Neunte Scene

[35] Schwartze. Frau Schwartze. Pfarrer. Franziska.


SCHWARTZE. Nun?

FRANZISKA. Mein Gott, seht ihr denn nicht meine Aufregung? Gebt mir doch wenigstens ein Glas Wasser. Frau Schwartze bringt es.

PFARRER. Wollen Sie mir versprechen, lieber Oberstlieutenant, was auch kommen mag, Ihre Ruhe zu bewahren? ... Denn es hängt viel davon ab, das glauben Sie mir.[35]

SCHWARTZE. Ja, ja – aber was soll denn –

PFARRER. Das sagt Ihnen besser Fräulein Franziska.

FRANZISKA nachdem sie getrunken hat. Ja, das ist ein Tag. Heute rächt mich das Schicksal. Dieser Mann hat jahrelang meine heiligsten Empfindungen verletzt – er hat mich – aber heute kann ich feurige Kohlen auf seinem Haupte sammeln. Gerührt. Schwager, gib mir deine Hand. Schwester, gib mir deine Hand.

PFARRER. Verzeihen Sie, liebes Fräulein Fränzchen – ich glaube – Ihre Aufgabe ist so ernst, daß ...

FRANZISKA schmelzend. Nicht böse sein ... Nicht böse sein. Ich bin ja so bewegt. Ich – war also gestern beim Oberpräsidenten. Es waren nur der hiesige Adel und die höchsten Beamten eingeladen. – Ihr waret wohl nicht eingeladen?

SCHWARTZE zornig. Nein.

FRANZISKA. So war's doch nicht gemeint ... dieses Mißtrauen. Ich bin ja so bewegt ... Will weinen, fährt aber auf einen Blick des Pfarrers fort. Ja, ja, ja – ich hatt' also mein gelbes Seidenkleid mit den Brabantern an – – die[36] Schleppe hatt' ich mir kürzer machen lassen. – Also wie ich in den Saal trete. Weint. Wer ist da?

SCHWARTZE. Also – wer ist da?

FRANZISKA aufschluchzend. Euer Kind! Magdalena! Schwartze taumelt zurück, vom Pfarrer unterstützt. Frau Schwartze schreit auf. Dann Schweigen.

SCHWARTZE der sich zuerst faßt. Pfarrer!

PFARRER. Es ist wahr.

SCHWARTZE aufstehend. Magdalene ist nicht mehr mein Kind.

FRANZISKA. Aber hör nur zu. – Du wirst gleich andrer Ansicht werden. Beide Arme wirst du ausstrecken nach einem solchen Kind.

SCHWARTZE. Magdalene ist nicht mehr mein Kind.

PFARRER. Aber schließlich – denk ich – anhören könnten Sie doch, wie sie gefunden wurde.

SCHWARTZE verwirrt. Ja, das kann ich.


Pfarrer winkt Franziska.
[37]

FRANZISKA. Also – der große Festsaal war drückend voll. Fast lauter fremde Menschen. Da seh ich Excellenz durch den Saal gehn und an seinem Arm eine Dame –

FRAU SCHWARTZE. An dem Arm von Excellenz?

FRANZISKA. Mit brünettem Haar und stolz und hochgewachsen. Und rings um sie ein Halbkreis von Menschen wie beim Cercle um Ihre Majestät ... Und plaudert und lacht ... Und jeder, an den sie das Wort richtet, ist beglückt, genau wie bei Ihrer Majestät ... Und sie hat ein halbes Dutzend Orden auf der Schulter, und ein Orangeband mit einer Medaille hat sie um den Hals ... Ich denk' noch, was für eine Fürstlichkeit kann das wohl sein, da dreht sie sich halb um – na, und ich kenn doch Magdas Augen.

SCHWARTZE. Märchen!

FRANZISKA. So, da hat man's.

PFARRER. Lieber Herr Oberstlieutenant, die Sache hat ihre Richtigkeit.

SCHWARTZE. Wenn Sie das – Die Hände faltend. Sie ist nicht untergegangen. Vater im Himmel, du hast sie nicht untergehen lassen![38]

FRAU SCHWARTZE. Und was ist sie, daß sie so hochgeehrt –?

PFARRER. Sie ist im Auslande eine große Sängerin geworden und nennt sich mit einem italienischen Namen Maddalena dall'Orto.

FRAU SCHWARTZE. Hör doch, Leopold, die berühmte Sängerin, von der die Zeitungen immer schreiben, das ist unser Kind.

SCHWARTZE. Magda ist nicht mehr mein Kind ...

PFARRER. Ist das nun Ihre innerste Meinung?

FRANZISKA. Ja, da sieht man, was du für ein Herz hast! – Nimm dir an mir ein Beispiel. Wo sie nur konnte, hat sie mich geärgert, die Kröte, d.h. damals Kröte ... Und jetzt – sie sah mich ja nicht, aber hätte sie mich gesehn – o!

FRAU SCHWARTZE. Leopold, Excellenz hat sie selbst am Arm geführt!

SCHWARTZE. Ich aber sage dir – und dir – und Ihnen, Pfarrer, mir wär's lieber, sie hätte in Not und Lumpen vor mir gelegen und mich um Verzeihung angefleht, denn dann[39] hätt' ich doch gewußt, daß sie im Herzen mein Kind geblieben ist ... Warum ist sie in diese Stadt gekommen – hä –? Die Welt war ja groß genug für ihre Triumphe! Dies Provinznest brauchte sie sich nicht zu erobern. Aber ich weiß! – Ihrem armen Teufel von Vater zu zeigen, wie weit man's in dieser Welt bringen kann, wenn man die Kindespflicht mit Füßen tritt, das ist ihre Absicht. Trotz und Dünkel sprechen aus ihr – weiter nichts!

PFARRER. Lieber Herr Oberstlieutenant, da möchte ich Sie doch fragen: – was spricht aus Ihnen? Etwa das Vaterherz? Nun, darauf werden Sie wohl selber keinen Anspruch machen, denn – – oder vielleicht das gute Recht? Ich glaube vielmehr, Ihr gutes Recht wär' es gewesen, sich ganz einfach an dem Glück Ihres Kindes zu freuen. – Oder vielleicht die gekränkte Sitte? ... Ich weiß nicht – Ihre Tochter hat so viel durch eigene Kraft erreicht, daß die gekränkte Sitte sich am Ende damit zufrieden geben könnte ... Aber mir scheint, aus Ihnen sprechen Trotz und Dünkel, weiter nichts!

SCHWARTZE auffahrend. Herr Pfarrer!

PFARRER freundlich. Ach, schreien Sie mich nicht an ... das ist ja ganz überflüssig. Wenn ich was zu sagen habe, so muß ich's doch sagen, nicht wahr? ... Und da möcht ich fast glauben, es paßt Ihnen nicht, daß sie wider Ihren Willen so hoch gestiegen ist. Ihr Stolz möchte was zu verzeihen haben,[40] und es ärgert Sie, daß es hier nichts zu verzeihen gibt. Und nun frag ich Sie: Wünschen Sie ernsthaft, daß sie lieber als eine Gefallene, eine Verworfene den Weg in ihren Heimatsort zurückgefunden hätte, und wollen Sie es wagen, diesen Wunsch vor Gottes Thron zu verantworten? Schweigen. Nein, mein lieber, alter, verehrter Freund. Sie haben oft im Scherze gesagt, ich sei Ihr gutes Gewissen, lassen Sie es mich einmal ernsthaft sein. Folgen Sie mir! – Heute noch.

FRANZISKA. Hätt'st du das nur gesehn, wie sie –


Pfarrer nickt ihr, sie solle still sein.


SCHWARTZE. Hat sie nur den leisesten Versuch gemacht, sich ihren alten Eltern zu nähern? Hat sie mit einem einzigen Liebeszeichen an ihr Vaterhaus gedacht? Wer bürgt mir dafür, daß meine ausgestreckte Hand nicht mit Hohn zurückgewiesen wird?

PFARRER. Nun, dafür könnt' ich wohl bürgen.

SCHWARTZE. Sie? Na, ich denke, Sie hätten zuallererst eine Probe von ihrem unbändigen Trotz erhalten.

PFARRER betreten. Daran hätten Sie mich nicht erinnern sollen.


Quelle:
Hermann Sudermann: Heimat. Stuttgart 61893, S. 35-41.
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