Einundneunzigstes Kapitel.

[135] Wenn eines Menschen Wünsche neunzigmal schneller laufen als das Vehikel, dessen er sich bedienen muß, dann wehe der Wahrheit und wehe dem Vehikel nebst Zubehör (mag es nun sein aus welchem Stoffe es will), – er wird den Zorn seiner Seele darüber ausschütten.

Da ich nie ein allgemeines Urtheil über Menschen und Dinge im Zorn fälle, so beschränkte sich Alles, was ich zuerst bei der Sache dachte, auf das alte Sprüchwort: »wer sich übereilt, wird langsam fertig«; das zweite, dritte, vierte und fünfte Mal blieb ich auch noch immer bei dem vorliegenden Fall stehen und maß blos dem Postillon für das zweite, dritte, vierte und fünfte Mal die Schuld zu, ohne indessen meine Gedanken auf Weiteres zu richten; – als aber die Sache ein sechstes, siebentes, achtes, neuntes und zehntes Mal und so fort ohne alle Ausnahme immer wieder vorkam, da konnte ich nicht mehr umhin, eine allgemeine, nationale Bemerkung zu machen, die so lautet:

Daß an einer französischen Postchaise, beim Ausfahren, immer etwas in Unordnung ist – – oder, wie man es auch ausdrücken kann:

Ein französischer Postillon wird immer vom Bock steigen müssen, eh' er sich noch dreihundert Schritt von der Station entfernt hat.

Was ist denn nun schon wieder? Zum Henker! ein Strick ist gerissen – eine Schlinge ist aufgegangen – ein Haken herausgefallen – ein Pflock muß zugespitzt werden – ein Stift – ein Nagel – eine Schnalle – oder eine Schnallenzunge ist nicht in Ordnung.

So wahr dies nun ist, so halte ich mich doch nicht für berechtigt, die Postchaise oder den Postillon deshalb zu verwünschen, noch fällt es mir etwa ein, bei dem lebendigen Gotte zu schwören, ich wollte lieber zehntausendmal zu Fuße gehen oder der Teufel solle mich holen, wenn ich meinen Fuß je wieder in solch ein Ding setzte; – nein, ich fasse die Sache mit Ruhe an und bedenke, daß immer ein Strick, oder eine Schlinge, oder ein[136] Pflock, oder ein Stift, oder ein Nagel, oder ein Riemen, oder eine Schnalle, oder eine Schnallenzunge in Unordnung sein oder fehlen werden, mag ich reisen, wo ich will; deshalb ereifere ich mich nicht und nehme mit Gleichmuth hin, was mir auch begegne, sei es gut oder schlimm. – Mach's zurecht, Schwager, sagte ich; er hatte schon fünf Minuten beim Absteigen verloren, um ein Stück Schwarzbrod aus dem Wagenkasten hervorzuwühlen, und fuhr jetzt, als er wieder aufgestiegen war, langsam weiter, um es bequemer verarbeiten zu können. – Fahr zu, Schwager, sagte ich lebhaft, aber mit einem sehr überzeugenden Tone, denn ich klopfte mit einem Vierundzwanzig-Sousstück gegen das Fenster, wobei ich Sorge trug, daß die flache Seite ihm zugekehrt war, als er sich umdrehte. Der Sappermenter hatte es verstanden; grinsend verzog er das Maul vom rechten bis zum linken Ohr und wies hinter seinem schmutzigen Maule eine solche Perlenreihe von Zähnen, daß Königinnen Juwelen dafür versetzt hätten.

Himmel, was für Kauwerkzeuge!/Brod!

Und als er das letzte Maulvoll hinuntergekaut hatte, fuhren wir in Montreuil ein.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 135-137.
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