie Ihr Eu'r Gewissen prüft
Und Eure Reu' erforscht, ob sie aufrichtig,
Ob hohl im Innern.
JULIA.
Freudig will ich's lernen.
HERZOG.
Liebt Ihr den Mann, der Euch ins Unglück stürzte?
JULIA.
Ja, wie das Weib, das ihn ins Unglück stürzte.
HERZOG.
So seh' ich denn, daß beide ihr gesündigt
Im Einverständnis?
JULIA.
Ja, im Einverständnis.
HERZOG.
Dann ist Euer Unrecht schwerer noch als seins.
JULIA.
Ja, das bekenn' ich, Vater, und bereu' es.
HERZOG.
Recht, liebes Kind: nur darum nicht bereu' es,
Weil dich die Sünd' in diese Schmach geführt;
Solch Leid sieht auf sich selbst, nicht auf den Himmel,
Und zeigt, des Himmels denkt man nicht aus Liebe,
Nein, nur aus Furcht.
JULIA.
Ich fühle Reu', weil es ein Unrecht war,
Und trage gern die Schmach.[242]
HERZOG.
Beharrt dabei!
Eu'r Schuldgenoß muß morgen, hör' ich, sterben:
Ich geh' zu ihm und spend' ihm Trost und Rat. –
Gnade geleit' Euch! Benedicite! –
Geht ab.
JULIA.
Muß morgen sterben! O grausame Milde,
Die mir mein Leben schont, das immerdar
Nur Grau'n des Todes beut statt Trost!
SCHLIESSER.
's ist schad' um ihn! –
Gehn ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Maß für Maß
|
Buchempfehlung
1587 erscheint anonym im Verlag des Frankfurter Druckers Johann Spies die Geschichte von Johann Georg Faust, die die Hauptquelle der späteren Faustdichtung werden wird.
94 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro