[159] London. Eine Straße, die zum Turm führt.
Die Königin und ihre Fräulein treten auf.
KÖNIGIN.
Hier kommt der König her: dies ist der Weg
Zu Julius Cäsars mißerbautem Turm,
In dessen Kieselbusen mein Gemahl
Gekerkert wird vom stolzen Bolingbroke.
Hier laßt uns ruhn, wenn dies empörte Land
Ruh' hat für seines echten Königs Weib.
König Richard tritt auf mit der Wache.
Doch still, doch seht, – nein, lieber sehet nicht
Verwelken meine Rose; doch schaut auf!
Seht hin, daß ihr vor Mitleid schmelzt in Tau,
Und frisch ihn wieder wascht mit Liebestränen!
Ah du, das Denkmal, wo einst Troja stand!
Der Ehre Muster! König Richards Grab!
Nicht König Richard! Schönster Gasthof du,
Warum beherbergst du den finstern Gram,
Indes Triumph zum Bierhaus-Gast geworden?
KÖNIG RICHARD.
Vereine nicht mit Gram dich, holdes Weib,
Zu meinem schnellen Ende: tu' es nicht!
Lern', gute Seele, unsern vor'gen Stand
Wie einen frohen Traum dir vorzustellen.
Davon erwacht, sehn wir, der Wahrheit nach,
Das, was wir sind: ich bin geschworner Bruder
Der grimmen Not, Geliebte; sie und ich
Sind bis zum Tod verbündet. Eil' nach Frankreich,
Und da verschließ' dich in ein geistlich Haus:
Denn Heiligkeit gewinnt die Kron' im Himmel,
Die hier zerschlagen eitles Weltgetümmel.[159]
KÖNIGIN.
Wie, ist mein Richard an Gestalt und Sinn
Verwandelt und geschwächt? Hat Bolingbroke
Dir den Verstand entsetzt? ist dir ins Herz gedrungen?
Der Löwe streckt die Klaue sterbend aus,
Zerreißt noch, wenn sonst nichts, die Erd' aus Wut,
Daß er besiegt ist: und du willst, wie Kinder,
Die Strafe mild empfahn, die Rute küssen
Und kriechen vor der Wut mit schnöder Demut,
Da du ein Löwe bist, der Tiere Fürst?
KÖNIG RICHARD.
Der Tiere Fürst, ja! Wären sie was Bessers,
So wär' ich noch ein froher Fürst der Menschen.
Doch gute weiland Königin, bereite
Nach Frankreich dich zu gehn: denk', ich sei tot,
Und daß du, wie an meinem Todbett, hier
Mein scheidend letztes Lebewohl empfängst.
In langen Winternächten sitz' am Feuer
Bei guten alten Leuten, laß sie dir
Betrübte Fäll' aus ferner Vorzeit sagen,
Und eh' du gute Nacht sagst, zur Erwid'rung
Erzähl' du meinen klagenswerten Fall
Und schick' die Hörer weinend in ihr Bett:
Ja, die fühllosen Brände werden stimmen
Zum dumpfen Tone der betrübten Zunge;
Sie weinen mitleidsvoll das Feuer aus
Und trauren, teils in Asche, teils kohlschwarz,
Um die Entsetzung eines echten Königs.
Northumberland und andere kommen.
NORTHUMBERLAND.
Herr, Bolingbroke hat seinen Sinn geändert,
Ihr müßt nach Pomfret nun, nicht in den Turm. –
Für Euch ist auch Befehl da, gnäd'ge Frau:
Ihr müßt in aller Eil' nach Frankreich fort.
KÖNIG RICHARD.
Northumberland, du Leiter, mittelst deren
Der kühne Bolingbroke den Thron besteigt,
Die Zeit wird nicht viel Stunden älter sein,
Als sie nun ist, eh' arge Sünde, reifend,
Ausbrechen wird in Fäulnis; du wirst denken,[160]
Wenn er das Reich auch teilt und halb dir gibt,
Zu wenig sei's, da du ihm alles schafftest;
Und er wird denken, du, der Mittel weiß,
Ein unrechtmäßig Königtum zu stiften,
Du werdest, leicht gereizt, auch Mittel wissen,
Wie man ihn stürzt vom angemaßten Thron.
Die Liebe böser Freunde wird zur Furcht,
Die Furcht zum Haß, und einem oder beiden
Bringt Haß Gefahren und verdienten Tod.
NORTHUMBERLAND.
Die Schuld auf meinen Kopf, und damit aus!
Nehmt Abschied, trennt euch, denn das müßt ihr gleich.
KÖNIG RICHARD.
Doppelt geschieden? – Frevler, ihr verletzt
Zwiefachen Eh'stand: zwischen meiner Krone
Und mir, und zwischen mir und meinem Weib. –
Laß mich den Eid entküssen zwischen uns:
Doch nein, es hat ein Kuß ihn ja bekräftigt. –
Trenn' uns, Northumberland: ich hin zum Norden,
Wo kalter Schau'r und Siechtum drückt die Luft;
Mein Weib nach Frankreich, von woher in Pomp
Sie ankam, wie der holde Mai geschmückt,
Gleich einem Wintertag nun heimgeschickt.
KÖNIGIN.
So scheiden müssen wir? uns ewig missen?
KÖNIG RICHARD.
Ja, Hand von Hand und Herz von Herz gerissen.
KÖNIGIN.
Verbannt uns beid' und schickt mit mir den König!
NORTHUMBERLAND.
Das wäre Liebe, doch von Klugheit wenig.
KÖNIGIN.
Wohin er geht, erlaubt denn, daß ich geh'!
KÖNIG RICHARD.
So zwei zusammen weinend, sind ein Weh.
Beweine dort mich, hier sei du beweint;
Besser weit weg, als nah, doch nie vereint.
Zähl' deinen Weg mit Seufzern, ich mit Stöhnen.
KÖNIGIN.
So wird der längre Weg das Weh mehr dehnen.
KÖNIG RICHARD.
Bei jedem Tritt will ich denn zweimal stöhnen,
Den kurzen Weg verlängre trübes Sehnen.
Komm, laß nur rasch uns werben um das Leid;
Vermählt mit uns, bleibt es uns lange Zeit.[161]
Ein Kuß verschließe unsrer Lippen Schmerz:
So nehm' ich dein's und gebe so mein Herz.
Er küßt sie.
KÖNIGIN küßt ihn wieder.
Gib meins zurück: es wär' ein arger Scherz,
Bewahrt' ich erst und tötete dein Herz.
Nun geh! Da du mir meins zurückgegeben,
Will ich mit Stöhnen es zu brechen streben.
KÖNIG RICHARD.
Dies Zögern macht das Weh nur ausgelassen.
Leb wohl! Das andre mag dein Kummer fassen.
Alle ab.[162]
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard II.
|
Buchempfehlung
Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.
52 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro