[107] Die Baden-Badener Saison ging ihrem Ende entgegen. Prinzessin Murat schrieb mir, daß, nachdem die Sommerpläne ins Wasser gefallen, wir doch nun im kommenden Winter wieder nach Paris zurückkehren mögen, wo wir das Versäumte nachholen könnten und sie mir Gelegenheit bieten würde, vieles mitzumachen. Wir folgten dieser Aufforderung und fuhren von Baden-Baden nach Paris zurück.
Den Unterricht in der Duprezschen Schule wollte ich aber nicht wieder aufnehmen. Der Gesang hatte aufgehört, mir »das Wichtige« zu sein. Da ich das Bewußtsein verloren hatte, daß mich meine Begabung auf die höchsten Gipfel der Kunst heben könne, so wollte ich auf die öffentliche Ausübung derselben verzichten und sie nur weiter zu eigenem Genusse betreiben. Mein Sinn war jetzt überhaupt mehr nach der »großen Welt« gerichtet: der Umgang mit all den Fürstlichkeiten, Kaiserlichkeiten und Königlichkeiten war mir vielleicht etwas zu Kopf gestiegen. Die demokratische Gesinnung meiner reifen Jahre war damals jedenfalls noch nicht erwacht.
In der letzten Zeit unseres Aufenthaltes in Baden-Baden hatte[107] sich mir ein junger, ganz junger Mann vorstellen lassen, der mir auffallend huldigte; täglich übersandte er einen prachtvollen Blumenstrauß. Er war ein Engländer, aber in Australien geboren, wo sein Vater, so hieß es, ungeheure Besitzungen hatte. Ich dachte nicht weiter an den hübschen Jüngling, der mit seinen anscheinend achtzehn bis neunzehn Jahren mir Fünfundzwanzigjährigen gegenüber doch nicht als Heiratskandidat gelten konnte, als er sich eines Tages in unserer Pariser Wohnung anmelden ließ und uns um die Erlaubnis bat, seinen Vater, der eben aus Melbourne angekommen war, bei uns einzuführen. Wir willigten ein, und tags darauf erhielten wir den Besuch eines alten, gelähmten Herrn, der sich die Stiege hinauftragen lassen mußte.
»Meine Damen,« begann er die Unterhaltung, »ich will Ihnen ohne Umschweife sagen, was mich zu Ihnen führt. Ich werde wahrscheinlich nicht mehr lange leben und habe einen einzigen Sohn, dessen Lebensglück ich gerne gesichert sehen möchte. Er ist zwar noch sehr jung zum Heiraten – zwanzig Jahre –, aber bei uns sind frühe Heiraten nichts Seltenes. Er hat sich leidenschaftlich in Sie – my dear young lady – verliebt und bat mich, für ihn um Ihre Hand anzuhalten, was ich hiermit feierlich tue. Sie finden das vielleicht nach so kurzer Bekanntschaft sehr anmaßend – aber erstens habe ich keine Zeit vor mir, ich kann jeden Tag abberufen werden, und zweitens habe ich so viel zu bieten, daß ich ohne Ueberhebung so auftreten darf. Ich bin der reichste Mann in Australien. Ich besitze unter anderen eine ganze Straße in Melbourne. Mein Junge erbt alles – aber auch schon während meiner Lebenszeit bin ich bereit, ihm und meiner Schwiegertochter ein königliches Vermögen einzuhändigen. Die Wahl des Ortes, wo sie sich niederlassen, steht der jungen Dame frei. Jedenfalls wird ein Hotel in Paris angekauft. Sie müssen natürlich auch Erkundigungen über uns einziehen können. Wenden Sie sich an das Haus Rothschild, auf das meine Kreditbriefe lauten. Und jetzt bitte ich Sie, sich mit Ihrer Antwort eine Woche zu gedulden und während dieser Zeit meinem Sohne zu erlauben, täglich ein paar Nachmittagsstunden in Ihrem Hause zuzubringen, damit die jungen Leute sich näher kennen lernen. Ich selber bin zu krank, um meinen Besuch oft zu wiederholen.«
Nach dieser schönen Rede, auf die ich gar nichts und meine Mutter nur ein paar Worte von »Ueberraschung«, »Ueberlegung« erwiderte, empfahl sich der alte Herr und wir blieben mit unserer Verblüffung allein. Am selben Abend erzählte ich den Vorfall meiner Freundin und ihrem Gatten.[108]
»Welch fabelhaftes Glück, Contessina! Da müssen Sie zugreifen ...«
Ich protestierte ein wenig: »Aber ich kenne den jungen Menschen kaum, liebe ihn nicht, ich bin zu alt für ihn ...«
Doch diese Einwendungen wehrten meine Freunde ab. Besonders Prinz Achille legte sich ins Zeug. Er stellte sich mir zur Verfügung, die nötigen Erkundigungen einzuziehen und mir durch seinen Häuseragenten, John Arthur, den Ankauf eines herrlichen Palais zu vermitteln. Er prophezeite, daß ich den ersten Salon in Paris haben werde. Wenn der junge Mann auch keinen aristokratischen Namen hatte – ich brachte einen solchen mit, und Millionen, so viele Millionen bedeuten heutzutage mehr als Rang und Titel. Das alles klang mir angenehm; meine Mutter betrachtete die Sache auch als einen Glücksfall, der junge Mann war elegant und hübsch und schien mich anzubeten, kurz: wir sagten »Ja«.
Da erschien wieder der Vater und lud uns zu einer Spazierfahrt ein, die mich in eine wahre Tausendundeine-Nacht-Stimmung versetzte. Wir fuhren durch die Champs-Elysees: ich sollte dort unter vier oder fünf prunkvollen Palais, die verkäuflich waren, eines aussuchen. Meine Wahl fiel auf das Hotel Païva – einen wahren Schmuckkasten, den Graf Henckel-Donnersmarck der schönen Madame Païva eingerichtet hatte. Von den Champs-Elysees fuhren wir in die Rue de la Paix. Vor dem großen Juwelierladen ließ mein künftiger Schwiegervater halten; sein Diener hob ihn aus dem Wagen und half ihm in den Laden, wo ihm ein Lehnsessel zurechtgeschoben wurde. Wir standen daneben. Er befahl, daß man das Schönste, was an Schmuck zu haben sei, vorzeige. Gefällig brachte der Juwelier seine prächtigsten Waren herbei, und die geöffneten Samtkapseln erschlossen mir das Gefunkel farbensprühender Solitäre und den matten Glanz erbsengroßer Perlen.
»Wie teuer diese Riviere?« fragte der Australier.
»Zweihunderttausend Franken,« lautete die Antwort.
Dann an mich gewandt: »Gefällt Ihnen das Stück?«
Ja, mir gefiel es. Und nun griff er nach dem Perlenhalsband.
»Das ist nicht übel,« meinte er, »aber es sind nur drei Reihen, könnte man nicht fünf haben?«
»Von derselben Größe? Das wird schwerhalten,« antwortete der Juwelier.
»Nun, wir wollen heute noch nicht schlüssig werden,« sagte der alte Herr, und wir verließen den Laden.
»Ich will noch zu einigen anderen Juwelieren gehen,« sagte er,[109] als wir im Wagen saßen; »aber nicht heute. Jetzt weiß ich, was Ihrem Geschmack entspricht. Ich habe übrigens aus Australien Steine mitgebracht, die viel schöner und größer sind, als wir hier gesehen – die werde ich als Diadem fassen lassen.«
Ich bin heute noch froh, diese Pariser Spazierfahrt erlebt zu haben. Ich habe dabei eine Sensation kennen gelernt, die durchzukosten nur wenigen Menschen zuteil wird – nämlich das Bewußtsein, daß man über unermeßlichen Reichtum verfügt, und daß man nur zu winken braucht, um alles, alles zu erlangen, was für Geld zu haben ist. Es ist im ersten Moment ein berauschendes Empfinden, aber – auch diese Wahrnehmung ist mir wertvoll: der Rausch verfliegt bald und macht einer gewissen Blasiertheit Platz; wie eine Ermüdung überkommt es einen: wenn man alles so schnell haben kann, was man wünscht, was bleibt dann noch zum Wünschen übrig? Und dann, jenseits von den mit Geld zu erstehenden Gütern, wie viel gibt es da noch der Güter, die nicht käuflich sind ... Liebe, Ruhm, Ehre, Frohsinn, Gesundheit ... was hat der arme lahme Mann von seiner Häuserzeile in Melbourne? Und ich, statt einem starken, bedeutenden, geliebten Mann anzugehören, zu dem ich aufblicke, an den ich mich stützen könnte – – dieses Bübchen ...
Prinz Achille kam zu uns, um meinen Freier kennen zu lernen. Er fand ihn, glaube ich, auch ziemlich unbedeutend, aber das schien ihm eine Eigenschaft mehr.
»Sie werden aus ihm machen können, was Sie wollen – ihn um den Finger wickeln.«
Er lud ihn für den nächsten Abend zum Diner ein. Am nächsten Abend aber, als wir schon eine Viertelstunde lang auf den Gast gewartet, kam eine Botschaft: Mister F. sei unwohl geworden und bitte, ihn zu entschuldigen. – Am folgenden Tag war das Unwohlsein zum Glück wieder verschwunden. Die Erkundigung bei Rothschild brachte keine genauen Details, denn der Chef war eben in Nizza und die Beamten wußten nur zu sagen, daß ein Kreditbrief auf den betreffenden Namen wirklich vorgelegt und honoriert worden sei. Und nun sollte eine Verlobungsfeier stattfinden. Die Eltern des Prinzen Achille hatten die Freundlichkeit, anzutragen, daß das Fest in ihrem Hause abgehalten werde, und sie schickten die Einladungen dazu aus. Mit einer himmelblauen Toilette angetan, die ich mir für den Anlaß bei Worth hatte bauen lassen, und klopfenden Herzens trat ich in den Salon ein. Der Wagen war unterwegs aufgehalten worden und wir – meine Mutter und ich – kamen daher ziemlich verspätet an. Die ganze Gesellschaft war schon versammelt[110] – doch der Bräutigam war auch noch nicht da. Es verging eine peinliche Viertelstunde – und da der Erwartete noch immer nicht erschien, ging man zu Tisch. Ich wurde zur Rechten des alten Hausherrn gesetzt – der Platz an meiner Rechten blieb vorläufig leer. Man war schon – in sehr peinlicher Stimmung – bis zum dritten Gang gelangt, als ein Billett hereingebracht wurde: Herr F. lasse um Entschuldigung bitten, er sei plötzlich unwohl geworden. Das Diner wickelte sich darauf sehr flau ab. Die vorbereiteten Verlobungstoaste mußten natürlich ungesprochen bleiben, und der Champagner wurde nur auf die baldige Genesung des Abwesenden geleert.
Ich ahnte nichts Gutes: dieses zweimalige Absagen bei meinen Freunden und nun gar zur Verlobungsfeier selber – und in so kühlem Ton: was sollte das heißen? – Was es heißen sollte, darüber brachte mir am nächsten Morgen die Post Bescheid. Es war ein Brief des Vaters. Nur wenige Zeilen mit der Nachricht, daß die beiden Herren nach England abgereist seien. Sie waren zu dem schmerzlichen Entschluß gekommen, die Verlobung wieder rückgängig zu machen. Der Altersunterschied sei doch zu groß, denn der junge Mann war – es sei nur eingestanden – nicht zwanzig, sondern erst achtzehn Jahre alt. Farewell, and may you be as happy as you deserve. Yours truly. – Und das war alles. Weggeblasen der ganze Märchentraum. Später erfuhren wir, daß auch die ganze Häuserzeile in Melbourne und die sonstigen Millionen nur Märchen gewesen. –
Natürlich habe ich mich eine Zeitlang über diese Episode gekränkt und geschämt. Ich fühlte mich vor der ganzen Familie Murat blamiert; doch trachteten meine Freunde mich aufzurichten und versicherten immer wieder, daß ja aller Tadel nur auf die beiden Engländer fallen konnte und daß es eigentlich ein Glück für mich war, die abenteuerlichen Leute los zu sein. Und ich war auch wirklich bald getröstet.
Im selben Winter hatte ich noch ein Erlebnis, das sich meinem Gedächtnis eingeprägt hat. Eines Tages erhielt ich ein Billett, gezeichnet Princesse Annette Tschawtschawadze, worin mich diese Dame aufforderte, sie im Grand-Hotel zu besuchen, wo sie und ihre zwei Töchter, Lisa und Tamara, abgestiegen seien. Ich kannte die Fürstin Annette, eine Schwägerin der Dedopali, von Homburg her und freute mich, sie wieder zu sehen.
Eine interessante Episode aus ihrem Leben war mir oft erzählt worden. Der berüchtigte Tscherkessenführer Schamyl hatte sie einst geraubt.[111] Es war zu Anfang der fünfziger Jahre. Die junge Frau saß mit zwei ihrer kleineren Kinder und einer französischen Gouvernante in der Veranda ihrer Villa in Kachetien, als plötzlich eine Reiterschar einfiel. Die Männer sprangen ab, legten die Frauen in Fesseln und schwangen sie auf ihre Rosse. Der Fürstin Annette wurden die zwei Kinder in die Arme gelegt und fort sprang die Schar. Die junge Frau mußte zu ihrem Schreck auch noch den fürchterlichen Schmerz erleben, daß ihren immer kraftloser werdenden Armen das eine Kind entglitt und von den Hufen der Pferde zertreten wurde. Bei der ganzen Entführung handelte es sich nur um den Loskauf. Den Frauen wurde in Schamyls Behausung die rücksichtsvollste Behandlung zuteil, er setzte nur an ihre Herausgabe sehr hohe Bedingungen – nicht ein Geldpreis war es, sondern irgendeine politische Konzession. Der Preis wurde gezahlt und Fürstin Annette befreit; niemals aber in ihrem Leben hat sie das Grauen verwinden können, das sie in der Minute empfand, als ihr das Kind aus den Armen fiel. –
Ich fand die Dame in ihrem Hotelsalon, und unter den anwesenden Besuchern gewahrte ich auch – o Ueberraschung – Heraclius Bagration, Prinz von Georgien. Und noch größer ward die Ueberraschung, als mir Fürstin Annette ihre siebzehnjährige Tochter Tamara und den ältlichen Herrn als – Verlobte vorstellte ...
Es versetzte mir wohl einen Schlag; aber meine Schwärmerei war ja längst verflogen, und so konnte ich ziemlich unbefangen und aufrichtig meine Glückwünsche darbringen.
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