Vierte Szene

[138] Wales. Vor Flint-Burg.


Truppen mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen. Bolingbroke, York, Northumberland und andre treten auf.


BOLINGBROKE.

Durch diese Kundschaft also lernen wir,

Die Wäl'schen sind zerstreut, und Salisbury

Ist hin zum König, der an dieser Küste

Mit wenigen Vertrauten jüngst gelandet.[138]

NORTHUMBERLAND.

Die Zeitung ist erwünscht und gut, mein Prinz:

Richard verbarg sein Haupt nicht weit von hier.

YORK.

Es ziemte wohl dem Lord Northumberland,

Zu sagen »König Richard«. – O der Zeiten,

Wo solch ein heil'ger Fürst sein Haupt muß bergen!

NORTHUMBERLAND.

Ihr mißversteht mich; nur um kurz zu sein,

Ließ ich den Titel aus.

YORK.

Es gab 'ne Zeit,

Wo er, wenn Ihr so kurz mit ihm verfuhrt,

So kurz mit Euch verfuhr, Euch abzukürzen

Um Euren Kopf, der so sich überhob.

BOLINGBROKE.

Mißnehmt nicht, Oheim, da, wo Ihr nicht solltet!

YORK.

Nehmt nicht, mein Vetter, da, wo Ihr nicht solltet,

Damit Ihr nicht mißnehmt: der Himmel waltet.

BOLINGBROKE.

Ich weiß es, Oheim, und ich setze mich

Nicht gegen seinen Willen. – Doch wer kommt da?


Percy tritt auf.


Willkommen, Heinrich! Wie, die Burg hält stand?

PERCY.

Die Burg ist königlich bemannt, mein Prinz,

Und wehrt den Eintritt.

BOLINGBROKE.

Königlich? Nun, sie faßt doch keinen König?

PERCY.

Ja, bester Herr,

Wohl faßt sie einen: König Richard liegt

In dem Bezirk von jenem Leim und Steinen,

Und bei ihm sind der Lord Aumerle, Lord Salisbury,

Sir Stephen Scroop; dann noch ein Geistlicher

Von würd'gem Ansehn; wer, das weiß ich nicht.

NORTHUMBERLAND.

Es ist vielleicht der Bischof von Carlisle.

BOLINGBROKE zu Northumberland.

Edler Herr,

Geht zu den Rippen jener alten Burg,

Aus der Trompete sendet Hauch des Friedens

In ihr zerfallnes Ohr und meldet so:

Heinrich Bolingbroke

Küßt König Richards Hand auf beiden Knie'n

Und sendet Lehenspflicht und echte Treu'[139]

Dem königlichen Herrn; hieher gekommen,

Zu seinen Füßen Wehr und Macht zu legen,

Vorausgesetzt, daß Widerruf des Banns

Und meine Güter mir bewilligt werden;

Wo nicht, so nütz' ich meine Übermacht

Und lösch' den Sommerstaub in Schauern Bluts

Aus Wunden der erschlagnen Engelländer.

Wie fern dies sei von Bolingbrokes Gemüt,

Daß solch ein Purpurwetter sollte tränken

Den grünen Schoß von König Richards Land,

Soll meine Ehrfurcht demutsvoll bezeugen.

Geht, deutet ihm das an, indes wir hier

Auf dieser Ebne Rasenteppich ziehn.


Northumberland nähert sich der Burg mit einem, Trompeter.


Laßt ohne droh'nder Trommeln Lärm uns ziehn,

Damit man auf der Burg verfallnen Zinnen

Den bill'gen Antrag wohl vernehmen möge!

Mich dünkt, ich und der König sollten uns

So schreckbar treffen wie die Elemente

Von Feu'r und Wasser, wenn ihr lauter Stoß

Des Himmels wolk'ge Wangen jäh zerreißt.

Sei er das Feu'r, ich das geschmeid'ge Wasser,

Sein sei die Wut, derweil ich meine Fluten

Zur Erde niederregne, nicht auf ihn.

Rückt vor und merkt auf König Richards Blick!


Aufforderung mit der Trompete, die von innen beantwortet wird.


Trompetenstoß. Auf den Mauern erscheinen König Richard, der Bischof von Carlisle, Aumerle, Scroop und Salisbury.


YORK.

Seht, seht den König Richard selbst erscheinen,

So wie die Sonn', errötend, mißvergnügt,

Aus feurigem Portal des Ostens tritt,

Wenn sie bemerkt, daß neid'sche Wolken streben,

Zu trüben ihren Glanz, den lichten Pfad

Zum Okzident hinüber zu beflecken.

Doch sieht er wie ein König; seht, sein Auge,

So leuchtend wie des Adlers, schießt hervor[140]

Gewalt'ge Majestät: ach, ach, der Pein,

Daß Harm verdunkeln soll so holden Schein!

KÖNIG RICHARD.

Wir sind erstaunt: so lange standen wir,

Die scheue Beugung Eures Knies erwartend,

Weil wir für dein rechtmäßig Haupt uns hielten;

Und sind wir das, wie dürfen deine Glieder

Der ehrerbiet'gen Pflicht vor uns vergessen?

Sind wir es nicht, so zeig' uns Gottes Hand,

Die uns entlassen der Verwalterschaft;

Wir wissen, keine Hand von Fleisch und Blut

Kann unsers Szepters heil'gen Griff erfassen,

Als durch Entweihung, Raub und Anmaßung.

Und denkt Ihr schon, daß alle, so wie Ihr,

Den Sinn verkehrt, da sie von mir ihn kehrten,

Und daß wir bloß sind und der Freunde ledig,

So wißt doch, der allmächt'ge Gott, mein Herr,

Hält in den Wolken Musterung von Scharen

Der Pestilenz, uns beizustehn; die werden

Noch ungeborne Kinder derer treffen,

Die an mein Haupt Vasallenhänd' erheben

Und meiner Krone kostbar'n Schmuck bedrohn.

Sagt Bolingbroke (dort ist er, wie mich dünkt),

Gefährlicher Verrat sei jeder Schritt,

Auf meinem Land getan; er kommt, zu öffnen

Des blut'gen Krieges purpurn Testament:

Doch eh' die Kron', um die er wirbt, in Frieden

Die Schläf' ihm deckt, da werden blut'ge Schläfen

Von zehentausend Muttersöhnen übel

Dem blüh'nden Antlitz Englands stehn, verwandeln

Die Farbe ihres Mädchen-blassen Friedens

In scharlachne Entrüstung und betaun

Der Auen Gras mit Englands echtem Blut.

NORTHUMBERLAND.

Des Himmels Herr verhüte, daß der König

So von unbürgerlichen Bürgerwaffen

Bestürmt soll sein! Dein dreifach edler Vetter,

Heinrich Bolingbroke, küßt deine Hand in Demut

Und schwöret bei dem ehrenwerten Grab,

Das die Gebeine deines königlichen[141]

Großvaters deckt, und bei dem Fürstenadel

Von Euer beider Blut, verwandten Strömen,

Aus einem höchst erlauchten Quell entsprungen,

Bei des mannhaften Gaunt begrabner Hand

Und seinem eignen Wert und seiner Ehre,

Was alle Schwür' und Reden in sich faßt:

Daß er hieher kam, hat kein weitres Ziel

Als seiner Ahnen Rechte, und zu bitten

Befreiung ohne Zögern auf den Knie'n.

Hast du die königlicherseits gewährt,

So will er seine schimmerreichen Waffen

Dem Roste, die mit Stahl belegten Rosse

Den Ställen übergeben, und sein Herz

Dem treuen Dienste Eurer Majestät.

Er schwört, so wahr er Prinz ist, dies sei billig,

Und ich, so wahr ich adlig, stimm' ihm bei.

KÖNIG RICHARD.

Northumberland, sag, also spricht der König:

Sein edler Vetter ist willkommen hier,

Und seiner bill'gen Foderungen Zahl

Soll ohne Widerspruch bewilligt werden.

Mit dem holdsel'gen Wesen, das du hast,

Bring' güt'ge Grüße an sein freundlich Ohr!


Zu Aumerle.


Wir setzen uns herab, Vetter, nicht wahr,

Daß wir so ärmlich sehn, so milde sprechen?

Soll ich Northumberland noch wieder rufen,

Trotz bieten dem Verräter und so sterben?

AUMERLE.

Nein, Herr! Laßt sanfte Wort' uns Waffen sein,

Bis Zeit uns Freunde, diese Schwerter leihn.

KÖNIG RICHARD.

O Gott! o Gott! Daß jemals diese Zunge,

Die der Verbannung furchtbar'n Spruch gelegt

Auf jenen stolzen Mann, ihn weg muß nehmen

Mit mildem Glimpf! Oh, wär' ich meinem Gram

Gewachsen, oder kleiner als mein Name!

Daß ich vergessen könnte, was ich war,

Oder nicht gedenken, was ich nun muß sein!

Schwillst, stolzes Herz? Zu schlagen steh' dir frei,

Weil Feinden frei steht, dich und mich zu schlagen.

AUMERLE.

Da kommt Northumberland vom Bolingbroke.[142]

KÖNIG RICHARD.

Was muß der König nun? Sich unterwerfen?

Der König wird es tun. Muß er entsetzt sein?

Der König gibt sich drein. Den Namen König

Einbüßen? Nun, er geh' in Gottes Namen! –

Ich gebe mein Geschmeid' um Betkorallen,

Den prächtigen Palast für eine Klause,

Die bunte Tracht für eines Bettlers Mantel,

Mein reich Geschirr für einen hölzern Becher,

Mein Szepter für 'nes Pilgers Wanderstab,

Mein Volk für ein paar ausgeschnitzte Heil'ge,

Mein weites Reich für eine kleine Gruft,

Ganz kleine, kleine, unbekannte Gruft;

Oder auf des Königs Heerweg scharrt mich ein,

Wo viel Verkehr ist, wo des Volkes Füße

Das Haupt des Fürsten stündlich treten können.

Sie treten ja mein Herz, jetzt, da ich lebe:

Warum nicht auch des schon Begrabnen Haupt?

Aumerle, du weinst, mein weichgeherzter Vetter! –

Laßt schlechtes Wetter mit verschmähten Tränen

Uns machen, sie und unsre Seufzer sollen

Zu Boden legen alles Sommerkorn

Und im empörten Lande Teu'rung schaffen.

Wie, oder sollen wir mit unserm Leid

Mutwillen treiben, eine art'ge Wette

Anstellen mit Vergießung unsrer Tränen?

Zum Beispiel so: auf einen Platz sie träufeln,

Bis sie ein Paar von Gräbern ausgehöhlt;

Zur Inschrift: »Vetter waren die Entseelten,

Die sich ihr Grab mit eignen Augen höhlten«?

Tät' nicht dies Übel gut? – Gut, ich seh' ein,

Ich rede töricht, und Ihr spottet mein. –

Erlauchter Prinz, Mylord Northumberland,

Vermeldet, was sagt König Bolingbroke?

Will Seine Majestät Erlaubnis geben,

Daß Richard lebe, bis sein Ende da?

Ihr scharrt den Fuß, und Bolingbroke sagt Ja.

NORTHUMBERLAND.

Herr, er erwartet Euch im niedern Hof;

Wär's Euch gefällig nicht, herabzukommen?[143]

KÖNIG RICHARD.

Herab, herab komm' ich, wie Phaeton,

Der Lenkung falscher Mähren nicht gewachsen.


Northumberland kehrt zum Bolingbroke zurück.


Im niedern Hof? Wo Kön'ge niedrig werden,

Verrätern horchen und sich hold gebärden.

Im niedern Hof? Herab, Hof! König, nieder!

Denn Eulen schrein statt froher Lerchen Lieder.


Alle von oben ab.


BOLINGBROKE.

Was sagte Seine Majestät?

NORTHUMBERLAND.

Das Herzeleid

Macht, daß er irre redet, wie Verrückte.

Jedoch ist er gekommen.


König Richard und seine Begleiter erscheinen unten.


BOLINGBROKE.

Steht beiseit,

Zeigt Eh rerbietung Seiner Majestät!


Knieend.


Mein gnäd'ger Herr, –

KÖNIG RICHARD.

Mein Vetter, Ihr entehrt Eu'r prinzlich Knie,

Da Ihr die Erde stolz macht, es zu küssen.

Ich möchte lieber Eure Lieb' empfinden,

Als unerfreut Eu'r höflich Werben sehn.

Auf, Vetter! auf! So hoch zum mind'sten steigt,


Indem er sein eignes Haupt berührt.


Weiß ich, Eu'r Herz, wie auch das Knie sich beugt.

BOLINGBROKE.

Mein gnäd'ger Herr, ich will nur, was mein eigen.

KÖNIG RICHARD.

Eu'r Eigentum ist Eu'r, und ich und alles.

BOLINGBROKE.

So weit seid mein, erhabner Fürst, als ich

Durch Dienste Eure Liebe kann verdienen.

KÖNIG RICHARD.

Ja wohl verdient Ihr – der verdient zu haben,

Der kühn und sicher zu erlangen weiß. –

Oheim, gebt mir die Hand! Nein, keine Zähren,

Die Liebe zeigen, aber Trost entbehren. –

Vetter, ich bin zu jung zu Eurem Vater,

Doch Ihr seid alt genug zu meinem Erben.[144]

Was Ihr verlangt, das geb' ich Euch, und willig;

Denn der Gewalt ergeben wir uns billig.

Nach London gehn wir: soll es nicht so sein?

BOLINGBROKE.

Ja, bester Herr.

KÖNIG RICHARD.

Ich darf nicht sagen, nein.


Trompetenstoß. Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 138-145.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard II.
King Richard II./ König Richard II. [Zweisprachig]
König Richard II.
King Richard II. König Richard II. Englisch-deutsche Studienausgabe.
King Richard II / König Richard II.: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung
König Richard II.

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon