[374] Ein Saal im Schlosse.
Hamlet und Horatio treten auf.
HAMLET.
Hievon genug; nun komm' ich auf das andre.
Erinnert Ihr Euch jedes Umstands noch?
HORATIO.
Erinnern, gnäd'ger Herr?
HAMLET.
In meiner Brust war eine Art von Kampf,
Der mich nicht schlafen ließ; mich dünkt', ich läge
Noch schlimmer als im Stock die Meuter. Rasch –
Und Dank dem raschen Mute! – Laßt uns einsehn,
Daß Unbesonnenheit uns manchmal dient,
Wenn tiefe Plane scheitern; und das lehr' uns,
Daß eine Gottheit unsre Zwecke formt,
Wie wir sie auch entwerfen.
HORATIO.
Sehr gewiß.[374]
HAMLET.
Aus meinem Schlafgemach,
Den Schiffermantel um mich her geworfen,
Tappt' ich herum nach ihnen, fand sie glücklich,
Griff ihr Paket, und zog mich schließlich wieder
Zurück in die Kajüte; meine Furcht
Vergaß die Höflichkeit, und dreist erbrach
Ich ihren höchsten Auftrag. Hier, Horatio,
Fand ich ein königliches Bubenstück:
Ein streng Geheiß, gespickt mit vielen Gründen,
Betreffend Dänmarks Heil und Englands auch,
Und, heida! solch ein Spuk, wenn ich entkäme –
Daß gleich auf Sicht, ohn' alle Zögerung,
Auch nicht so lang', um nur das Beil zu schärfen,
Das Haupt mir abgeschlagen werden sollte.
HORATIO.
Ist's möglich?
HAMLET.
Hier ist der Auftrag: lies ihn nur bei Muße!
Doch willst du hören, wie ich nun verfuhr?
HORATIO.
Ja, ich ersuch' Euch drum.
HAMLET.
So rings umstrickt mit Bübereien, fing,
Eh' ich noch den Prolog dazu gehalten,
Mein Kopf das Spiel schon an. Ich setzte mich,
Sann einen Auftrag aus, schrieb ihn ins Reine.
Ich hielt es einst, wie unsre großen Herrn,
Für niedrig, schön zu schreiben, und bemühte
Mich sehr, es zu verlernen; aber jetzt
Tat es mir Ritterdienste. Willst du wissen,
Was meine Schrift enthielt?
HORATIO.
Ja, bester Herr.
HAMLET.
Die ernstlichste Beschwörung von dem König,
Wofern ihm England treu die Lehnspflicht hielte,
Wofern ihr Bund blühn sollte wie die Palme,
Wofern der Fried' in seinem Ährenkranz
Stets beider Freundschaft bindend sollte stehn,
Und manchem wichtigen »Wofern« der Art –
Wann er den Inhalt dieser Schrift ersehn,
Möcht' er ohn' alles fernere Bedenken
Die Überbringer schnell zum Tode fördern,
Selbst ohne Frist zum Beichten.[375]
HORATIO.
Wie wurde dies versiegelt?
HAMLET.
Auch darin war des Himmels Vorsicht wach.
Ich hatt' im Beutel meines Vaters Petschaft,
Das dieses dän'schen Siegels Muster war.
Ich faltete den Brief dem andern gleich,
Dann unterschrieb ich, drückte drauf das Siegel,
Legt' ihn ab seinen Ort; der Wechselbalg
Ward nicht erkannt. Am nächsten Tage nun
War unser Seegefecht, und was dem folgte,
Das weißt du schon.
HORATIO.
Und Güldenstern und Rosenkranz gehn drauf.
HAMLET.
Ei, Freund, sie buhlten ja um dies Geschäft;
Sie rühren mein Gewissen nicht: ihr Fall
Entspringt aus ihrer eignen Einmischung.
's ist mißlich, wenn die schlechtere Natur
Sich zwischen die entbrannten Degenspitzen
Von mächt'gen Gegnern stellt.
HORATIO.
Was für ein König!
HAMLET.
Was dünkt dir, liegt's mir jetzo nah genug?
Der meinen König totschlug, meine Mutter
Zur Hure machte; zwischen die Erwählung
Und meine Hoffnungen sich eingedrängt;
Die Angel warf nach meinem eignen Leben
Mit solcher Hinterlist: ist's nicht vollkommen billig,
Mit diesem Arme dem den Lohn zu geben?
Und ist es nicht Verdammnis, diesen Krebs
An unserm Fleisch noch länger nagen lassen?
HORATIO.
Ihm muß von England bald gemeldet werden,
Wie dort der Ausgang des Geschäftes ist.
HAMLET.
Bald wird's geschehn: die Zwischenzeit ist mein;
Ein Menschenleben ist, als zählt man eins.
Doch ich bin sehr bekümmert, Freund Horatio,
Daß mit Laertes ich mich selbst vergaß:
Denn in dem Bilde seiner Sache seh' ich
Der meinen Gegenstück. Ich schätz' ihn gern:
Doch wirklich, seines Schmerzes Prahlerei
Empörte mich zu wilder Leidenschaft.[376]
HORATIO.
Still doch! wer kommt?
Osrick kommt.
OSRICK. Willkommen Eurer Hoheit hier in Dänmark!
HAMLET. Ich dank' Euch ergebenst, Herr. – Kennst du diese Mücke?
HORATIO. Nein, bester Herr.
HAMLET. Um so besser ist für dein Heil gesorgt, denn es ist ein Laster, ihn zu kennen. Er besitzt viel und fruchtbares Land: wenn ein Tier Fürst der Tiere ist, so wird seine Krippe neben des Königs Gedeck stehn. Er ist eine Elster, aber, wie ich dir sage, mit weitläuftigen Besitzungen von Kot gesegnet.
OSRICK. Geliebtester Prinz, wenn Eure Hoheit Muße hätte, so wünschte ich Euch etwas von seiner Majestät mitzuteilen.
HAMLET. Ich will es mit aller Aufmerksamkeit empfangen, Herr. Eure Mütze an ihre Stelle: sie ist für den Kopf.
OSRICK. Ich danke Eurer Hoheit, es ist sehr heiß.
HAMLET. Nein, auf mein Wort, es ist sehr kalt; der Wind ist nördlich.
OSRICK. Es ist ziemlich kalt, in der Tat, mein Prinz.
HAMLET. Aber doch, dünkt mich, ist es ungemein schwül und heiß, oder mein Temperament –
OSRICK. Außerordentlich, gnädiger Herr, es ist sehr schwül – auf gewisse Weise – ich kann nicht sagen wie. Gnädiger Herr, Seine Majestät befahl mir, Euch wissen zu lassen, daß er eine große Wette auf Euren Kopf angestellt hat. Die Sache ist folgende, Herr: –
HAMLET. Ich bitte Euch, vergeßt nicht!
Hamlet nötigt ihn, den Hut aufzusetzen.
OSRICK. Erlaubt mir, wertester Prinz, zu meiner eignen Bequemlichkeit. Vor kurzem, Herr, ist Laertes hier an den Hof gekommen: auf meine Ehre, ein vollkommner Kavalier, von den vortrefflichsten Auszeichnungen, von einer sehr gefälligen Unterhaltung und glänzendem Äußern. In der Tat, um mit Sinn von ihm zu sprechen, er ist die Musterkarte[377] der feinen Lebensart, denn Ihr werdet in ihm den Inbegriff aller Gaben finden, die ein Kavalier nur wünschen kann zu sehn.
HAMLET. Seine Erörterung, Herr, leidet keinen Verlust in Eurem Munde, ob ich gleich weiß, daß es die Rechenkunst des Gedächtnisses irre machen würde, ein vollständiges Verzeichnis seiner Eigenschaften aufzustellen. Und doch würde es nur aus dem Groben sein, in Rücksicht seines behenden Fluges. Aber im heiligsten Ernste der Lobpreisung, ich halte ihn für einen Geist von großem Umfange, und seine innere Begabung so köstlich und selten, daß, um uns wahrhaft über ihn auszudrücken, nur sein Spiegel seinesgleichen ist, und wer sonst seiner Spur nachgehn will, sein Schatten, nichts weiter.
OSRICK. Eure Hoheit spricht ganz untrüglich von ihm.
HAMLET. Der Betreff, Herr? Warum lassen wir den rauhen Atem unsrer Rede über diesen Kavalier gehen?
OSRICK. Prinz?
HAMLET. Was bedeutet die Nennung dieses Kavaliers?
OSRICK. Des Laertes?
HORATIO. Sein Beutel ist schon leer; alle seine goldnen Worte sind ausgegeben.
HAMLET. Ja, des nämlichen.
OSRICK. Ich weiß, Ihr seid nicht ununterrichtet –
HAMLET. Ich wollte, Ihr wüßtet es, Herr, ob es mich gleich, bei meiner Ehre! noch nicht sehr empfehlen würde. – Nun wohl, Herr?
OSRICK. Ihr seid nicht ununterrichtet, welche Vollkommenheit Laertes besitzt –
HAMLET. Ich darf mich dessen nicht rühmen, um mich nicht mit ihm an Vollkommenheit zu vergleichen: einen andern Mann aus dem Grunde kennen, hieße sich selbst kennen.
OSRICK. Ich meine, Herr, was die Führung der Waffen betrifft; nach der Beimessung, die man ihm erteilt, ist er darin ohnegleichen.
HAMLET. Was ist seine Waffe?
OSRICK. Degen und Stoßklinge.
HAMLET. Das wäre denn zweierlei Waffen; doch weiter![378]
OSRICK. Der König, Herr, hat mit ihm sechs Barberhengste gewettet; wogegen er, wie ich höre, sechs französische Degen samt Zubehör, als Gürtel, Gehenke und so weiter, verpfändet hat. Drei von den Gestellen sind in der Tat dem Auge sehr gefällig, den Gefäßen sehr angemessen, unendlich zierliche Gestelle, und von sehr geschmackvoller Erfindung.
HAMLET. Was nennt Ihr die Gestelle?
HORATIO. Ich wußte, Ihr würdet Euch noch an seinen Randglossen erbauen müssen, ehe das Gespräch zu Ende wäre.
OSRICK. Die Gestelle sind die Gehenke.
HAMLET. Der Ausdruck würde schicklicher für die Sache sein, wenn wir eine Kanone an der Seite führen könnten; bis dahin laßt es immer Gehenke bleiben. Aber weiter: sechs Barberhengste gegen sechs französische Degen, ihr Zubehör, und drei geschmackvoll erfundne Gestelle: das ist eine französische Wette gegen eine dänische. Weswegen haben sie dies verpfändet, wie Ihr's nennt?
OSRICK. Der König, Herr, hat gewettet, daß Laertes in zwölf Stößen von beiden Seiten nicht über drei vor Euch voraushaben soll; er hat auf zwölf gegen neun gewettet; und es würde sogleich zum Versuch kommen, wenn Eure Hoheit zu der Erwiderung geneigt wäre.
HAMLET. Wenn ich nun erwidre: nein?
OSRICK. Ich meine, gnädiger Herr, die Stellung Eurer Person zu dem Versuche.
HAMLET. Ich will hier im Saale auf und ab gehn; wenn es Seiner Majestät gefällt, es ist jetzt bei mir die Stunde, frische Luft zu schöpfen. Laßt die Rapiere bringen; hat Laertes Lust, und bleibt der König bei seinem Vorsatze, so will ich für ihn gewinnen, wenn ich kann; wo nicht, so werde ich nichts als die Schande und die überzähligen Stöße davontragen.
OSRICK. Soll ich Eure Meinung so erklären?
HAMLET. In diesem Sinne, Herr, mit Ausschmückungen nach Eurem Geschmack.
OSRICK. Ich empfehle Eurer Hoheit meine Ergebenheit. Ab.
HAMLET. Der Eurige. Er tut wohl daran, sie selbst zu empfehlen: es möchte ihm sonst kein Mund zu Gebote stehn.[379]
HORATIO. Dieser Kiebitz ist mit der halben Eierschale auf dem Kopfe aus dem Nest gelaufen.
HAMLET. Er machte Umstände mit seiner Mutter Brust, eh' er daran sog. Auf diese Art hat er, und viele andre von demselben Schlage, in die das schale Zeitalter verliebt ist, nur den Ton der Mode und den äußerlichen Schein der Unterhaltung erhascht: eine Art von aufbrausender Mischung, die sie durch die blödesten und gesichtetsten Urteile mitten hindurch führt; aber man treibe sie nur zu näherer Prüfung, und die Blasen platzen.
Ein Edelmann kommt.
EDELMANN. Gnädiger Herr, Seine Majestät hat sich Euch durch den jungen Osrick empfehlen lassen, der ihm meldet, daß Ihr ihn im Saale erwarten wollt. Er schickt mich, um zu fragen: ob Eure Lust, mit Laertes zu fechten, fortdauert oder ob Ihr längern Aufschub dazu verlangt.
HAMLET. Ich bleibe meinen Vorsätzen treu, sie richten sich nach des Königs Wunsche. Wenn es ihm gelegen ist, bin ich bereit, jetzt oder zu jeder an dern Zeit; vorausgesetzt, daß ich so gut imstande bin wie jetzt.
EDELMANN. Der König, die Königin und alle sind auf dem Wege hieher.
HAMLET. In Gottes Namen.
EDELMANN. Die Königin wünscht, Ihr möchtet den Laertes freundschaftlich anreden, ehe Ihr anfangt zu fechten.
HAMLET. Ihr Rat ist gut.
Der Edelmann ab.
HORATIO. Ihr werdet diese Wette verlieren, mein Prinz.
HAMLET. Ich denke nicht: seit er nach Frankreich ging, bin ich in beständiger Übung geblieben; ich werde bei der ungleichen Wette gewinnen. Aber du kannst dir nicht vorstellen, wie übel es mir hier ums Herz ist. Doch es tut nichts.
HORATIO. Nein, bester Herr –
HAMLET. Es ist nur Torheit; aber es ist eine Art von schlimmer Ahndung, die vielleicht ein Weib ängstigen würde.[380]
HORATIO. Wenn Eurem Gemüt irgend etwas widersteht, so gehorcht ihm: ich will ihrer Hieherkunft zuvorkommen, und sagen, daß Ihr nicht aufgelegt seid.
HAMLET. Nicht im geringsten. Ich trotze allen Vorbedeutungen: es waltet eine besondere Vorsehung über den Fall eines Sperlings. Geschieht es jetzt, so geschieht es nicht in Zukunft; geschieht es nicht in Zukunft, so geschieht es jetzt; geschieht es jetzt nicht, so geschieht es doch einmal in Zukunft. In Bereitschaft sein ist alles. Da kein Mensch weiß, was er verläßt, was kommt darauf an, frühzeitig zu verlassen? Mag's sein!
Der König, die Königin, Laertes, Herren vom Hofe, Osrick und andres Gefolge mit Rapieren u.s.w.
KÖNIG. Kommt, Hamlet, kommt! nehmt diese Hand von mir!
Der König legt die Hand des Laertes in die des Hamlet.
HAMLET.
Gewährt Verzeihung, Herr; ich tat Euch Unrecht,
Allein verzeiht um Eurer Ehre willen!
Der Kreis hier weiß, Ihr hörtet's auch gewiß,
Wie ich mit schwerem Trübsinn bin geplagt.
Was ich getan,
Das die Natur in Euch, die Ehr' und Sitte,
Hart aufgeregt, erklär' ich hier für Wahnsinn.
War's Hamlet, der Laertes kränkte? Nein.
Wenn Hamlet von sich selbst geschieden ist,
Und, weil er nicht er selbst, Laertes kränkt,
Dann tut es Hamlet nicht, Hamlet verleugnet's.
Wer tut es denn? Sein Wahnsinn. Ist es so,
So ist er ja auf der gekränkten Seite:
Sein Wahnsinn ist des armen Hamlets Feind.
Vor diesen Zeugen, Herr,
Laßt mein Verleugnen aller schlimmen Absicht
So weit vor Eurer Großmut frei mich sprechen,
Als ich den Pfeil nur sandte übers Haus
Und meinen Bruder traf.
LAERTES.
Mir ist genug geschehn für die Natur,
Die mich in diesem Fall am stärksten sollte[381]
Zur Rache treiben. Doch nach Ehrenrechten
Halt' ich mich fern und weiß nichts von Versöhnung,
Bis ältre Meister von geprüfter Ehre
Zum Frieden ihren Rat und Spruch verleihn,
Für meines Namens Rettung: bis dahin
Empfang' ich Eure dargebotne Liebe
Als Lieb', und will ihr nicht zu nahe tun.
HAMLET.
Gern tret' ich bei, und will mit Zuversicht
Um diese brüderliche Wette fechten.
Gebt uns Rapiere, kommt!
LAERTES.
Kommt, einen mir!
KÖNIG.
Gebt ihnen die Rapiere, junger Osrick!
Ihr wißt doch, Vetter Hamlet, unsre Wette?
HAMLET.
Vollkommen: Eure Hoheit hat den Ausschlag
Des Preises auf die schwächre Hand gelegt.
KÖNIG.
Ich fürcht' es nicht, ich sah euch beide sonst;
Er lernte zu, drum gibt man uns voraus.
LAERTES.
Der ist zu schwer, laßt einen andern sehn!
HAMLET.
Der steht mir an: sind alle gleicher Länge?
Sie bereiten sich zum Fechten.
OSRICK.
Ja, bester Herr.
KÖNIG.
Setzt mir die Flasche Wein auf diesen Tisch!
Wenn Hamlet trifft zum ersten oder zweiten,
Wenn er beim dritten Tausch den Stoß erwidert,
Laßt das Geschütz von allen Zinnen feuern:
Der König trinkt auf Hamlets Wohlsein dann,
Und eine Perle wirft er in den Kelch,
Mehr wert, als die vier Kön'ge nacheinander
In Dänmarks Krone trugen. Gebt die Kelche:
Laßt die Trompete zu der Pauke sprechen,
Die Pauke zu dem Kanonier hinaus,
Zum Himmel das Geschütz, den Himmel zur Erde:
»Jetzt trinkt der König Hamlet zu.« – Fangt an,
Und ihr, die Richter, habt ein wachsam Aug'!
HAMLET.
Kommt, Herr!
LAERTES.
Wohlan, mein Prinz!
Sie fechten.[382]
HAMLET.
Eins!
LAERTES.
Nein!
HAMLET.
Richterspruch!
OSRICK.
Getroffen, offenbar getroffen!
LAERTES.
Gut, noch einmal!
KÖNIG.
Halt! Wein her! – Hamlet, diese Perl' ist dein,
Hier auf dein Wohl! Gebt ihm den Kelch!
Trompetenstoß und Kanonenschüsse hinter der Szene.
HAMLET.
Ich fecht' erst diesen Gang, setzt ihn beiseit'!
Kommt!
Sie fechten.
Wiederum getroffen; was sagt Ihr?
LAERTES.
Berührt! berührt! Ich geb' es zu.
KÖNIG.
Unser Sohn gewinnt.
KÖNIGIN.
Er ist fett und kurz von Atem.
Hier, Hamlet, nimm mein Tuch, reib' dir die Stirn!
Die Königin trinkt auf dein Glück, mein Hamlet.
HAMLET.
Gnädige Mutter –
KÖNIG.
Gertrud, trink' nicht!
KÖNIGIN.
Ich will es, mein Gemahl; ich bitt', erlaubt mir!
KÖNIG beiseit.
Es ist der gift'ge Kelch; es ist zu spät.
HAMLET.
Ich darf jetzt noch nicht trinken, gnäd'ge Frau:
Sogleich.
KÖNIGIN.
Komm, laß mich dein Gesicht abtrocknen!
LAERTES.
Mein Fürst, jetzt treff' ich ihn.
KÖNIG.
Ich glaub' es nicht.
LAERTES beiseit.
Und doch, beinah' ist's gegen mein Gewissen.
HAMLET.
Laertes, kommt zum dritten nun: Ihr tändelt.
Ich bitt' Euch, stoßt mit Eurer ganzen Kraft;
Ich fürchte, daß Ihr mich zum besten habt.
LAERTES.
Meint Ihr? Wohlan!
Sie fechten.
OSRICK.
Auf beiden Seiten nichts.
LAERTES.
Jetzt seht Euch vor!
Laertes verwundet den Hamlet; drauf wechseln sie in der Hitze des Gefechts die Rapiere, und Hamlet verwundet den Laertes.[383]
KÖNIG.
Trennt sie, sie sind erhitzt!
HAMLET.
Nein, noch einmal!
Die Königin sinkt um.
OSRICK.
Seht nach der Königin!
HORATIO.
Sie bluten beiderseits. – Wie steht's, mein Prinz?
OSRICK.
Wie steht's, Laertes?
LAERTES.
Gefangen in der eignen Schlinge, Osrick!
Mich fällt gerechterweise mein Verrat.
HAMLET.
Was ist der Königin?
KÖNIG.
Sie fällt in Ohnmacht, weil sie bluten sieht.
KÖNIGIN.
Nein, nein! der Trank, der Trank! – O lieber Hamlet!
Der Trank, der Trank! – Ich bin vergiftet.
Sie stirbt.
HAMLET.
O Büberei! – Ha! laßt die Türen schließen!
Verrat! Sucht, wo er steckt!
Laertes fällt.
LAERTES.
Hier, Hamlet: Hamlet, du bist umgebracht.
Kein Mittel in der Welt errettet dich,
In dir ist keine halbe Stunde Leben.
Des Frevels Werkzeug ist in deiner Hand,
Unabgestumpft, vergiftet; meine Arglist
Hat sich auf mich gewendet: sieh! hier lieg' ich,
Nie wieder aufzustehn – vergiftet deine Mutter –
Ich kann nicht mehr – des Königs Schuld, des Königs!
HAMLET.
Die Spitze auch vergiftet?
So tu' denn, Gift, dein Werk!
Er ersticht den König.
OSRICK UND HERREN VOM HOFE.
Verrat! Verrat!
KÖNIG.
Noch helft mir, Freunde! Ich bin nur verwundet.
HAMLET.
Hier, mörd'rischer, blutschänd'rischer, verruchte Däne!
Trink diesen Trank aus! – Ist die Perle hier?
Folg' meiner Mutter!
Der König stirbt.
LAERTES.
Ihm geschieht sein Recht:
Es ist ein Gift, von seiner Hand gemischt.
Laß uns Vergebung wechseln, edler Hamlet!
Mein Tod und meines Vaters komm' nicht über dich,
Noch deiner über mich!
Er stirbt.
HAMLET.
Der Himmel mache[384]
Dich frei davon! Ich folge dir. – Horatio,
Ich sterbe. – Arme Königin, fahr' wohl!
Ihr, die erblaßt und bebt bei diesem Fall,
Und seid nur stumme Hörer dieser Handlung,
Hätt' ich nur Zeit, – der grause Scherge Tod
Verhaftet schleunig, – oh, ich könnt' euch sagen!
Doch sei es drum! – Horatio, ich bin hin;
Du lebst: erkläre mich und meine Sache
Den Unbefriedigten!
HORATIO.
Nein, glaub' das nicht:
Ich bin ein alter Römer, nicht ein Däne:
Hier ist noch Trank zurück.
HAMLET.
Wo du ein Mann bist,
Gib mir den Kelch! Beim Himmel, laß! ich will ihn!
O Gott! – Welch ein verletzter Name, Freund,
Bleibt alles so verhüllt, wird nach mir leben!
Wenn du mich je in deinem Herzen trugst,
Verbanne noch dich von der Seligkeit,
Und atm' in dieser herben Welt mit Müh',
Um mein Geschick zu melden! –
Marsch in der Ferne. Schüsse hinter der Szene.
Welch kriegerischer Lärm?
OSRICK.
Der junge Fortinbras, der siegreich eben
Zurück von Polen kehrt, gibt den Gesandten
Von England diesen kriegerischen Gruß.
HAMLET.
Oh, ich sterbe, Horatio!
Das starke Gift bewältigt meinen Geist;
Ich kann von England nicht die Zeitung hören,
Doch prophezei' ich, die Erwählung fällt
Auf Fortinbras: er hat mein sterbend Wort;
Das sagt ihm, samt den Fügungen des Zufalls,
Die es dahin gebracht. – Der Rest ist Schweigen.
Er stirbt.
HORATIO.
Da bricht ein edles Herz. – Gute Nacht, mein Fürst!
Und Engelscharen singen dich zur Ruh'! –
Weswegen naht die Trommel?
Marsch hinter der Szene. Fortinbras, die englischen Gesandten und andre kommen.[385]
FORTINBRAS.
Wo ist dies Schauspiel?
HORATIO.
Was ist's, das Ihr zu sehn begehrt? Wenn irgend
Weh und Wunder, laßt vom Suchen ab!
FORTINBRAS.
Die Niederlage hier schreit Mord! – O stolzer Tod,
Welch Fest geht vor in deiner ew'gen Zelle,
Daß du auf einen Schlag so viele Fürsten
So blutig trafst?
ERSTER GESANDTER.
Der Anblick ist entsetzlich,
Und das Geschäft von England kommt zu spät.
Taub sind die Ohren, die Gehör uns sollten
Verleihen, sein Befehl sei ausgeführt,
Und Rosenkranz und Güldenstern sei'n tot.
Wo wird uns Dank zu teil?
HORATIO.
Aus seinem Munde nicht,
Hätt' er dazu die Lebensregung auch.
Er gab zu ihrem Tode nie Befehl.
Doch weil so schnell nach diesem blut'gen Schlage
Ihr von dem Zug nach Polen, ihr aus England
Hiehergekommen seid, so ordnet an,
Daß diese Leichen hoch auf einer Bühne
Vor aller Augen werden ausgestellt,
Und laßt der Welt, die noch nicht weiß, mich sagen,
Wie alles dies geschah: so sollt ihr hören
Von Taten, fleischlich, blutig, unnatürlich,
Zufälligen Gerichten, blindem Mord;
Von Toden, durch Gewalt und List bewirkt,
Und Planen, die verfehlt zurückgefallen
Auf der Erfinder Haupt: dies alles kann ich
Mit Wahrheit melden.
FORTINBRAS.
Eilen wir zu hören,
Und ruft die Edelsten zu der Versammlung!
Was mich betrifft, mein Glück umfang' ich traurend:
Ich habe alte Recht' an dieses Reich,
Die anzusprechen mich mein Vorteil heißt.
HORATIO.
Auch hievon werd' ich Grund zu reden haben,
Und zwar aus dessen Mund, des Stimme mehre
Wird nach sich ziehen; aber laßt uns dies
Sogleich verrichten, weil noch die Gemüter[386]
Der Menschen wild sind, daß kein Unheil mehr
Aus Ränken und Verwirrung mög' entstehn.
FORTINBRAS.
Laßt vier Hauptleute Hamlet auf die Bühne
Gleich einem Krieger tragen: denn er hätte,
Wär' er hinaufgelangt, unfehlbar sich
Höchst königlich bewährt; und bei dem Zug
Laßt Feldmusik und alle Kriegsgebräuche
Laut für ihn sprechen!
Nehmt auf die Leichen! Solch ein Blick wie der
Ziemt wohl dem Feld, doch hier entstellt er sehr.
Geht, heißt die Truppen feuern!
Ein Totenmarsch.
Sie gehen ab, indem sie die Leichen wegtragen; hierauf wird eine Artilleriesalve abgefeuert.[388]
Ausgewählte Ausgaben von
Hamlet. Prinz von Dänemark
|
Buchempfehlung
Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro