Achtes Kapitel.

[167] Weihnachtsfreude, Weihnachtslust!

Öffnest segnend jede Brust!

Nacht, die unsern Herrn geboren,

Zur Versöhnung auserkoren –

Du vereinest, die sich hassen,

Daß sie ihren Groll verlassen.

Doch, wie nur Dein Bann verweht,

Schnell die Schlange neu ersteht:

Und sie flieh' mit scheuem Bangen,

Die sich freundlich kaum empfangen!

W.


So wie der Meistersänger, dem es vergönnt ist, vor großer Gesellschaft seine Kunst zu zeigen, – nachdem er die Ohren seiner Zuhörer mit den sanften Gesängen der Minne, mit schwärmerischen Balladen und klagenden Liedern ergötzt hat, – auf einmal aus der weichen Tonweise in die harte umspringt, und die Saiten rührt zum fröhlichen steyrischen oder hungarischen Tanz, und eine Melodei nach der andern aufspielt, bis das junge Volk das Morgenroth herbeigestampft hat; .. also war Dagobert rasch und leicht seiner zufälligen Schwermuth enthoben, und schwamm wieder – mit Gerhard zu reden – wie ein lustiges Fischlein auf träglicher Lebensfluth, unbesorgt vor Strudeln und Abgründen. Wie ein Fuchs um die schlau erspürte Falle im weiten Bogen von dannen schleicht, also schlich er um Wallradens Haus, und war seelenfroh, daß sie ihm nicht wieder begegnete. Alle unfriedlichen Auftritte[168] seiner Jugend waren ihm lebhaft vor's Gedächtniß getreten, und er konnte sich der ärgsten Dummheit schelten, daß er sein Schwesterlein schön gefunden, sie, die wie eine böse Nixe ihm alle Freude verdorben hatte, von jeher. An Esther dachte er freilich oft, mit Sehnsucht und stillem Behagen, aber ... war sie nicht fern von ihm? nicht auf ewig von ihm getrennt? Darum schüttelte er alle Sorge von sich, und lebte mit den Lebendigen, mit den Fröhlichen, deren Viele damals zn Costnitz versammelt waren. Vergebens meisterte ihn sein Ohm mit aller Strenge, vergebens überhäufte ihn der Erzbischof von Ravenna mit vielem unnützen Geschreibsel zum Behuf der vorzubereitenden Sessionen: demüthig hörte er Monsignore's Lehre an, geduldig, aber schnell, that er die Arbeiten des Cardinals ab; doch, war sein Nacken, sein Ohr wieder auf einige Stunden frei, so sah man ihn alsobald im Kreise muntrer Freunde. Sein ernstes Kleid war überall willkommen, weil der Schalk, der gutmüthige Schalk, darunter verborgen war; die Frauen und Dirnen der besten Geschlechter sammelten sich um ihn, den freundlichen Sänger, den fertigen Lautenspieler, den erfinderischen Mährleinschmidt; die Männer schätzten in ihm den geübten Reiter, den erfahrnen Waidmann und Falkenabrichter, und den unverzagten Zecher. Die Geselligkeit schmückte ihn mit ihren besten Kränzen, und seine Laune wuchs wie eine Pappel in wälschem Boden, schnell und hoch, daß bald in der ganzen Stadt von nichts Anderm gesprochen wurde, als von Junker Fröschleins Schwänken. – »Recht so!« sagte[169] ihm einst sein Gönner, Herzog Friedrich: »was ich von Euch höre, gefällt mir wohl. Der Most muß brausen, der Bursch austoben; vorab, wenn er in die härne Kutte schlüpfen soll. Wie lange dauert's, so werden Eures Ohms Geschäfte allhier geendet und Ihr gemüßigt seyn, ihm über die Berge zu folgen, hinter denen deutsche Ehrlichkeit das letzte Paternoster betet. Dann werdet ihr werden müßen, wie sie Alle sind, aber wenigstens aus dem Vaterlande die Erinnerung einer kräftig freien Jugend mit Euch in's Grab nehmen, an dem Euch ohnehin keine Lieben nachweinen dürfen. Laßt Euch drum nicht stören in Eurer Freudigkeit, so lange sie neben Sitte und Zucht bestehen mag, und hütet Euch nur vor lüsternen Weibern. Einen Haus- und Kernfluch verzeiht der liebe Gott, eine Ohrfeige im Streite ist kein Todtschlag, ein Rausch besser, denn ein Fieber; aber der Kuß einer falschen Delila stellt wahrlich eine scharfe Schere vor, die Manneskraft und Simson'shaar mit einem Schnitte verschändet. Deßhalb erfreut sich auch unser allergnädigster Kaiser einer werdenden Glatze, und sein Leibscherer hat bereits, wie man vernimmt, alle Mühe, den Übelstand durch künstliche Verflechtung des Haupthaars zu verbergen. –«

Dagobert schwieg, lächelte aber im Stillen, über den leidenschaftlichen Spott, der, – im Übrigen dem biedern Gemüthe des Habsburgers gänzlich fremd – beständig vorleuchtete, sprach er von Sigismund. Der Herzog fuhr indessen schmunzelnd fort: »Der gnädigste Herr wird, wie es verlautet hat, heute oder morgen[170] zu Costnitz einreiten. Ein kluger Gedanke! Die Weihnachtsfeier wird uns demnach den Heiland der Christenheit bringen. Die friedenstiftende Majestät wird ihren Einzug halten, da man in den Kirchen singt: In dulci jubilo! – Es thut mir leid,« setzte er rasch abbrechend hinzu, »daß ich zum Empfang des Herrn, Satteldecke und Steigbügel putzen muß, sonst fände ich wohl noch Gelegenheit, mich länger mit Euch zu unterhalten, guter Dagobert!« – Der Letztere verstand diese schon manchmal vorgekommene Beurlaubung, die immer auf die steigende Galle des Herzogs deutete, und entfernte sich alsobald. – Da er jedoch heraustrat auf die winterlich beschneite Gasse, über die der dunkelblaue Himmel so eben seine ersten Sterne heraushing; da er über den Markt schritt, wo in Hütten von Holz und Segeltuch allerlei Spielwerk und Leckerzeug feilgestellt wurde, zur Freude der Kinder, die am heiligen Abend damit beschenkt werden sollten, einer heitern Sitte gemäß; – da wich in ihm die Erinnerung an des Herzogs Worte dem mächtigern Gedächtniß der fernen Heimath und der entschwundnen Jugendjahre. Denn sie war wirklich unvermerkt herangekommen, die fröhliche Weihnachtszeit, der lichte Stern an trübem winterlichen Himmelszelt, das gemüthliche Fest; Eines von denen, die die heitre Kette schlingen um Haus- und Kirchenaltar, das bürgerliche Leben mit dem Glauben an ein Göttliches, an ein Jenseitiges verbinden. – Eine freundliche Wehmuth, die man gern und gastlich in den Busen aufnimmt, weil ihre Pein lebensstärkenden Balsam bereitet, bemeisterte sich der[171] Brust Dagobert's, und was alle Ermahnungen seines geistlichen Schirmvogts nicht vermocht hätten, brachte sie zu Wege. Der junge Mann schloß sich ein in sein Gemach, fern vom Geräusch der Welt, und saugte an den Blumen der Erinnerung. Sein redlich Herz drängte ihn, diese goldne Zeit seiner Knabenfreuden zu feiern, wie es einem wackern Jüngling zustehe. Wie beklagte er es, daß ihm die Mittel nicht beschieden waren, das Glück eines Menschen zu gründen. Wie bedauerte er, daß er keinen Todfeind wußte, den er hätte versöhnt in die Arme schließen können! – Da fiel ihm plötzlich seine Schwester Wallrade ein, gegen die der beinahe vergeßne Groll wieder neu in seinem Herzen aufgeflackert war. – Ja, rief er nach kurzem Bedenken: Ich will ihr die Hand zur Eintracht bieten, und das feindliche Verhältniß in ein freundliches umgestalten, und also den Christtag würdig begehen. Dazu helfe mir Gott und Esther's Gedächtniß; das Andenken des lieben, aber unglücklichen Mägdleins, der die Segnungen unsers Glaubens und seine erhebenden Feste unbekannt sind! – In seinem Stüblein brachte er die Stunde zu, bis der Weihnachtabend sich still und kalt herniedergesenkt hatte über Stadt und See. Nun litt es ihn nicht mehr im engen Hause. – Das Geräusch des kaiserlichen Einzugs der am Tage Statt gefunden hatte, war nicht vermögend gewesen, ihn seiner Einsamkeit zu entreißen. Der kalten Nacht gelang es, und verhüllt, wie ein Geist, schritt er nach dem Mauerdamm, an dessen Grundfeste die Wellen des Bodensees brausend anschlugen, des Frostes spottend, der[172] bisher fruchtlos versucht hatte, ihnen Eisfesseln anzulegen. Des Jünglings heitrer Blick schweifte über das dunkle deutsche Meer nach den Gebirgen des Appenzells, die in ihren Schneegewändern wie riesige am Himmel gelagerte Geister und Weltwächter herabsahen auf die stolze Bischofsstadt. Alle Glocken des Thurgaus, des Gallenstifts und der schwäbischen Ufer sangen ihr feierliches Lied über des See's Spiegelfläche, auf welcher das wandelnde Mondbild dahin glitt, wie eine Silberscheibe auf ebener Eisbahn. »Gelobt seyst Du, Nacht des Heils;« sprach Dagobert mit demjenigen erheben den Gefühl, das das einfachste Menschenwort zum Gebete stempelt: »Vor länger denn tausend Jahren brachtest Du uns den Glauben, schöner und sanfter als der Mondstrahl, der Dich heute erhellt. Aber noch jetzt, so oft Du wiederkehrst, senkt sich Friede und Freude in die elendeste Hütte, wie in die stolzeste Fürstenburg der Christenheit. Du milde Nacht, den Unschuldigen hold und ein ersehnter Gast, schenke auch mir den Frieden, Deinen Begleiter. Schenke ihr dereinst Dein gnadenvolles Licht, ihr, die noch im Dunkel wandelt, damit ich jenseits sie wieder sehen mag, mit der hienieden keine Vereinigung mir erlaubt ist. Lenke das Herz derer, die mich hassen, zur Liebe und Versöhnung, und mache alle glücklich, die mir fromm auf dem Lebenspfade die Hand bieten!« – Eine Thräne zitterte im Auge des Betenden; er schämte sich ihrer nicht. Sein Herz war beklommen, aber nur von süßer, ruhiger Wonne. Keiner Schuld sich bewußt, kehrte er in die Stadt zurück, wo die Menge[173] durcheinander wogte, wie am hellen Mittage. Alle Fenster waren hell erleuchtet; in dem erbärmlichsten Häuslein brannte ein kümmerliches Licht. Überall, wo Kindersegen daheim war, ragten dunkle Tannenbäume empor, mit den Früchten des Herbstes geschmückt und mit schwankenden Kerzen, die sich auf den Zweigen wiegten, wie die Vöglein des Waldes. Festlich geziert alle Stuben, Mohnklöse und Leckereien auf jedem Tische, Entzücken in jedem Kinderauge, wonnevoller Dank zum Höchsten in jedem Vater- in jedem Mutterblicke. Hier tummelten sich muntre Knaben um den hölzernen Gaul mit Federn geschmückt, und träumten sich zum ebenbürtigen Ritter, zu Schild und Helm geboren; dort tanzte der Mägdlein rothwangige Schar um den zierlichen Rocken, um die glatte Spindel, die das Christkind bescheert; hier brachte eine in Engelgewänder vermummte Dirne süße Fladen und Mandelschnitte, dort sprühte ein Ruthenbewaffneter Putzenmummel den feurigen Regen vergoldeter Nüsse in's Haus. Allenthalben aber regte sich die Lust, und die Erwachsenen schienen zu Kindern geworden zu seyn, um kindlichen Jubel zu theilen. Dagobert strich an den glücklichen Menschenwohnungen vorüber, sein Auge, sein Ohr ergötzend, und dachte, in Theilnahme versunken, kaum daran, daß er keinem Sohne, keiner Tochter das willkommne Christgeschenk werde reichen dürfen. Da überraschte ihn die Mitternachtsstunde, und von dem Thurme der Domkirche riefen die Glocken zur Mette der heiligen Nacht. Das Menschengewühl der Stadt wälzte sich nach Klöstern, Pfarrkirchen und Dom.[174] Den Letztern betrat auch Dagobert. Schon mischten sich einzelne Orgeltöne in das Summen der heranströmenden Bet-und Schaulustigen, die Kerzen an den Altären winkten schon wie flammende Zungen herbei zum nächtlichen Opfer. Um die Weihkessel an den Eingängen drängte sich das Volk. Dagobert reichte höflich mit dem gewöhnlichen Spruch: »Gelobt sey Jesus Christus und seine gesegnete Weihnacht,« seine mit dem benedeiten Wasser benetzten Finger einer edelgekleideten Frau, die vor dem Gedränge nicht zur Säule gelangen konnte, und verstummte überrascht. Seine Schwester stand vor ihm. An ihrer Seite, der breitstirnige Knecht, den sammetnen Kniepolster unter'm Arme und das Windlicht in der Hand. Befremdet maß auch den Jüngling die finster blickende Wallrade, warf den Kopf in die Höhe, und drehte ihm den Rücken zu, langsam vorschreitend gegen den Altar, wo sie ihre Andacht zu verrichten beschlossen hatte. Dagobert schloß sich jedoch hart an die vom Gewühl Aufgehaltne, und sprach sanft zu ihr: »Wir feiern heute die Geburt des Herrn mit freudiger Zuversicht. Auch unsre Eltern, Wallrade, haben die unsrige also begangen, begehen sie noch heute; der Vater auf Erden, lieb Mütterlein im Himmel. Wollen wir denn, die eine Mutter gebar, nicht endlich den kindischen Groll fahren lassen, der aus unsern Spielen stammt, und unser Grab feindlich zu beschatten droht, damit keine Blume der Liebe darauf ersprießen möge? Wollen wir nicht endlich den Zwist ersticken, das Unkraut aus dem irdischen Vaterhause, das wahrlich nicht wuchern sollte in dem[175] Hause des ewigen Vaters?« – Wallrade stand aufmerksam stille, heftete die großen Augen auf den milden Redner, und erwiederte: »Ich nahm Antheil an Euch, da ich nicht wußte, daß Ihr mein Blutsfreund seyd. Die Trennung mancher Jahre hatte mir Eure Züge fremd gemacht, aber der Ohm hat mich erinnert, daß ich noch einen Bruder habe, den ich nicht einen Geliebten nennen kann; und daß derselbe hier lebe, erfuhr ich ebenfalls durch ihn. Weder Ihr, noch der Zufall haben etwas gethan, das mein Vorurtheil hätte mindern können. Liegt Euch indessen so viel daran, uns versöhnt zu sehen, so reiche ich – der Seltsamkeit wegen – die Hand dazu.« – Sie winkte dem jungen Manne, in dem Betstuhle neben ihr Platz zu nehmen, und raunte ihm, den Rosenkranz vom Gürtel nestelnd zu: »Eure Gesellschaft kommt mir noch obendrein in diesem Augenblicke gelegen; sie bewahrt mich vor schlimmerer.« – »Wie so, meine Schwester?« fragte Dagobert. – Wallrade sah seitwärts und bezeichnete ihm durch unmerkliches Augenzwinkern zwei Männer, die unfern standen, und ihre Blicke auf sie gerichtet hielten. – »Der Eine,« sprach sie: »der in der bunten Kleidung, den Ihr schon einmal, wie mich dünkt, an meiner Seite gesehen, ist der Herr von Königseck, ein weibisch thuender Gesell, der von Rosmarinöl duftet, sich einschnürt, daß er einem Heupferde gleicht, und vor eitel Zierlichkeit nicht dazu gekommen ist, in irgend einer Fehde die Sporen zu gewinnen. Der Andre, klein und unansehnlich, verwachsen und mürrisch vom Angesicht, trägt unter seiner hohen Schulter[176] ein Herz voll Kühnheit, Tücke und Leidenschaft. Er ist ein Graf von Montfort; beide Herren aber sind meine Freier; Beide vom Ohm begünstigt; Beide mir verhaßt; der Erste, weil er kein Mann, der Zweite, weil er häßlich und hochfahrend ist. Sie hätten sich sicherlich schon an mich gedrängt, hielte sie Euer geistlich Gewand nicht in Ehrfurcht. Das Letztere danke ich Euch.« – Hiemit neigte sie das Haupt auf die gefalteten Hände, und ließ im stillen Gebete Kugel auf Kugel durch die Finger schlüpfen, ohne den Bruder nur eines einzigen fernern Worts zu würdigen. Dagobert betrachtete sie verwundert von der Seite, und mußte sich gestehen, daß diese stolze Schönheit wohl im Stande sey, andre Männer zu berücken, als den Stutzer und den Mißgestalteten, von denen die Rede gewesen. Zugleich aber bekannte er sich, daß die fromme Stimmung nicht mehr vorhanden sey, in welcher er Wallraden angeredet; daß das seltsam schroffe Benehmen Wallradens ihn beinahe bedauern, ließ, eine Versöhnung eingeleitet zu haben, die nur um Gotteswillen, wie es schien, angenommen worden war. – Welch ein Weib! dachte er bei sich: jeder frommen Regung unzugänglich; die Härte ihres Gemüths sogar bis zu den Ihrem des Herrn tragend, und ohne Bedenken zur Schau legend! Nicht einmal die heilige Handlung beschäftigt sie in diesem Augenblicke, die Glockentöne, die der Menge das Zeichen geben, sich zu bekreuzen, die Brust zu schlagen, werden von ihr überhört. Gedankenlos läßt sie die geweihten Kugeln durch die Fingerspitzen gleiten; denn offenbar verweilt bei andern[177] Gegenständen ihr Sinn, und bald furcht sich ihre Stirn, bald glättet sie sich; bald lächelt ihr Mund, bald seufzt er schwer auf, wie man zu thun pflegt, wenn man sich abmüht, der Seele einen Entschluß abzuringen, vor dem man sich selber scheut. – Wallradens rasches Emporrichten endigte seine Betrachtungen; an deren Stelle trat des Ohrs Aufmerksamkeit, da Wallrade, von den Donnertönen der Orgel umbraust, Gelegenheit fand, dem Nachbar etwas Geheimes mitzutheilen. – »Ich will glauben,« flüsterte sie sanfter denn zuvor, »daß das Bemühen aufrichtig ist, mit welchem der Jüngling Dagobert gut zu machen sucht, was der Knabe an der Schwester verbrach. Ich zaudre daher nicht, des Mannes Freundschaft anzunehmen, mit meinem Vertrauen zu erwiedern, und ihm Anlaß zu geben, meinen Dank zu verdienen, so fern er mir zusagt, das Anvertraute zu bewahren wie ein Mann, nicht wie ein Plauderhaftes Weib.«

»Zählt darauf, Wallrade;« erwiederte Dagobert: »ich könnte eines Zauberschatzes Hüter seyn, Monden lang, ohne ihn durch ein einzig Wörtlein in Asche und Kohlen zu verwandeln. Kann ich vollends Euern Dank dadurch verdienen, bin ich gern bereit zu thun, was Ihr verlangt, um nur Euer Vorurtheil zu widerlegen.«

»Vernehmt denn;« sprach Wallrade, vertraulich werdend: »Es langte heute in des Kaisers Gefolge ein Mann an, der sich schwer an mir verging. Dieser Frevel ist Euch gleichgültig, und somit verschweige ich ihn. Der Anblick dieses Mannes jedoch[178] ist mir eine Folter, da ich mich nicht thätlich an ihm rächen darf, obgleich er mich sehr zu fürchten hat. Sehr; sage ich Euch: der Verdammte fürchtet nicht also seinen Henker. Ihn zu vertreiben aus meiner Nähe, den Beleidiger, ist mein einz'ger Wunsch, und, um diesen erfüllt zu sehen, spreche ich Euch, dessen offne Keckheit ich beifällig wahrgenommen, um Hülfe und Beistand an.«

»Wie kann ich aber mich in dieß seltsame Beginnen einlassen?« fragte Dagobert verwundert. –

»Ein einziger Besuch ist hier hinreichend;« versetzte Wallrade. »Der, den wir meinen, heißt Rudolph Bilger von der Rhön, und ist einer von des Kaisers Jagdleuten. Zieht Kunde ein von seiner Wohnung, sucht ihn heim, und sagt ihm dürr heraus: mein Wille sey's, daß er wieder von dannen scheide, da mir seine Anwesenheit Ärgerniß gebe. Diesem Begehren möge er auf's Schleunigste gehorchen, oder meines Thuns gewärtig seyn. – Das ist Alles. Verspricht er, zu thun, wie ich begehre, so laßt ihn ruhig ziehen; weigert er sich, so fordert ihn vor die Klinge. Ihr habt den Muth dazu, doch gelobe ich Euch, daß es so weit nicht kommen wird. Keines weitern Eingehens in die Sache, nur meines Namens und eines befehlenden Tons bedarf's, um sicher den Zweck zu erreichen.«

»Ihr scheint Eures Mannes verzweifelt gewiß;« meinte Dagobert etwas verlegen: »Wie aber kömmt es, Schwester, daß Ihr keinem Eurer Freier diesen Auftrag gebt?«[179]

»Weil sie meine Freier sind,« antwortete Wallrade; »weil ich niemals heirathen werde, und folglich auch nicht die mindeste Hoffnung dazu geben will.«

»Ich werde demnach in diesem Geschäfte Euer stummes unwissendes Werkzeug vorstellen?« fuhr Dagobert fort; »wie der eigenhörige Knecht, der Hab' und Leben wagen muß, blos weil sein Herr es will, und die Vernunft der Gewalt gehorcht?«

»Befremdet Euch das?« fragte Wallrade, aufstehend; denn der das Hochamt haltende Domprobst sang so eben das feierliche: Ite, missa est: »Seht um Euch her, lieber Bruder Grübler; seht auf Euer Kleid, und nehmt die Vernunft gefangen. Ihr seyd dem Weltall eigen, das erst, nachdem Ihr ihm Alles geopfert, vielleicht Euch offenbart, warum dieses seyn mußte; Ihr strebt darnach, der Leibeigne eines Standes zu werden, der für Alles den Löseschlüssel hat, Alles verzeiht, nur das Vernünfteln nicht. Übt Euch vor der Hand in solcher Pflicht, und gehorcht den Launen eines Weibes, denn nur dadurch erkauft Ihr das Gefühl, welches Ihr von meinem Herzen verlangt.«

Sie schritt von dannen, der Knecht voraus, Dagobert ihr zur Seite, hart an den besprochnen Freiwerbern vorüber, wie nicht beachtet wurden. – »Ich werde Euch willfahren, Wallrade,« sprach der Bruder unter der Pforte: »ich habe es Euch zugesagt; aber weh thut mir's, daß eine Art von Schergenhandlung, deren Zweck und Grund ich nicht begreife, der Preis Eurer schwesterlichen Zuneigung werden soll,[180] die mir mein redliches Werben, die Bande des Bluts und unsers Vaters Liebe hätten zusichern müßen. –«

»Die Redlichkeit des Mannes ist Lüge meistentheils,« versetzte Wallrade kalt und hart: »die Verwandtschaft achte ich nicht – Kain erschlug den sanften Abel – und Diether Frosch, dessen Namen ich nicht mehr trage, hat aufgehört, mein Vater zu seyn, da er die Leuenbergerin zur Ehgemahl erwählte. Schweigt also von Dingen, die nur in des Bänkelsängers Lied gehören, und sagt mir: thut Ihr, was ich begehre, oder nicht?«

»Das Erstere; verlaßt Euch darauf;« antwortete Dagobert unmuthig. »So laßt uns hier Abschied nehmen;« versetzte Wallrade: »ich untersage Euch, mich nach Hause zu geleiten. Die Nebenbuhler sind mir auf der Ferse, und ich will keinen Verdacht erregen, den ich mit dem leistesten Wörtlein zu widerlegen, unter meiner Würde halte.« – Ohne Widerrede, gerne sogar nahm Dagobert die Weisung an, und es war ihm fast wohl, daß er von der Schwester Seite kam, zu deren Dienst ihn blos sein voreilig gegebnes Wort, und ein besondres Zusammentreffen der Dinge bestellt hatten. – Der Wunsch, diesen unangenehmen Frohndienst ungesäumt abzuthun, so wie auch nicht minder die leise Neugier, das Geheinmiß der Schwester vielleicht, wider ihren Willen, zu enträthseln, vermochten ihn, am folgenden Tage schon seine Nachforschungen zu beginnen. Die Feier des Christfestes bot ihm hiezu die erwünschteste Gelegenheit dar. Der prachtvolle Morgengottesdienst am[181] Weihnachttage, begünstigt von dem schönsten kalten Wetter, versammelte im Dom die Fürsten der Kirche, die weltlichen Fürsten und an ihrer Spitze den Kaiser mit seinem ganzen ansehnlichen Gefolge. Ein nicht bis jetzt in Costnitz erhörter Prunk entfaltete sich bei diesem Anlaß. Sigmund, ein wohlgebildeter freundlich blickender Mann mit langem Haupthaare und Bart, dessen Leutseligkeit bei Hohen und Niedern anerkannt war, so wie seine eifrige Bewerbung um Frauengunst, und seine vorstechende Eitelkeit, hatte sich mit allem Pomp umgeben, der einem Kaiser deutscher Nation zu Gebote stand. Alle Fürsten des Reichs, die gegenwärtig waren, halfen treulich dazu, um den vielen Fremden einen Begriff ihrer eignen Macht zu geben. Herolde, Pannerträger, Musikbanden, glänzende Leibwachen, Edelknaben und Marschälle schmückten den Zug der Fürsten und Edeln, und es war keine geringe Aufgabe, unter der Fluth von Herren und Dienern Einen herauszufinden, von dem man nichts weiß, als den schlichten Namen. Dagoberts Bekanntschaft mit Herzog Friedrichs Hause verschaffte ihm Auskunft. Der Truchseß des Herzogs zeigte ihm unter der Schar von grünen Herren im Gefolge des Kaisers den Wildmeister von der Rhön. Dagobert stutzte bei dessen Anblick. Diese sanften Züge, diese bescheidne Haltung verriethen durchaus nicht den rohen Mann, der sich eine Freude daraus macht, sittsame Frauen zu kränken. In dem ganzen Äußern des in schönster Alters Blüthe stehenden Wildmeisters fand der Beobachter nicht das Geringste, das seinen Auftrag und den Widerwillen der Schwester[182] hätte rechtfertigen können. Unmuthig, seines Versprechens Fessel sich aufgeladen zu haben, folgte Dagobert nach vollendetem Gottesdienst dem Herrn von der Rhön in dessen Herberge. Wenige Augenblicke nach dem Letztern trat er in's Gemach, das der Wildmeister bewohnte, und, wie sich's auswies, nicht allein bewohnte. Eine junge kindlich hübsche Frau hing so eben bewillkommend an seinem Halse, ein Kind von zwei Jahren ungefähr lächelte ihm von dem Schooße der Mutter entgegen. In dem engen Stüblein herrschte ein Geist der Ordnung und Reinlichkeit, der die Zelle einer Nonne nicht vortheilhafter hätte schmücken können. Eine Minute beiläufig stand Dagobert unschlüssig unter der Thüre, unbemerkt von dem zärtlichen Paare; aber des Wildmeisters Bärenfänger gewahrte den Fremden und gab Laut. Der Herr von der Rhön ging – aufmerksam gemacht – dem jungen Cleriker freundlich entgegen, nöthigte ihn einzutreten, und forschte höflich nach seinem Begehr. Dagobert's Zunge weigerte sich, den Auftrag, der ihn hieher geführt, in Gegenwart der jungen Frau kund zu geben. Er verlangte von dem Wildmeister geheim Gehör. Bilger überflog den Boten mit seinen Blicken, neigte sich dann freundlich, und sprach: »Würdiger Herr, – ich denke, daß zwischen uns, die sich noch nie sahen, kein Ding bestehen kann, das meiner lieben Ehefrau ein Geheimniß bleiben müßte. Indessen würde ich dennoch Euerm Wunsche gern willfahren, aber ich muß bekennen, wie die Herberge von unsers gnädigsten Kaisers Lerten dergestalt eingenommen ist, daß mir und den[183] Meinen dieß kleine Gemach allein verblieb. Wollet Euch also hier Euers Auftrags entledigen.«

Dagobert wollte reden, aber im Begriff es zu thun, sah er auf Mutter und Kind, wie diese sich herzten, und Engeln gleich zu dem fremden Manne emporsahen, und es war ihm, als dürfe seine Botschaft nicht das Ohr der Unschuldigen berühren. Er bat demnach den Wildmeister, ihm. auf die Flur zu folgen. Bilger, den Kopf schüttelnd über solch seltsam Betragen, ging mit ihm. »Mich sendet Wallrade von Baldergrün,« begann Dagobert, und sah alsobald den Wildmeister, erbleichen wie einen Sterbenden. – »Wo ... wo .... ist sie, was begehrt sie?« stammelte er, der Sprache kaum mächtig. – »Sie ist hier;« antwortete Dagobert betroffen über die zaubergleiche Wirkung der ersten Worte. – »Hier?« – Bilger mußte sich am dem Fensterpfeiler halten. »Hier?« fuhr er fort, da der Bote, selbst von Staunen befangen, verstummte. – »Und ich ... o sagt es heraus ... ich bin verloren?« – »Ich begreife Eure Rede nicht;« sprach Dagobert, tröstend, denn ihn erbarmte des Wildmeisters Zustand. »Der Unwille Wallradens, wenn gleich, wie ich jetzt befürchten muß, verschuldet, sucht Euer Verderben nicht. Das Erbfräulein begehrt nur Eure schleunige Entfernung aus ihrer Nähe. Eure Gegenwart, sagt sie, sey ihr verhaßt, und wolltet ihr der Forderung nicht willfahren, so würde sie thun, was Euch nicht gefällt!« – »Die Schreckliche!« seufzte Bilger: »O, sie weiß zu lohnen, fürchterlich zu lohnen. Aber ich werde ... ich muß gehorchen. Ohnedieß hätte ich nicht[184] lange hier verweilt. Sagt ihr, würdiger Herr .... ich würde scheiden .... sobald die Feiertage verflossen.« – Dagobert sah kopfschüttelnd in des Mannes zerstörtes Angesicht. Bilger schlug die Augen scheu nieder. »Würdiger Herr!« begann er dann zögernd: »Ich darf Euch wohl nicht fragen, ob Euch das Nähere bekannt, das zwischen dem Fräulein und mir obwaltende Verhängniß ....?« – »O schweigt., schweigt!« unterbrach ihn Dagobert rasch: »hier wittre ich Unheil, und das ist, was ich nicht zu wissen begehre. Mein Staunen, Euch so leicht und knechtisch unter eines Weibes Wort gebeugt zu sehen, sey Euch Bürge für meine Unwissenheit. Ich bin Wallradens Bruder, und kenne weder meiner Schwester Herz noch ihr Schicksal, verlange Beides nicht zu kennen. Lebt wohl und vergebt mir die Sendung, die Euch also betrübt und erschreckt hat.« – Ohne des Wildmeisters Antwort zu hören, flog Dagobert die Treppe hinunter. – »Ei, was gähnt mich denn so schauerlich aus. diesen Auftritten an?« fragte er sich befremdet: »Schier kommt mir Wallrade vor wie ein bös Gespenst, das den Menschen durch Unthaten zu seinem Leibeignen macht, um seine Seele mit seinem Leib zu verderben. Nein, Schwesterlein; ich begehre nicht, in Dein Spiel zu sehen, verschmähe es aber auch, Dein Knecht zu seyn!«

Noch am selben Nachmittage ging er, von mancherlei Gefühlen beseelt, Wallraden heimzusuchen. In ihrer Wohnung fand er den Oheim, und die Herren von Königseck und Montfort versammelt. Alle drei waren höchlich überrascht, ihn eintreten zu sehen.[185] Die edeln Freier beruhigten sich indessen bald, da sie vernahmen, der schwarze Herr, der ihnen in vergangner Nacht viel Unruhe verursacht hatte, sey niemand anders, als der Bruder ihrer Huldin. Monsignore Ranocchia lieferte dagegen einen Auftritt, der sich recht gut darstellte, wenn man annahm, Alles, was er vorbrachte, sey ihm Ernst; der aber für die Hauptpersonen possirlich wurde, die wenig an des Oheims Aufrichtigkeit glaubten, und eben nicht besondre Lust verspürten, in ihrem eignen Verhältniß Aufrichtigkeit walten zu lassen. Der Prälat sprach viel von der Stimme der Natur, die endlich doch immer siege, wenn gleich lange durch bösen Zwang darniedergehalten, – von Geschwistern, die zuletzt doch der göttlichen Liebe ihren Haß opfern; und mit Freudenthränen segnete er den heiligen Tag, der Wallraden und Dagobert wieder zusammengeführt. »Ja!« rief er, die klaren Kunstthränen in den Wimpern; »der Himmel hat mein eifriges Gebet erhört. Geschehen ist die Versöhnung, die ich zu meinem liebsten Gedanken erhoben hatte. Dieser wackre Neffe, den ich liebe, wie ein Vater den Sohn.« – Dagobert mußte heimlich lachen. – »Diese getreue Nichte, die ich im Herzen trage, wie eine Mutter die Tochter,« – Wallrade zuckte mitleidig die Achseln, – »sie haben sich wiedergefunden durch mein Zuthun. Die erhabne Kirche, deren Festlichkeiten die Ketzer, Wiklefs und Hussens Jünger, zu schmälern und zu entwürdigen gedenken, pflegt also durch ihre rührende Feier getrennte Seelen zu vereinigen; und ich, ihr unwürdig Geweihter, vereinige Euch zum zweitenmale[186] durch diesen Friedenskuß!« – Er küßte Dagoberts, Wallradens Stirne, und nöthigte die Geschwister, sich zu umarmen. Aber wenn es möglich wäre, daß zwei Bildsäulen von Granit sich in die Arme fielen, herzloser könnten sie nicht Brust an Brust ruhen, als hier die lebenden, von jugendlichem Blute durchströmten Menschen. Die Zuschauer empfanden alle Langweile, die ein solches Schauspiel gewährt. Die Vesperglocken brachten daher einen angenehmen Eindruck auf sie hervor. Der Prälat griff eilig nach Mantel und Hut, um die Kirche nicht zu versäumen; der Herr von Königseck bot Wallraden seine Begleitung in den Dom an, um daselbst den lustigen Pomwitzeltanz mit anzusehen, der – ein Überbleibsel des Heidenthums – in der Christtagsvesper um den Altar getanzt wurde. Der Graf von Montfort schlug einen Gang in's Freie vor, aber Wallrade verweigerte alles, unter dem Vorwande, mit ihrem Bruder eine Sache von Wichtigkeit abthun zu müßen.

Die Herren sammt und sonders fügten sich in ihren Willen. Während sie jedoch mit den verbindlichsten Worten Abschied nahmen, zog der Prälat den Neffen in das Fenster. »Es ist ein Beweis Deiner Klugheit,« sprach er, »daß Du Wallradens Freundschaft suchtest, und ich belobe Dich deßhalb. Die Herren Freier sind – wenn gleich deutsche ungelenke Thiere – dennoch nicht zu verwerfende Gönner, und ich fordre von Dir, daß Du Deinen augenblicklichen Einfluß auf Wallraden dazu benützest, einen oder den andern ihr genehm zu machen, damit[187] sie zur Ehe schreite. Beide sind ganz vernünftig in ihren Bedingungen die sie mir machten. Der Königseck zahlt tausend Gulden baar; der Montfort bietet eine Präbende im Stiftmünster, oder zweihundert Sonnenkronen Jahr für Jahr, zehn Jahre hindurch. – Es soll dein Schade nicht sey, wenn Du die Widerspenstige zu Einem oder dem Andern zu bereden fähig bist. Empfange daher meinen Segen und sey klug. Besonnenheit und Vernunft verschaffen diesem Rocke Ehrfurcht.« – Mit dem edeln Herzen gieng der Oheim von dannen. Wallrade versicherte sich, daß kein Lauscher nahe sey, trat dann mit durchdringendem Blicke hart vor Dagobert hin, und fragte: »Nun, Bundesgenosse! Habt Ihr gethan nach meinen Worten?« – Dagobert bejahte. – »Wird er gehorchen?« fuhr sie fort, dringend und fest. – »Er wird!« erwiederte der Bruder. »In wenig Tagen schon.« – »Hm! ich weiß;« sprach Wallrade mit fliegendem Lächeln: »ich erfuhr bereits ... er geht nach Mörsburg, als bischöflicher Jagdmeister. Es kömmt darauf an, ob er mir dort lästig scheint. In diesem Falle rechne ich auf Euern neuen Beistand, ihn von dannen zu treiben.«

Diese Worte empörten Dagobert's Gefühl, so gut er bis jetzt an sich gehalten hatte. »Ich begreife nicht,« sprach er mit Heftigkeit: welch »unglücklich Schicksal diesen Mann, der einem Verbrecher nicht ähnlich steht, zu einem Geachteten, Vogelfreien gemacht hat, der vor der Drohung eines Weibes sich verbergen muß, jede Stätte verlassend, wo er gedenkt zu bleiben; .. aber so wenig mir gelüstet, der Theilnehmer Eures Geheimnisses zu seyn, so wenig[188] biete ich auch ferner meine Hand zu dieser im Verbergenen schleichenden Gewalttätigkeiten. Hat dieser Mann Euch so schwer beleidigt, daß nur sein Verderben Euch zu versöhnen vermag .... sagt's, und ich werfe diese Kutte auf einige Tage von mir, um mit dem Degen in der Faust den zu strafen, der Euch mißhandelte. Das ist Bruderpflicht. Aber Euer Foltersknecht bin ich nicht, werde es nie seyn. Ich habe des armen Mannes Weib gesehen, sein Kind .... nicht mein Mund, nicht meine Hand wird das Geringste thun, diese Unschuldigen langsam mit zu martern durch die Qual des Gatten und Vaters.«

»Sein Weib, sein Kind?« fragte Wallrade schneidend: »Sie sind hier? Diese Nachricht danke ich Euch. Schon hier? Sehr wohl. Der Herr von der Rhön wird wohl thun, so schnell als möglich von dannen zu ziehen. Nicht meinetwegen allein;« setzte sie langsam und laurend hinzu: »auch wegen des weichherzigen Bruders Empfindsamkeit, der die Laune hat, jungen Ehefrauen allein zugethan zu seyn, wäre es auch seines eigenen Vaters Weib, seine Stiefmutter.«

»Wallrade!« rief Dagobert entsetzt, und seine Zunge erstarrte ob der frechen Anklage.»Läugnet!« entgegnete ihm Wallrade heftig und frecher: »Läugnet, was ganz Frankfurt weiß, was bis in meine tiefe Einsamkeit drang, und meinen Haß gegen Euch befestigte. Läugnet, was Eure Zunge lähmt, als ob sie Gottes Hand getroffen. Wagt es, mich zu beschuldigen und Euch heilig zu sprechen. Ich strafe nur ein Verbrechen, – Ihr lebt aber noch in Schuld und[189] Fehl. Euer falscher Mund, konnte mich gestern berücken, heute aber steht der eigensüchtige, verläumderische, boshaft-üppige Bube Dagobert wieder in seiner vollen Blöße da, und von nun an keine Gemeinschaft zwischen uns. Thut was Euch beliebt. Das Schwert des Henkers legt sich zwischen Euch und mein Geheimniß, damit es der Schuldige nicht verrathe. Es ist todt für Euch. Versucht aber auch ja nicht den Schleier zu lüften; offenkundig machte ich dann Eure eigene Schande, und diesen Arm ...« hier hob sie drohend ihre Rechte ... »ist stark genug, auch in des Bruders Brust Genugthuung zu suchen. – Verlaßt mich jetzt.«

Stumm vor Kränkung, Wuth und Abscheu maß Dagobert die entartete Schwester mit einem Blicke der tiefsten Verachtung, und wendete sich von ihr, wie der fromme Märtyrer von dem Bilde Baals, dem zu opfern die Tyrannei ihn zwingen will. Fest entschlossen, die Unheilathmende nie wieder zu sehen, ging er hinweg.

Quelle:
Carl Spindler: Der Jude. 3 Bände, Band 1, Stuttgart 1827, S. 167-190.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Jude
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volume 2 (German Edition)
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volume 4 (German Edition)
Der Jude: Deutches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volumes 3-4 (German Edition)
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts (German Edition)

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon