Fünfte Szene

[145] Langley. Garten des Herzogs von York.


Die Königin und zwei Fräulein treten auf.


KÖNIGIN.

Welch Spiel ersinnen wir in diesem Garten,

Der Sorge trübes Sinnen zu verscheuchen?

ERSTES FRÄULEIN.

Wir wollen Kugeln rollen, gnäd'ge Frau.

KÖNIGIN.

Da werd' ich mir die Welt voll Anstoß denken,

Und daß mein Glück dem Hang entgegen rollt.

ERSTES FRÄULEIN.

Wir wollen tanzen, gnäd'ge Frau.

KÖNIGIN.

Mein Fuß kann nicht zur Lust ein Zeitmaß halten,

Indes mein Herz kein Maß im Grame hält.

Drum, Mädchen, keinen Tanz, ein ander Spiel!

ERSTES FRÄULEIN.

So wollen wir Geschichten Euch erzählen.

KÖNIGIN.

Von Freude oder Leid?

ERSTES FRÄULEIN.

Von beidem, gnäd'ge Frau.

KÖNIGIN.

Von keinem, Mädchen.

Denn wär's von Freude, welche ganz mir fehlt,

So würd' es mich noch mehr an Sorg' erinnern:

Und wär's von Kummer, welcher ganz mich drückt,

Würd' ich noch mehr der Freude Mangel fühlen.

Ich darf nicht wiederholen, was ich habe,

Es hilft nicht zu beklagen, was mir fehlt.

ERSTES FRÄULEIN.

So will ich singen.

KÖNIGIN.

Gut, wenn du es magst;

Doch du gefällst mir besser, wenn du weinst.

ERSTES FRÄULEIN.

Ich könnte weinen, wenn es Euch was hülfe.

KÖNIGIN.

Ich könnte weinen, wenn es mir was hülfe,

Und dürfte keine Träne von dir leihn.[145]

Doch still! Die Gärtner kommen dort:

Laßt uns in dieser Bäume Schatten treten!


Ein Gärtner kommt mit zwei Gesellen.


Mein Elend wett' ich um 'nen Nadelbrief,

Daß sie vom Staat sich unterhalten werden.

Vor einem Wechsel tut das jedermann,

Dem Unglück geht Bekümmernis voran.


Die Königin und ihre Fräulein treten zurück.

GÄRTNER.

Du, bind' hinauf die schwanken Aprikosen,

Die, eigenwill'gen Kindern gleich, den Vater

Mit ihrer üpp'gen Bürde niederdrücken;

Gib eine Stütze den gebognen Zweigen!

Geh du, und hau' als Diener des Gerichtes

Zu schnell gewachsner Sprossen Häupter ab,

Die allzu hoch stehn im gemeinen Wesen:

In unserm Staat muß alles eben sein. –

Nehmt ihr das vor, ich geh' und jät' indes

Das Unkraut aus, das den gesunden Blumen

Die Kraft des Bodens unnütz saugt hinweg.

ERSTER GESELLE.

Was sollen wir, im Umfang eines Zauns,

Gesetz und Form und recht Verständnis halten,

Als Vorbild zeigend unsern festen Staat?

Da unser Land, der See-umzäunte Garten,

Voll Unkraut ist; erstickt die schönsten Blumen,

Die Fruchtbäum' unbeschnitten, dürr die Hecken,

Verwühlt die Beet', und die gesunden Kräuter

Von Ungeziefer wimmelnd.

GÄRTNER.

Schweige still!

Der diesen ausgelaßnen Frühling litt,

Hat selbst nunmehr der Blätter Fall erlebt.

Die Ranken, die sein breites Laub beschirmte,

Die, an ihm zehrend, ihn zu stützen schienen,

Sind ausgerauft, vertilgt vom Bolingbroke;

Der Graf von Wiltshire, mein' ich, Bushy, Green.

ERSTER GESELLE.

Wie? Sind sie tot?

GÄRTNER.

Ja wohl, und Bolingbroke[146]

Hat unsers üpp'gen Königs sich bemeistert.

Oh, welch ein Jammer ist es, daß er nicht

Sein Land so eingerichtet und gepflegt,

Wie wir den Garten! – Um die Jahreszeit

Verwunden wir des Fruchtbaums Haut, die Rinde,

Daß er nicht überstolz vor Saft und Blut

Mit seinem eignen Reichtum sich verzehre.

Hätt' er erhöhten Großen das getan,

So konnten sie des Dienstes Frucht noch bringen,

Und er sie kosten. Überflüss'ge Äste

Haun wir hinweg, damit der Fruchtzweig lebe.

Tat er's, so konnt' er selbst die Krone tragen,

Die eitler Zeitvertreib nun ganz zerschlagen.

ERSTER GESELLE.

Wie? Denkt Ihr denn, der König werd' entsetzt?

GÄRTNER.

Besetzt hat man bereits ihn, und entsetzt

Wird er vermutlich. Briefe sind gekommen

Verwichne Nacht an einen nahen Freund

Des guten Herzogs York, voll schwarzer Zeitung.

KÖNIGIN.

Oh, ich ersticke, mach' ich mir nicht gleich

Mit Reden Luft! –


Sie kommt hervor.


Du, Adams Ebenbild,

Gesetzt zum Pfleger dieses Gartens, sprich:

Wie darf mir deine harte, rauhe Zunge

Die unwillkommne Neuigkeit verkünden?

Welch eine Schlang' und Eva lehrte dich

Den zweiten Fall des fluchbeladnen Menschen?

Was sagst du, König Richard sei entsetzt?

Darfst du, ein wenig beßres Ding als Erde,

Erraten seinen Sturz? Wo, wann und wie

Kam diese Nachricht dir? Elender, sprich!

GÄRTNER.

Verzeiht mir, gnäd'ge Frau: es freut mich wenig,

Zu melden dies: doch was ich sag', ist wahr.

Der König Richard ist in Bolingbrokes

Gewalt'ger Hand; gewogen wird ihr Glück:

In Eures Gatten Schal' ist nichts als er

Und Eitelkeiten, die ihn leichter machen;

Der große Bolingbroke, samt allen Pairs[147]

Von England, macht die andre Schale voll.

Und mit dem Vorteil wiegt er Richard auf.

Reist nur nach London und erfahrt: so sei's;

Ich sage nichts, was nicht ein jeder weiß.

KÖNIGIN.

Behendes Mißgeschick, so leicht von Füßen!

Geht deine Botschaft nicht mich an, und ich

Muß sie zuletzt erfahren? Oh, du willst

Zuletzt mir nahn, daß ich dein Leid am längsten

Im Busen trage. – Fräulein, kommt! Wir gehn,

Zu London Londons Fürst in Not zu sehn.

War ich dazu bestimmt, mit trüben Blicken

Des großen Bolingbroke Triumph zu schmücken?

Gärtner, weil du berichtet dieses Weh,

Gedeih' kein Baum dir, den du impfest, je!


Königin und die Fräulein ab.


GÄRTNER.

Ach, arme Fürstin! Geht's nur dir nicht schlimmer,

So treffe mein Gewerb' der Fluch nur immer!

Hier fielen Tränen; wo die hingetaut,

Da setz' ich Raute, bittres Weihekraut.

Reumütig wird die Raute bald erscheinen

Und Tränen einer Königin beweinen.


Ab.[148]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 145-149.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard II.
King Richard II./ König Richard II. [Zweisprachig]
König Richard II.
King Richard II. König Richard II. Englisch-deutsche Studienausgabe.
King Richard II / König Richard II.: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung
König Richard II.

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon