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[545] Die Baronin hatte noch an demselben Abend den Brief Helenens vermißt. Diese Entdeckung erfüllte sie mit nicht geringer Unruhe. Wie leicht konnte der Brief in fremde, das heißt: in Hände fallen, die ihn Helenen wieder auslieferten, und wie viel hatte sie sich dann dem stolzen, unbeugsamen Mädchen gegenüber vergeben! Jeder Vortheil, den sie durch die genaue Kenntniß von dem Gemüthszustand ihrer Tochter über diese errungen, und den sie durch Anspielungen, Drohungen so geschickt auszubeuten gedacht hatte, war unwiederbringlich verloren. Es war fatal, äußerst fatal!
Die Baronin erinnerte sich ganz genau, den Brief in die Tasche ihres Kleides gesteckt zu haben, als Felix den Gang herauf kam. Wahrscheinlicherweise hatte sie ihn also an der Kapelle verloren. Sie erinnerte sich, daß sie während der Unterredung[545] mit ihrem Neffen einmal das Taschentuch gezogen hatte, um die Beleidigte mit noch größerer Würde zu spielen. Indessen war es heute Abend zu spät, noch Nachforschungen anzustellen; sie mußte es sich gefallen lassen, eine beinahe schlaflose Nacht zuzubringen und den Morgen mit einem heftigen Kopfweh herandämmern zu sehen. Sie ging alsbald in den Garten nach der Kapelle. Der Brief war nicht da; auch nicht in dem Buchengange, oder in der Laube. Im höchsten Maße verdrießlich über diesen bösen Zufall kehrte die Baronin in's Schloß zurück.
Dort erwarteten sie andere Unannehmlichkeiten. Oswald schickte herunter, um zu melden, daß Bruno sich nach einer schlechten Nach sehr unwohl fühle, und daß er bitte, man möge einen reitenden Boten zu Doctor Braun senden. Auch ließ er bitten, Malte für heute unten zu behalten, da er, bis der Doctor käme, Bruno nicht gern allein lassen möchte. Die Baronin ließ zurücksagen: sie hoffe, daß es mit Bruno's Unwohlsein nicht viel auf sich habe und daß die in dem Unterricht eintretende Pause nicht zu lange dauern werde. Uebrigens würde heute im Laufe des Vormittags noch so wie so in die Stadt geschickt.
Ein paar Stunden später ließ Felix sich entschuldigen, wenn er heute nicht zum Frühstück komme; er fühle sich nicht ganz wohl; gedenke indessen, an der Mittagstafel zu erscheinen.
Felix verspürte in der That noch einige unangenehme Folgen seines Kampfes mit Bruno. Zuerst und vor allem die brennende Scham, einem Knaben unterlegen zu sein, vielleicht nur einem Zufall, einer plötzlichen Anwandlung von Großmuth sein Leben zu verdanken zu haben. Sein ganzer Leichtsinn gehörte dazu, ihm über diesen unangenehmen Gedanken wegzuhelfen. Er suchte sich einzureden – und nach und nach gelang es ihm auch – die Sache sei so ernsthaft nicht gewesen, und wenn er nicht, als Bruno sich so unerwartet über ihn stürzte, ausgeglitten wäre, und wenn dann sein »verdammter Rheumatismus« ihm nicht die Arme gelähmt hätte, würde er ja »den Jungen abgeschüttelt haben, wie eine Fliege, ihm eine tüchtige[546] Tracht Schläge obendrein gegeben haben.« Daß vorläufig er die Schläge bekommen und daß die Fliege fest zuzupacken verstand, das bewiesen die blauen Flecken, die er auf der Brust, am Halse, an den Armen aus dem Kampfe als sicheres Zeichen der Niederlage davongetragen hatte. Der Vielgewandte gerieth in einiges Staunen, als er seinen Herrn in einem Zustande sah, der nur zu sehr an die selige Cadettenzeit erinnerte, wo Franzbranntwein und aqua Gourlardi zu den nothwendigsten Toiletterequisiten gehörten. Der Vielgewandte bewies, daß er die Kunst, Beulen und blaue Flecke zu behandeln, eben so wenig verlernt habe, als sein Herr das Talent eingebüßt hatte, sich solche zu holen, und schon gegen Mittag sah er sich in einem salonfähigen Zustande. Dennoch zweifelte er, ob er bei der Tafel erscheinen solle oder nicht. Der Gedanke, Bruno gegenüberzutreten, des Knaben dunkle Augen voll Hohn und Schadenfreude auf sich ruhen zu sehen, vielleicht gar in Oswald's Blicken wahrzunehmen, daß er von den Ereignissen der verwichenen Nacht vollkommen unterrichtet sei, war ihm äußerst peinlich. Es fiel ihm daher ordentlich eine Last vom Herzen, als Jean berichtete, die Tafel werde heute sehr klein sein, denn Junker Bruno und der Herr Doctor würden nicht erscheinen. So warf er denn noch einen Blick in den Spiegel, goß sich etwas Eßbouquet mehr als gewöhnlich auf sein Batisttaschentuch und schritt leicht und frei durch die Thür, die ihm der Vielgewandte pflichtschuldigst öffnete.
Auch die Baronin fühlte sich nicht wenig erleichtert, als sie im Laufe des Morgens keine Veränderung in Helenens Betragen oder auf ihrem Gesicht, in ihren großen Augen zu erblicken vermochte. Die Baronin war heute Morgen ganz besonders zuvorkommend gegen Helene.
Indessen war das Mittagsmahl nichts weniger als belebt, obgleich Felix sein ganzes Unterhaltungstalent aufbot. Der alte Baron hatte sich persönlich nach Bruno's Befinden erkundigt und war ärgerlich, daß noch immer nicht nach dem Doctor geschickt war; wenn auch heute Nachmittag ein Wagen in die Stadt führe, verschiedenes zu der großen Gesellschaft morgen[547] Benöthigtes zu holen, so sei das kein Grund, weshalb nicht einer von den Leuten heute Morgen hätte hinreiten können. Die Baronin war verstimmt über diesen ihr in Gegenwart der Andern ausgesprochenen Tadel, und meinte, sie habe freilich nicht bedacht, daß es sich um Bruno handle, der allerdings größere Ansprüche machen dürfe, wie zum Beispiel sie selbst, die an einem sehr heftigen Kopfweh leide, oder Felix, der ebenfalls die ganze Nacht und den ganzen Vormittag unwohl gewesen sei. Helene hob die Augen kaum von ihrem Teller und öffnete kaum einmal den Mund; und die Augen der kleinen Marguerite waren heute noch verweinter, als in den vorhergehenden Tagen. Felix und Malte sprachen sich nach und nach auch aus, und zuletzt war es so stumm um den Tisch her, daß die Diener nicht wußten, wie sie nur leise genug auftreten sollten.
Die Baronin und Felix blieben nach Tische allein, da der Baron sich ausnahmsweise auf sein Zimmer zurückgezogen. Felix hatte während der Mahlzeit überlegt, ob er nicht doch besser thäte, das Ereigniß von gestern Abend – natürlich nach seiner Auffassung – zu erzählen, bevor Bruno Gelegenheit habe, sich gegen irgend Jemand, Oswald ausgenommen, darüber zu äußern. So benutzte er denn das tête-à-tête mit der Baronin, ihr mitzutheilen – versteht sich, lachend und mit der Bitte, die curiose Geschichte nicht weiter gelangen zu lassen – wie er gestern Abend durch den hellen Mondschein verlockt worden sei, noch etwas im Garten zu promeniren, wie er Bruno in einer höchst eingenthümlichen Weise um die Fenster Helenens habe schleichen sehen, wie er den Jungen zu Bett geschickt habe, darüber mit ihm in Streit gerathen, mit dem Fuße ausgeglitten, hingefallen und für einen Augenblick der Besiegte gewesen sei. Natürlich nur für einen Augenblick, dann habe Bruno die verdienten Schläge erhalten, und die würden wohl auch der Grund seiner heutigen Krankheit sein.
Die Baronin fühlte sich durch diese humoristische Schilderung einer sehr ernsten Begegnung auf das unangenehmste berührt. Ihre Befürchtungen betreffs des Briefes regten sich wieder. Bruno zur Nachtzeit unter Helenens Fenster? was hatte[548] er da zu thun? Der Umstand sah sehr verdächtig aus. Wenn Bruno den Brief gefunden hätte! wenn er gestern Abend die Absicht gehabt hätte, ihn Helenen wieder zuzustellen! Die Baronin stöhnte bei diesem entsetzlichen Gedanken.
Was haben Sie, liebe Tante?
O nichts. Ich seufze nur über das Unglück, welches uns dieser Stein in's Haus brachte. Wenn ich etwas in meinem Leben bedaure, so ist es, den Menschen nicht am ersten Abend wieder fortgeschickt zu haben, wie ich wirklich große Lust hatte. Es hat nicht leicht Jemand einen so unangenehmen Eindruck auf mich gemacht, wie dieser junge Mann.
Aber Tante, so holen Sie doch nach, was Sie an jenem ersten Abende leider versäumten: jagen Sie ihn fort. Ich begreife wahrhaftig nicht, weshalb Sie so viel Umstände mit ihm machen.
Die Baronin wollte nicht sagen, daß sie die tausend Thaler nicht verschmerzen würde, welche Oswald contractlich zu fordern hatte, wenn ihm im ersten Jahre seines Engagements gekündigt würde. Ehe sie indeß eine Antwort bereit hatte, ertönte auf dem Flur die quäkende Stimme des Pastor Jäger, der sich nach »der gnädigen Herrschaft« erkundigte.
Einen Augenblick später trat seine Hochehrwürden an der Seite seiner Gemahlin in's Zimmer.
Es bedurfte keines besonders scharfsinnigen Auges, um sofort zu sehen, daß etwas ganz Außerordentliches dem würdigen Paar begegnet sein mußte. Der Pastor trug den ganz neuen schwarzen Frack, den er nur bei den feierlichsten Gelegenheiten anzuziehen pflegte, und Primula hatte eine äußerst malerische Verzierung von Kornähren an ihrem gelben Strohhute, so daß sie heute noch eine Schattirung gelber aussah, wie gewöhnlich. Der Blick des Pastors suchte vergeblich die gewohnte Demuth zu heucheln; die runden Brillengläser selbst glitzerten triumphirend; und was Primula betrifft, so hatte sich ihr poetisches Gemüth jetzt von allem Erdenrest befreit; sie durfte scheinen was sie war.
Ich komme, gnädige Baronin, sagte der Pastor, Anna-Maria[549] galant die Hand küssend, einmal, mich nach Ihrem und der lieben Ihrigen werthen Befinden pflichtschuldigst zu erkundigen, sodann, Ihnen die Mittheilung eines Ereignisses zu machen, das wir – ich darf ja wohl sagen wir, meine edle Gönnerin? – schon lange freilich erwarteten, erhofften, will ich lieber sagen, dessen endliches Eintreffen uns indeß doch wohl Alle überrascht. Ich bin als Professor nach Grünwald berufen worden.
Vorläufig extraordinarius, sagte Primula, aber der ordinarius wird wohl nicht lange auf sich warten lassen.
Auch ist mir die Stelle eines Vormittags-Predigers an der Universitätskirche so gut wie gewiß.
Warum nicht: gewiß? Jäger; sagte Primula; ich dächte, das Schreiben des Professors Dunkelmann ließe nur eine Auslegung zu.
Ei, das sind ja herrliche Nachrichten, meine lieben Freunde; sagte die Baronin; erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen Neffen, Baron Felix, vorstelle – Herr und Frau Pastor, wollte sagen: Professor Jäger, lieber Felix – das sind ja herrliche Nachrichten. Also endlich! Nun, ich habe es ja immer gesagt; über kurz oder lang mußte es doch kommen; freilich wir verlieren viel; aber das Glück der Freunde muß uns theurer sein, als der eigene Vortheil. Nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch entgegen.
Auch den meinigen, sagte Felix.
Danke, meine gnädige Frau; danke, Herr Baron, danke, danke! sagte der Pastor, sich vergnügt die Hände reibend; ja, ja! unverhofft kommt oft, und gehofft kommt auch wohl einmal. Als meine letzte größere Schrift, in welcher ich den eigentlichen Wortlaut des Titels eines verloren gegangenen Werkes des Kirchenvaters Philochrysos bis zur Evidenz nachwies, in allen kritischen Journalen eine so – ich darf wohl sagen – außerordentliche Anerkennung fand, konnte ich den Erfolg mit ziemlicher Gewißheit zum voraus angeben.
Wann werden Sie uns denn verlassen?
Nun zu Michaelis spätestens; wahrscheinlich aber noch[550] früher; ich werde für das Wintersemester drei private Vorlesungen, eine publice und gratis, und endlich eine über die verloren gegangenen Schriften des Philochrysos, privatissime und gratis ankündigen.
Du nimmst Dir zu viel vor, Jäger, zu viel! hauchte Primula in zärtlichen Tönen: o diese Männer, diese Männer! jeder ist ein Prometheus, der den Himmel stürmen möchte.
Wer hat mich denn zu meinem kühnen Streben begeistert, wenn nicht Du? sagte der Pastor, Primula dankbar die Hand drückend.
Schießen Sie mit der Pistole? fragte Felix, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
Nun, ein wenig; ich will sagen: so viel wie gar nicht. Ich war wohl früher auf der Hasen- und Hühnerjagd nicht ganz unglücklich – omen in nomine, ha, ha, ha! – aber seitdem das Consistorium sich sehr energisch gegen diese lärmenden Vergnügen ausgesprochen hat, liegt das Eisen müßig in der Halle – um mit dem Dichter zu sprechen.
Du kannst jetzt in Deiner Eigenschaft als Professor der edlen Waidmannskunst wohl wieder obliegen, Jäger; sagte Primula. Ha, ich denke es mir herrlich, so mit vorgestreckter Pistole einem Wildschweine gegenüberzutreten.
Ich würde indessen Ihrem Herrn Gemahl rathen, sich zu dieser Jagd mit einer Büchsflinte, und wo möglich auch einem Hirschfänger zu versehen, sagte Felix lachend; aber im Ernst, Herr Professor, wollen Sie ein wenig mit mir nach der Scheibe schießen?
Gewiß, gewiß! rief der Pastor aufspringend; ich stehe zu Ihren Diensten, zu Ihren Diensten.
Der Pastor war blaß geworden; aus seiner Aufregung zu schließen, hätte man glauben sollen, es handle sich um ein Duell auf Leben und Tod.
Willst Du nicht doch lieber bleiben? sagte Primula, welcher plötzlich die Sache in einem sehr bedenklichen Lichte erschien. Du bist heute nicht so ruhig wie sonst; wenn Dir ein Unglück passirte, gerade jetzt, wo Du dem Ziel Deiner Wünsche so nahe[551] bist; Jäger, ich ertrüge es nicht; und die Dichterin brach in Thränen aus und klammerte sich an ihren Gemahl an, dessen Anstrengungen, sich von der süßen Last zu befreien, keineswegs sehr energisch waren.
Gustava, murmelte er; liebes Gustchen, es ist weniger gefährlich, als Du denkst. Sind Ihre Pistolen mit einem Stecher versehen, Herr Baron?
Allerdings; sagte Felix, den diese Scene nicht wenig amüsirte. Wenn sie gestochen sind, dürfen Sie nicht niesen, oder ich stehe für nichts.
Bleibe, bleib', mein Jäger; flehte Primula.
Es wird nicht so gefährlich sein, sagte der Pastor mit bleichen Lippen.
Das meinte neulich auch Kamerad von Schnabelsdorf, sagte Felix; nehmen Sie sich in Acht, Schnabelsdorf, sagte ich. – Dummes Zeug, sagte Schnabelsdorf, und faßt die Pistole an der Mündung. Im nächsten Augenblick war er um einen Finger ärmer.
Dies entscheidet; sagte Primula, sich emporrichtend; Jäger, Du bleibst, ich befehle es Dir. Befasse Dich nicht mit Dingen, die Du nicht verstehst. Pistolenschießen ist kein Kinderspiel.
So triftigen Gründen wußte selbst ein so geistreicher Kopf, wie der des Pastors, nichts entgegenzusetzen. Er ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken und sagte, sich den Schweiß mit dem Taschentuch von der Stirn wischend:
Sie sehen, Herr Baron: Ehestand ist Wehestand. Wenn Sie einmal erst verheirathet sind, wird der glänzende Cavalier auch vor dem umsichtigen Hausvater zurücktreten müssen. Aber, wie ist mir denn, man darf ja wohl gratuliren?
Und der Pastor ließ den Kopf erst auf die rechte Schulter sinken, um die Baronin anzulächeln; sodann auf die linke, um Felix dieselbe Gunst zu erweisen.
Fragen Sie in ein paar Tagen wieder nach; erwiederte die Baronin ausweichend. Was ich sagen wollte: so ist ja jetzt durch Ihre Ernennung der Verlust, welchen die Universität[552] durch Berger erlitten hat, mehr als ausgeglichen. Ihre Vocation steht doch mit jenem Ereigniß in keinem Zusammenhang?
In keinem directen wenigstens, sagte der Pastor, obgleich ich nicht in Abrede stellen will, daß Berger seinen Einfluß nicht zu meinen Gunsten angewendet haben würde, und somit immerhin seine Erkrankung für mich ein nicht ungünstiges Zusammentreffen der Umstände genannt zu werden verdient.
Hat man denn gar keine Vermuthung, wie dies so plötzlich gekommen ist? fragte die Baronin.
Nun, meine Gnädigste, plötzlich können wir wohl so eigentlich nicht sagen; erwiederte der Pastor, sein Gesicht in die ernstesten Falten legend und seine Mundwinkel herabziehend; ich gestehe, daß mich dies Ende in keiner Weise überrascht hat und daß ich den Professor im Grunde stets für mindestens halb wahnsinnig gehalten habe. Wer mit Berger behauptet, daß alle sogenannten Beweise von dem Dasein Gottes, des allmächtigen Schöpfers Himmels und der Erden, auf einen Trugschluß, eine petitio principii hinausliefen, der ist schon wahnsinnig, auch wenn er noch scheinbar wie ein Vernünftiger spricht. Wer über die geheiligten Institutionen des Königthums von Gottes Gnaden und des Erbadels freventlich spotten, sie Ueberreste einer barbarischen Zeit, die hinter uns liegt, nennen kann, der ist schon toll, obgleich er Professor ist und Collegia vor einem überfüllten Auditorium liest. Ich weiß es wohl, daß geschrieben steht: richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet; aber ich kann mich dennoch, diesen Fall erwägend, nicht entbrechen zu sagen: Dies ist der Finger des Herrn.
Wie wär's mit einer Partie Kegel, Herr Pastor? sagte Felix, der in der offenen Thür gestanden und nicht zugehört hatte.
Mit Vergnügen, rief der Pastor, auf diese Kugeln verstehe ich mich. Ich war meiner Zeit in Grünwald ein famoser Kegelschütze.
Nach dem Kaffee, lieber Felix, sagte die Baronin; ich habe noch mit dem Pastor über einige ernste Dinge zu sprechen. –[553] Ist es nicht entsetzlich, lieber Pastor Jäger, daß wir den Zögling eines so abscheulichen Menschen in unserem stillen Hause haben? daß ich die unschuldige Seele meines Kindes solchen Händen anvertrauen soll? Um Himmelswillen! rathen Sie mir, wie werde ich den Menschen auf eine passende Weise wieder los?
Sie können ihn nicht ohne Weiteres fortschicken?
Wir haben uns gegenseitig auf vier Jahre verbindlich gemacht, und wenn wir nun also –
Ich versteh', ich verstehe, sagte der Pastor, der Anna-Maria's Geiz sehr wohl kannte; hm, hm! wir müßten einen Grund haben, hm, hm! es ist jetzt eine Verordnung vorbereitet, nach welcher die Hauslehrer ein Zeugniß des Pfarrers ihres betreffenden Kirchspiels über ihre Religiosität und Moralität beizubringen haben. Wir wollen es Herrn Doctor Stein schwer machen, ein solches beizubringen; und der Pastor lächelte schlau.
Wissen Sie schon das Neueste, meine Herrschaften, rief Felix, ein Billet, das ihm soeben von dem Bedienten, welcher das Kaffeeservice in die Laube trug, übergeben war, in der Hand haltend: Cloten hat sich mit der kleinen Breesen verlobt; hier schickt er mir, als seinem besten Freunde, die erste Karte; die Anderen kriegen erst morgen welche.
Ich kann Ihnen ein Paroli biegen, sagte der Pastor. Wer, denken Sie, gnädige Frau, daß seit gestern Abend wieder hier ist?
Nun?
Frau von Berkow.
Nicht möglich!
Ich weiß es ganz genau. Sie hat, einem schon vor seiner Krankheit geäußerten Wunsch ihres Gemahls zufolge die Leiche desselben von Fichtenau hierher schaffen lassen. Der Sarg kommt noch in dieser Nacht, um morgen von mir auf dem Faschwitzer Kirchhof eingesegnet zu werden.
Dann können wir die schöne Frau wohl nicht zu unserem Ball morgen einladen.[554]
Aber Felix! sagte die Baronin mit einem vorwurfsvollen Blick.
Der Kaffee steht in der Laube, meldete der Bediente.
So kommen Sie, meine Lieben! sagte die Baronin.
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