Einundzwanzigstes Kapitel.

[231] Jeder Blutstropfen des jungen Patriziers siedete bei ihrem Anblick. Er vergaß die Menge, den Greis, sein eigenes Staunen über das Unbegreifliche, das er vernommen hatte, und sah vor sich nur die Geliebte. Endlich nach all den Anstrengungen, nach so langen Tagen voll Unruhe, Angst und[231] Qual hatte er sie wiedergefunden! Zum erstenmal in seinem Leben erkannte er, daß die Freude sich gleich einem wilden Tiere auf die Brust stürzen und sie zusammenpressen könne, bis ihr der Atem entweicht. Er, der bisher angenommen hatte, Fortuna habe sozusagen die Pflicht, alle seine Wünsche zu erfüllen, traute jetzt kaum seinen eigenen Augen und wagte kaum, an sein Glück zu glauben. Wäre dieser Zweifel nicht gewesen, so hätte seine leidenschaftliche Natur ihn vielleicht zu einem unüberlegten Schritte hingerissen; so aber wollte er sich zuerst überzeugen, ob dies nicht eine Fortsetzung der Wunder sei, von denen er den Kopf voll hatte, und ob er nicht träume. Doch es war kein Zweifel möglich: er sah Lygia, und nur wenige Schritte Entfernung lagen zwischen ihm und ihr. Sie stand im vollen Lichte, so daß er ihren Anblick nach Herzenslust genießen konnte. Die Kapuze war von ihrem Haupte herabgesunken und ließ die Haare lose herabhängen; die Lippen waren ein wenig geöffnet, und die Augen auf den Apostel geheftet, das Antlitz vor Spannung und Entzücken leicht gerötet. Gleich einem Mädchen aus dem Volke trug sie einen Mantel aus dunkler Wolle; doch Vinicius hatte sie nie so schön gesehen, und trotz der allgemeinen Erregung, in der er sich befand, entging ihm der Gegensatz nicht, in dem diese beinahe an eine Sklavin erinnernde Kleidung zu dem Adel dieses wunderbaren Patrizierinnenkopfes stand. Unermeßliche Liebe durchströmte ihn wie ein Flammenmeer, untermischt mit einem seltsamen Gefühle der Sehnsucht, der Huldigung, der Verehrung und des Verlangens. Er empfand die Freude, die ihm ihr Anblick einflößte, und labte sich an ihr wie jemand, der nach langem Schmachten auf eine frischsprudelnde Quelle stößt. Neben dem riesigen Lygier stehend, erschien sie ihm kleiner als zuvor, fast wie ein Kind; auch bemerkte er, daß sie noch schlanker geworden war. Ihre Gesichtsfarbe war beinahe durchscheinend; sie machte auf ihn den Eindruck einer Blume, eines Geistes. Aber nur um so mehr verlangte ihn danach, dieses Mädchen[232] zu besitzen, das von den Weibern, die er im Orient oder in Rom gesehen oder besessen hatte, so verschieden war. Er fühlte, daß er für sie all diese und mit ihnen noch Rom und die ganze Welt dazu hingeben könne.

Er würde über ihren Anblick alles vergessen haben, wenn ihn nicht Chilon aus Furcht, er könne etwas tun, was sie alle drei in Gefahr brächte, am Mantel gezupft hätte. Die Christen hatten inzwischen begonnen zu beten und zu singen. Nach einiger Zeit begann das »Maranatha,« und dann begann der große Apostel mit dem Wasser aus dem Springbrunnen diejenigen zu taufen, welche ihm die Presbyter als zum Empfang der Taufe vorbereitet vorstellten. Vinicius kam es vor, als ob diese Nacht nie zu Ende gehen wollte. Jetzt wünschte er sobald wie möglich Lygia zu folgen und sie unterwegs oder aus ihrer Wohnung zu entführen.

Endlich fingen einige an, den Friedhof zu verlassen. Chilon flüsterte nun: »Laß uns vor das Tor hinaustreten, Herr, denn wir haben unsere Kapuzen noch aufgeschlagen, und die Leute beobachten uns.«

So war es in der Tat. Als während der Rede des Apostels alle die Kapuzen herabschlugen, um besser hören zu können, waren sie dem allgemeinen Beispiel nicht gefolgt. Chilons Rat erschien vernünftig. Wenn sie vor dem Tore standen, konnten sie alle Heraustretenden mustern, und Ursus war infolge seiner Größe und Gestalt unschwer zu erkennen.

»Wir wollen ihnen folgen,« sagte Chilon, »und sehen, welches Haus sie betreten. Morgen oder vielmehr noch heut, Herr, besetzest du sämtliche Eingänge zu dem Hause mit deinen Sklaven und entführst sie.«

»Nein!« sagte Vinicius.

»Was willst du sonst tun, Herr?«

»Wir folgen ihr bis zu ihrer Wohnung und nehmen sie auf der Stelle mit uns; freilich müßtest du dich daran beteiligen, Kroton.«[233]

»Gern,« erwiderte der Ringkämpfer, »und ich will mich dir als Sklaven übergeben, Herr, wenn ich diesem Auerochsen, der sie bewacht, nicht das Rückgrat zerbreche.«

Doch Chilon begann sie bei allen Göttern anzuflehen und zu beschwören, dies nicht zu tun. Kroton sei doch nur zur Unterstützung für den Fall, daß sie seiner bedürften, und nicht zum Zweck der Entführung des Mädchens mitgenommen worden. Wenn sie das Mädchen nur zu zweien raubten, so würden sie dem Tode geradenwegs in den Rachen laufen – und außerdem könne Lygia, was noch schlimmer sein würde, vielleicht ihren Händen entrinnen und sich dann an einem anderen Orte der Stadt zu verbergen oder Rom zu verlassen suchen. Und warum täten sie dies? Warum wollten sie nicht sichergehen, warum sich selbst dem Tode und das ganze Unternehmen der Gefahr des Mißlingens aussetzen?

Obgleich sich Vinicius mit der größten Mühe zurückgehalten hatte, Lygia nicht sofort auf der Begräbnisstätte auf seine Arme zu nehmen, fühlte er dennoch, daß der Grieche recht habe, und er würde viel leicht seinen Rat befolgt haben, wenn Kroton nicht gewesen wäre, dem es hauptsächlich um seine Belohnung zu tun war.

»Befiehl dieser alten Ziege zu schweigen, Herr,« sagte er, »oder gestatte mir, daß ich ihm mit der Faust auf seinen Schädel schlage. Einst überfielen mich in Buxentum, wohin Lucius Saturninus mich zu einem Spiele mitgenommen hatte, in einer Schenke sieben betrunkene Gladiatoren, und keiner von ihnen ist mit ganzen Rippen davongekommen. Ich möchte nicht dazu raten, das Mädchen sofort mitten aus der Menge zu rauben, denn man könnte uns mit Steinen werfen. Ist sie aber einmal zu Hause, dann will ich sie packen und wegtragen, wohin du willst.«

Vinicius gab sich mit dieser Erklärung zufrieden und entgegnete: »Beim Herkules! so soll es sein. Morgen würden wir sie vielleicht nicht mehr zu Hause antreffen. Wenn wir[234] die Leute argwöhnisch machen, so werden sie Lygia unzweifelhaft anderswohin bringen.«

»Dieser Lygier scheint furchtbar stark zu sein,« seufzte Chilon.

»Es heißt dich niemand, ihn festzuhalten,« erwiderte Kroton.

Sie mußten jedoch noch lange warten, und die Hähne begannen schon die Dämmerung zu verkünden, als sie endlich Ursus, in dessen Gesellschaft sich Lygia befand, zum Tore herauskommen sahen. Sie wurden von einer Schar anderer Christen begleitet. Chilon kam es vor, als befände sich der große Apostel unter ihnen; an seiner Seite gingen ein anderer alter Mann von bedeutend kleinerem Wuchse, zwei nicht mehr junge Frauen und ein Knabe, der eine Laterne trug. Auf diese Schar folgte ein ganzer Haufen, der wohl zweihundert Köpfe zählte. Vinicius, Chilon und Kroton schlossen sich diesen letzteren an.

»Ja, Herr,« sagte Chilon, »deine Geliebte befindet sich unter mächtigem Schutze, dort neben ihr geht der große Apostel; sieh nur, wie die Leute niederknieen, an denen er vorüber kommt.«

Die Leute knieten in der Tat nieder, aber Vinicius achtete nicht darauf. Keinen Augenblick verlor er Lygia aus den Augen und dachte an nichts als an ihre Entführung. Im Kriege an Listen aller Art gewöhnt, entwarf er jetzt in seinem Kopfe den gesamten Entführungsplan mit militärischer Genauigkeit. Er fühlte, daß der Schritt, den er unternahm, kühn war, wußte aber auch, daß kühne Angriffe in der Regel zu einem Erfolge führen.

Der Weg war jedoch lang; und so fand er Zeit, auch an die Kluft zu denken, welche die wunderbare Religion, an die sie glaubte, zwischen ihm und Lygia gerissen hatte. Er verstand nun alle Ereignisse der früheren Zeit und auch deren Ursachen. Dazu war er scharfsichtig genug. Er hatte bisher Lygia nicht gekannt. Er hatte in ihr ein Mädchen gesehen, von wunderbarerer Schönheit als alle anderen, das[235] seine Sinnlichkeit erregt hatte; jetzt erkannte er, daß es ihre Religion war, die ihr Wesen zu einem von dem anderer Frauen so verschiedenen gemacht hatte, und daß seine Hoffnung, Liebesverlangen, Sucht nach Reichtum und Lebensgenuß könnten auch über sie Macht bekommen, eine leere Selbsttäuschung gewesen war. Er begriff endlich auch das, was er und Petronius nicht verstanden hatten, nämlich daß diese neue Religion der Seele etwas einprägte, was der Welt, in der er lebte, unbegreiflich war, daß Lygia, auch wenn sie ihn liebte, nichts von ihren christlichen Wahrheiten seinetwegen aufgeben würde und daß, wenn es für sie überhaupt Genuß gab, dieser ein ganz anderer sein müßte als der, dem er, Petronius, der Hof des Caesars und ganz Rom nachjagten. Jede andere Frau seiner Bekanntschaft konnte seine Geliebte, diese Christin konnte nur sein Opfer werden.

Bei dem Gedanken daran wurde er von Zorn und brennendem Schmerze ergriffen; er fühlte aber auch, wie ohnmächtig jener Zorn war. Lygias Entführung erschien ihm leicht zu bewerkstelligen, das stand ihm beinahe unzweifelhaft fest; andererseits war er sich aber auch bewußt, daß gegenüber ihrer Religion er selbst, seine Kühnheit, seine Macht ein Nichts seien und daß er nichts bei ihr durchsetzen werde. Dieser römische Kriegstribun, überzeugt, die Macht des Schwertes und der Faust, welche die Welt unterjocht hatte, werde diese für immer beherrschen, erkannte zum erstenmal in seinem Leben, daß es über dieser Macht vielleicht noch etwas anderes gebe, so daß er sich staunend fragte, was das wohl sein könne.

Er konnte sich keine bestimmte Antwort geben; durch seinen Kopf zogen nur die Bilder des Friedhofes, der versammelten Menschenmenge und Lygias, wie sie mit ganzer Seele den Worten des Greises lauschte, als er von dem Leiden, dem Tode und der Auferstehung des Gottmenschen erzählte, der die Welt erlöst und ihr ewige Seligkeit jenseits des Styx verheißen habe.[236]

Ein Chaos wirbelte bei diesem Gedanken durch seinen Kopf.

Aus dieser Verwirrung rissen ihn jedoch die Worte Chilons, der sein Los zu beklagen begann. Er habe sich doch erboten, Lygia aufzusuchen; er habe sie auch mit Gefahr seines Lebens gefunden und Vinicius auf ihre Spur gebracht. Was wünsche man denn noch von ihm? Habe er versprochen, sie zu entführen, und wer könne auch etwas derartiges von einem Krüppel, dem zwei Finger fehlten, von einem Greise, der sich der Betrachtung, der Philosophie und Tugend gewidmet habe, verlangen? Was werde geschehen, wenn einem so vornehmen Herrn wie Vinicius bei der Entführung des Mädchens ein Unfall zustieße? Allerdings seien die Götter verpflichtet, über ihre Lieblinge zu wachen, hätten sich aber derlei Dinge nicht mehr als einmal ereignet, wenn die Götter gerade beim Spiele gesessen hätten, anstatt sich um das zu kümmern, was in der Welt vorgehe? Fortuna trage, wie jedermann bekannt sei, eine Binde um die Augen und sehe daher selbst am Tage nichts, geschweige denn in der Nacht. Geschieht etwas, schleudert jener lygische Bär dem edlen Vinicius einen Mühlstein, ein Faß Wein oder noch schlimmer, ein Faß Wasser nach, wer bürge dem armen Chilon dann dafür, daß er anstatt der Belohnung Vorwürfe bekomme? Er, der arme Weise, habe sich zu dem edlen Vinicius gesellt wie Aristoteles zu Alexander von Makedonien, und wenn der edle Vinicius ihm wenigstens den Beutel geben wollte, den er vor seinen Augen beim Verlassen des Hauses in den Gürtel gesteckt habe, so werde das schon eine Summe sein, mit der man im Falle eines Unglücks sofort Hilfe herbeizuschaffen oder auf die Christen selbst einzuwirken vermöge. O! warum wolle er nicht den Rat eines Greises befolgen, der von Erfahrung und Klugheit eingegeben sei?

Bei diesen Worten nahm Vinicius den Beutel aus dem Gürtel und warf ihn Chilon zu, der ihn mit der Hand auffing.[237]

»Da hast du ihn; jetzt aber halte deinen Mund!«

Der Grieche fühlte, daß er außergewöhnlich schwer war, und faßte wieder Mut.

»Meine ganze Hoffnung besteht darin,« sagte er, »daß Herkules und Theseus noch weit schwierigere Taten vollbracht haben. Denn was ist Kroton, mein persönlicher, bester Freund anders als Herkules? Dich, edler Herr, will ich keinen Halbgott nennen, denn du bist ein ganzer Gott und wirst auch später einen armen, treuen Diener nicht vergessen, dessen Bedürfnisse von Zeit zu Zeit befriedigt werden müssen, denn er selbst kümmert sich um nichts, wenn er sich einmal in die Bücher vertieft hat ... Einige Stadien Gartenland und ein Häuschen, wenn auch mit dem allerkleinsten Portikus für die Sommerhitze, würde etwas eines solchen Gebers Würdiges sein. Ich würde dann aus der Ferne eure Heldentaten bewundern und Jupiter bitten, euch zu beschützen; im Notfalle aber will ich solchen Lärm schlagen, daß halb Rom zusammenläuft und euch zu Hilfe kommt. Was ist das für ein schlechter, unebener Weg! Das Öl in der Laterne ist mir ausgegangen, und wenn Kroton, der ebenso edel wie stark ist, mich auf den Arm nehmen und bis zum Tore tragen wollte, so könnte er schon im voraus sehen, ob er das Mädchen mit Leichtigkeit tragen kann, außerdem handeln wie Äneas und alle Götter sich in einem solchen Grade geneigt machen, daß ich über den Ausgang des Unternehmens völlig beruhigt sein könnte.«

»Lieber wollte ich ein Schaf tragen, das vor einem Monat an der Räude krepiert ist,« erwiderte der Ringkämpfer; »aber wenn du mir den Beutel gibst, den dir der edle Tribun soeben zugeworfen hat, so will ich dich bis zum Tore tragen.«

»Möge dir die große Zehe am Fuße verfaulen!« entgegnete der Grieche; »so, also das hast du aus der Predigt jenes ehrwürdigen Greises profitiert, der Armut und Nächstenliebe als die zwei Haupttugenden hinstellte? Befahl er[238] dir nicht ausdrücklich, mich zu lieben? Ich sehe schon, aus dir werde ich nie auch nur einen leidlichen Christen machen. Eher würde die Sonne durch die Mauern des mamertinischen Kerkers dringen als die Wahrheit in deinen Nilpferdschädel.«

Kroton, der die Stärke eines wilden Tieres, aber dafür nicht das geringste menschliche Gefühl besaß, antwortete ihm gelassen: »Habe keine Angst! Ich werde kein Christ; ich habe keine Lust, mein Stückchen Brot zu verlieren.«

»Ja, das mag wohl sein. Wenn du aber nur die Anfangsgründe der Weisheit aus der Philosophie kenntest, würdest du wissen, daß das Gold eitler Tand ist.«

»Komm mir nur mit deiner Philosophie. Ich gebe dir nur einen einzigen Stoß mit dem Kopfe gegen den Leib, und dann wollen wir sehen, wer Sieger bleibt.«

»Dasselbe hätte ein Stier zu Aristoteles sagen können,« entgegnete Chilon.

Der Morgen graute. Die Umrisse der Stadtmauern traten schärfer am dämmernden Horizonte hervor, und immer deutlicher wurden die am Wege stehenden Bäume, Hütten und hier und dort verstreuten Grabsteine sichtbar. Die Straße war nicht mehr völlig menschenleer. Gemüsehändler trieben ihre mit Waren beladenen Esel und Maultiere den Toren zu, hier und dort tauchten Wagen mit Wildbret auf. Auf der Straße und zu beiden Seiten lag dicht auf der Erde ein leichter Nebel, der auf schönes Wetter deutete. Die Menschen sahen in etwas größerer Entfernung bei diesem Nebel wie Geister aus. Vinicius starrte auf die schlanke Gestalt Lygias, die in dem Maße, wie das Licht zunahm, immer mehr wie silbern erglänzte.

»Herr,« sagte Chilon, »ich würde dich beleidigen, wenn ich voraussehen wollte, daß deine Güte je ein Ende haben könnte, aber jetzt, wo du mich bezahlt hast, kannst du mir nicht vorwerfen, daß ich nur zu meinem Nutzen spreche. Ich rate dir nun noch einmal, wenn du gesehen hast, in welchem[239] Hause die göttliche Lygia wohnt, nach Hause zu gehen, Sklaven und eine Sänfte zu holen und nicht auf diesen Elefantenrüssel Kroton zu hören, der dir nur deswegen verspricht, das Mädchen selbst zu entführen, um deinen Beutel auszupressen wie ein Säckchen mit Quark.«

»Du kannst von mir einen Faustschlag zwischen die Schultern bekommen, der dich für immer stumm machen wird,« erwiderte Kroton.

»Du kannst bei mir ein Faß Kephalonierwein finden, an dem ich mir gütlich tun werde,« versetzte der Grieche.

Vinicius achtete nicht auf sie, denn sie näherten sich dem Tore, vor dem sich ihren Augen ein seltsamer Anblick bot. Zwei Soldaten knieten nieder, als der Apostel hindurchschritt; dieser legte seine Hand einen Augenblick auf ihre Eisenhelme und machte dann das Zeichen des Kreuzes über sie. Dem jungen Patrizier war es noch nie in den Sinn gekommen, daß es möglicherweise auch im Heere Christen geben könne, und mit Erstaunen mußte er daran denken, daß, wie in einer brennenden Stadt das Feuer immer neue Häuser ergreift, so auch diese Religion offenbar jeden Tag mehr neue Seelen und Herzen erobere, als sich jemand ahnen lasse. Auch der Gedanke fiel ihm schwer auf die Seele, daß dies in Beziehung zu Lygia stehen könnte; denn er war überzeugt, daß, wenn sie die Stadt verlassen wollte, sich Wachen gefunden haben würden, die ihre Flucht im geheimen unterstützt hätten. Er flehte in diesem Augenblick zu allen Göttern, dies nicht zuzulassen.

Als die Christen die unbewohnte Gegend verlassen hatten und sich jenseits der Mauer befanden, begannen sie sich zu zerstreuen. Die drei mußten daher Lygia aus größerer Entfernung und mit mehr Vorsicht folgen, um keinen Verdacht auf sich zu laden. Auch fing Chilon an, über wunde Stellen und Blasen an den Füßen zu klagen und blieb immer öfter stehen. Vinicius hatte nichts dagegen einzuwenden, da er einsah, daß ihm der schlaue, aber feigherzige Grieche jetzt[240] von keinem Nutzen sein könne. Er hätte ihm sogar erlaubt, sich nach Belieben zu entfernen; obgleich die Vorsicht dem würdigen Philosophen gebot, zurückzubleiben, so plagte ihn doch offenbar die Neugierde; denn er folgte beständig den beiden und näherte sich ihnen sogar von Zeit zu Zeit, um seine früheren Ratschläge zu wiederholen, da er zugleich vermutete, der alte Mann neben dem Apostel könnte Glaukos sein, wenn er nicht etwas zu klein gewesen wäre.

Sie hatten jedoch noch einen weiten Weg bis zur Vorstadt jenseits des Tiber, und die Sonne war beinahe aufgegangen, als sich die Schar, bei der sich Lygia befand, zerstreute. Der Apostel, eine alte Frau und der Knabe schritten stromaufwärts weiter, der kleinere Greis, Ursus und Lygia wandten sich einem engen Vicus zu und betraten, nachdem sie noch ungefähr hundert Schritte gegangen waren, ein Haus, in dem sich zwei Läden, ein Oliven- und ein Geflügelladen, befanden.

Chilon, der sich etwa fünfzig Schritt hinter Vinicius und Kroton hielt, blieb wie angewurzelt stehen, drückte sich an die Mauer und begann seinen Begleitern leise zuzurufen, sie möchten zu ihm zurückkehren.

Sie taten dies auch, denn man mußte sich das weitere überlegen.

»Geh,« sagte Vinicius zu ihm, »und sieh nach, ob dieses Haus nicht vielleicht einen zweiten Ausgang nach einer anderen Straße hat.«

Trotzdem Chilon eben erst über wunde Füße geklagt hatte, lief er jetzt mit einer Schnelligkeit davon, als habe er Merkurs Flügel an den Füßen, und kam augenblicklich zurück.

»Nein, Herr, es ist nur ein Ausgang vorhanden,« sagte er. Dann faltete er die Hände und sprach: »Ich beschwöre dich bei Jupiter, Apollo, Vesta, Kybele, Isis und Osiris, bei Mithra, Bal und allen Göttern des Morgen- und Abendlandes, Herr, gib deinen Plan auf. Höre mich ...«[241]

Aber mit einem Mal verstummte er, als er bemerkte, daß Vinicius' Antlitz vor Erregung bleich war und seine Augen wie die eines Wolfes glühten. Man brauchte ihn nur anzusehen, um zu erkennen, daß nichts in der Welt ihn von seinem Vorsatz zurückbringen würde. Kroton begann mit seiner herkulischen Brust Atem zu holen und seinen ungeheuren Schädel hin und her zu bewegen, wie es die Bären im Käfig tun. Aber in seinem Gesicht zeigte sich nicht die geringste Beunruhigung.

»Ich werde vorangehen!« sagte er.

»Du gehst hinter mir!« entgegnete Vinicius in befehlendem Tone.

Im nächsten Augenblick verschwanden beide in dem dunklen Hausflur.

Chilon lief zur nächsten Straßenecke, wo er sich im Dunkel versteckte und die kommenden Dinge abwartete.

Quelle:
Sienkiewicz, Henryk: Quo vadis? Zwei Bände, Leipzig [o.J.], Band 1, S. 231-242.
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