[137] Zunächst sehe ich uns – an Bord des Dampfers, der uns von Odessa übers Schwarze Meer nach dem Hafen Poti bringen sollte. Es war des Meinen erste Seefahrt im Leben und er liebte leidenschaftlich das Meer, hatte sich immer nach einer Seereise gesehnt, und jetzt schwelgte er in der Erfüllung. Unser Ziel war das Land, wo sich Jason das goldene Vließ geholt. Ich glaube, in uns beiden war damals viel von der Jasonstimmung: eine Mischung von Abenteuerlust, von Eroberungszuversicht, von Hoffnungsrausch. Eine Welt des Neuen, Ueberraschenden lag vor uns; einen Boden sollten wir betreten, voll der klassischesten Weihe, und Erlebnisse winkten uns, die wir uns gar nicht gut vorstellen konnten. Wir wußten, daß man uns erwartete und mit offenen Armen aufnehmen würde. Ich hatte von Wien aus der Dedopali und dem Fürsten Niko, der damals auch im Kaukasus weilte, unseren ganzen Roman geschrieben und unseren Besuch angesagt. Ein freudiges »Willkommen« ward uns zurücktelegraphiert. Daß Niko, mein alter Freund, dem Meinen eine Adjutantenstelle beim Kaiser oder so etwas Aehnliches verschaffen würde, das betrachteten wir beide als etwas Wahrscheinliches. Wir waren überhaupt so furchtbar entzückt über unser Zusammensein, unser kühner Streich hatte uns ein solches intensives Frohgefühl verschafft, alles war uns bisher wie »sur des roulettes« gegangen, so daß wir einer fortwährenden Steigerung unserer Glückserlebnisse entgegensahen. Im Triumph würden wir einst heimkehren; aber nach der Heimkehr würden wir noch lange nicht begehren, vorläufig hinaus in die weite, schöne, reiche, merkwürdige Welt – wir holen uns das goldene Vließ. Und brauchten es nicht einmal – das war das Schönste dran. Was immer uns die Welt für Schätze gewähren oder verweigern wollte – wir hatten unermeßlichen Reichtum aneinander, und heftiger noch als ich empfand der Meine dies alles. Er war erst sechsundzwanzig Jahre alt, und dies war seine erste Fahrt ins[137] Unbekannte. Ich hatte doch schon so manche Enttäuschung hinter mir und war mit meinen dreiunddreißig Jahren jenem Rauschzustand, den man Jugend nennt, schon einigermaßen entrückt. Aber an seinem Jugendjubel berauschte ich mich und war dann ebenso kindisch wie er.
Nach ruhiger Ueberfahrt landete unser Schiff am asiatischen Strand. Ein anderer Weltteil – das erfüllt den noch wenig Bereisten mit einem eignen Stolz; ein Stolz, auf den alte Globetrotter lächelnd herabsehen. Der Meine setzte den Fuß auf den außereuropäischen Boden mit dem Hochmut eines Eroberers.
»So,« sagte er frohlockend, »da wären wir in Asien!« –
Ob Asien oder Australien, ob Erde oder Mars – frohlockte es in mir, da sind wir zusammen und das ist die Hauptsache.
Ein Abgesandter der Fürstin war uns am Landungsplatze entgegengekommen. Er übergab mir einen Brief seiner Herrin mit einem neuerlichen Willkommen und mit der Bitte, wir möchten unsere Ankunft in Gordi (der Sommerresidenz) noch um acht Tage verschieben, denn solange würde es noch dauern, bis unsere Gastgeber, die jetzt noch in Zugdidi weilten, mit der Uebersiedlung in die Berge in Ordnung waren. Wir mögen uns den Weisungen des Abgesandten anvertrauen, der würde uns nach der Stadt Kutais geleiten, wo wir indessen im Gasthof Aufenthalt nehmen sollten. Wir überließen uns also der Fürsorge des Vertrauensmannes, ein georgischer Wirtschaftsbeamter, der ein wenig Französisch radebrechte. Der Mann trug die Landestracht: langer Kaftan, Patronenhülsen an der Brust, Baschlik auf dem Kopfe, Dolch im Gürtel. Am selben Tage ging nach Kutais kein Zug mehr ab, und wir mußten daher die Nacht in Poti zubringen. Da war allerdings nur ein sehr einfaches Gasthaus, aber »que faire«. – Diese aus dem Russischen übersetzte Redensart bekamen wir dort zu Lande oft zu hören; sie enthält jene mit Achselzucken verbundene Resignation, welche nicht so sehr die Frage ausdrückt, was solle man tun, um gegen irgend etwas anzukämpfen, sondern vielmehr bedeutet: da läßt sich nichts tun.
In der Tat, das Gasthaus war sehr einfach: die Nacht brachten wir auf Sesseln zu, da die Betten sich als zu stark bevölkert erwiesen, und als wir Toilette machen wollten und nach einem Waschtisch auslugten, fanden wir keinen. Ich klingelte nach dem Stubenmädchen. Dieses erschien in Gestalt eines barfüßigen Bauernsohnes mit struppigem Bart und einem Wald von schwarzem Kraushaar. Wir konnten ihm unsere Wünsche nicht verständlich machen und riefen unseren Vertrauensmann, der gleichfalls in diesem Palacehotel von Poti[138] abgestiegen war, zu Hilfe. Da stellte sich heraus, daß im Hause nur eine Zinnwaschschüssel vorhanden war, die nach Bedarf von einem Gastzimmer ins andere getragen wurde und das Handtuch (in welchem Zustande!) dazu.
Von dieser Raststation nicht besonders erfrischt, aber in ungetrübt guter Laune, setzten wir den anderen Morgen unsere Reise fort, um unsere nächste Etappe, Kutais, die Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements, zu erreichen. Dort erwartete uns wie der ein anderer Abgesandter der mingrelischen Familie – der Intendant des jungen Fürsten, ein dicker, lärmender Armenier, der gleichfalls Französisch zu radebrechen wußte und der europäische Kleidung trug. Der geleitete uns in das beste Gasthaus von Kutais, das freilich auch noch kein Palacehotel war, im Vergleich aber mit der gestrigen Spelunke als solches erscheinen konnte, denn hier hatte jeder Gast sein eignes Waschbecken, sogar sein eignes Handtuch, und Zimmer und Betten waren rein. Aber so furchtbar exotisch erschien uns alles, was wir sahen und hörten und – rochen: die fremden Typen, die fremden Kostüme, die fremde Bauart der Häuser und – was den Geruchssinn anbelangt – ein ganz eigentümlicher, nicht unangenehmer Duft von sonnengetrocknetem Büffelmist. Die Büffel selber, die hier als Lastzugtiere und als Melktiere verwendet werden und die wir schon auf dem Weg nach Kutais in verschiedenen Pfützen faulenzen sahen, waren uns eine exotische Erscheinung.
Die Hitze war entsetzlich. Im Zimmer konnte man es kaum aushalten, und wir verbrachten die Tage und nahmen die Mahlzeiten (bestehend aus Hammel, Hammel, Hammel) auf einem Holzbalkon, der über dem Hof rund um das Haus lief. – Nach zwei Tagen reiste unser Armenier ab, und es kam ein dritter Abgesandter, um uns Schutz und Schirm zu sein. Diesmal ein Hausfreund der Dadianischen Familie, ein alter französischer Edelmann »de vieille roche« mit den feinen Formen »de l'ancien régime«. Sein Name war Comte de Rosmorduc. Gebürtig aus der Bretagne, war er vor etwa fünfundzwanzig Jahren nach dem Kaukasus gekommen (aus welchem Anlaß, das weiß ich nicht) und hatte sich da gänzlich niedergelassen. Er war mit einer Mingrelierin verheiratet und besaß ein selbsterbautes Haus in Zugdidi. Bei der alten Fürstin und ihren Kindern war er sehr gerne gesehen und wurde in der Folge auch uns ein lieber Freund.
Nun machte er uns die Honneurs von Kutais. Er stellte uns in dem Hause des Generals Zeretelli vor, das erste Haus der Stadt. Zeretellis waren Kaukasier und Verwandte der Dadianis. Sie[139] zeigten sich uns sehr zuvorkommend und veranstalteten sogar uns zu Ehren für den kommenden Abend einen großen Empfang, zu welchem alle Notabilitäten und Adelsfamilien des Ortes geladen wurden. Die Tochter Nina war eine berühmte Schönheit, doch galt sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren schon als altes Mädchen. Kaukasierinnen pflegen mit fünfzehn bis sechzehn Jahren zu heiraten. So war die Gräfin Rosmorduc, die jetzt fünfunddreißig Jahre alt war, schon schon seit zwanzig Jahren verheiratet. Diese, gleichfalls eine große Schönheit, sollten wir erst im künftigen Jahre kennen lernen. Die Soiree im Hause Zeretelli hat uns einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen, weil es das erstemal war, daß wir das gesellige Leben des Landes beobachten konnten. Hier sahen wir Damen in ihrer Nationaltracht und wohnten zum erstenmal der Aufführung des Nationaltanzes – der Lesginka – bei. Nahmen auch zum erstenmal an einer Festtafel teil, wo aus schlanken Silberkannen der feurige Kachetinerwein in große Trinkhörner gegossen wurde, wo ein zu dem Ehrenamt gewählter »Vortrinker« die Gesundheit ausbrachte – bei dieser Gelegenheit als erste die Gesundheit der Gäste aus Oesterreich. Hausherr und Hausfrau setzten sich nicht zu Tisch, sondern halfen bedienen. Wir fanden viele unter den Anwesenden, die Französisch sprachen, und wo das nicht der Fall war, diente Graf Rosmorduc, der die Landesprache erlernt hatte, als Dragoman. Im Saale stand ein Klavier. Mein Mann setzte sich dazu und spielte einige seiner selbstkomponierten Walzer, und die kaukasische Gesellschaft war voll Bewunderung und tanzte zu dieser Musik mit vollkommener Grazie. Am anmutigsten zeigte sie sich jedoch in der Lesginka. Dieser Tanz wird gewöhnlich nur von einem Paare ausgeführt, die anderen sitzen in der Runde und klatschen taktmäßig in die Hände. Die Begleitmusik wird von einem kleinen, landesüblichen Instrument besorgt, das eine gewisse drei Takte lange Melodie endlos wiederholt, und von glöckchenumringten Tambourins, auf welchen kundige Hände in immer heftigerem Rhythmus trommeln. Der Tanz selber ist eine Darstellung des uralten Liebesspieles: Verfolgen, fliehen, locken. Die Männer führen kunstvolle Pas auf, die Frauen schweben förmlich über dem Boden, das lange Kleid aus schwerer Seide verbirgt die Füße, so daß es aussieht, als rollten sie auf unsichtbaren Rädchen dahin; der Schleier, der an ihrem Kopfputz befestigt ist, weht hinter ihnen her, und von den in runder Gebärde ausgestreckten Armen fliegen die langen Doppelärmel. Zum Abschluß des Festes gab ich eine italienische Bravourarie zum besten und darauf das Lachlied von Auber – das Paradestück der Charlotte Patti –; das gesungene[140] Gelächter steckte alle an, und das Ganze endete mit einem Lachchor.
Und nun, am anderen Morgen, ging es ans Reiseziel nach dem auf hohem Bergplateau gelegenen Gordi. Graf Rosmorduc mietete eine Troika und gab uns das Geleite. Ein lustiges Fahren war es mit diesem Dreigespann; je mehr der federlose Wagen schüttelte, desto mehr Spaß hatten wir daran. Der Weg war herrlich, alle Hecken mit Kaskaden von wilden Rosen überblüht. Die Hitze war entsetzlich dabei. Die Aussicht desto erfreulicher, daß es in die Berge ging, wo, wie Graf Rosmorduc versicherte, stets kühle, fast rauhe Lüfte wehen.
Nach mehrstündiger Fahrt durch die Ebene kamen wir an der Brücke des Pompejus an; das ist die Stelle, wo man den Wagen verlassen muß, um den Weg zu Pferde zurückzulegen. Man war da am Eingang des Engpasses, und steil hoben sich die Gipfel der Berge, die wir zu erklimmen hatten, vom blauen Himmel ab. Der Strom, der unter der Pompejusbrücke rauschte und schäumte, rauschte in unseren Ohren vielleicht noch einmal so stark, weil er uns als der »Hippos« der Alten bezeichnet worden; was für klassische Fahrzeuge – wohl auch Jasons Barke selber, als dieser das goldene Vließ zu erbeuten ausging – mochte er auf seinen Wellen geschaukelt haben! Das war die Stelle, so erinnerte ich mich aus Dedopalis Briefen, wo das junge Fürstenpaar auf seiner Heimreise aus dem Wagen gestiegen, wo die Brücke mit einem Teppich bespannt war und ein Triumphbogen aus Blumen die Grenzlinie von Mingrelien bezeichnete. Unserer harrte an der Pompejusbrücke kein Triumphbogen, aber doch eine schöne Ueberraschung: Fürst Niko, von einem großen Gefolge begleitet, war uns bis zur Schwelle seines Reiches entgegengeritten, um die »Contessina« und deren Gatten zu bewillkommnen. Unter einem Zelt war eine Tafel mit Erfrischungen aufgestellt. Da wurde erst ein Frühstück eingenommen, ein Willkommenstoast ausgebracht und dann ging es an den Aufstieg. Für uns und den Grafen Rosmorduc waren auch Pferde bereit; für mich ein frommer Paßgänger. Fürst Niko hob mich in den Sattel, und jetzt mußten wir die sieben Kilometer Serpentinen hinaufreiten, von dem Trupp der fürstlichen Eskorte umgeben, die in ihrer malerischen Tracht, auf ihren hohen Sätteln allerlei Reiterkunststückchen ausführend, an steilen Bergwänden hinauf- und hinabspringend, ein ganz wunderbares Schauspiel bot.
Und als wir so in die Höhe ritten, wurde die Temperatur immer kühler und der Ausblick in die Schluchten und Täler immer großartiger.[141] Die Sonne war schon hinter den Bergen verschwunden, als wir am Ziele anlangten. Gordi liegt auf einem großen Plateau, in dessen Hintergrund, gegen eine Bergwand gelehnt, das Schloß des Fürsten, ein ausgedehnter, turmflankierter und mit zahlreichen Balkonen und Terrassen geschmückter Bau, steht. Rechts und links davon in Abständen kleine, nette Holzvillen. Eine davon war von der Fürstin-Mutter bewohnt, eine von Niko selber, denn auch sein Schloß war noch nicht vollendet, eine war für uns bestimmt, und die anderen dienten den übrigen Gästen und Nachbarn als Quartier. Auf der Terrasse ihrer Villa stand die Dedopali, um uns zu bewillkommen. Sie war umgeben von ihren Frauen, ihrem Almosenier, ihrem Geheimschreiber und ihren Leibmohren. Sie öffnete mir die Arme und hieß mich willkommen.
»Présentez-moi votre cher mari, ma petite contessina, où faut-il dire ›baronessina‹ maintenant?«
Meinen Mann, der sich nach der Vorstellung über ihre Hand beugte, küßte sie nach russischer Sitte auf die Stirne.
Bald wurden wir dann in unser Häuschen geleitet, wo wir uns ausruhen und zum Diner Toilette machen sollten. Die kleine, ebenerdige Gastvilla bestand aus einem mit bunter Kretonne tapezierten und ebenso möblierten Sitzzimmer, einem Schlafzimmer und Kammern für den Diener und die Dienerin, die ganz zu unserer Verfügung gestellt waren. Das Diner wurde in der Villa Dedopali eingenommen und auf einer geräumigen, offenen Veranda serviert. Nach dem Diner begab sich die Gesellschaft – wir waren ungefähr dreißig bei Tisch gewesen – hinaus auf das Plateau, das im hellen Mondlicht dalag, und nun wurden auch Tänze aufgeführt, Raketen flogen in die Luft, Chorgesänge ertönten, und erst nach Mitternacht begab man sich zur Ruhe. Das war unser Empfang in Gordi.
Ausgewählte Ausgaben von
Memoiren
|
Buchempfehlung
Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro