Dritter Gesang.

[74] 1.

Schon war der Morgenlüfte sanftes Kosen,

Auroren zu verkünden, früh erwacht.

Sie kränzet noch ihr goldnes Haupt mit Rosen,

Die Edens Flur zum Schmuck ihr dargebracht:

Als murmelnd, wie bewegter Wellen Tosen,

Das Heer sich schon zum Aufbruch fertig macht,

Eh noch die Kriegstrommeten sich erheben

Und hellern Klangs das frohe Zeichen geben.


2.

Der weise Feldherr lenkt mit sanftem Walten

Den Trieb der Seinen und begünstigt ihn;

Denn leichter wär's, die Wasser aufzuhalten,

Die raschen Laufes zur Charybdis fliehn,

Und selbst den Nord, wann sein unhemmbar Schalten

Versenkt die Schiff' und packt den Apennin.

Er ordnet sie, führt an und lenkt die Straße,

Noch eilend zwar, doch eilend nun mit Maaße.
[75]

3.

Ein Jeder trägt an Herz und Füßen Flügel

Und fühlt doch nicht, wie rasch er fortgerannt.

Doch höher schwingt die Sonne nun den Zügel

Und spaltet, heißern Strahls, das dürre Land:

Da sieh, Jerusalem! dort Zions Hügel!

Da sieh! Jerusalem zeigt jede Hand;

Da sieh! es rufen Tausend nun und Tausend:

Jerusalem! in frohem Gruß erbrausend.


4.

So, wann ein kühnes Volk auf schwachen Schiffen

Dem ungewissen Meere sich vertraut,

In fremder Zon', umringt von Felsenriffen,

Vom Sturm umheult, dem Tod' entgegenschaut,

Und nun sein Blick das ferne Land ergriffen,

Erschallt sein Gruß mit hellem Jubellaut;

Und Einer zeigt's dem Andern, und vergessen

Sind Müh' und Noth des Wegs, den sie durchmessen.


5.

Doch nach der Freude, der sie sich ergeben,

Vom ersten Anblick wunderbar entzückt,

Fühlt Jeder sein zerknirschtes Herz erbeben,

Von heil'ger Scheu und Ehrfurcht tief gedrückt.

Kaum wagen sie das Aug' empor zu heben

Zu jener Stadt, die Christus einst beglückt,

Wo er verschied und wo er ward begraben,

Wo dann die Glieder ihn aufs neu' umgaben.
[76]

6.

Gebrochnes Aechzen, halb ersticktes Weinen,

Schmerzvolles Seufzen, klagendes Gestöhn

Der Schaaren, welche Freud' und Schmerz vereinen,

Erfüllt die Luft mit murmelndem Getön,

Wie man's vernimmt in dichtbelaubten Hainen,

Wann leiser Wind herabfährt aus den Höh'n;

Wie das bewegte Meer, mit hohlem Sausen,

Ans Ufer hin durch Klippen pflegt zu brausen.


7.

Baarfüßig, nach der Führer Beispiel, wallen

Die Völker nun, da man der Stadt sich naht;

Und abgelegt wird demuthsvoll von Allen

Gold, Seide, Helmschmuck, jeder eitle Staat.

So auch der Herzen stolze Kleider fallen,

Und heiße Zähren netzen fromm den Pfad;

Und doch, als ob der Thränen Quell verschlossen,

Klagt reuig so ein Jeder der Genossen:


8.

Wo du, o Herr! das Erdreich ließest saugen,

In tausend Strömen, dein geheiligt Blut,

Kann solches Leids Gedächtnis mir nicht taugen,

Zwei Bäche dir zu weihn von bittrer Flut?

O kaltes Herz! warum nicht durch die Augen

Strömst du dahin, geschmelzt in Thränenglut?

O hartes Herz! gleichst du noch jetzt den Steinen?

Weinst du nicht heut, so mußt du ewig weinen!
[77]

9.

Ein Mann indeß, der über Berg' und Anger

Als Wächter schaut von einem Thurm am Wall,

Sieht unten Staub entstehen, der in langer

Fortwälzung aufsteigt wie ein Wolkenball.

Die Wolke scheint mit Glut und Blitzen schwanger,

So funkelt sie, so strahlt sie überall.

Jetzt sieht er schon der Waffen und Geschosse

Metallnen Glanz, und kennet Leut' und Rosse.


10.

Da ruft er laut: Wie wälzt sich ungeheuer

Der Staub daher! wie schimmert er herauf!

Auf, Bürger, auf! vertheidigt das Gemäuer!

Bewaffnet euch und eilet rasch hinauf!

Schon nahet sich der Feind! – Und dann, mit neuer

Anstrengung, ruft er: Zu den Waffen, auf!

Der Feind ist da! Seht, welche Nebelwolke

Erhebt sich gräßlich vor dem nahen Volke!


11.

Die schwachen Kinder, die entnervten Alten,

Der Weiber bange Schaaren, ohne Kraft

Den Feind zu treffen, noch ihn abzuhalten,

Ziehn zur Moschee, laut flehend, kummerhaft.

Doch wer von kräft'germ Arm und muth'germ Walten,

Hat alsogleich die Waffen aufgerafft.

Die ziehn zum Schutz der Thore, die des Walles;

Der König geht umher und ordnet Alles.
[78]

12.

Nachdem, was nöthig, überall geschehen,

Besteigt er einen Thurm, zwei Thoren nah;

Hier kann er Berg' und Felder übersehen

Und ist, im Nothfall, gleich zur Hülfe da.

Er läßt hieher Erminia mit sich gehen,

Die seinen Hof zum Zufluchtsort ersah,

Seit Antiochien ihr der Feind genommen,

Und dort der Fürst, ihr Vater, umgekommen.


13.

Den Franken fliegt Clorinde schon entgegen,

Vor ihrer Schaar, mit reißender Gewalt;

Argant indeß lauscht auf geheimen Wegen,

Zur Hülfe stets bereit, im Hinterhalt.

Die Heldin weiß der Ihren Muth zu regen

Durch kühnes Wort und kriegrische Gestalt:

Heut, ruft sie, kommt uns zu, den Grund zu bauen,

Auf welchen Asien stütze sein Vertrauen!


14.

Clorinde ruft's und sieht auf wenig Schritte

Ein Frankenhäuflein ziehn, mit Raub beschwert,

Das auf die Beute ging, nach Kriegessitte,

Und nun mit Schlachtvieh heim zum Heere kehrt.

Sie sprengt heran, und aus der Franken Mitte

Spornt auch der Führer auf sie los sein Pferd.

Sein Nam' ist Gardo, wohlberühmt in Schlachten,

Doch freilich nicht der Heldin gleich zu achten.
[79]

15.

Ihr kräft'ger Stoß macht ihn vom Sattel weichen;

Die Franken sehn's, es sieht's der Heiden Schaar

Und nimmt, hell jauchzend, dies als gutes Zeichen

Dem ganzen Kriege; doch es ward nicht wahr.

Sie stürzt' aufs andre Volk mit wilden Streichen,

So daß ihr Arm gleich hundert Armen war.

Die Heiden folgten ihr auf diesem Wege,

Gebahnt durch Stöße, frei gemacht durch Schläge.


16.

Die Beute wird dem Plündrer abgenommen;

Die Franken weichen nach und nach gelind,

Bis sie auf eines Hügels Gipfel kommen,

Wo sie im Schutz des Ortes sichrer sind.

Nun, Flammen gleich, die in der Luft entglommen,

Und wie sich reißend löst ein Wirbelwind:

So stürzt Tancred, durch Gottfrieds Wink verpflichtet,

Mit seiner Schaar hervor, den Speer gerichtet.


17.

Er führt den Schaft so stark, mit solcher Hitze,

So kriegrisch reizend kommt der junge Held,

Daß gleich der König, auf des Thurmes Spitze,

Ihn unter Kühnen für den Kühnsten hält.

Er spricht zu der, die schon auf ihrem Sitze,

Was sie empfand, mit Mühe nur verstellt:

Du hattest ja mit Christen viel zu schaffen,

Und kennest jeden wohl, auch unter Waffen.
[80]

18.

Wer ist denn Jener, der mit starkem Speere,

Furchtbaren Anblicks, Allen rennt zuvor?

Da, statt der Antwort, steigt ihr eine Zähre

Ins Aug', ein Seufzer aus der Brust empor.

Sie strebt umsonst, daß sie der Regung wehre,

Die doch nicht ganz sich unbemerkt verlor;

Denn Purpur färbt die feuchten Augenlieder,

Und halb nur senkt des Seufzers Hauch sich nieder.


19.

Dann, sich verstellend, deckt sie mit dem rauhen

Gewand des Hasses sehr verschiedne Glut:

Wohl kenn' ich ihn! Muß ich umringt ihn schauen

Von Tausenden, ihn kenn' ich nur zu gut.

Denn oft, schon früher, sah ich, wie er Auen

Und Gräben füllte mit der Meinen Blut.

Wie grausam trifft er! Ach! für seine Wunden

Ward nie ein Kraut noch Zauberspruch gefunden.


20.

Es ist Tancred. O hätt' ich ihn, gefangen,

In meiner Macht! Todt dürft' er noch nicht sein;

Nein, leben müßt' er, diesem Glutverlangen

Durch süße Rache Lindrung zu verleihn.

Sie spricht es; und der Fürst, leicht hintergangen,

Trägt fremden Sinn in wahres Wort hinein;

Und es entschlüpft mit ihren letzten Tönen,

Umsonst zurückgedrängt, ein zärtlich Stöhnen.
[81]

21.

Zum Gegenangriff sprengt indeß Clorinde,

Den Speer gefällt, rasch auf Tancreden los.

Sie treffen die Visir', in alle Winde

Fliehn Splitter auf, der Schönen Haupt wird bloß;

Denn es zerriß von ihrem Helm die Binde,

Er sprang herab – o wunderbarer Stoß! –

Und es erschien, gelöst die goldnen Locken,

Im Schlachtgefild' ein Mädchen, unerschrocken.


22.

Ihr Auge flammt, als ob es Blitze sprühte,

Im Zorne hold; wie wär's im Lächeln gar?

Was schaut Tancred? Was sinnst du im Gemüthe?

Wird dir das vielgeliebte Bild nicht klar?

Dies ist das Antlitz, das dich ganz durchglühte;

Sag's dir dein Herz, das längst sein Tempel war.

Dies ist sie, die du einst am stillen Quelle

Die Stirne kühlen sahst mit klarer Welle.


23.

Er, der auf Schild und Helmschmuck nicht geachtet,

Wird jetzt zu Stein, da ihn ihr Blick erreicht.

Sie, die ihr Haupt zur Noth zu decken trachtet,

Greift ohne Zögern an; er aber weicht

Und kreist sein wildes Schwert, das Andre schlachtet.

Doch sie vergönnt ihm Frieden nicht so leicht;

Denn drohend folgt sie ihm und ruft: Verweile!

Daß sie zugleich zwiefachen Tod ertheile.
[82]

24.

Sie haut auf ihn, er kann nicht wieder hauen,

Nicht so bedacht auf Schutz und Widerstand,

Als ihr ins Aug', ins Angesicht zu schauen,

Wo Amor nie umsonst den Bogen spannt.

Er spricht zu sich: Wohl fehlet von den rauhen

Schwertstreichen mancher der bewehrten Hand;

Doch ihrem Antlitz, unbewehrt und offen,

Fehlt nie ein Streich, stets wird mein Herz getroffen.


25.

Er will, zwar hoffnungslos sie zu erweichen,

Als stummer Liebender nicht aus der Welt;

Sie wiss' es erst, daß sie mit ihren Streichen

Den wehrlos zitternden Gefangnen fällt.

Drum sagt er ihr: Du, die nach allen Zeichen

Mich hier allein für ihren Gegner hält,

Komm aus der Schlacht; so können wir, vom Toben

Der Menge fern, du mich, ich dich erproben.


26.

Dann wird man besser sehn, ob meine Stärke

Der deinen gleicht. Sie nimmt den Vorschlag an;

Als ob sie kaum des Helms Verlust bemerke,

Sprengt kühnlich dem Betäubten sie voran.

Kaum sind sie fern, so schreitet sie zum Werke;

Schon hat sie einen mächt'gen Hieb gethan,

Da ruft er aus: Halt' ein mit Blutvergießen,

Daß, vor dem Kampf, wir Kampfverträge schließen.
[83]

27.

Sie senkt das Schwert, und bis zur Kühnheit heben

Lieb' und Verzweiflung den verzagten Sinn.

Dies, spricht er, sei Vertrag: versagt dein Streben

Den Frieden mir, so nimm mein Herz nur hin.

Mein Herz, nicht mehr das meine, wenn sein Leben

Dir mißbehagt, hält Sterben für Gewinn.

Dein war es lange Zeit, und wohl ist zeitig,

Daß du es nehm'st! ich mach' es nicht dir streitig.


28.

Sieh her! die Arme senk' ich, nicht versagen

Soll sich die Brust; was zaudert nun dein Stoß?

Soll ich dein Werk erleichtern? Ohne Zagen

Leg' ich den Panzer ab, willst du sie bloß.

Wohl hätte länger noch in bittern Klagen

Tancred bejammert sein unselig Loos;

Allein ihn hemmt, unzeitig, eine Menge

Von Heiden und von Franken, im Gedränge.


29.

In Flucht gejagt vom Christenheere, weichen

Die Palästiner, Furcht sei's oder List.

Ein Franke, der im Winde wehn die reichen

Goldlocken sieht, hebt, ruchlos wie er ist,

Die Hand empor, um, im Vorüberstreichen,

Sie da zu hau'n, wo sie der Deckung mißt.

Allein Tancred gewahrt's und wirft den Degen,

Mit lautem Schrei, dem mächt'gen Hieb entgegen.
[84]

30.

Wie schnell er auch zu ihrer Hülf' erschienen,

Ward doch vom Hieb der weiße Hals verletzt.

Doch streift' er kaum; die blonden Locken schienen,

Von wenig Tropfen ihres Bluts benetzt,

Dem Golde gleich, das schimmernd mit Rubinen

Des hochberühmten Künstlers Hand besetzt.

Doch der ergrimmte Fürst eilt jenem Schlechten

Voll Eifer nach, das Schwert in seiner Rechten.


31.

Der aber flieht; ergrimmt auf den Barbaren,

Folgt Dieser, wie ein Pfeil die Luft durchbricht.

Sie blickt ihm sinnend nach; doch Beide waren

Schon weit entfernt, und folgen will sie nicht.

Nun zieht sie sich zurück mit ihren Schaaren,

Zeigt bald den Franken wieder ihr Gesicht,

Greift an, kehrt um; man sieht sie fliehn und jagen;

Doch, ist es Jagd, ist's Flucht, bleibt schwer zu sagen.


32.

So, wann ein Stier im weiten Kampfgefilde

Den Hunden rasch sein Horn entgegenstreckt,

Hält sie die Furcht zurück; doch flieht der wilde,

Wie dreist ihn dann der freche Haufen neckt!

Clorinde schützt im Fliehn sich mit dem Schilde,

Mit dem von hinten sie das Haupt bedeckt:

So schützt der Flüchtling bei der Mohren Spielen

Vor Kugeln sich, die drohend nach ihm zielen.
[85]

33.

Schon waren die im Jagen, die im Fliehen

Bis nahe zu den Mauern hingerannt:

Als nun auf einmal laut die Heiden schrieen,

Und plötzlich hatten sie sich umgewandt.

Sie machen einen Bogen und umziehen

Den Feind im Rücken und von jeder Hand;

Indeß Argant mit seinen Kriegern allen

Vom Berge kommt, um vorn ihn anzufallen.


34.

Der wilde Heide flog voraus, erbittert,

Weil er den ersten Stoß zu thun beschloß;

Und der Getroffne, der ihn kaum gewittert,

Stürzt auch sogleich, und über ihn sein Roß;

Und ehe dann der mächt'ge Speer zersplittert,

Wird Mancher noch im Fallen sein Genoß.

Das Schwert hernach, wo's einen Feind gefunden,

Da giebt es Tod, zum mindsten Fall und Wunden.


35.

Mit ihm wetteifert nun Clorind' im Streite,

Und hat Ardelio's edles Blut versprützt,

Des unbezwungnen Greises, vom Geleite

Des tapfern Söhnepaars nicht g'nug beschützt.

Alkandern nahm ein Schwerthieb von der Seite

Des Vaters, den er sorgsam unterstützt;

Und kaum errettet Polyfern, der neben

Dem Alten blieb, mit Noth sein eignes Leben.
[86]

36.

Tancred indeß, der mit verhängtem Zügel

Umsonst dem schnellern Flüchtling nachgejagt,

Schaut rückwärts und gewahrt, daß an dem Hügel

Sein kühnes Volk zu weit sich vorgewagt.

Er sieht's umringt, und wie auf Windesflügel

Eilt er dahin, wo man die Seinen plagt;

Und nicht nur Er bringt Hülfe seinen Schaaren,

Auch jener Bund, nie fehlend in Gefahren:


37.

Die Ritterschaar, so Dudo'n Führer nannte,

Der Nerv und Stolz der ganzen Christenwelt.

Rinald, des Blitzes Flug besiegend, rannte

Vor Allen her, der schönste, kühnste Held.

Erminia, die ihn an der Haltung kannte,

Am weißen Aar im himmelblauen Feld,

Sah auch des Königs Blick ihm schon begegnen,

Und sprach: Sieh hier den Bänd'ger der Verwegnen!


38.

Fast Keiner ist, der ihn im Kampf erreiche;

Noch ist er Knab' und ward doch nie besiegt.

Ja, wären Sechs im Feindesheer' ihm Gleiche,

Längst hätt' in Fesseln Syrien sich geschmiegt,

Längst sich gebeugt des Mittags fernste Reiche

Und welches Reich zunächst dem Aufgang liegt.

Vielleicht, daß selbst der Nil das unentdeckte,

Weit ferne Haupt dem Joch umsonst versteckte.
[87]

39.

Er heißt Rinald; mehr als Belagrungswerke

Scheu'n Mauern des ergrimmten Arms Gewicht.

Nun wende dorthin deinen Blick; bemerke

Den, der in grün und goldnen Waffen ficht.

Dudo ist dies; ihm folgt des Heeres Stärke,

Die Ritterschaar, frei von des Dienstes Pflicht.

Er ist von hohem Blut und vielerfahren,

Weicht Keinem an Verdienst und siegt an Jahren.


40.

Den Großen, Braunen, laß Gernand dir nennen;

Sein Bruder herrscht in Norwegs Länderkreis.

Kein stolzer Haupt mag wohl die Erde kennen,

Nur dies verdunkelt seiner Thaten Preis.

Sieh diese Beiden, die sich niemals trennen,

In Weiß gekleidet, jede Zierde weiß:

Gildipp' und Odoard, Geliebt' und Gatten,

Die längst den Ruhm des Muths, der Treue hatten.


41.

Sie sprach's; da sahn sie auf des Feldes Mitten

Das Kampfgewühl anwachsen mehr und mehr.

Tancred, und neben ihm Rinald, durchschnitten

Der Feinde Kreis, so stark an Volk und Wehr;

Die Ritter dann, die unter Dudo stritten,

Erschienen auch und drängten hart und schwer.

Argant, Argant sogar, den jetzt danieder

Rinaldo warf, erhob sich mühsam wieder.
[88]

42.

Wohl hätt' er nie vom Falle sich erhoben,

Allein Rinaldo's Roß fiel gleich darauf;

Und da sein Fuß sich untern Leib geschoben,

Hielt das Zurückziehn ein'ge Zeit ihn auf.

Die Heiden nun, durchbrochen und zerstoben,

Fliehn nach der Stadt in ordnungslosem Lauf.

Argant nur und Clorinde sind dem Schwalle

Der nachergossnen Wut zum Damm und Walle.


43.

Sie weichen erst zuletzt; dem raschen Fliegen

Des Frankenschwarmes hemmen sie die Bahn,

So daß, die fliehn, nicht ganz dem Feind erliegen

Und sichrer sich dem Schutz der Mauern nahn.

Der wackre Dudo folgt, erhitzt vom Siegen,

Den Flücht'gen, stößt den schrecklichen Tigran

Mit seinem Roß; dann wirft ihn, ungehindert,

Sein Schwert zur Erd', um einen Kopf vermindert.


44.

Nichts half Algazars Panzer ohne Fehle,

Noch that der Helm Korbans ihm Widerstand;

Er traf sie rücklings, daß durch Jenes Kehle,

Durch Dieses Brust sein Schwert den Ausgang fand.

So trieb auch Amuraths und Mehmets Seele

Aus ihrer süßen Wohnung seine Hand;

Almansors dann; der mächtige Circasser

Blieb selbst nicht sicher vor dem Heidenhasser.
[89]

45.

Es knirscht Argant; dem Strom, der nach ihm flutet,

Begegnet er bisweilen, weicht dann auch.

Jetzt aber wendet er sich unvermuthet

Und stößt sein Schwert dem Ritter in den Bauch,

Daß tief der Stahl hineindringt; Dudo blutet,

Und mit dem Blut entflieht des Lebens Hauch.

Er stürzt vom Roß, und auf die Augenlieder

Sinkt harte Ruh und schwerer Schlaf hernieder.


46.

Noch öffnet er dreimal dem süßen Lichte

Des Tages sie, strebt auf dem Arm empor

Und sinkt dreimal zurück; schon hüllet dichte,

Graunvolle Nacht sein Aug' in dunkeln Flor;

Die Glieder starren, und im Angesichte

Bricht langsam nun der kalte Schweiß hervor.

Nicht länger bleibt Argant, der wilde Streiter,

Beim todten Leichnam stehn; rasch fliegt er weiter.


47.

Doch ruft er überlaut, wie schnell er rannte,

Den Franken zu: Ihr Ritter! dieses Schwert,

Mit Blut gefärbt, ist jenes wohlbekannte,

Das gestern erst mir euer Herr bescheert.

So sagt ihm nun, wie ich es heut verwandte,

Denn sicherlich ist ihm die Kunde werth.

Er muß sich freu'n, daß seine Gastbescheerung

Gab beim Versuch der Tüchtigkeit Bewährung.
[90]

48.

Sagt ihm, er selbst, an seinen Eingeweiden,

Soll bald davon gewissre Probe sehn;

Und sollt' er wohl uns anzufallen meiden,

Komm' ich zu ihm, eh' er sich deß versehn.

Der Christen Heer stürmt auf den frechen Heiden

Wetteifernd los, erbittert durch sein Schmähn;

Doch er und seine Schaar, kraft ihrer Schnelle,

Sind schon gedeckt vom Schutz der Freundes-Wälle.


49.

Vom Walle nun und von den Mauern flogen

Die Stein' in solchem Hagel weit umher,

Und Köcher ohne Zahl verliehn den Bogen

So viele Pfeile jetzt zur Gegenwehr,

Daß sie zum Halt der Franken Schaar bewogen;

Und in die Thore zog der Heiden Heer.

Allein Rinald, der seinen Fuß befreite

Vom Rossesdruck, kam schon nach dieser Seite.


50.

Er kam, um Dudo's Fall an dem Barbaren

Zu rächen, der den tapfern Greis erschlug.

Was warten wir? – so rief er seinen Schaaren

Voll Eifer zu – was hemmt noch unsern Zug?

Der Edle fiel, von dem wir Ritter waren,

Und noch verweilt der blut'gen Rache Flug?

Bei solchem Grund zu kühnem Zorneswalten,

Soll eine morsche Mauer noch uns halten?
[91]

51.

Und wäre diese Mauer undurchdringlich,

Zwiefach von Eisen oder Diamant:

Was ist der Kraft der Franken unerschwinglich?

Sie schütze nicht den frevelnden Argant!

Wohlauf, zum Sturm! Er rief's, und unbezwinglich

War er vor Allen schon voraus gerannt,

Und trug sein sichres Haupt dem Sturm und Regen

Der Stein' und Pfeile sonder Furcht entgegen.


52.

Er hebt die Stirn, sein Auge sprüht Verderben,

So drohend schüttelt er das große Haupt,

Daß auch die kühnsten Krieger sich entfärben,

Selbst in der Stadt sich Keiner sicher glaubt.

Doch da er den ermuntert, dem mit herben

Scheltworten dräut, wird ihm die Macht geraubt;

Denn Sigiern schickt Bouillon nach jenem Orte,

Den strengen Ueberbringer ernster Worte.


53.

Er schilt den Uebermuth und heischt vom Bunde,

In Gottfrieds Namen, Rückkehr alsobald.

Kehrt um, so spricht er; weder Ort noch Stunde

Begünst'gen jetzt den Zorn, der euch durchwallt.

Gottfried befiehlt es euch. Auf diese Kunde

Zähmt sich sogleich, der Andern Sporn, Rinald;

Obwohl er knirscht und durch Geberd' und Stimme

Manch Zeichen giebt von schlecht verhehltem Grimme.
[92]

54.

Die Schaaren kehrten um, und aus der Veste

Ließ man dem Rückzug ungestörte Rast.

Nicht mißten auch der letzten Pflicht die Reste

Des edeln Dudo, der im Feld erblaßt.

Der Freunde treuer Arm trug sie aufs beste

Zum Lager heim, als theure, werthe Last.

Vom Hügel schaut indeß Bouillon die Stärke

Jerusalems, die Lag' und Festungswerke.


55.

Auf zweien Hügeln ist die Stadt erhoben,

Ungleicher Höh', einander zugewandt;

Ein Thal, das in die Mitte sich geschoben,

Trennt, wie die Stadt, so beider Hügel Wand.

Drei Seiten führen mühsam nur nach oben,

Die vierte steigt kaum merklich auf vom Land;

Doch ist die ebne Seite, die gen Norden,

Durch hohe Mauern um so fester worden.


56.

Im Innern fehlt's dem Orte nicht an Teichen,

Cisternen und lebend'ger Quellen Flut;

Doch weit umher kein Wasser zu erreichen,

Verbrannt der Boden durch der Sonne Glut.

Kein Strauch erblüht, und keine Bäume reichen

Dem Wandrer Schutzwehr vor des Mittags Wut;

Nur ist, drei Stunden fern, ein Wald zu schauen,

Von gift'gem Schatten voll und düsterm Grauen.
[93]

57.

Der edle Jordan strömt auf jener Seite,

Wo man erblickt des neuen Tags Beginn;

Gen Abend streckt sich bis in ferne Weite

Des Mittelmeeres sand'ges Ufer hin.

Gen Nord liegt Bethel, die Altäre weihte

Dem goldnen Stier; Samaria weiterhin;

Und da, woher der feuchte Südwind regnet,

Bethlem, durch die Geburt des Herrn gesegnet.


58.

Indem Bouillon die Mauern nun und Zwinger

Der Stadt beschaut, die Gegend und das Land,

Sinnt, wo zu lagern sei, und wo geringer,

Bei einem Sturm, der Mauern Widerstand,

Nimmt ihn Erminia wahr, zeigt mit dem Finger

Auf ihn und spricht, zum Aladin gewandt:

Dort ist Bouillon, vom Purpur stolz umfaltet,

So herrlich und so königlich gestaltet.


59.

Er ist fürwahr zum Oberherrn geboren,

So ganz ist ihm die Herrscherkunst verliehn.

Doch doppeltes Verdienst ist ihm erkoren:

Als Ritter, wie als Führer, preist man ihn.

Ihm ist von Allen, die zum Kreuz geschworen,

An Muth und Klugheit Keiner vorzuziehn;

Nur Raimund ist im Rath, es sind in Schlachten

Rinald nur und Tancred ihm gleich zu achten.
[94]

60.

Der König sprach: Er ist mir nicht entgangen,

Als ich Gesandter von Aegypten war

An Frankreichs Hof; schon da sah ich ihn prangen,

Im Lustgefecht, vor aller Ritter Schaar.

Zwar säumte noch die jugendlichen Wangen,

Das zarte Kinn, ihm kaum ein weiches Haar;

Doch ließ sein Reden, Handeln und Betragen

Die größte Hoffnung für die Zukunft wagen.


61.

Zu wahre Hoffnung! Und mit stillem Leide

Senkt er den Blick, erhebt ihn dann und spricht:

Wer ist denn Dieser, auch im Purpurkleide,

Ihm gleich, so scheint's, an Ansehn und Gewicht?

O wie einander ähnlich sind sie Beide!

Erreicht er auch an Größe Jenen nicht.

Graf Balduin, spricht sie; und noch mehr an Werken,

Als an Gestalt, kann man den Bruder merken.


62.

Betrachte Jenen nun, der neben Diesen,

Wie Rath ertheilend, steht; sieh ihn genau.

Raimund ist dies, den ich vorhin gepriesen

Als fein und klug; ein Mann, bejahrt und grau.

Im Heer hat Keiner sich so reich bewiesen

An Kriegeslist, so vielgewandt und schlau.

Der, mit dem goldnen Helme, mehr von dannen,

Ist Wilhelm, Sohn des Königs der Britannen.
[95]

63.

Bei ihm steht Guelf, ihm gleich durch hohe Werke,

Durch edles Blut und königlichen Stand.

Wohl kenn' ich diesen an der Schultern Stärke

Und an der Brust, gewölbt und weit gespannt.

Doch daß ich meinen Hauptfeind nicht bemerke,

Wie weit umher ich auch den Blick gesandt!

Ihn, Bohemund, den Räuber meines Gutes,

Den Tilger meines königlichen Blutes.


64.

So sprachen sie. Nun kehrt zu seinen Mannen

Bouillon zurück, da er sich umgeschaut.

Und weil er nicht, die Stadt zu übermannen

Von jenen schroffen Seiten, sich getraut,

Befiehlt er jetzt, ein Zelt ihm aufzuspannen

Vor jenem Thore, das gen Norden schaut;

Damit von dort bis zu dem Thurm der Ecke –

So nennt man ihn – das Lager sich erstrecke.


65.

Fast um den dritten Theil der Festung schlingen,

Wenn auch nicht völlig, sich die Zelte her;

Denn mit dem Lager ganz sie zu umringen,

Erlaubt ihr großer Umfang nimmermehr.

Doch jeden Weg, Verstärkung ihr zu bringen,

Besetzt der Feldherr gleich mit seinem Heer;

Und jeder Paß, um in die Stadt zu kommen

Und von ihr auszugehn, wird eingenommen.
[96]

66.

Er läßt das Lager dann mit tiefen Graben

Und festen Schanzen rings umher versehn,

Um vor der Städter Ausfall Schutz zu haben

Und fremden Streiferei'n zu widerstehn.

Als diese Werke nun die Zelt' umgaben,

Wollt' er den Leichnam seines Dudo sehn

Und ging dahin, wo dem verehrten Todten

Die Freunde schon der Wehmuth Opfer boten.


67.

Sie schmückten rings mit würdigem Gepränge

Die hohe Bahre, die den Helden zeigt.

Als Gottfried nahet, bricht der Schmerz der Menge

Gewalt'ger aus und lautre Klag' entsteigt.

Allein Bouillon, im Antlitz weder Strenge

Noch Heiterkeit, zähmt sein Gefühl und schweigt;

Und dann, nachdem er lang' in tiefem Sinnen

Ihn angeschaut, hört man dies Wort beginnen:


68.

Nun nicht gebührt dir Schmerz noch Thräne weiter;

Denn starbst du hier, lebst du in Himmelsau'n,

Und lässest, ein vom Erdgewand Befreiter,

Uns deines Ruhms erhabne Spuren schau'n.

Du hast gelebt als Christi heil'ger Streiter,

So starbst du auch; jetzt wird für dein Vertrau'n,

O sel'ger Geist! dir Gottes Schau'n zum Lohne;

Du trägst der guten Thaten Palm' und Krone.
[97]

69.

Du lebst fürwahr beglückt; und daß wir weinen,

Macht unser Schicksal, deines nicht, erlaubt;

Denn ach! dein edler Hingang trennt die Deinen

Von einem so verehrten, mächt'gen Haupt.

Doch ward durch das, was Tod heißt den Gemeinen,

Ein ird'scher Beistand uns mit dir geraubt,

So kannst du jetzt uns himmlischen erwerben,

Da dich der Himmel zählt zu seinen Erben.


70.

Und wie, zu unserm Heil, wir dich erproben,

Als Irdischen, der Erde Waffen sahn:

So hoffen wir, du wendest nun dort oben,

Als sel'ger Geist, des Himmels Waffen an.

Lern' itzt empfangen, was wir dir geloben,

Und steh' uns bei auf unsrer sauern Bahn.

Erring' uns Sieg! Wir lösen, fromme Krieger,

Dir das Gelübd' im Tempel einst, als Sieger.


71.

So sprach er, und schon tilgen jetzt die Schauer

Der dunkeln Nacht das letzte Tageslicht

Und hemmen jede Zähr' und jede Trauer

Durch das Vergessen aller Sorg' und Pflicht.

Doch Gottfried, der nicht stürmen kann die Mauer,

Wenn's an Belagrungswerkzeug ihm gebricht,

Sinnt, woher Holz zu ziehn, was nöthig thue

An Sturmgezeug, und gönnt sich wenig Ruhe.
[98]

72.

Aufstehend mit der ersten Morgenhelle,

Giebt er dem Trauerzuge selbst Geleit.

Schon war das Grab, an eines Hügels Schwelle,

Von duftendem Cypressenholz bereit,

Dem Lager nah; des Tapfern Ruhestelle

Hüllt' eine Palm' in ernste Dunkelheit.

Hier ward er beigesetzt, und Priester flehten

Für seine Ruh mit Liedern und Gebeten.


73.

Rings an den Aesten sah man Kriegeszeichen

Und Waffen aufgehängt verschiedner Art,

Die er in Syriens und in Persiens Reichen

Dem Feinde nahm auf manch beglückter Fahrt.

Sein Harnisch und die andre Wehr deßgleichen

Ward an dem Stamm des Baumes aufbewahrt;

Und eine Grabschrift muß dem Wandrer melden:

Hier ruhet Dudo; ehrt den hohen Helden.


74.

Wie also nun Bouillon mit frommen Sorgen

Der Andacht und der Freundschaft Pflicht vollstreckt,

Schickt er zum Forst, noch an demselben Morgen,

Die Zimmerleute sämmtlich, wohl bedeckt.

Tief zwischen Thälern liegt der Wald verborgen,

Den Franken hatt' ein Syrier ihn entdeckt.

Da gehn sie hin, um Werke zu vollbringen,

Die sicher bald die feste Stadt bezwingen.
[99]

75.

Der Eine regt den Andern auf zur Eile,

Damit der Wald des Schmuckes sei beraubt.

Der starke Zirn erliegt dem scharfen Beile,

Die Fichte stürzt, der Palme heil'ges Haupt;

Die traurige Cypresse sinkt, die steile

Hochtanne fällt, die Esche, dicht belaubt;

Der Ulmbaum, oft vermählt den zarten Reben,

Die mit gekrümmtem Fuß gen Himmel streben.


76.

Ahorne fallen hier, dort stürzen Eichen,

Die tausendmal den Scheitel neu geschmückt,

Und tausendmal den ungestümen Streichen

Der Stürme widerstanden, ungebückt.

Dort knarren schon die schwerbeladnen Speichen,

Von duft'ger Buch' und Ceder Last gedrückt;

Und Wild und Vögel fliehn, in bangen Schwärmen,

Aus Höhl' und Nest beim Waffenklang und Lärmen.

Quelle:
Torquato Tasso: Das Befreite Jerusalem. Teil 1, Berlin 1855, S. 74-100.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das befreite Jerusalem
Befreites Jerusalem (1-2)
Torquato Tasso's Befreites Jerusalem, Volumes 1-2 (German Edition)
Befreites Jerusalem

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gedichte. Ausgabe 1892

Gedichte. Ausgabe 1892

Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.

200 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon