4. Reiseziele

[622] In Riva kannten jetzt sehr viele die Pflanzenanlage meines Freundes, wenn ich von dem Berge Sankt Gustav sprach.

Ich hielt mich aber nicht mehr lange in Riva auf. Nur die Zeit verbrachte ich dort, die ich brauchte, um meine Sachen, welche ich in Rikars Hause zum Geschenke erhalten hatte, sehr gut zu packen und auf den Weg nach Treulust zu geben. Dann dachte ich auf die Weiterreise. Ich packte meine Reisestücke aus den Laden des Wirtes in den Koffer und bestellte auf den nächsten Morgen einen Platz auf einem Schiffe, welches südwärts ging.

Als dieser Morgen angebrochen war und ich mit einem Manne, der mein Gepäcke trug, gegen den See ging, kamen wir an einer Planke vorbei, über welche Weinlaub herüber ragte. Plötzlich hörte ich eine Stimme, die mir bekannt schien, rufen: »Signore, Signore!«

Ich wandte mich gegen die Stelle, woher die Stimme kam, und sah Gerardos Lockenhaupt über die Bretter herüber schauen, zugleich sah ich ein nettes Häuschen in dem Garten stehen, das ganz mit Weinlaub umfaßt war[622] und große Fenster hatte. Bei einem dieser Fenster sah ein schönes Mädchen mit offenen, feurigen Augen heraus.

»Ich bin da,« rief Gerardo, »und das ist unser Garten und unser Haus, und das ist meine Schwester.« »So? das ist ja recht schön«, antwortete ich. »Signore, Eure Flaschen sind noch da«, sagte er wieder. »Sind die Flaschen noch voll?« fragte ich.

»Ei freilich,« antwortete er, »ich habe sie im Keller aufbewahrt.«

»So trinke sie in meinem Namen aus,« sagte ich, »und die leeren Flaschen wirf in den See. Deiner Schwester aber gib dieses kleine Goldstück, daß sie es sich aufhebe und sich meiner erinnere, wie ich mich deiner erinnern werde, weil du ein so guter, fröhlicher Bursche bist.«

»Ich danke, Signore,« rief er, »ich danke. Seid Ihr noch immer in Riva? ich habe Euch gesucht und nicht gefunden. Machen wir bald wieder eine Fahrt?«

»Siehst du nicht,« sagte ich, »daß dieser Mann meine Reisesachen trägt? Wir gehen zu dem See, wo ein Schiff ist, das mich auf immer von Riva fort bringen wird.«

»Auf immer?!« rief er, »nun so lebt recht wohl, Signore, lebt wohl und nehmt unsern Dank mit.«

»Lebt wohl und nehmt unsern Dank«, tönte jetzt eine helle, schmelzende, silberklare Stimme. Es war die Schwester gewesen, die aus dem Fenster gerufen hatte.

»Lebt auch Ihr wohl«, sagte ich, winkte freundlich gegen das Fenster, und wir gingen weiter.

Das waren die letzten Stimmen gewesen, die ich von Bekannten meines Aufenthaltes in dieser Gegend gehört hatte. Im nächsten Augenblicke sah ich den Bord und die Stangen unseres Schiffes.

Mir kam das Zusammenleben dieses Geschwisterpaares fast lieblich vor. Ich hatte nicht gefragt, ob auch noch eine Mutter, ein Vater, oder beide, oder noch sonst jemand in dem Häuschen wohne. Ich konnte mir nicht anders[623] vorstellen, als daß nur diese zwei da wohnen, daß das Häuschen äußerst reinlich gehalten werde, daß sie mit ihrer silberklaren Stimme öfters singe, daß er sie gutmütig behandle, und daß sie sehr glücklich zusammen seien.

Ich bestieg mein Schiff, auf welchem ich lauter fremde Menschen antraf. Einen Stich gab es mir in das Herz, als ich unter den Waren, die auf dem Schiffe lagen, auch zwei Ballen liegen sah, die Marias Zeichen trugen.

Ich gab dem Manne, der mein Gepäcke getragen hatte, seinen Lohn, und er ging fort.

In kurzer Zeit machte das Schiff, welches nur ein gewöhnliches Transportschiff war, sich von dem Ufer los, die Ruder fielen in das Wasser, klatschten in ihrem gewöhnlichen Takte fort, die weiße Häuserlinie von Riva und die Berge hinter ihr wichen allgemach zurück, immer mehr legte sich die dunkle Flut zwischen uns und das Land, bis die Bergwelt, in welcher ich jetzt so lange und so glücklich gelebt hatte, nur mehr wie blaue, duftige Erhebungen hinter mir stand.

Wir kamen nach dem Süden, dessen langgestreckte, einfache, verschwimmende Linien mich aufnahmen.

Mit einem sonderbaren gedrückten und schweren Herzen saß ich in dem Wagen und fuhr in der sonnenglänzenden, freundlichen und fruchtbaren Lombardie dahin. –

Ich war von da an in einer langen Reihe von Tagen und von Wochen in Venedig gewesen und hatte seine Schätze und den gesitteten, achtungswerten Menschenschlag kennen gelernt – ich war von da durch Toscana gefahren, das man den Garten Italiens nennt – ich hatte mich in die Campagna gewendet, die so luft-, duft- und lichtdurchwoben ist – ich war dann in Rom gewesen, das zwei große Vergangenheiten hat, eine geschichtliche und eine künstlerische – ich war nach Neapel gekommen und hatte[624] gesehen, wie das blaue Meer, in dem die weißen Segel leuchteten, von dem langen Kranze der Stadt umschlungen ist, und wie wieder die Stadt in weitem Kreise von den grünen Höhen umfangen wird, in denen die Landhäuser wie andere Segel in einem zweiten Meere glänzen – ich war endlich einige Wochen in Neapel, das sie ein Stück Himmel nennen, geblieben; aber ich konnte nicht recht froh werden. Wenn ich in dem Wagen fuhr, wenn ich so auf freie Anhöhen kam, wenn ich die Merkwürdigkeiten der Zeit und Kunst ansah, oder wenn ich auf einer Felseninsel in der Bai von Neapel saß, schwebten mir die sanften Wangen und die schönen Augen Marias vor. Ich habe nie ein einfacheres, natürlicheres, edleres und großmütigeres Mädchen kennen gelernt. Die braune Farbe ihrer Wangen, gegen welche sie ihre Schönheit aufgeopfert hatte, kam mir verehrungswürdig vor, ich hätte sie durchaus nicht wegwünschen mögen, weil sie ihr Preis, ihr Schmuck und ihre Würde ist. Ihr klares, gerades Herz hatte sich so schön an das meine gewendet, was sie sagte und tat, war mir so zugeartet und verwandt, daß mir jetzt, da ich unter andern Menschen herum wanderte, war, als hätte ich meine Heimat, als hätte ich Vater, Mutter und alles verlassen. Ich hatte nie gewußt, was Zuneigung und Liebe zu einem Wesen des weiblichen Geschlechtes sei, jetzt wußte ich es.

Ich ging von Neapel noch gar in die Südspitze der Halbinsel und nach Sicilien. Dort aber wendete ich um. Den Plan eines längeren Verweilens in Italien gab ich nun vollends auf und suchte so schnell als möglich Treulust zu gewinnen. Ich ging durch die Halbinsel zurück, sah noch alles an, was ich auf der Hinreise nicht gesehen hatte, und nahm es mit ernstem Gemüte auf. In Livorno schiffte ich mich nach Genua ein, ging von da nordwärts und kehrte durch die Schweiz in das Vaterland zurück.

Es war ein trüber, nebliger Tag, als ich in Treulust eintraf.[625] Der tiefe Herbst hing über der Gegend. Auf den Feldern waren keine Früchte mehr, sondern die Halme waren eingefurcht, und die braunen, nassen Schollen liefen dahin. Nur einige Futterkräuter und das letzte Gras auf den Rainen und Wiesen gab der Gegend ein Grün. Als ich zwischen meinen Gartenanlagen hinein fuhr, kamen mir die Gewächse, die in denselben standen, und die ich selber mit Freude gepflanzt hatte, wie schlechte Dinge vor. Unter Marias Händen wären sie besser gediehen.

Man hatte mich noch nicht erwartet; denn ich hatte in der letzten Zeit nicht geschrieben und von meiner Rückkehr nichts gemeldet. Als ich daher mit Postpferden in den Hof hinein fuhr und sie mich beim Aussteigen erkannten, kamen alle herbei, welche eben im Gebäude waren, und begrüßten mich und bezeugten ihre Freude, daß ich da sei. Mancher hatte mir zu sagen, welche Veränderungen während meiner Abwesenheit vorgefallen seien, und was er mir zeigen müsse. Mich freute die Freude der Leute, und es rührte mich, daß ich hier eine solche Anhänglichkeit besitze.

Ich dankte allen und grüßte sie von Herzen. Dann ließ ich meine Sachen abpacken, und mehrere der Leute geleiteten mich in meine Zimmer. Dort erwartete mich etwas Liebes. Ich fand nämlich da die Dinge, welche ich in Rikars Hause geschenkt erhalten und von Riva hieher gesendet hatte. Der Altknecht hatte sie auspacken und da nieder legen lassen. Auf dem Tische lag der Teppich und ließ einen Zipfel herab hängen, zum Zeichen, daß ihn meine Leute auseinander gelegt hatten, um zu sehen, ob er schön sei. Daneben lag das Fernrohr, lag der Lichtschirm, die Bücher Marias, die Büchschen mit dem Geigenharz, die Fächer mit den Saiten und alle die landwirtschaftlichen Gegenstände und Dinge. Nur was an Knollen und Sämereien noch im Herbste in die Erde[626] mußte, hatte der Gärtner nach meiner gesendeten Anweisung untergebracht.

Die Zimmer waren nicht im geeigneten Zustande.

Als ich ein wenig gesessen war und mich wieder an den Anblick meiner Wände gewöhnt hatte, befahl ich, daß man die Zimmer etwas in Ordnung bringe, namentlich daß man sie lüfte und dann heize, ich würde unterdessen ein Weilchen in dem Hause herum gehen.

Als meine Anordnung in Vollzug gesetzt und die Zimmer in Bereitschaft waren, ging ich in dieselben hinauf. Es war mittlerweile auch die Nacht herein gebrochen. Noch bei dem Scheine der Kerzen ließ ich die geschenkten Sachen ihrer Bestimmung zuführen. Ich ließ den Teppich unter den Schreibtisch breiten, stellte den Schirm vor meine Lichter, legte Camillas Geschenke zu meinen Geigensachen, stellte die Bücher in den Bücherschrank, tat das Fernrohr zu seines Gleichen und brachte die landwirtschaftlichen Gegenstände an den geeigneten Plätzen unter. Als dies geschehen war, und als ich den Abend gar mit Lesen, mit Verzehrung meines Nachtmahles und mit Unterredung mit meinen Leuten hingebracht hatte, legte ich mich auf das Bett, um das erste Mal wieder in meinem Hause zu schlafen.

Am andern Morgen ging ich an die Arbeit und Besichtigung meiner Angelegenheiten.

Als die ersten dringenden Beschäftigungen vorüber waren, und als die Vorrichtungen, die ich brauchte, fertig waren, schickte ich auch einige Geschenke nach Rikars Hause. Ich schickte ihm zwei ausgezeichnete und gut erhaltene Wouwerman, damit er nicht mehr zu sagen brauchte: ›Vielleicht kommen auch wieder Bilder in das Haus.‹ An die Mutter sendete ich einen schön gebundenen Dante und mehrere Bücher der neueren Zeit, die sie noch nicht hatte. An Camilla schickte ich meine Cremoneser Geige, zu der ich ein Fach aus Ebenholz, mit violettem[627] Sammet gefüttert, hatte machen lassen, genau, wie es bei ihren Geigen ist. An Maria sandte ich die Bücher desselben Inhaltes, wie sie mir gegeben hatte, nachdem ich sie sehr schön hatte binden lassen. Überdies schickte ich ihr Pflanzen aus meinem Garten und bat, sie möchte dieselben, wenn sie auch nicht so schön wären als die ihrigen, doch annehmen und ihnen bei sich einen Platz anweisen. Auch bat ich, daß sie jeden Herbst eine Zusammenstellung von Hyazinthenzwiebeln von mir annehme. An Alfred ließ ich ebenfalls eine Sendung kleiner Landwirtschaftsdinge nebst einem guten Chronometer abgehen.

Alle Sachen wurden von mir eigenhändig in eine Kiste gepackt und auf den Weg gegeben.

Sie kamen sehr gut an; denn nach ein paar Wochen bekam ich ein Schreiben, das die glückliche Ankunft und den außerordentlichsten Dank aussprach. Das Schreiben bestand aus fünf Briefen, deren vier aus Rikars Hause und der fünfte von Alfred waren. Jeder freute mich herzlich; denn jedes sprach in demselben seine wahrsten, freundschaftlichsten Gesinnungen aus. Ich legte die Briefe von den fünf liebsten Menschen, die ich jetzt auf der Erde hatte, zu meinen Kostbarkeiten in einen Schrein. Kostbarkeiten sind bei mir Dinge, die mir in irgendeiner Beziehung zu einem Menschen lieb geworden sind.

Ein Winter kam und verging. Ein Sommer kam und verging. Ein neuer Winter kam und verging auch. Als der Frühling angebrochen war, wurde es mir wie den Zugvögeln. Ich tat die notwendigen Anordnungen in meiner Besitzung, sagte, daß ich eine Weile aus sein würde, setzte mich in einen Wagen und fuhr fort.

Ich fuhr auf dem geradesten Wege nach Riva.

Als ich dort angekommen war, ging ich in das Häuschen Gerardos.

»Da seid Ihr ja wieder«, rief er, als er mich ansichtig wurde.[628]

»Ja,« sagte ich, »ich bin doch nicht auf immer von Riva fort gegangen, sondern ich bin wieder gekommen, und will sogar wieder in dieselben Berge gehen, in denen ich vor zwei Jahren gewesen war, und du mußt mich über den See fahren«.

»Hat es Euch dort so gefallen?« fragte er, indem er mich ansah.

Bei der Anfrage dieses natürlichen Menschen war es mir, als durchschaue er mich, und ich errötete.

»Heute müßt Ihr aber auch in unser Haus herein gehen«, sagte er.

Er führte mich in das Häuschen, in welchem ich die Schwester fand.

Wirklich war es so, wie mir ein Instinkt gesagt hatte. Die zwei Menschen wohnten allein in dem Häuschen, das Häuschen war sehr rein, und sie waren sehr glücklich. Ob sie auch singe, konnte ich nicht heraus bringen, sie leugnete es, aber ihre Stimme war so biegsam, so ausgebildet, daß ich es mir nicht anders erklären konnte, als sie müsse öfters und zwar viel singen. Beide waren noch sehr jung, sie aber viel jünger als Gerardo. Er wachte eifersüchtig über sie, wie über eine Geliebte. Sie zeigte mir den Dukaten, den sie vor zwei Jahren von mir empfangen hatte.

Als wir verabredet hatten, daß er mich morgen vor Tagesanbruch abholen solle, ging ich fort.

Da noch die Sterne an dem Himmel standen, kam er, und wir fuhren in das finstere Wasser hinaus. Ich hatte ihm gesagt, daß er mich in gerader Richtung zu dem Höllwässerlein hinüber fahren sollte; denn ich hatte meinen Willen darauf gesetzt, genau denselben Weg zu gehen, den ich vor zwei Jahren gegangen war.

Als der Morgen herauf gekommen war, als die Sonne sich über die Berge erhoben hatte und ihr Licht über die wunderschöne Öde dieser Landschaft ausgegossen hatte, kamen wir an dem Geröllstrome und an dem Höllwässerlein[629] an. Dieses Mal waren weder die Fischer noch der Ziegenknabe anwesend, sondern die Gegend war völlig menschenleer.

Ich gab Gerardo seinen Lohn, hieß ihn zurückfahren und stieg gegen die Schlucht empor. Ich sprach auch ein wenig bei dem alten Hieronymus ein und plauderte ein Weilchen mit ihm. Dann ging ich den Felsenweg bis zu dem schwarzen Steine, an dem dieses Mal auch niemand saß. Als ich in das Seitental einbiegend die grünen Bäume sah und aus ihnen das weiße Haus Rikars hervor schimmerte, klopfte mir das Herz, und ich verdoppelte die Schritte. Da ich näher kam, hatte ich eine Überraschung: alle großen Steine waren aus den Gemüsebeeten fort, und jenseits des Hauses bis zu dem Rauche hin, wo die Erden gebrannt werden, wogte eine lustige junge und sehr grüne Saat.

Ich ging durch den Garten, und als ich mich dem Hause näherte, sprang Maria in ihren kurzen Kleidern und mit dem Strohhute auf dem Haupte die Stufen von der Halle herab und grüßte mich. Hatte sie mich nun kommen gesehen, oder war sie eben zufällig im Begriffe, heraus zu gehen.

»Seien Sie gegrüßt,« rief sie, »seien Sie gegrüßt, das ist sehr schön, daß Sie kommen.«

Sie faßte mich an der Hand und führte mich in das Haus. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte sie.

Sie führte mich die Treppe empor, sie führte mich an ihren und an des Vaters Zimmern vorbei, und gerade auf die der Mutter und Camillas zu. Als wir eingetreten waren, als wir das Vorzimmer zurückgelegt hatten und sie die Tür in das erste Zimmer öffnete, rief sie: »Vater, Mutter, wen bringe ich da?!«

Die Mutter kam uns aus dem nächsten Zimmer entgegen, und der Vater schritt aus einem weiteren heraus.[630]

»Ach, das ist schön, das ist schön!« riefen sie fast gleichzeitig.

Die Mutter reichte mir die Hand, der Vater umarmte mich und drückte mir wiederholt die Hände. Es war von beiden Seiten eine große, unverhohlene Freude, und ich entzückte mich an der Wärme des Empfanges.

»Kommt herein, kommt herein«, sagte die Mutter.

Sie führten mich in eine Art Gesellschaftszimmer, das früher nicht so gewesen war, und an das die Zimmer Camillas stießen. Aber bei der offenen Tür hinein sehend, sah ich nicht die Geigengeräte und die Einrichtung Camillas, sondern Rikars Tisch, sein Sofa, und aus dem ferneren Zimmer heraus blickend sein Bett, wie er alles früher in dem Gemache gehabt hatte, in dem ich bei meiner ersten Ankunft mit ihm zu Abend gegessen hatte. Als wir uns niedergesetzt hatten und sie mein Befremden bemerkten, sagte die Mutter: »Nicht wahr, da haben sich Veränderungen begeben und Ihr vermißt etwas? Camilla hat uns verlassen, sie ist jetzt unsere Nachbarin auf dem Gute Alfreds, und ist mit allen ihren Sachen dahin gezogen. Rikar ist zu mir gekommen, und so leben wir jetzt in unserem Alter wieder in gegenseitigem Beistande, wie wir in der Jugend gelebt hatten.«

Als ich meinen Beifall zu dieser Veränderung ausgesprochen hatte, sagte sie: »Ja, es hat sich bei uns vieles und sehr zum guten geändert. Die jungen Eheleute leben sehr glücklich – wir müssen sie einmal besuchen – und auch bei uns haben sich sehr angenehme und sehr zweckmäßige Veränderungen ergeben.«

Nachdem sie mir noch vielfach ihre Freude ausgedrückt hatten, daß ich gekommen sei, nachdem wir von verschiedenen Dingen, namentlich von unseren Erlebnissen während der zwei Jahre gesprochen hatten, und die Mutter noch manches von den jungen Leuten erzählt hatte, führte mich Rikar in sein Schreibzimmer und zeigte mir die[631] zwei Wouwerman, die er dort aufgehängt hatte. Über dem Schreibtische hing ein kleines Bildnis von Guido, das ihm Maria zum Geburtstage gegeben hatte. Die Mutter zeigte mir meine Bände auf dem Ehrenplatze in ihrer Büchersammlung.

Als wir in den Garten hinunter gegangen waren, und ich alles, was in der Zeit geschehen war, besah, führte mich Maria zu dem Platze, wo meine Blumen standen. Sie waren in dem vortrefflichsten Zustande. Die Hyazinthen waren längst verblüht, aber sie standen allein in einem eigenen Beete beisammen.

Am andern Tage führte mich Maria zu ihren neuen Feldern hinaus. Als wir so an der schönen Saat dahin gingen, sagte sie sanft: »Er hat mich erraten und hat mich belohnt. Sie leben sehr glücklich. Sie gab ihr ganzes zärtliches Herz hin, und liebt ihn unermeßlich. Er liebt sie auch, und schont und ehrt und achtet sie. Ich habe es gewußt, daß Alfred so handeln werde. Er horcht auf ihre schönen Töne, wenn sie ihr Gefühl ausspricht, und sie wird bei ihm tüchtiger, tätiger und an den Wirtschaftssorgen teilnahmsvoller. Sie werden sehen, wenn wir hinab kommen, wie gesund sie ist. Sie ahnt von dem Zusammenhange nichts. Auch hier oben weiß man nichts, wenn es nicht etwa der Vater ist, der alles erkennt.«

Maria hatte keinen Neid, als sie dieses sprach, sondern die reinste Freude strahlte aus ihren Augen.

»Ich habe mir hier etwas anderes zusammengerichtet,« sagte sie leise, »sehen Sie, da ist Weizen, da ist Gerste, da ist Korn.«

Bei diesen Worten führte sie mich auch gegen ein kleines gemauertes Gebäude, das an einen Gartenschoppen angebaut war. In dem Gebäude standen zwei jener schönen, glatten Gebirgsochsen, wie man sie in der Gegend zuweilen trifft.[632]

»Ich habe sie mir angeschafft, daß sie meine Feldarbeit verrichten«, sagte sie.

Von dem Neubruche der Felder gingen wir in die Halltäler, wo sie mir eine kleine Alpenwirtschaft zeigte, die sie auf den grünen Matten im Schutze der Felsen angelegt hatte. Dann gingen wir wieder zurück.

Wir waren ganz allein gegangen. Sie ging freundlich neben mir, bückte sich manchmal um eine Blume, sprach mit mir, oder grüßte liebreich einen Mann aus ihren Leuten, der uns begegnete. Man sah dem Manne die Freude an, und wie er das Mädchen liebte und achtete.

Am nächsten Tage gingen wir alle zu Alfred. Mit einem wahren Sturme von Freude wurden wir empfangen. Camilla konnte mir nicht genug sagen, wie es sie freue, daß ich da sei. Ich aber geriet fast in ein Erstaunen, wie sie sich geändert hatte. Eine volle, klare Gestalt stand vor mir, die Wangen waren dunkler, die Augen glänzender. Mit einer lieben Geschäftigkeit ordnete sie die Dinge des Hauses an, die unsere Ankunft notwendig gemacht hatte. Im Triumphe zeigte sie mir meine Geige, die sie bei den andern in ihrem Fache aufbewahrt hatte. Unaufgefordert spielte sie etwas Heiteres und Kräftiges auf diesen Saiten. Alfred behandelte sie sehr zart, und man sah, er hegte und pflegte sie in seinem Herzen.

Wir blieben außer Maria, die zurück mußte, zwei Tage auf dem Gehöfte und wurden mit Freude und Bewirtung überhäuft.

Auch Alfred und Camilla kamen später zu uns auf das Haidehaus und blieben zwei Tage.

Als die Zeit, die ich mir bei Rikar bestimmt hatte, vorüber war, als wir alles geredet hatten, was zu reden war, nahm ich Abschied. Der Abschied war sehr herzlich, und man trug mir auf, recht bald wieder zu kommen.

»Leben Sie wohl, lieber, teurer Mann,« sagte Maria, »und kommen Sie sehr bald wieder.«[633]

Ich hatte mir dieses Mal den Weg über Sankt Gustav gewählt, und von da nach Riva, und in der kürzesten Linie nach Treulust zurück.

Zu Maria hatte ich nicht das leiseste – nicht das leiseste gesagt. Wie sollte ich auch? Dieses Mädchen steht so fest auf dem irdischen Boden, und sein Herz ragt doch so schön und zart in den höchsten Himmel hinein. Ich trage ihr Bild heiß – heiß in meinem Herzen. Aber was kann sie mir sein? Sie ist gut, freundlich und lieb gegen mich, aber sie hat, wenn auch ohne Wunsch und Begehr, ein anderes Bild in sich.

Ich werde nie mehr zu Rikar gehen.

Der Zufall, der immer eine solche Rolle in meinem Leben gespielt hat, hatte mich in dieses Haus geführt, um mir zu zeigen, welch ein Glück es für mich gäbe, und um es mir auf immer zu nehmen.

Ich hatte gar nie gewußt, daß ein solches Mädchen auf der Erde möglich ist. Wie wäre es schön, wenn sie um mich waltete, wenn sie wirtschaftete, schaffte, mich mit dem klaren, einfachen, heiteren Verstande umgäbe, immer und zu jeder Frist freundlich, offen und gut wäre, und in dem edlen, starken Herzen mich mit der tiefsten, heißesten Gattenliebe trüge. Wie wollte ich in dem jetzt einsamen Treulust walten, oder wie gerne wollte ich auch in dem stillen Alpentale bei ihr sein und dort mit ihr wirken und schaffen. – Ich sollte nur erkennen, was einzig schön und göttlich ist, um es dann auf ewig ferne zu haben.

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 2, Wiesbaden 1959, S. 622-634.
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