Einhundertundzweiundsechzigstes Kapitel.

[237] Alle Mächte der Zeit und des Zufalls, die uns so oft in dieser Welt auf unsern Bahnen stören, rufe ich hier zu Zeugen, daß ich noch nie der Liebschaft meines Onkels Toby so recht auf die Sprünge kommen konnte, bis zu dem Augenblicke, wo meiner Mutter Neugierde, wie sie's nannte, oder ein anderer Beweggrund, wie mein Vater meinte, sie zu dem Wunsche trieb, ein bischen durchs Schlüsselloch gucken zu können.

– Nenn's beim rechten Namen, Liebe, sagte mein Vater, und gucke durchs Schlüsselloch, so lange Du willst.

Nichts als das Aufgähren jenes säuerlichen Humors, der meinem Vater eigen war, und von dem ich schon oft gesprochen habe, hätte eine solche Unterstellung rechtfertigen können; doch besaß er eine so offene, edelmüthige Natur und war besserer Ueberzeugung so leicht zugänglich, daß er kaum das letzte Wort des unfreundlichen Tadels ausgesprochen hatte, als es ihm auch schon leid that.

Meine Mutter hatte gerade ihren linken Arm in seinen rechten gelegt, und zwar so, daß die Fläche ihrer Hand auf dem Rücken der seinigen lag; sie hob die Finger und ließ sie fallen, – es war kaum ein Klaps zu nennen, oder war es ein Klaps, so würde es selbst einem Casuisten schwer geworden sein zu bestimmen, ob es ein Klaps des Vorwurfs oder des reuigen Bekenntnisses war. Mein Vater, durch und durch feinfühlig, wußte was er bedeute; das Gewissen schlug ihm, er kehrte sein Gesicht sogleich ab, und meine Mutter, die meinte, daß sich sein Körper nachdrehen würde, um nach Hause zu gehen, brachte sich vermittels einer Seitenbewegung des rechten Beines, wobei ihr das linke als Stütze diente, ihm so gegenüber, daß, als er den Kopf wieder wendete, sein Auge dem ihrigen begegnete. Neue Verwirrung! er sah tausend Gründe, den Vorwurf zurück zu nehmen, und ebenso viele, sich Vorwürfe zu machen: ein wäßriger, blauer, kühler, durchsichtiger Krystall, so ruhig, daß man das kleinste Atom, die geringste Regung einer Begierde, wäre sie da gewesen, auf dem tiefsten Grunde hätte sehen können; – da war[238] nichts; – und woher es kommt, daß ich so lüstern bin, besonders ein wenig vor der Frühlings- und Herbstnachtgleiche? Das weiß der Himmel! Meine Mutter, Madame, war es nie, nicht von Natur, nicht durch Ehegebrauch, nicht durch Beispiel.

In allen Monaten des Jahres, in allen kritischen Momenten, ob dieselben bei Tag oder Nacht eintraten, rann ihr Blut gleichmäßig durch die Adern; auch erhitzte sie dasselbe nicht durch die Aufwallungen übertriebener Andachtsübungen, für welche, da sie wenig oder keinen Sinn haben, die Natur meist einen finden muß, – und was meines Vaters Beispiel anbetraf, so war es so weit davon entfernt, sie in dieser Beziehung anzureizen oder herabzustimmen, daß es vielmehr die Aufgabe seines Lebens war, alle Gedanken der Art ihr ferne zu halten. Natur hatte das Ihre gethan, um ihm diese Mühe zu ersparen, das wußte mein Vater, und so hätte er sie sich auch ersparen können. – Und hier sitze ich, den 12. August des Jahres 1766 in einer Purpurjacke und gelben Pantoffeln, ohne Perücke noch Käppchen, eine tragikomische Erfüllung seiner Prophezeiung: »daß ich aus diesem Grunde nie wie ein anderes Menschenkind denken oder handeln würde.«

Der Irrthum meines Vaters war der, daß er meiner Mutter Beweggrund angriff, statt die Handlung selbst anzugreifen, denn sicherlich, Schlüssellöcher sind zu etwas Anderm da, und betrachtet man die Handlung als eine solche, welche einem deutlich angewiesenen Zwecke widerspricht und einem Schlüsselloche wehrt, das zu sein, was es ist, so erscheint sie als eine Handlung wider die Natur und ist als solche, wie man einsehen wird, ein Kriminalverbrechen.

Das ist der Grund, Ew. Hochehrwürden, weshalb Schlüssellöcher mehr Veranlassung zur Sünde und Gottlosigkeit geben, als alle andern Löcher in der Welt zusammengenommen.

– Was mich wieder auf meines Onkels Liebschaft bringt.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 237-239.
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