Neunte Szene

[96] Die Vorigen. Frau Mühlingk von hinten. – Später Lenore von links.


CURT für sich. Da kommt auch noch die Alte ... Das kann schön werden.

FRAU MÜHLINGK. O Curt, Cutt!

CURT. Ja, Mama!

FRAU MÜHLINGK setzt sich. Du hast deinen Eltern viel Kummer bereitet, mein Sohn. Daß dein alter Vater gezwungen war, mit solchem Gesindel zu unterhandeln, Lenore von links. wie ist das schmutzig, wie ist das erniedrigend für uns! Zu Lenoren. Was willst du hier?

LENORE. Ich muß mit Euch sprechen.

MÜHLINGK. Wir haben jetzt keine Zeit. – Geh auf dein Zimmer.

LENORE. Nein, Papa. Ich kann die Rolle der schweigenden Haustochter in diesem Falle nicht spielen. – Bin ich ein Mitglied der Familie, so will ich auch zu Rate gezogen werden.

MÜHLINGK. Was bedeutet diese Feierlichkeit?

LENORE. In unserem Hause hat sich heut ein unglückseliger Vorfall abgespielt.

MÜHLINGK. Daß ich nicht wüßte! –

LENORE. Ihr braucht mir nichts zu verheimlichen. Es schickte sich wohl nach den Gesetzen der Heuchelei, die man uns sogenannten jungen Mädchen auferlegt, daß ich die Augen niederschlage und die Nichts-Verstehende spiele. Aber das geht in diesem Falle nicht an. Ich habe alles erfahren.

FRAU MÜHLINGK. Und du schämst dich nicht ...?

LENORE bitter. Ja, ich schäme mich.

MÜHLINGK. Weißt du, mit wem du sprichst? Du bist von Sinnen.

LENORE. Hab ich mich im Ton vergriffen, so vergebt mir. Ich will Euch ja weich stimmen und nicht erzürnen ...[96] Vielleicht bin ich wirklich eine schlechte Tochter gewesen ... Vielleicht habe ich wirklich nicht das Recht, einen eigenen Gedanken zu fassen, so lang ich nicht das eigene Brot esse ... Wenn es so ist, versucht mir zu vergeben ... Ich will tausendfach wiedergutmachen. – Aber habt Einsicht, gebt ihm seine Ehre wieder. –

MÜHLINGK. Ich will dich gar nicht einmal fragen: was geht dich der Mensch eigentlich an? aber sag mal – was verstehst du darunter: die Ehre wiedergeben?

LENORE. Mein Gott, wenigstens den guten Willen müßt Ihr haben, wiedergutzumachen, dann werden wir Mittel und Wege schon finden.

MÜHLINGK. Meinst du? Setze dich mal nieder, mein Kind. – Ich will meiner Gewohnheit gemäß auch diesmal Milde walten lassen und dich mit Gründen zur Vernunft zu bringen suchen, wiewohl ein strenger Verweis vielleicht mehr am Platze wäre ... Sieh dir einmal diesen grauen Kopf an. Darauf hat sich viel Ehre zusammengehäuft, und doch habe ich mich mit dem sogenannten Ehrgefühl niemals abgegeben ... Ach, was muß man alles im Leben einstecken und darf nicht »Hum« sagen, wenn man in die Höhe kommen will. Da ist nun ein junger Mensch, dem ich, wie du sagst, die Ehre genommen habe. Nehmen wir an, du hättest recht ... Ich beklage tief den Leichtsinn deines Bruders ... Aber, wer heißt dem jungen Menschen eine Ehre haben? Wo hat er sie her? Etwa aus seiner Familie? Oder aus meinem Geschäft? ... Meine Commis sind keine Malteserritter ... Gut, du sagst, er hatte sie ... und ich soll sie ihm wiedergeben ... Wodurch? Etwa dadurch, daß ich das Mädchen zu meiner Schwiegertochter mache?

FRAU MÜHLINGK. Ich muß dich bitten, Theodor, auch im Scherze solche Dinge nicht in den Mund zu nehmen ...

MÜHLINGK. Dadurch würde ich mich und mein Haus ins Unglück stürzen. Der junge Mann hat's dagegen in seiner Hand, sich über die Geschichte hinwegzusetzen. Tut er's[97] nicht und tritt die Frage an mich heran: Wer soll unglücklich werden, wir oder er? So antwort ich: Er soll unglücklich werden, ich spüre keine Lust dazu. – So habe ich's mein Lebtag gehalten, und ein jeder kennt mich als Ehrenmann.

LENORE aufstehend. Vater, ist das dein letztes Wort?

MÜHLINGK. Mein letztes Wort. Jetzt komm, gib mir einen Kuß und bitte deine Mutter um Verzeihung.

LENORE weicht schaudernd zurück. Laß mich. Ich kann dich nicht belügen!

MÜHLINGK. Was heißt das?

LENORE. Vater, ich fühle, daß ich in allem Unrecht habe, ich fühle, daß ich Unmögliches von Euch verlange. Ich müßte die Welt ganz anders kennen, um dir gewachsen zu sein – aber – Hält plötzlich inne und lauscht hinaus – Stimmen auf dem Korridor.

MÜHLINGK. Aber? –

LENORE für sich. Da ist er! – Aber – – – o ich kann nicht mehr.


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 96-98.
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