Vorrede.

Nächst Goethes Faust hat ohne Zweifel das alte Puppenspiel von Faust unter allen Gedichten, wozu die Faustsage Veranlaßung gegeben hat, das gröste poetische Verdienst. Es stellt die Faustsage anziehender dar, als das Volksbuch und reiner als Goethe, der sich nach dem Grundgedanken seines Gedichts von der Sage, der Fausts Höllenfahrt wesentlich ist, entfernen muste. Von dem Werk des großen Meisters wird es nicht in Schatten gestellt; es ist in seiner volksmäßigen Art ebenso kühn und geistreich erfunden und durchgeführt; als Bühnenspiel runder und von stärkerer, wenn auch nicht so tiefgreifender Wirkung. Außerdem hat es als die nächste Quelle Goethes, so wie Lessings und Maler Müllers, eine große Bedeutung. Es ist daher zu verwundern, daß man es nicht früher herzustellen versucht hat.

Von der Schütz- und Dreherschen Gesellschaft, die noch in den zwanziger Jahren mit ihrem Casperle-Theater mehrmals nach Berlin kam (sie war in Oberdeutschland zu Hause und zuletzt in Potsdam angesiedelt), hatte ich dieß Puppenspiel wiederholt aufführen sehen. Sehr zu Statten kamen mir außerdem bei der nachstehenden Aufzeichnung Franz Horns bekannter Bericht, die beiden Mittheilungen Von der Hagens, und Emil Sommers Skizze einer noch 1844 in Berlin gesehenen Aufführung. Keine dieser Meldungen stimmt in allen Stücken mit der andern. Als Sommer seine Skizze niederschrieb, war der alte Schütz, der jener Gesellschaft zuletzt allein vorstand, schon todt; Franz Horn scheint aber Schütz zu folgen und von Von der Hagens erster Probe steht dieß fest. Am abweichendsten ist dessen zweite Probe, die sich auf ein Manuscript des Puppenspielers Geißelbrecht gründet, welches 1832 durch den Herrn Obersten von Below in 24 buchstäblichen, nur zu Geschenken bestimmten Abdrücken vervielfältigt worden ist. Es führte den Titel: Dr. Faust oder der große Negromantist, Schauspiel mit Gesang in fünf Aufzügen. Berlin, ganz neu gedruckt. 12. 24 Blätter ohne Seitenzahl. Merkwürdigerweise hatte Geißelbrecht am Schlusse seines Manuscripts beigeschrieben: »(Alles was unterstrichen ist beweget mich, daß ich Fausten nie wieder aufführen werde.)« Herr Von der Hagen bemerkt[6] hierüber: »Diese Stellen, im Drucke gesperrt, sind theils Beschwörungen und Missbrauch heiliger Namen, theils Kaspars Schilderung seiner lästerlichen und verbrecherischen Sippschaft, als Wagner ihn in Dienst nimmt.«

Keiner dieser abweichenden Meldungen konnte ich allein folgen; keine ist unbenutzt geblieben: die besten Züge muste ich aus ihnen allen zusammenlesen. Einzelnes verdanke ich meiner eigenen Erinnerung. Wesentliches habe ich nicht hinzugethan. Daß der Dialog, die Ausführung überhaupt, gröstentheils Mir gehört, und alle Verse auf meine Rechnung kommen, brauche ich nicht erst zu sagen. Wer genauere Auskunft begehrt, mag die Quellen vergleichen, aus welchen ich geschöpft habe.

Bekanntlich lehnte Schütz alle Anfragen über das Manuscript seines Puppenspiels mit der Versicherung ab, daß es nur im Gedächtniss aufbewahrt würde. Sollte gleichwohl einmal eine schriftliche Aufzeichnung zu Tage kommen, so wird sie von der meinigen schwerlich in Hauptzügen abweichen.

Ich kann diese Gelegenheit nicht vorübergehen laßen, ohne den Wunsch auszusprechen, daß man den Puppentheatern, die vormals einen Schatz guter alter Stücke besaßen, doch mehr Aufmerksamkeit schenken möchte. Das Meiste wird freilich jetzt schon untergegangen und durch moderne[7] Opern und gehaltlose Possen verdrängt sein; aber das Wenige, was sich hier und da noch erhalten haben mag, verdient um so mehr aufgezeichnet und veröffentlicht zu werden. Schon bloße Berichte über Inhalt und Verlauf der Stücke würden unsern Dank verdienen. Lebte ich selbst an einem Orte, wo ein Casperletheater oder ein s. g. Henneschen, wie sie am Niederrhein heißen, noch altüberlieferte Stücke gäbe, so würde ich mir dieß Verdienst nicht entgehen laßen. Volkslieder, Volksmärchen und Volkssagen fängt man endlich an eifrig zu sammeln, der deutschen Volksbühne hat man bisher noch fast gar nicht gedacht.


Bonn im Januar 1846.

K. S.[8]

Quelle:
Simrock, Karl: Doctor Johannes Faust. Frankfurt am Main 1846.
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