Erste Szene

[149] Westminster-Halle.


Die geistlichen Lords zur Rechten des Throns, die weltlichen Lords zur Linken, die Gemeinen unterhalb. Bolingbroke, Aumerle, Surrey, Northumberland, Percy, Fitzwater, ein andrer Lord, Bischof von Carlisle, Abt von Westminster und Gefolge. Im Hintergrunde Gerichtsbediente mit Bagot.


BOLINGBROKE.

Ruft Bagot vor! –

Nun, Bagot, rede frei heraus,

Was du vom Tod des edlen Gloster weißt:

Wer trieb den König an, und wer vollbrachte

Den blut'gen Dienst zu seinem frühen Ende?

BAGOT.

So stellt mir vors Gesicht den Lord Aumerle!

BOLINGBROKE.

Vetter, kommt vor und schaut auf diesen Mann!

BAGOT.

Mylord Aumerle, ich weiß, Eu'r kühner Mund

Verschmäht zu leugnen, was er einst erklärt.

Zur stillen Zeit, da Glosters Tod im Werk war,

Hört' ich Euch sagen: »Ist mein Arm nicht lang,

Der bis Calais zu meines Oheims Haupt

Von Englands sorgenfreiem Hofe reicht?«

Zur selben Zeit, nebst vielen andern Reden,

Hört' ich Euch sagen, daß Ihr nicht dafür

An hunderttausend Kronen nehmen wolltet,

Daß Bolingbroke nach England wiederkäme.

Auch rühmtet Ihr, wie glücklich für dies Land

Sein würde dieses Eures Vetters Tod.

AUMERLE.

Prinzen und edle Herrn,

Wie soll ich diesem schlechten Mann erwidern?

Soll ich so sehr entehren mein Gestirn,

Auf gleichen Fuß ihm Züchtigung zu geben?[149]

Ich muß entweder, oder meine Ehre

Bleibt mir befleckt vom Leumund seiner Lippen. –

Da liegt mein Pfand, des Todes Handpetschier,

Das dich der Hölle weiht; ich sag', du lügst,

Und will bewähren, was du sagst, sei falsch,

In deinem Herzblut, ist es schon zu schlecht,

Der ritterlichen Klinge Stahl zu trüben.

BOLINGBROKE.

Bagot, halt' ein, du sollst das Pfand nicht nehmen!

AUMERLE.

Auf einen nach, wollt' ich, der wär' der beste

In diesem Kreise, der mich so gereizt.

FITZWATER.

Wenn du bestehst auf Ebenbürtigkeit,

Da liegt mein Pfand, Aumerle, zum Pfand für deins.

Beim Sonnenlicht, das deine Stirn bescheint!

Ich hört' dich sagen, und du sprachst es rühmend,

Du hab'st des edlen Glosters Tod bewirkt.

Wenn du es leugnest, lügst du zwanzigmal,

Und deine Falschheit kehr' ich in dein Herz,

Das sie ersann, mit meines Degens Spitze

AUMERLE.

Du wagst den Tag nicht zu erleben, zage!

FITZWATER.

Bei Gott, ich wollt', es wär' noch diese Stunde.

AUMERLE.

Fitzwater, dies verdammt zur Hölle dich.

PERCY.

Du lügst, Aumerle: so rein ist seine Ehre

In dieser Klage, wie du schuldig bist;

Und daß du's bist, werf' ich mein Pfand hier hin

Und will's bis zu des Lebens letztem Hauch

An dir beweisen; nimm es, wenn du darfst!

AUMERLE.

Und tu' ich's nicht, so faule meine Hand

Und schwinge nie den rächerischen Stahl

Auf meines Feindes hellgeschliffnen Helm!

EIN LORD.

Zu gleichem Werk biet' ich den Boden auf,

Meineidiger Aumerle, und sporne dich

Mit so viel Lügen, als man nur von Sonne

Zu Sonn' in das verräterische Ohr

Dir donnern kann; hier ist mein Ehrenpfand,

Bewahr' es auf den Zweikampf, wenn du darfst!

AUMERLE.

Wer fodert noch? Beim Himmel, allen trotz' ich![150]

In einem Busen hab' ich tausend Geister,

Um zwanzigtausenden, wie euch, zu stehn.

SURREY.

Mylord Fitzwater, wohl erinnr' ich mich

Derselben Zeit, da mit Aumerle Ihr spracht.

FITZWATER.

Ganz recht, Ihr waret damals gegenwärtig,

Und Ihr könnt mit mir zeugen, dies sei wahr.

SURREY.

So falsch, bei Gott, als Gott die Wahrheit ist!

FITZWATER.

Surrey, du lügst!

SURREY.

Du ehrvergeßner Knabe!

Schwer soll die Lüg' auf meinem Schwerte liegen,

Daß es vergelte, räche, bis du selbst,

Der Lügenstrafer, samt der Lüge, still

Im Boden liegst, wie deines Vaters Schädel.

Des zum Beweis ist hier mein Ehrenpfand,

Bewahr' es auf den Zweikampf, wenn du darfst!

FITZWATER.

Wie töricht spornst du doch ein rasches Pferd!

Darf ich nur essen, trinken, atmen, leben,

So darf ich Surrey in der Wüste treffen

Und auf ihn spei'n, indem ich sag', er lügt

Und lügt und lügt: hier ist mein Band der Treu',

An meine mächt'ge Strafe dich zu fesseln. –

So geh' mir's wohl in dieser neuen Welt,

Aumerle ist meiner wahren Klage schuldig.

Auch hört' ich den verbannten Norfolk sagen,

Daß du, Aumerle, zwei deiner Leute sandtest,

Den edlen Herzog zu Calais zu morden.

AUMERLE.

Vertrau' ein wackrer Christ mir doch ein Pfand,

Daß Norfolk lügt: hier werf' ich nieder dies,

Wenn er heimkehren darf zur Ehrenprobe.

BOLINGBROKE.

All diese Zwiste bleiben unterm Pfand,

Bis Norfolk heimberufen; denn das wird er,

Und wieder eingesetzt, wiewohl mein Feind,

In seine Leh'n und Herrlichkeiten; ist er da,

So geh' sein Zweikampf vor sich mit Aumerle.

CARLISLE.

Nie werden wir den Tag der Ehre sehn.

Gar manches Mal focht der verbannte Norfolk

Für Jesus Christus, im glorreichen Feld

Des Kreuzes christliches Panier entrollend[151]

Auf schwarze Heiden, Türken, Sarazenen.

Und matt von Kriegeswerken zog er sich

Zurück nach Welschland: gab da zu Venedig

Des schönen Landes Boden seinen Leib,

Die reine Seele seinem Hauptmann Christus,

Des Fahnen er so lang' im Kampf gefolgt.

BOLINGBROKE.

Wie, Bischof? Ist Norfolk tot?

CARLISLE.

So wahr ich lebe, Herr!

BOLINGBROKE.

Geleite süßer Friede seine Seele

Zum Schoß des guten alten Abraham!

Ihr Herren Kläger, eure Zwiste sollen

All' unterm Pfande bleiben, bis wir euch

Auf euren Tag des Zweikampfs herbescheiden.


York tritt auf mit Gefolge.


YORK.

Ich komme, großer Lancaster, zu dir

Vom schmuckberaubten Richard, der dich willig

Zum Erben nimmt und gibt das hohe Szepter

In deiner königlichen Hand Besitz.

Besteig' den Thron, der dir gebührt nach ihm:

Lang' lebe Heinrich, vierter dieses Namens!

BOLINGBROKE.

In Gottes Namen, ich besteig' den Thron.

CARLISLE.

Ei, das verhüte Gott!

Schlecht red' ich vor so hoher Gegenwart,

Doch ziemt es mir am besten, wahr zu reden.

O wollte Gott, in diesem edlen Kreis

Wär' einer edel g'nug, gerecht zu richten

Den edlen Richard: echter Adel würde

Von solchem Frevel ihn Enthaltung lehren.

Kann je ein Untertan den König richten?

Und wer ist hier nicht Richards Untertan?

Selbst Diebe richtet man abwesend nicht,

Sieht man gleich offenbare Schuld an ihnen;

Und soll das Bild von Gottes Majestät,

Sein Hauptmann, Stellvertreter, Abgesandter,

Gesalbt, gekrönt, gepflanzt seit so viel Jahren,

Durch Untertanen-Wort gerichtet werden,

Und er nicht gegenwärtig? Oh, verhüt' es Gott,[152]

Daß feine Seelen in der Christenheit

So schwarze, schnöde Tat verüben sollten!

Ich red', ein Untertan, zu Untertanen,

Vom Himmel kühn erweckt für meinen König.

Der Herr von Hereford, den ihr König nennt,

Verrät des stolzen Herefords König schändlich,

Und krönt ihr ihn, so laßt mich prophezein: –

Das Blut der Bürger wird den Boden düngen,

Und ferne Zukunft stöhnen um den Greu'l.

Der Friede wird bei Türk' und Heiden schlummern,

Und hier im Sitz des Friedens wilder Krieg

Mit Blute Blut und Stamm mit Stamm verwirren.

Zerrüttung, Grausen, Furcht und Meuterei

Wird wohnen hier, und heißen wird dies Land

Das Feld von Golgatha und Schädelstätte.

Oh, wenn ihr Haus so gegen Haus erhebt,

Es wird die kläglichste Entzweiung sein,

Die je auf die verfluchte Erde fiel:

Verhütet, hemmt sie, laßt es nicht so sein,

Daß Kind und Kindeskind Weh über euch nicht schrein!

NORTHUMBERLAND.

Ihr rechtet bündig, Herr, und für die Müh'

Verhaften wir Euch hier um Hochverrat. –

Herr Abt von Westminster, sorgt Ihr dafür,

Ihn zum Gerichtstag sicher zu verwahren! –

Gewährt ihr, Lords, der Bürgerschaft Gesuch?

BOLINGBROKE.

Holt Richard her, daß er vor aller Augen

Sein Reich abtrete; so verfahren wir

Frei von Verdacht.

YORK.

Ich will sein Führer sein.


Ab.


BOLINGBROKE.

Ihr Lords, die wir in unsre Haft genommen,

Stellt eure Bürgschaft auf den Tag des Urteils!


Zu Carlisle.


Gar wenig sind wir Eurer Liebe schuldig,

Und wenig Gut's versahn wir uns zu Euch.


York kommt zurück mit König Richard und Beamten, welche die Reichskleinodien tragen.


KÖNIG RICHARD.

Ach, warum ruft man mich vor einen König,

Eh' ich des Fürstensinns mich abgetan,[153]

Womit ich herrschte? Kaum hab' ich gelernt

Zu schmeicheln, mich zu schmiegen, Knie zu beugen;

Laßt Leid noch eine Weile mich erziehn

Zur Unterwerfung! Dieser Männer Züge

Sind wohl im Sinne mir: waren sie nicht mein?

Und riefen sie nicht manchmal »Heil!« mir zu?

Das tat auch Judas Christo: aber der

Fand in der Zahl von zwölfen alle treu,

Auf einen nach; ich von zwölftausend keinen.

Gott schütz' den König! – Sagt hier niemand Amen?

Bin ich so Pfaff' als Küster? Gut denn, Amen!

Gott schütz' den König! wenn ich's gleich nicht bin;

Und Amen! doch, bin ich's nach Gottes Sinn. –

Zu welchem Dienste bin ich hergeholt?

YORK.

Zu einer Handlung eignen freien Willens,

So müde Majestät dich hieß erbieten:

Die Übergebung deiner Kron' und Macht

An Heinrich Bolingbroke.

KÖNIG RICHARD.

Gebt mir die Krone: – Vetter, faßt die Krone;

Legt Eure Hand dort an, ich meine hier.

Nun ist die goldne Kron' ein tiefer Brunn

Mit zweien Eimern, die einander füllen;

Der leere immer tanzend in der Luft,

Der andre unten, ungesehn, voll Wasser;

Der Eimer unten, tränenvoll, bin ich;

Mein Leiden trink' ich und erhöhe dich.

BOLINGBROKE.

Ich glaubt', Ihr wär't gewillt, Euch zu entkleiden?

KÖNIG RICHARD.

Der Krone, ja; doch mein sind meine Leiden.

Nehmt meine Herrlichkeit und Würde hin,

Die Leiden nicht, wovon ich König bin!

BOLINGBROKE.

Ihr gebt mir mit der Kron' ein Teil der Sorgen.

KÖNIG RICHARD.

Durch Eure Sorg' ist meine nicht geborgen.

Die mein' ist, daß mir alte Sorg' entrinnt;

Die Eure, daß Ihr neue nun gewinnt.

Die Sorge, die ich gebe, hab' ich noch:

Sie folgt der Kron' und bleibet bei mir doch.[154]

BOLINGBROKE.

Seid Ihr gewillt, die Krone abzutreten?

KÖNIG RICHARD.

Ja, nein; – nein, ja; mein Will' ist nicht mehr mein,

So gilt mein Nein ja nicht, Ja muß es sein.

Merkt auf, wie ich mich nun vernichten will!

Die schwere Last geb' ich von meinem Haupt,

Das unbeholfne Szepter aus der Hand,

Den Stolz der Herrschaft aus dem Herzen weg.

Mit eignen Tränen wasch' ich ab den Balsam,

Mit eignen Händen geb' ich weg die Krone,

Mit eignem Mund leugn' ich mein heil'ges Recht,

Mit eignem Odem lös' ich Pflicht und Eid.

Abschwör' ich alle Pracht und Majestät,

Ich gebe Güter, Zins und Renten auf,

Verordnungen und Schlüssen sag' ich ab.

Verzeih' Gott jeden Schwur, den man mir bricht!

Bewahr' Gott jeden Eid, den man dir spricht!

Mich, der nichts hat, mach' er um nichts betrübt;

Dich freue alles, dem er alles gibt!

Lang' lebe du, auf Richards Sitz zu thronen;

Und bald mag Richard in der Grube wohnen!

Sott schütze König Heinrich! – also spricht

Entfürstet Richard –, geb' ihm Heil und Licht! –

Was ist noch übrig?

NORTHUMBERLAND überreicht ihm ein Papier.

Nichts, als daß Ihr hier

Die Anklagspunkte lest und die Verbrechen,

Die Ihr durch Eure Diener oder in Person

Begangen wider dieses Landes Wohl;

Daß, wenn Ihr sie bekennt, der Menschen Seelen

Ermessen, Ihr seid würdiglich entsetzt.

KÖNIG RICHARD.

Muß ich das tun? entstricken das Gewebe

Verworrner Torheit? Lieber Northumberland,

Wenn deine Fehler aufgezeichnet ständen,

Würd' es dich nicht beschämen, so vor Leuten

Die Vorlesung zu halten? Wolltest du's,

Da fänd'st du einen häßlichen Artikel,

Enthaltend eines Königs Absetzung[155]

Und Bruch der mächtigen Gewähr des Eides,

Schwarz angemerkt, verdammt im Buch des Himmels.

Ihr alle, die ihr steht und auf mich schaut,

Weil mich mein Elend hetzt, wiewohl zum Teil

Ihr wie Pilatus eure Hände wascht

Und äußres Mitleid zeigt: doch, ihr Pilate,

Habt ihr mich überliefert meinem Kreuz,

Und Wasser wäscht die Sünde nicht von euch.

NORTHUMBERLAND.

Herr, macht ein Ende, leset die Artikel!

KÖNIG RICHARD.

Ich kann nicht sehn, die Augen sind voll Tränen:

Doch blendet salzes Wasser sie nicht so,

Daß sie nicht hier'ne Schar Verräter säh'n.

Ja, wend' ich meine Augen auf mich selbst,

So find' ich mich Verräter wie die andern.

Denn meine Seele hat hier eingewilligt,

Den Schmuck von eines Königs Leib zu streifen,

Zur Schmach die Glorie, stolze Majestät

Zum Knecht zu machen und den Staat zum Bauern.

NORTHUMBERLAND.

Herr, –

KÖNIG RICHARD.

Nein, nicht dein Herr, du Stolzer, der mich höhnt,

Noch jemands Herr; ich habe keinen Namen

Noch Titel, ja bis auf den Namen selbst,

Der an dem Taufstein mir gegeben ward,

Der recht mir zukäm'; oh, der schlimmen Zeit,

Daß ich so viele Winter durchgelebt

Und nun nicht weiß, wie ich mich nennen soll!

Wär' ich ein Possenkönig doch aus Schnee

Und stünde vor der Sonne Bolingbrokes,

Um mich in Wassertropfen wegzuschmelzen!

Du guter König! hoher König! – doch

Nicht höchlich gut, – gilt noch mein Wort in England,

So schaff' es gleich mir einen Spiegel her,

Daß er mir zeige, welch Gesicht ich habe,

Seit es der Majestät verlustig ist.

BOLINGBROKE.

Geh' wer von euch und hole einen Spiegel!


Einer aus dem Gefolge ab.[156]


NORTHUMBERLAND.

Lest dies Papier, derweil der Spiegel kömmt!

KÖNIG RICHARD.

Du plagst mich, böser Feind, noch vor der Hölle.

BOLINGBROKE.

Drängt ihn nicht weiter, Lord Northumberland!

NORTHUMBERLAND.

Die Bürgerschaft wird nicht befriedigt sonst.

KÖNIG RICHARD.

Sie soll befriedigt werden: lesen will ich

Genug, wenn ich das rechte Buch erst sehe,

Wo meine Sünden stehn, und das – bin ich.


Der Bediente kommt zurück mit einem Spiegel.


Gib mir den Spiegel, darin will ich lesen. –

Noch keine tiefern Runzeln? Hat der Gram

So manchen Streich auf mein Gesicht geführt

Und tiefer nicht verwundet? Schmeichelnd Glas,

Wie die Genossen meines günst'gen Glücks

Betörst du mich! – War dieses das Gesicht,

Das täglich unter seines Hauses Dach

Zehntausend Menschen hielt? Dies das Gesicht,

Das, wie die Sonn', Anschauer blinzen machte?

Dies das Gesicht, das so viel Torheit sah,

Bis endlich Bolingbroke es übersehn?

Hinfäll'ger Glanz erleuchtet dies Gesicht,

Hinfällig wie der Glanz ist das Gesicht, –


Er schmeißt den Spiegel gegen den Boden.


Da liegt's, zerschmettert in viel hundert Scherben!

Merk', schweigender Monarch, des Spieles Lehre,

Wie bald mein Kummer mein Gesicht zerstört!

BOLINGBROKE.

Zerstört hat Eures Kummers Schatten nur

Den Schatten des Gesichts.

KÖNIG RICHARD.

Sag das noch 'mal!

Der Schatten meines Kummers? Ha! laß sehn:

Es ist sehr wahr, mein Gram wohnt innen ganz,

Und diese äußern Weisen der Betrübnis

Sind Schatten bloß vom ungeseh'nen Gram,[157]

Der schweigend in gequälter Seele schwillt.

Da liegt sein Wesen; und ich dank' dir, König,

Für deine große Güte, die nicht bloß

Mir Grund zum Klagen gibt, nein, auch mich lehrt,

Wie diesen Grund bejammern. Eins nur bitt' ich,

Dann will ich gehn und Euch nicht weiter stören.

Soll ich's erlangen?

BOLINGBROKE.

Nennt es, wackrer Vetter!

KÖNIG RICHARD.

Wackrer Vetter? Ja, ich bin mehr als König,

Denn als ich König war, hatt' ich zu Schmeichlern

Nur Untertanen; jetzt, ein Untertan,

Hab' ich zum Schmeichler einen König hier.

Da ich so groß bin, brauch' ich nicht zu bitten.

BOLINGBROKE.

So fodert doch!

KÖNIG RICHARD.

Soll ich es haben?

BOLINGBROKE.

Ja.

KÖNIG RICHARD.

Erlaubt mir denn zu gehn!

BOLINGBROKE.

Wohin?

KÖNIG RICHARD.

Gleichviel wohin, muß ich nur Euch nicht sehn.

BOLINGBROKE.

Gehn eurer ein'ge, nehmt ihn mit zum Turm!

KÖNIG RICHARD.

Mitnehmen? Gut! Mitnehmer seid ihr alle,

Die ihr so steigt bei eines Königs Falle.


König Richard, einige Lords und Wache ab.

BOLINGBROKE.

Auf nächsten Mittwoch setzen wir die Feier

Der Krönung an: ihr Lords, bereitet euch!


Alle ab, außer der Abt, der Bischof von Carlisle und Aumerle.


ABT.

Ein kläglich Schauspiel haben wir gesehn.

CARLISLE.

Die Klage kommt erst: die noch Ungebornen

Wird dieser Tag einst stechen, scharf wie Dornen.

AUMERLE.

Ehrwürd'ge Herren, wißt ihr keinen Plan,

Wie diese Schmach des Reichs wird abgetan?

ABT.

Eh' ich hierüber rede frei heraus,

Sollt ihr das Sakrament darauf empfangen,

Nicht nur geheim zu halten meine Absicht,

Auch zu vollführen, was ich ausgedacht.[158]

Ich seh' voll Mißvergnügen eure Stirn,

Eu'r Herz voll Gram, eu'r Auge voller Tränen:

Kommt mit zur Abendmahlzeit, und ich sage

Euch einen Plan, der schafft uns frohe Tage.


Ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 149-159.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard II.
King Richard II./ König Richard II. [Zweisprachig]
König Richard II.
King Richard II. König Richard II. Englisch-deutsche Studienausgabe.
King Richard II / König Richard II.: Englisch-deutsche Studienausgabe (Engl. / Dt.) Englischer Originaltext und deutsche Prosaübersetzung
König Richard II.

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon