Vierundvierzigstes Kapitel.

[142] Ich habe für einen Augenblick den Vorhang über diese Scene fallen lassen, um meine Leser an etwas zu erinnern und ihnen etwas mitzutheilen.

Was ich mitzutheilen habe, kommt, ich gestehe es, etwas außer der Reihe, denn es hätte schon etwa 50 Seiten früher gesagt werden sollen, aber damals sah ich voraus, daß es mir[142] hier ganz gelegen und von mehr Nutzen sein würde, als wo anders. Schriftsteller müssen durchaus immer voraussehen, nur so können sie alles in munterm und geschlossenem Gang erhalten.

Wenn ich die beiden Angelegenheiten besorgt haben werde, soll der Vorhang wieder in die Höhe gehen und dann mögen Onkel Toby, mein Vater und Dr. Slop ohne weitere Unterbrechung in ihrer Unterredung fortfahren.

Zuerst also das, woran ich zu erinnern habe. Aus der sonderbaren Ansicht, die mein Vater über die Taufnamen hatte, sowie aus der andern über einen frühern Punkt wird man wohl geschlossen haben, (und ich glaube, ich sagte auch so etwas,) daß er ein Mann war, der über fünfzig andere Dinge ebenso wunderlich und seltsam dachte. Und in der That über alles, was einem Menschen im Leben nur begegnen kann, von seiner Erzeugung bis zu den schlotternden Unterhosen seiner zweiten Kindheit, über alles hatte er sich irgend eine Lieblingsansicht gebildet, die gemeiniglich ebenso skeptisch war und sich ebenso weit von der Heerstraße hergebrachter Meinungen entfernte, als jene beiden von mir erwähnten.

Mein Vater, Mr. Shandy, pflegte nichts in demselben Lichte wie andere Leute zu sehen, er stellte die Dinge in sein eigenes Licht; er wog nichts auf der gewöhnlichen Wage, nein, dazu war er ein zu feiner Kopf, solchem Irrthum gab er sich nicht hin. Wollte man die Dinge auf der Wage der Wissenschaft genau wägen, sagte er, so müsse das fulcrum fast unsichtbar sein, damit alle Reibung mit hergebrachten Meinungssätzen vermieden werde; gäbe man darauf nicht Acht, so würden die minutiae der Philosophie, die doch sonst ins Gewicht fielen, ganz und gar nicht ziehen – Erkenntniß, behauptete er, sei wie die Materie theilbar in infinitum – Gran und Skrupel wären ebenso gut ein Theil davon, wie die Schwerkraft der ganzen Welt. Kurz ausgedrückt, so lautete seine Rede: – Irrthum sei Irrthum, ganz gleich worin er sich fände, ob in einem Quentchen oder einem Pfunde, – für die Wahrheit sei er immer gleich schädlich, denn diese würde ebenso unterdrückt und niedergehalten, ob der Irrthum nun den Staub eines Schmetterlingsflügels oder die[143] Sonnenscheibe oder den Mond und alle Himmelssterne zusammen beträfe.

Oft klagte er darüber, daß die Mißachtung dieses Grundsatzes und der Umstand, daß man es unterlasse, denselben ebenso gut auf das gemeine Leben wie auf spekulative Wahrheiten anzuwenden, die Ursachen seien, weshalb in der Welt so Vieles außer Rand und Band ginge, das politische Gewölbe nachgäbe und die Fundamente unserer vortrefflichen Einrichtungen in Staat und Kirche, wie Sachverständige meinten, untergraben wären.

Ihr schreit, daß wir ein ruinirtes, zu Grunde gerichtetes Volk sind, pflegte er zu sagen – Warum? frug er weiter, indem er sich der Kettenschlüsse oder Syllogismen des Zeno und Chrysippus bediente, ohne zu wissen, wem er sie verdankte. – Warum? Warum sind wir ein zu Grunde gerichtetes Volk? Weil wir verdorben sind. – Weshalb sind wir verdorben, Sir? – Weil wir arm sind; unsere Armuth ist schuld daran, nicht unser Wille. Und weshalb, setzte er dann hinzu, sind wir arm? Weil wir, lautete seine Antwort, unsere Pfennige und Heller nicht in Acht nehmen, – unsere Banknoten und Guineen, ja selbst unsere Schillinge nehmen sich schon allein in Acht. –

Ganz so, pflegte er zu sagen, ist es überall im weiten Bereich der Wissenschaft: die großen und allgemein anerkannten Wahrheiten können nicht über den Haufen geworfen werden, die Naturgesetze vertheidigen sich selbst, – aber der Irrthum (schloß er und sah dabei ernst meine Mutter an), der Irrthum, Sir, schleicht sich durch die kleinen Ritzen und Spalten, welche die menschliche Natur unbewacht läßt.

An diese Denkweise wollte ich erinnern; was ich aber mitzutheilen habe und bis auf diese Stelle versparte, ist Folgendes:

Unter den mannigfaltigen und vortrefflichen Gründen, mit denen mein Vater es versucht hatte, meine Mutter dazu zu bewegen, daß sie Dr. Slops Beistand dem des alten Weibes vorzöge, fand sich auch ein höchst wunderlicher, auf den er allen Nachdruck gelegt und wie auf einen letzten Rettungsanker vertraut hatte, nachdem die Sache mit ihr als Christ verhandelt[144] worden war, und er sich nunmehr anschickte, sie als Philosoph in die Hand zu nehmen, allen Nachdruck legte, und auf den er, wie auf einen Rettungsanker vertraute. – Es mißglückte, was allerdings der Fehler des Grundes selbst nicht war, sondern vielmehr daher kam, daß er ihr trotz aller seiner Bemühungen das Gewicht desselben nicht recht begreiflich machen konnte. Verdammtes Schicksal! sagte er eines Nachmittags zu sich selber, als er das Zimmer verließ, wo er ihr anderthalb Stunden lang ohne allen Erfolg vordemonstrirt hatte, – verdammtes Schicksal, und warf die Thür hinter sich zu, indem er sich auf die Lippe biß, – wenn Einem so die schönste Beweisführung zu Gebote steht, und man dabei ein Weib hat, in deren Kopf auch nicht die kleinste Schlußfolgerung hineinzubringen ist, mag man anfangen, was man will!

Dieser Grund, der an meiner Mutter ganz und gar verloren ging, war für ihn von weit größerem Gewichte, als alle andern Gründe zusammen. Ich will mich daher bemühen, denselben so klar als möglich darzulegen.

Mein Vater ging von folgenden zwei unbestreitbaren Axiomen aus:

Erstens, daß eine Unze eigenen Verstandes mehr werth sei, als eine Tonne fremden; und

Zweitens (was nebenbei gesagt die Grundlage des ersten Axioms bildet, obgleich es später kommt), daß eines Jeden Verstand aus eines Jeden eigenem Geiste kommen müsse und aus keinem fremden.

Da es nun meinem Vater einleuchtend war, daß aller Geist von Natur gleich ist, und daß der große Unterschied zwischen dem schärfsten und stumpfesten Verstande nicht ursprünglich davon herrühre, daß ein Denkvermögen schärfer oder stumpfer als das andere sei, über oder unter dem andern stehe, sondern daß derselbe nur von der glücklichern oder unglücklichern Organisation des Körpers, vorzüglich aber jenes Theiles herrühre, den der Geist zu seinem Sitze erwählt hat, – so machte er es zum Hauptgegenstande seiner Untersuchung, die Stelle dieses Sitzes ausfindig zu machen.[145]

Nach den besten Zeugnissen, die er über diesen Punkt hatte sammeln können, war er darüber mit sich im Klaren, daß die Zirbeldrüse, wohin Descartes den Geist verwiesen, und die, wie mein Vater weiter philosophirte, eine Art Kissen von der Gestalt einer Zuckererbse für das Gehirn bildete, dieser Sitz nicht sei. Aber da doch so viele Nervenstränge an dieser Stelle auslaufen, so war die Konjektur immer nicht übel, und ohne meines Onkel Toby's Hülfe wäre mein Vater sicherlich mit dem großen Philosophen gemeinschaftlich in diesen Irrthum hineingeplumpst. Glücklicherweise erzählte ihm jener von einem wallonischen Offizier, dem in der Schlacht bei Landau ein Theil seines Gehirnes mit einer Musketenkugel weggeschossen, ein anderer Theil aber späterhin von einem französischen Wundarzte herausgenommen worden sei, und der alles glücklich überstanden und seinen Dienst trotz des Verlustes nach wie vor weiter versehen hätte.

Wenn, so schloß mein Vater nach weiterer Ueberlegung, der Tod nichts ist als eine Trennung von Geist und Materie, und es dennoch wahr ist, daß es Leute giebt, die herumgehen und ihre Geschäfte verrichten ohne Gehirn, so hat der Geist eben seinen Sitz nicht im Gehirn. Q.E.D.

Was nun jene dünne, zarte und sehr wohlriechende Flüssigkeit anbetrifft, über deren Auffindung in den Zellen des Hintergehirnes der große Mailänder Arzt Coglionissimo Borri in einem Schreiben an Bartholini berichtet, und die er ebenfalls als den hauptsächlichen Sitz des denkenden Geistes bezeichnet, (denn man muß wissen, daß unser aufgeklärtes Zeitalter zwei Sorten Geist in jedem Menschen annimmt, wovon der eine, nach dem großen Metheglingius, animus, der andere anima genannt wird;) – was, sage ich, die Ansicht dieses Borri betrifft, so konnte sie mein Vater durchaus nicht zu der seinigen machen. Schon der bloße Gedanke, pflegte er zu sagen, daß ein so edles, gebildetes, körperloses, erhabenes Wesen, wie die anima, oder selbst der animus, seinen Sitz in einer Pfütze, in einer dicken oder dünnen Flüssigkeit nehmen und Tag für Tag, Sommer und Winter wie eine Kaulpadde darin herumpatschen sollte, beleidige seine Einbildungskraft, – er möge so etwas gar nicht hören.[146]

Die Ansicht, welche ihm die wenigsten Einwürfe zuzulassen schien, war daher die, daß das Sensorium oder Hauptquartier des Geistes, zu welchem alle Mittheilungen hingehen und von wo aus er alle seine Befehle ertheilt, in dem cerebellum oder nahe bei demselben sei, etwa so um die medulla oblongata herum, wie alle holländischen Anatomen übereinstimmend annehmen, wo die Nerven aller fünf Sinnesorgane gleich Straßen und geschlängelten Wegen auf einem Platze zusammentreffen. –

So weit hatte meines Vaters Ansicht nichts Wunderliches; er ging darin Hand in Hand mit den besten Philosophen aller Zeiten und Länder. Aber nun nahm er seinen eigenen Weg, indem er auf den Grundsteinen, welche sie für ihn gelegt hatten, eine Shandy'sche Hypothese aufbaute, und zwar eine Hypothese, die unverrückt stehen blieb, mochte nun die Subtilität und Feinheit des Geistes von der Beschaffenheit und Klarheit erwähnter Flüssigkeit, oder – zu welcher Meinung er mehr hinneigte – von dem feinern Netzwerk und der feinern Textur des cerebellum selbst abhängig sein.

Er behauptete, daß nächst der gehörigen Sorgfalt, die bei dem Akte der Erzeugung eines Individuums zu nehmen sei, ein Akt, der mit der allergrößten Vorsicht geschehen müsse, indem durch ihn der Grund gelegt werde zu jenem unbegreiflichen Gebäude, in welchem und durch welches Witz, Gedächtniß, Einbildungskraft, Beredsamkeit und was man sonst mit dem Namen »gute Anlagen« bezeichne, zur Erscheinung kommen sollen; daß nächst diesem und dem Taufnamen, als den beiden und unerläßlichsten Grundbedingungen – die dritte Bedingung, oder, wie die Logiker es hießen, die causa sine qua non, ohne welche doch alles vergebens wäre, die sei, daß dieses zarte und feingesponnene Gewebe vor der gräulichen Beschädigung bewahrt bleibe, die es durch die heftige Quetschung des Kopfes und durch den auf denselben ausgeübten Druck, bei der unsinnigen Methode uns mit dem Kopf voraus zur Welt zu bringen, erleide.

Dies verlangt eine Erklärung.

Mein Vater, der gern in allerhand Bücher guckte, hatte in [147] Lithopaedus Senonesis de partu difficili1 herausgegeben von Adrianus Smelvogt gefunden, daß der weiche und biegsame Kindskopf, dessen Schädelknochen zur Zeit der Geburt noch keine Nähte haben, durch die bei den Wehen wirkende Muskelkraft, welche einem senkrechten Drucke von circa 470 Pfd. gleichkommt, sicherlich neunundvierzigmal unter fünfzig Fällen in die Form eines länglichen, konischen Stück Teiges gedrückt und geknetet wird, etwa wie ein Pastetenbäcker seinen Teig aufrollt, um eine Pastete daraus zu machen.

Heiliger Gott! rief mein Vater, was für eine gräuliche Verwüstung muß das in dem unendlich feinen und zarten Gewebe des cerebellum anrichten! Oder wäre es eine Flüssigkeit, wie Borri meint, muß das nicht übergenug sein, die klarste Flüssigkeit trübe und muddig zu machen?

Aber wie wuchs nun erst seine Besorgniß, als er erfuhr, daß diese Kraft, indem sie gerade auf den Scheitelpunkt des Kopfes wirkt, nicht allein das Gehirn selbst, oder das cerebrum beschädigt, sondern ganz unvermeidlich das cerebrum gegen das cerebellum, also gegen den unmittelbaren Sitz des geistigen Vermögens, drückt und zwängt. – Alle himmlischen Heerschaaren mögen uns beschützen! rief mein Vater aus; wie kann ein Geist das aushalten? Kein Wunder, daß das Hirngewebe so zerrissen und zerfetzt ist, wie wir's sehen, und daß so viele unserer besten Köpfe nichts Besseres sind als eine verwirrte Docke Seide – alles ineinandergesitzt – lauter Konfusion!

Als mein Vater aber noch weiter las, und ihm offenbar wurde, daß, wenn man das Kind wende und es bei den Beinen herausziehe (was für einen Geburtshelfer ein Leichtes sei), das [148] cerebrum dann nicht gegen das cerebellum, sondern das cerebellum blos gegen das cerebrum, dem es keinen Schaden zufügen könne, gezwängt würde, – da rief er: Bei Gott! Alle Welt hat sich verschworen, uns um das bischen Verstand zu bringen, das der Schöpfer uns mitgegeben hat, und die Professoren der Gebärkunst sind die Mitverschwornen. Was macht es mir aus, mit welchem Ende zuerst mein Sohn in die Welt kommt, vorausgesetzt, daß nachher Alles gut wird und sein cerebellum ungequetscht bleibt? –

Es liegt in der Natur jeder Hypothese, daß sie, einmal aufgestellt, aus Allem ihre Nahrung zieht, und vom ersten Augenblicke ihrer Entstehung an durch Alles, was man sieht, hört, liest oder begreift, an Kraft und Stärke zunimmt. Dies ist wichtig.

Kaum hatte mein Vater die seinige einen Monat mit sich herumgetragen, so gab es kaum irgend ein Phänomen von Dummheit oder ungewöhnlicher Begabung, das er nicht mittels derselben zu erklären im Stande gewesen wäre; sie gab ihm Aufschluß darüber, weshalb der älteste Sohn gemeiniglich der größte Dummkopf der Familie sei. – Armer Teufel, sagte mein Vater, er hat der Fähigkeit seiner jüngern Brüder Bahn brechen müssen. Sie löste ihm das Räthsel aller Narrheit und Querköpfigkeit, – indem sie a priori bewies, daß es gar nicht anders sein könne, denn – – nun ich weiß schon nicht. Sie bewährte sich wundervoll in der Begründung des asiatischen acumen und der größeren Lebhaftigkeit und schärfern Beobachtungsgabe, welche den Geistern wärmerer Klimate eigen sei; das käme nicht etwa, wie man gewöhnlich sehr oberflächlich meine, von dem klaren Himmel, dem immerwährenden Sonnenschein u.s.w., einem Uebermaß, durch welches seiner Ansicht nach die Fähigkeiten der Seele ebenso gut verflüchtigt und in Nichts aufgelöst werden könnten, wie sie in kältern Zonen durch das entgegengesetzte Uebermaß verdickt würden, – nein, er ging auf den wahren Grund zurück und zeigte, daß die Natur in den wärmeren Zonen es mit dem schönen Geschlechte besser gemeint, ihm mehr Freuden und weniger Schmerzen gegeben habe, demnach der[149] Druck und Widerstand auf die Hirnschale so leicht wäre, daß die Organisation des cerebellum nicht darunter litte; ja, er glaube, daß, wo die Geburt naturgemäß vor sich gehe, nicht ein einziges Fädchen des Gewebes zerrissen oder verschoben werde, so daß der Geist dann vollkommen freie Bewegung habe.

Wenn mein Vater so weit gekommen war, welch ein Lichtglanz ergoß sich dann von den Berichten über den Kaiserschnitt und über die gewaltigen Genies, welche durch ihn ungefährdet in die Welt gesetzt worden waren, auf seine Hypothese! Da sehen Sie, pflegte er zu sagen, hier fand keine Beschädigung des Sensoriums statt, kein Druck des Kopfes gegen die pelvis, kein Drängen des cerebrum gegen das cerebellum, weder bei dem os pubis, noch bei dem os coxygis auf der andern Seite, und – ich bitte – was waren die glückseligen Folgen? Nun, Sir, ein Julius Cäsar, welcher der Operation den Namen gab, und ein Hermes Trismegistus, der geboren wurde, ehe sie noch einen Namen hatte, und ein Scipio Africanus, ein Manlius Torquatus und ein Eduard VI., der, wenn er am Leben geblieben wäre meiner Hypothese gewiß Ehre gemacht hätte. Diese, Sir, und noch viele Andere, die in den Annalen des Ruhmes hoch verzeichnet stehen, kamen alle auf diesem Nebenwege zur Welt.

Der Schnitt in das Abdomen und den Uterus ging meinem Vater sechs Wochen lang im Kopfe herum; er hatte es gelesen und war darüber vollkommen beruhigt, daß Wunden im epigastrium und in der matrix nicht tödtlich seien, so daß der Bauch meiner Mutter sehr gut geöffnet werden könne, um das Kind herauszunehmen. Er erwähnte der Sache eines Nachmittags gegen meine Mutter, nur so, als einer Thatsache, aber er sah, daß sie schon bei der bloßen Erwähnung kreideweiß wurde; deshalb hielt er es für besser, nichts weiter zu sagen, obgleich er sich mit der Operation geschmeichelt hatte, und begnügte sich damit, das, was er doch nur erfolglos in Vorschlag bringen würde, wenigstens still bei sich zu bewundern.

Dies war meines Vaters Hypothese, welcher, wie ich noch hinzufügen will, mein Bruder Bob zum mindesten ebenso viel Ehre machte, als einer der obenerwähnten Helden; denn da er nicht allein[150] während meines Vaters Abwesenheit in Epsom getauft (wie schon erzählt), sondern auch geboren worden war, und zwar als meiner Mutter erstes Kind und mit dem Kopf voraus, überdies sich als ein Junge von ungemein geringen Fähigkeiten erwiesen hatte, – so bestärkte dies Alles meinen Vater in seiner Meinung, der jetzt, nachdem es ihm an dem einen Ende mißglückt war, den festen Entschluß faßte, es am anderen zu versuchen.

Von einem Gliede der ehrenwerthen Schwesterschaft, die sich so leicht nicht aus ihrem gewohnten Gange bringen läßt, konnte er dabei nichts erwarten, und das war eben der Grund, weshalb mein Vater einen Mann der Wissenschaft begünstigte, mit dem er leichteres Spiel zu haben hoffte.

Kein Mensch hätte geeigneter für meines Vaters Absichten sein können, als Dr. Slop; denn obgleich er auf seine neu erfundene Zange stolz war und sie für das sicherste geburtshülfliche Instrument hielt, so hatte er doch, scheint es, in seinem Buche auch ein paar Worte zu Gunsten der Sache gesagt, die meinem Vater so sehr am Herzen lag, und das Herausziehen bei den Füßen empfohlen – freilich nicht, wie nach meines Vaters Systeme, des Geistes wegen, sondern aus rein geburtshülflichen Gründen.

Dies wird hinreichen, das Bündniß zu erklären, welches mein Vater und Dr. Slop in der nachfolgenden Unterredung mit einander schlossen, wobei sie meinen Onkel Toby etwas hart mitnahmen. Wie ein schlichter Mann, nur von seinem gesunden Menschenverstande unterstützt, es mit zwei solchen verbündeten Gelehrten aufnehmen konnte, ist schwer zu begreifen. Wem's gefällt, der mag darüber seine Vermuthungen anstellen, und wenn seine Einbildungskraft einmal in Bewegung gesetzt ist, so versuche er doch auch gleich, ob er nicht entdecken kann, was für natürlichen Ursachen und Wirkungen es zugeschrieben werden muß, daß mein Onkel Toby durch die Wunde am Schambein zu seiner Schamhaftigkeit gekommen war. Auch könnte er vielleicht ein System erfinden, das den Verlust meiner Nase mit gewissen Ehevertragsartikeln in causalen Zusammenhang brächte und der Welt zeigte, wie es gekommen sei, daß ich das Unglück hatte, trotz[151] meines Vaters Hypothese und gegen den Wunsch und Willen meiner ganzen Familie, meiner Herren Pathen und Frau Pathinnen Tristram getauft zu werden. – Alles das und noch 50 Dinge mehr, die bis jetzt noch nicht aufgeklärt sind, kann, wer will und wer Zeit hat, zu erklären versuchen; aber ich sage im Voraus, – es ist vergebliche Mühe, denn weder der weise Alquife, der Zauberer in Don Belialis von Griechenland, noch die nicht weniger berühmte Zauberin Urganda, sein Weib, (wenn sie noch am Leben wären,) dürften sich einfallen lassen, der Wahrheit nur auf eine Meile nahe zu kommen.

Deshalb wird sich der Leser damit begnügen müssen, die Erklärung aller dieser Dinge bis auf nächstes Jahr hinausgeschoben zu sehen, wo dann allerhand offenbar werden soll, wovon er sich nichts hat träumen lassen. –

Fußnoten

1 Der Autor begeht hier einen doppelten Irrthum, denn statt Lithopaedus muß es Lithopaedii Senonensis Icon. heißen. Der zweite Irrthum ist der, daß Lithopaedus nicht etwa ein Autor ist, sondern das Herausnehmen einer verstellten Geburt bedeutet. Den Bericht darüber, welchen Athosius 1580 veröffentlichte, kann man am Schlusse von Cordäus' Schriften in Spachius nachlesen. Mr. Tristram Shandy wird in diesen Irrthum verfallen sein, weil er entweder den Namen Lithopaedus in des Dr. * kürzlich erschienenem Verzeichniß gelehrter Autoren fand, – oder er verwechselt Lithopaedus mit Trinecavellius, was bei der großen Aehnlichkeit der Namen leicht geschehen konnte.


Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 142-152.
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