[160] Juliens Kammer. Julia auf dem Bette.
Die Wärterin kommt.
WÄRTERIN.
Fräulein! Nun, Fräulein! – Julia! – Nun, das schläft! –
He, Lamm! He, Fräulein! – Pfui, Langschläferin! –
Mein Schätzchen, sag' ich! Süßes Herz! Mein Bräutchen! –
Was? nicht ein Laut? – Ihr nehmt Eu'r Teil voraus,
Schlaft für 'ne Woche, denn ich steh' dafür,
Auf nächste Nacht hat seine Ruh' Graf Paris
Daran gesetzt, daß Ihr nicht ruhen sollt. –
Behüt' der Herr sie! Wie gesund sie schläft!
Ich muß sie aber wecken. – Fräulein! Fräulein!
Laßt Euch den Grafen nur im Bett ertappen,
Der wird Euch schon ermuntern: meint Ihr nicht? –
Was? schon in vollen Kleidern? und so wieder
Sich hingelegt? Ich muß durchaus Euch wecken.
He, Fräulein! Fräulein! Fräulein! –
Daß Gott! daß Gott! Zu Hülfe! sie ist tot!
Ach, liebe Zeit! mußt' ich den Jammer sehn! –
Holt Spiritus! He, gnäd'ger Herr! Frau Gräfin!
Gräfin Capulet kommt.
GRÄFIN CAPULET.
Was ist das für ein Lärm?
WÄRTERIN.
O Unglückstag!
GRÄFIN CAPULET.
Was gibt's?
WÄRTERIN.
Seht, seht nur! O betrübter Tag!
GRÄFIN CAPULET.
O weh! o weh! Mein Kind! mein einzig Leben!
Erwach'! Leb' auf! Ich sterbe sonst mit dir.
O Hülfe! Hülfe! Ruft doch Hülfe!
Capulet kommt.
CAPULET.
Schämt Euch! Bringt Julien her! Der Graf ist da.
WÄRTERIN.
Ach, sie ist tot! verblichen! tot! O Wehe!
GRÄFIN CAPULET.
O Wehe! Wehe! Sie ist tot, tot, tot!
CAPULET.
Laßt mich sie sehn! – Gott helf' uns! Sie ist kalt,
Ihr Blut steht still, die Glieder sind ihr starr;[160]
Von diesen Lippen schied das Leben längst,
Der Tod liegt auf ihr, wie ein Maienfrost
Auf des Gefildes schönster Blume liegt.
Fluch dieser Stund'! Ich armer, alter Mann!
WÄRTERIN.
O Unglückstag!
GRÄFIN CAPULET.
O jammervolle Stunde!
CAPULET.
Der Tod, der mir sie nahm, mir Klagen auszupressen,
Er bindet meine Zung' und macht sie stumm.
Bruder Lorenzo, Graf Paris und Musikanten treten auf.
LORENZO.
Kommt! Ist die Braut bereit, zur Kirch' zu gehn?
CAPULET.
Bereit zu gehn, um nie zurück zu kehren.
O Sohn! die Nacht vor deiner Hochzeit buhlte
Der Tod mit deiner Braut. Sieh, wie sie liegt,
Die Blume, die in seinem Arm verblühte.
Mein Eidam ist der Tod, der Tod mein Erbe;
Er freite meine Tochter. Ich will sterben,
Ihm alles lassen: wer das Leben läßt,
Verläßt dem Tode alles.
PARIS.
Hab' ich nach dieses Morgens Licht geschmachtet,
Und bietet es mir solchen Anblick dar?
GRÄFIN CAPULET.
Unseliger, verhaßter, schwarzer Tag!
Der Stunden jammervollste, so die Zeit
Seit ihrer langen Pilgerschaft gesehn!
Nur eins, ein einzig armes, liebes Kind,
Ein Wesen nur, mich dran zu freun, zu laben;
Und grausam riß es mir der Tod hinweg!
WÄRTERIN.
O Weh! O Jammer – Jammer – Jammertag!
Höchst unglücksel'ger Tag! betrübter Tag!
(Wie ich noch nimmer, nimmer einen sah!
O Tag! O Tag! O Tag! Verhaßter Tag!)
Solch schwarzen Tag wie diesen gab es nie:
O Jammertag! o Jammertag!
PARIS.
Berückt! geschieden! schwer gekränkt! erschlagen!
Fluchwürd'ger, arger Tod, durch dich berückt!
Durch dich so grausam, grausam hingestürzt!
O Lieb'! o I eben! Nein, nur Lieb' im Tode![161]
CAPULET.
Verhöhnt! bedrängt! gehaßt! zermalmt! getötet! –
Trostlose Zeit! weswegen kamst du jetzt,
Zu morden, morden unser Freudenfest? –
O Kind! Kind! – meine Seel' und nicht mein Kind! –
Tot bist du? – Wehe mir! mein Kind ist tot,
Und mit dem Kinde starben meine Freuden!
LORENZO.
Still! Hegt doch Scham! Solch Stürmen stillet nicht
Des Leidens Sturm. Ihr teiltet mit dem Himmel
Dies schöne Mädchen, nun hat er sie ganz,
Und um so besser ist es für das Mädchen.
Ihr konntet euer Teil nicht vor dem Tod
Bewahren; seins bewahrt im ew'gen Leben
Der Himmel. Sie erhöhn, war euer Ziel;
Eu'r Himmel war's, wenn sie erhoben würde:
Und weint ihr nun, erhoben sie zu sehn
Hoch über Wolken, wie der Himmel hoch?
Oh, wie verkehrt doch euer Lieben ist!
Verzweifelt ihr, weil ihr sie glücklich wißt?
Die lang' vermählt lebt, ist nicht wohl vermählet;
Wohl ist vermählt, die früh der Himmel wählet.
Hemmt eure Tränen, streuet Rosmarin
Auf diese schöne Leich', und, nach der Sitte,
Tragt sie zur Kirch' in ihrem besten Staat:
Denn heischt gleich die Natur ein schmerzlich Sehnen,
So lacht doch die Vernunft bei ihren Tränen.
CAPULET.
Was wir nur irgend festlich angestellt,
Kehrt sich von seinem Dienst zu schwarzer Trauer:
Das Spiel der Saiten wird zum Grabgeläut',
Die Hochzeitlust zum ernsten Leichenmahl,
Aus Feierliedern werden Totenmessen,
(Der Brautkranz dient zum Schmucke für die Bahre,)
Und alles wandelt sich ins Gegenteil.
LORENZO.
Verlaßt sie, Herr; geht mit ihm, gnäd'ge Frau;
Auch Ihr, Graf Paris: macht euch alle fertig,
Der schönen Leiche hin zur Gruft zu folgen!
Der Himmel zürnt mit euch um sünd'ge Tat;
Reizt ihn nicht mehr, gehorcht dem hohen Rat!
Capulet; Gräfin Capulet, Paris und Lorenzo ab.[162]
ERSTER MUSIKANT. Mein' Seel'! wir können unsre Pfeifen auch nur einstecken und uns packen.
WÄRTERIN.
Ihr guten Leute, ja, steckt ein! steckt ein!
Die Sachen hier sehn gar erbärmlich aus.
Ab.
ZWEITER MUSIKANT zeigt auf sein Instrument. Ja, meiner Treu, die Sachen hier könnten wohl besser aussehen, aber sie klingen doch gut.
PETER. O Musikanten! Musikanten! Spielt: »Frisch auf, mein Herz! frisch auf, mein Herz, und singe!« O spielt, wenn euch mein Leben lieb ist, spielt: »Frisch auf, mein Herz!«
ERSTER MUSIKANT. Warum: »Frisch auf, mein Herz?«
PETER. O Musikanten, weil mein Herz selber spielt: »Mein Herz voll Angst und Nöten.« O spielt mir eine lustige Litanei, um mich aufzurichten!
ZWEITER MUSIKANT. Nichts da von Litanei! Es ist jetzt nicht Spielens Zeit.
PETER. Ihr wollt es also nicht?
MUSIKANTEN. Nein.
PETER. Nun, so will ich es euch schon eintränken.
ERSTER MUSIKANT. Was wollt Ihr uns eintränken?
PETER. Keinen Wein, wahrhaftig; ich will euch eure Instrumente um den Kopf schlagen. Ich will euch befa-sol-laen. Das notiert euch!
ERSTER MUSIKANT. Wenn Ihr uns befa-sol-laet, so notiert Ihr uns.
PETER. Hört, spannt mir einmal eure Schafsköpfe, wie die Schafsdärme an euren Geigen. Antwortet verständlich:
»Wenn in der Leiden hartem Drang
Das bange Herze will erliegen,
Musik mit ihrem Silberklang« –
Warum »Silberklang«? Warum »Musik mit ihrem Silberklang«? Was sagt Ihr, Hans Kolophonium?
ERSTER MUSIKANT. Ei nun, Musje, weil Silber einen feinen Klang hat.
PETER. Recht artig! Was sagt Ihr, Michel Hackebrett?
ZWEITER MUSIKANT. Ich sage »Silberklang«, weil Musik nur für Silber klingt.
PETER. Auch recht artig! Was sagt Ihr, Jakob Gellohr?[163]
DRITTER MUSIKANT. Mein' Seel', ich weiß nicht, was ich sagen soll.
PETER. Oh, ich bitte Euch um Vergebung! Ihr seid der Sänger, Ihr singt nur; so will ich es denn für Euch sagen. Es heißt »Musik mit ihrem Silberklang«, weil solche Kerle, wie ihr, kein Gold fürs Spielen kriegen.
»Musik mit ihrem Silberklang
Weiß hülfreich ihnen obzusiegen.«
Geht singend ab.
ERSTER MUSIKANT. Was für ein Schalksnarr ist der Kerl!
ZWEITER MUSIKANT. Hol' ihn der Henker! Kommt, wir wollen hier hineingehn auf die Trauerleute warten, und sehen, ob es nichts zu essen gibt.
Alle ab.[164]
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