Zehnter Auftritt.

[88] Die Vorigen. Rosalie.


CLAUDIA zu Rosalie. Daß du dich klug aufführst, Leonore nichts in den Kopf setzst, sonst –

LEONORE wirft die Feder hin. Ich unterschreibe nicht. Sie tritt einige Schritte vor.

Claudia und Stößel gehen nach vorn an sie heran und nehmen sie in die Mitte.

Nr. 16. Sextett.


CLAUDIA UND STÖßEL.

Was ist das für ein Betragen?

Du erfrechst dich, das zu sagen!

Wie? Du unterschreibest nicht?

LEONORE.

Nein! Nein! Ich unterschreibe nicht!

CLAUDIA UND STÖßEL.

Gut, das wollen wir doch sehen!


Sie suchen sie an den Mitteltisch zu ziehen.


Unterschreib' den Augenblick!

[88] Gotthold tritt auf die linke Ecke.


SICHEL kommt vor zwischen Stößel und Gotthold und will Leonore an der Hand fassen.

Da hilft nichts, es muß geschehen,

Und zwar gleich den Augenblick.

Leonore stößt ihn zurück.


ROSALIE UND GOTTHOLD für sich.

O sie würde nicht anstehen,

Kennte sie ihr ganzes Glück!

O sie würde nicht anstehen,

Kennte sie ihr ganzes Glück!

CLAUDIA UND STÖßEL.

Gut, das wollen wir doch sehen,

Unterschreib' den Augenblick!

SICHEL.

Da hilft nichts, es muß geschehen,

Und zwar gleich den Augenblick!

LEONORE.

Beste Eltern, ich erliege, ich erliege!

CLAUDIA UND STÖßEL.

Narrenspossen! nur geschrieben!

ROSALIE UND GOTTHOLD auf Sichel weisend, für sich.

Der wird alles noch verderben,

Braucht er ferner noch Gewalt!

LEONORE zu Claudia und Stößel.

Sie befördern mein Verderben,

Zwingen Sie mich mit Gewalt.

CLAUDIA UND STÖßEL.

Ei, du wirst nicht davon sterben,

Fort, sonst brauchen wir Gewalt!

SICHEL zu Leonore.

Daran werden Sie nicht sterben,

Fort, sonst brauchen wir Gewalt, Gewalt!

ROSALIE nach rechts vortretend, zu Leonore.

Beste, Beste, laß dir doch nur sagen!

CLAUDIA stößt Rosalie zurück.

Fort, du hast ihr nichts zu sagen!

ROSALIE tritt hinter Claudia weg zwischen Claudia und Leonore.

Gönnen Sie mir nur ein Wort!

CLAUDIA UND STÖßEL zu Rosalie.

Keine Silbe, fort, fort, fort![89]

GOTTHOLD leise zu dem neben ihm stehenden Sichel.

Sag' Er mir, ist Er besessen!

Was erwartet Er hiervon?

LEONORE.

O ich laß mich nicht bethören,

Wen ich liebe, weiß ich schon!

ROSALIE leise zu Leonore.

Könntest du ein Wörtchen hören,

Hättest unterschrieben schon!

CLAUDIA UND STÖßEL zu Rosalie.

Geh, sie braucht nicht deine Lehren,

Was du willst, das weiß ich schon!

Claudia schiebt Rosalie vor sich vorüber nach rechts.


SICHEL zu Gotthold.

Ei, Sie werden mich nicht lehren,

Was ich mache, weiß ich schon!

Rosalie geht hinten herum, Gotthold zur Linken.


SICHEL.

Still! Still! Das rat' ich einem jeden,

Ich will jetzt als Bräut'gam reden,

Unterbreche man mich nicht!


Er tritt an Stößel vorüber zu Leonore.


Mamsell, plagt Sie der Teufel?

Was haben Sie für Zweifel?

Bin ich nicht, wie ich soll?

GOTTHOLD UND ROSALIE beiseite.

Der Mensch ist rasend, toll!

SICHEL zu Leonore.

Wenn Sie sich nicht entschließen,

Will ich zum mind'sten wissen,

Woran es mir denn fehlt?

GOTTHOLD UND ROSALIE beiseite.

Wie er die Arme quält!

SICHEL wie vorher.

Nicht wahr, Sie lieben schon

Des Doktor Krautmanns Sohn?

GOTTHOLD UND ROSALIE beiseite.

Der Schurke spricht uns Hohn!

SICHEL wie vorher.

Des Doktor Krautmanns Sohn?

GOTTHOLD UND ROSALIE beiseite.

Der Schurke spricht uns Hohn!

LEONORE zu Sichel.

Ja, ja, Herr! Ich liebe schon!

[90] CLAUDIA zu Leonore.

Das weiß ich lange schon!

Wie verwegen! Wie vermessen!

Unsers ärgsten Feindes Sohn?

LEONORE wie vorher.

Ja, Herr, ich liebe schon!

Niemals werd' ich ihn vergessen,

Lange liebte ich ihn schon!

SICHEL zu Leonore.

Des Doktor Krautmanns Sohn?

O den müssen Sie vergessen,

Der spricht Ihrer Liebe Hohn!

STÖßEL zu Gotthold.

Wie? Meines Feindes Sohn?

Wie verwegen! Wie vermessen!

Unsers ärgsten Feindes Sohn?

GOTTHOLD für sich.

Der Schurke spricht uns Hohn!


An Stößel vorüber zu Sichel tretend, leise.


Hat der Teufel Ihn besessen?


Für sich.


Sicher lauf' ich noch davon!

ROSALIE für sich.

Der Schurke spricht uns Hohn!

Hat der Teufel ihn besessen?

Sicher lauf' ich noch davon!

LEONORE.

Ihn erwählte ich vor allen,

Ihm gehört mein Herz allein!

SICHEL leise zu Gotthold.

Gelt, das schmeckt? Das muß gefallen,

Zeuge seines Glücks zu sein!

LEONORE.

Ihn erwählt' ich mir vor allen!

SICHEL wie vorher.

Gelt, das schmeckt?

LEONORE.

Ihm gehört mein Herz allein!

SICHEL wie vorher, immer langsamer und leiser.

Gelt, das schmeckt? Gelt, das schmeckt?

Gelt, das schmeckt? Gelt, das schmeckt?

Stößel tritt an Gotthold und Sichel vorüber zu Leonore.


CLAUDIA UND STÖßEL zu Leonore.

Unterschreibe! Fort, behende,

Willst du unser Kind noch sein!

[91]

Unterschreibe! – Fort, behende,

Willst du unser Kind noch sein!

LEONORE für sich.

Meine Qual ist nicht zu nennen,

O ich leide Höllenpein!

SICHEL leise zu Gotthold.

Geben Sie sich zu erkennen,

So wird's gleich zu Ende sein.

GOTTHOLD UND ROSALIE für sich.

Was soll aber wohl das Ende

Von dem ganzen Handel sein?

SICHEL tritt zwischen Leonore und Stößel.

Still! Still! Ich bitte, nun zu schweigen.


Nach Gotthold hin.


Herr Notar, Sie werden nun zeigen,

Was Beredsamkeit vermag!


Er nimmt Claudia und Stößel an der Hand und führt beide geheimnisvoll auf die linke Ecke.


Rosalie schleicht hinten vorüber, Leonore zur

Rechten.

Gotthold tritt Leonore zur Linken.


GOTTHOLD leise zu Leonore, nachdem er sich zu erkennen gegeben.

Werden Sie sich noch bedenken,

Schriftlich mir Ihr Herz zu schenken,

Da Sie's mündlich schon gethan?

ROSALIE leise zu Leonore.

Wirst du dich nun noch bedenken,

Schriftlich ihm dein Herz zu schenken,

Da du's mündlich schon gethan?

SICHEL geheimnisvoll zu Stößel und Claudia.

Eben wird er ihr erzählen,

Krautmann wolle sich vermählen,

Und dann nimmt sie mich wohl an.[92]

LEONORE leise zu Gotthold.

Konnte mir so was nur träumen?

O nun will ich gar nicht säumen

Und ich schreibe herzlich gern.

CLAUDIA UND STÖßEL leise zu Sichel.

Was Sie sagen! Sich vermählen?

Ja, dann wird es gar nicht fehlen,

O nun unterschreibt sie gern!

ROSALIE leise zu Leonore.

Wirst du dich nun noch bedenken,

Schriftlich ihm dein Herz zu schenken,

Da du's mündlich schon gethan?

LEONORE wie vorher.

Konnte mir so was nur träumen?

O nun will ich gar nicht säumen

Und ich schreibe herzlich gern.

GOTTHOLD leise zu Leonore.

Werden Sie sich noch bedenken,

Schriftlich mir Ihr Herz zu schenken,

Da Sie's mündlich schon gethan?

CLAUDIA UND STÖßEL leise zu Sichel.

Was Sie sagen! Sich vermählen?

Ja, dann wird es gar nicht fehlen,

O nun unterschreibt sie gern!

SICHEL wie vorher.

Eben wird er ihr erzählen,

Krautmann wolle sich vermählen,

Und dann nimmt sie mich wohl an.

Leonore tritt hinter den Mitteltisch, ergreift die Kielfeder und unterschreibt.

Sichel tritt an ihre Stelle zwischen Rosalie und Gotthold.


LEONORE legt die Feder nieder.

Hier ist meine Unterschrift!


Sie tritt Gotthold zur Linken vor.


Stößel und Claudia treten hinter den Mitteltisch und unterschreiben.


SICHEL leise zu Rosalie und Gotthold.

Hab' ich nicht was Gut's gestift't?[93]

GOTTHOLD UND ROSALIE leise.

Ja, Er hat was Gut's gestift't!

Ja, du hast was Gut's gestift't!


Sie wiederholen freudig.


STÖßEL UND CLAUDIA.

Hier ist unsre Unterschrift!


Sie treten nach links vor.


Sichel tritt hinter den Mitteltisch, thut, als ob er unterschriebe und giebt dann, indem er zwischen Gotthold und Leonore vortritt, den Kontrakt an Gotthold.


ALLE.

Nun haben wir die Unterschrift! –

ALLE für sich.

Nun hab' ich bald nichts mehr zu scheun,

Dann werd' ich meines Plans mich freun;

Nur standhaft und nicht gleich verzagt!

Gewinnt man wohl, wenn man nichts wagt?

SICHEL spricht, zu Leonore. Nun, du kleine Blitzhexe, du bist also die Meine?

LEONORE seufzend. Weil es das Schicksal so haben will!

STÖßEL. Recht, Kind, das Schicksal will es so haben. Denn wenn es das Schicksal nicht so hätte haben wollen, so – wär' es anders gegangen. Und da mußt du also denken, was das Schicksal will, das will es; und da kann der Mensch nicht widerstreben, thut auch am besten, wenn er nicht widerstrebt, denn es hilft nichts, es muß doch geschehen, was das Schicksal will, denn das Schicksal ist das Schicksal.

CLAUDIA. O paple doch nicht so in den Tag hinein. Mit seinem Schicksal! Du kommst ja gar nicht wieder heraus. Papperlapapp! Sie ist des Hauptmanns Frau geworden, weil ich es so haben wollte und damit gut.

SICHEL. Recht, weil Sie es so haben wollen. Nach Ihrem Kopfe muß alles gehen, und geht auch, hier haben wir's handgreiflich. Aber nun, Kinder, mein Frühstück wartet. Zu Gotthold. Herr Notarius, gehen Sie indessen mit den jungen Damen voraus. Wir werden gleich nachkommen.[94]

GOTTHOLD pathetisch. Nach Euer Gnaden Befehl. Er thut, als wolle er gehen.

CLAUDIA. Ei, wozu denn das? Wir wollen gleich alle zusammen hin. Ich will mich nur ein wenig an ders anziehen, bin gleich wieder hier. Sie geht ab durch die Mitte.


Quelle:
Karl Ditters von Dittersdorf: Doktor und Apotheker. Dichtung von Stephanie dem Jüngeren, Leipzig [o. J.], S. 88-95.
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