Fünfundsiebenzigstes Kapitel.

[205] Ich halte dies für eine sehr unbillige Forderung – rief mein Urgroßvater, indem er das Papier zusammenrollte und auf den Tisch warf. – Danach, Madame, haben Sie Alles in Allem zwei tausend Pfund Vermögen, nicht einen Schilling mehr, und verlangen ein Leibgedinge von dreihundert Pfund jährlich! –

Weil Sie eine so kleine Nase haben, Sir, – fast gar keine, antwortete meine Urgroßmutter.

Um Alles, was ich in diesem interessanten Theile meiner Geschichte zu sagen haben werde, vor Mißverständniß sicher zu stellen, sehe ich mich veranlaßt, noch ehe ich das Wort Nase zum zweiten Male gebrauche, meine Ansicht darüber auszusprechen und genau anzugeben, was ich unter diesem Worte verstanden haben will; denn nur der Nachlässigkeit und dem Eigensinne der Schriftsteller, welche diese Vorsichtsmaßregel verachten, und durchaus nichts Anderm haben wir es zuzuschreiben, daß die theologischen Streitschriften nicht ebenso klar und verständlich sind als die über Irrlichter oder sonst einen vernünftigen Gegenstand der Philosophie und Naturwissenschaft. Was also soll man thun, eh' man anfängt, wenn man nicht eben die Absicht hat, bis zum jüngsten Tage so hin und her zu taumeln? was anders, als dem Leser eine gute Definition des Wortes, auf das es vorzüglich ankommt, geben und daran festhalten; es umwechseln, Sir, wie man eine Guinee umsetzt, in kleine Münze. Dann versuche es der Vater aller Verwirrung, Einen verwirrt zu machen, oder eine andere Idee in des Lesers Kopf zu bringen, als man will. –

In Büchern, die es mit streng moralischen Fragen und philosophischen Untersuchungen zu thun haben, wie das vorliegende, ist eine solche Nachlässigkeit unverantwortlich, und der Himmel ist mein Zeuge, wie schwer sich die Welt dafür an mir gerächt hat, daß ich hin und wieder Anlaß zu Zweideutigkeit gab und mich zu sehr auf die reine Phantasie meiner Leser verließ.

Das ist doppelsinnig, sagte Eugenius, als wir spazieren[206] gingen, und zeigte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf das Wort Ritze, das im 32. Kapitel dieses Buches der Bücher steht; hier sind zwei Auslegungen möglich, sagte er. – Und hier sind zwei Wege, entgegnete ich, indem ich stehen blieb – ein schmutziger und ein anderer, der nicht schmutzig ist; welchen wollen wir einschlagen? – Den andern, ohne Frage, erwiederte Eugenius. – Eugenius, sagte ich und trat vor ihn hin, indem ich die Hand aufs Herz legte, – deuten heißt mißtrauen! – So triumphirte ich über Eugenius, aber ich triumphirte nach meiner Art, – wie ein Narr. Doch Gott sei Dank! ich bin kein eigensinniger Narr, also:

definire ich Nase wie folgt: – doch zuvor bitte und beschwöre ich meine Leser, männliche wie weibliche, von welchem Alter, welcher Beschaffenheit oder Verfassung sie auch immer sein mögen, um Gottes und ihrer eigenen Seele willen, den Versuchungen und Einflüsterungen des Teufels zu widerstehen und nicht zu dulden, daß er durch Trug und List andere Gedanken in sie lege, als ich in meine Definition, – denn unter Nase will ich sowohl in diesem langen Nasenkapitel, als überhaupt an jeder Stelle dieses meines Werkes, wo das Wort vorkommt – ich erkläre es hiemit feierlichst – nichts mehr und nichts weniger verstanden haben, als – eine Nase.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 205-207.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)