Vierte Szene

[10] Robert. Heinecke. Frau Heinecke.


ROBERT den Eltern entgegenstürzend, die steif und verlegen dastehen. Guten Morgen, Vater ... Guten Morgen, Mutter! Umarmt die Mutter und küßt ihr wiederholt die Hand. Ich bin – ganz – unmenschlich – glücklich!

HEINECKE. »Willkommen, teurer« – Da Robert sich auf seine Hand niederbeugt, wischt er sie rasch an den Beinkleidern ab. Du willst mir ooch die Hand küssen?

ROBERT. Gewiß will ich das, wenn du sie mir gibst ...

HEINECKE reicht sie ihm dar. Da sieht man, was ein juter Sohn is ...

ROBERT sich umschauend. Da wär man also! ... Ich weiß noch gar nicht: Ist es denn möglich? ... Am Ende träum ich wieder mal bloß. Das wär 'ne schlimme Geschichte! ... Ach – und das Heimweh! – Herr des Himmels, das Heimweh! ... Denkt Euch mal, da sitzt man zur Nachtzeit in einem Winkel, und alles, was man verlassen hat, steht lebendig um einen rum, Mutter, Vater – der Hof, der Garten, die Fabrik – und mit einem Male sieht man einen langen, langen Palmenwedel über sich schwanken oder aus der Ferne kreischt ein Papagei, und man kommt zu sich und weiß, man sitzt einsam am andern Ende der Welt ... Brr!

HEINECKE. Popejei? ... Das muß doch sehr hübsch sind? ... Das können bei uns bloß die reichen Leute haben.

ROBERT. Ja, und wenn Ihr wüßtet, was ich für Angst ausgestanden hab die letzten Jahre hindurch und noch jetzt auf der Heimreise, daß ich alles so finden würde, wie ich es mir in meiner Sehnsucht ausgemalt hab!

HEINECKE. Warum denn nich? –

ROBERT. Da war einer – ah, sonst ein lieber Freund, mein liebster Freund, müßt Ihr wissen – der versuchte meine Erwartung herabzustimmen. – Du bist fremd geworden, hat er gesagt, und man soll nicht leimen wollen, was Zeit[10] und Schicksal längst zerbrochen haben – und weiß Gott, was sonst noch. – Da hab ich wirklich beinahe angst bekommen vor ihm und Euch und mir auch ... Na, Gott sei Dank, auch die Sorge ist von einem genommen. Alles und alles hat sich erfüllt. – Das ist wirklich und wahrhaftig, was ich mir zehn Jahre lang ausgemalt hab! ... Da ist Vater – da ist Mutter – lieb und schlicht und – – Zärtlich. ein bißchen klapprig geworden – na ja! ... Sich reckend. Aber wozu sind denn diese zwei jungen Arme auf der Welt? Paßt auf! ... Die haben das Goldmachen gelernt ... und die Schwestern werden auch bald da sein! ... Sieh – und hier steht Vaters alter Kleistertopf – ach je ... Streichelt den Topf. Und mein Einsegnungszeugnis – eingerahmt. – Und die Dampfmaschine daneben macht auch immer noch ihren lieben Skandal. –

FRAU HEINECKE. Hast wohl keen Ooge zugemacht von wegen die olle Maschine ... die bumst ooch die janze Nacht hindurch ...

ROBERT. Ein schöneres Wiegenlied, Mutter, hat mich noch nie in den Schlaf gesungen. Ich war schon halb hinüber, da sagt' ich mir noch immer: Pfauche nur, stampfe nur, altes Tier. Immer fleißig. Aber wenn du dich noch so anstrengst, fleißiger als ich, der ich hier liege, kannst Du am Glanze des Hauses Mühlingk auch nicht schaffen. Denn hier ist ein Hebel, mit dem man rechnen muß. – Ist das nicht ein stolzer Gedanke? ... Und da ist das Herz mir weit geworden für unsere Wohltäter. –

HEINECKE. Hm!

ROBERT. Du sagtest, Vater?

HEINECKE. Ick? nischt!

ROBERT. Und ich hab mir zugeschworen, nicht zu erschlaffen in ihrem Dienste bis zu meinem letzten Atemzug.

HEINECKE. Ick denke, du hättst nu gerade genug für die getan.

FRAU HEINECKE. Geschunden und abgerackert hast du dich zehn Jahre lang.[11]

ROBERT. Es war nicht so schlimm, Mutter. Aber nun sprechen wir lieber nicht mehr in diesem Ton! ... Das Mühlingksche Haus hat mir jeden Tag auf's neue Ursach zur Dankbarkeit gegeben. Die Briefe waren beinahe freundschaftlich zu nennen, die der Kommerzienrat und vor allem Curt, der ja jetzt Mitinhaber ist, an mich richteten.

HEINECKE. Curt – Alabonheur, das is ein nobler Junge. Aber im übrigen wird's auch hier heißen: der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, wie der Berliner sagt ... Lehr mich die Bande kennen!

ROBERT verschluckt eine Erwiderung und wendet sich stirnrunzelnd hinweg.

HEINECKE. Ja, Robertchen, sieh dich nur um! Siehste nischt? Er sieht nischt, Mutter! –

FRAU HEINECKE. Ach, laß deinen Schnak!

HEINECKE. Meinen Schnak – so! Wenn ick den teuren Sohn im Vaterhause willkommen heiße, so is dir das Schnak? Führt ihn zum Plakat. He ... Haste Worte?

ROBERT. Das hast du gemacht, Vater, du mit deinem lahmen Arm?

HEINECKE. Pah! Ick mach noch janz andere Dinge! Wenn ick armer Krüppel nicht mal zujriffe, wäre die werte Familie schon längst verhungert ... Wat stehste hier un jaffst, Mutter? Wo bleibt der Kaffee?

FRAU HEINECKE. Na, na!


Wendet sich zum Gehen.


ROBERT ihr nacheilend. Mutter, es war gewiß nicht schlimm gemeint.

FRAU HEINECKE. Schlimm? Er red't nur so, damit du denken sollst, er is der Herr im Haus! Ab.[12]


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 10-13.
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