Zweite Szene

[292] Frau Bürgermeister. Der Major. Die Frau Bürgermeister setzt ihre Tasse zum Trinken an, stellt sie aber heftig nieder und schiebt sie mit energischer Bewegung in den Tisch hinein.


FRAU BÜRGERMEISTER. Da! Das soll jetzt so weiter gehen! Und ich muß zuschauen. Fällt mir gar nicht ein! Ich weiß, was ich tue. Sie räumt das Geschirr zusammen, wobei sie Tassen und Teller heftig auf das Servierbrett stellt, mit den Löffeln klirrt usw. Der Major liest anscheinend eifrig in der Zeitung.

FRAU BÜRGERMEISTER. Ja, die Männer! Das kann nicht nachgeben. Nur recht starrköpfig, daß um Gottes willen keine Perle aus der Krone fällt! Sie wirft die Zuckerzange sehr heftig in die Blechdose und klappt diese laut zu.

FRAU BÜRGERMEISTER. Nur recht rücksichtslos! Was liegt denn auch an der Familie. Zum Major. Du hörst mich wohl gar nicht?

MAJOR über seine Zeitung weg. Doch. Du bist sehr vernehmlich.

FRAU BÜRGERMEISTER. Aber es ist dir nicht der Mühe wert, was zu sagen?

MAJOR. Wozu? Du unterhältst dich ja ganz famos mit dem Kaffeegeschirr.[292]

FRAU BÜRGERMEISTER. Und du machst dich über alles lustig. Das ist deine Kunst.

MAJOR. Sag mal, Schwägerin, soll ich jetzt die Vorwürfe kriegen, vor denen Fritz ausgerissen ist?

FRAU BÜRGERMEISTER. Die gehen schon dich selber an.

MAJOR. Das ist sehr aufmerksam von dir, aber was habe ich eigentlich mit der ganzen Geschichte zu tun?

FRAU BÜRGERMEISTER. Natürlich nichts. Nicht das mindeste! – Wer ist denn schuld, wie du?

MAJOR. Ich?

FRAU BÜRGERMEISTER. Ja, du!

MAJOR legt die Zeitung weg. Na, Gott sei Dank, daß ihr das herausgeknobelt habt!

FRAU BÜRGERMEISTER. Fritz hat bloß wegen dir so gelogen.

MAJOR. Hat er dir gebeichtet?

FRAU BÜRGERMEISTER. Er hat mir alles gesagt.

MAJOR. Und da habt ihr euch geeinigt, daß ich der Sündenbock bin?

FRAU BÜRGERMEISTER. Er traute sich nicht die Wahrheit zu sagen, weil er Angst hatte vor deinen Witzen.

MAJOR. Das ist eine Auslegung!

FRAU BÜRGERMEISTER. Er tut jetzt auch nicht, was er selber möchte. Aus lauter Respekt vor dir.

MAJOR. Jetzt, da schau her!

FRAU BÜRGERMEISTER. Jawohl. Er wäre gleich zu Adolf hin und hätte sich ausgesprochen mit ihm. Aber wenn ich ihm zurede, heißt es: »Es geht nicht! Ich kann nicht. Karl heißt mich den größten Waschlappen, wenn ich es tue!«

MAJOR. Wär's vielleicht schön, wenn er ihm nachläuft? Er steht auf; beide gehen nach vorn.

FRAU BÜRGERMEISTER. Nachlaufen! Wie sich das großartig anhört! Das wäre schon was!

MAJOR. Jedenfalls eine Blamage.

FRAU BÜRGERMEISTER. Und wenn! Für sein Kind kann man sich auch einmal blamieren.

MAJOR. Wenn es noch was hätte davon!

FRAU BÜRGERMEISTER. Ach so! Du hast ja Fritz förmlich dazu gratuliert, daß Suschen sitzen bleibt.

MAJOR. Dazu nicht. Aber, daß ihr den Herrn losgeworden seid.[293]

FRAU BÜRGERMEISTER. Weißt du, da muß ich schon sagen wie meine Schwester: so ungeschickt kann bloß ein Junggesell daher reden. Was wißt ihr von den Sorgen, die man mit Kindern hat.

MAJOR. Du hast wohl die Sorge, daß Suschen glücklich wird?

FRAU BÜRGERMEISTER. Eben deshalb.

MAJOR. Ist denn Heiraten wirklich alles, Schwägerin?

FRAU BÜRGERMEISTER resolut. Ja. Oder wenigstens die Hauptsache. Wenn ein Mädel nur eine richtige Versorgung hat. Alles andere kommt von selber.

MAJOR. Oder auch nicht.

FRAU BÜRGERMEISTER. Das Glück hat niemand in der Hand. Wenn man seinem Kind nur die Möglichkeit dazu verschafft.

MAJOR. Und das war hier der Fall, meinst du?

FRAU BÜRGERMEISTER. Ganz gewiß.


Der Major zuckt mit den Achseln.


FRAU BÜRGERMEISTER. Was soll man denn verlangen? Er ist gesund, brav, hat eine sichere Stellung. Kann man sich eine bessere Partie denken? Lauter Prinzen gibt's halt nicht.

MAJOR. Und von der Neigung sagst du nichts? Sonst habt ihr sie immer im Mund.

FRAU BÜRGERMEISTER. Sie hat ihn gern. Und wie gern. Geh nur hinauf und schau, wie das arme Ding sich abgrämt!

MAJOR. Und er?

FRAU BÜRGERMEISTER. Er hat sie auch gut leiden können. Die heftige Zuneigung braucht es nicht.

MAJOR. So?

FRAU BÜRGERMEISTER. Nein. Das sagt jede vernünftige Frau. Die große Leidenschaft taugt gar nichts. Die hat keinen Bestand.

MAJOR. Die kleine scheint auch nicht herzuhalten.

FRAU BÜRGERMEISTER. Sie hält schon, wenn man erst verheiratet ist und sein anständiges Auskommen hat.

MAJOR. Ich wünsche deinem Suschen etwas Besseres als so einen Frosch.

FRAU BÜRGERMEISTER. Du warst immer gegen ihn.

MAJOR. Und hab' ich nicht recht gehabt? Beim ersten Schuß läßt er das Mädel im Stich.

FRAU BÜRGERMEISTER. Das wäre nie soweit gekommen, wenn Fritz nicht so bockbeinig gewesen wäre. Und heute ließe sich noch mit Adolf reden.[294]

MAJOR. Du nimmst ihm das gar nicht übel?

FRAU BÜRGERMEISTER. Er ist am wenigsten schuld. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte er nie daran gedacht, wegzugehen.

MAJOR. Aber, weil er Angst kriegte ...

FRAU BÜRGERMEISTER. Er ist ein Mensch, der was auf sich hält, und der vorwärts kommen will.

MAJOR. Und dem alles andere wurscht ist.

FRAU BÜRGERMEISTER. Gerade, weil er so vorsichtig ist, wird eine Frau bei ihm ihre sichere Existenz haben.

MAJOR. Übertriebene Ansprüche an den Charakter stellst du wirklich nicht.

FRAU BÜRGERMEISTER. Charakter! Er hat Charakter genug.

MAJOR. Ah?

FRAU BÜRGERMEISTER. Wer sich eine solche Stellung erringt, muß schon Charakter haben.

MAJOR. Warum streiten wir eigentlich, Schwägerin? Du hast ja deinen Entschluß schon gefaßt.

FRAU BÜRGERMEISTER. Das habe ich auch.

MAJOR. Du wirst dem Herrn Amtsrichter sagen, daß er seiner Karriere nicht schadet, wenn er wiederkommt.

FRAU BÜRGERMEISTER. Er soll wenigstens wissen, woran er ist. Wenn er trotzdem wegbleibt, in Gottes Namen! Aber die Dummheit verschweigen, das tue ich nicht.

MAJOR. Er wird euch verzeihen. Suschen ist ja ein hübsches Mädel, kriegt auch was mit, und bis er wieder eine findet, das kostet ihm Zeit und Mühe.

FRAU BÜRGERMEISTER. Es kann ja sein, daß ich mir was vergebe. Die Leute würden es vielleicht schöner finden, wenn wir jetzt recht großartig beleidigt wären. Ich verliere aber gerne meinen Stolz, wenn nur das Kind glücklich wird.

MAJOR hält ihr die Hand hin, jovial. Geh her! Du bist eine brave Haut.

FRAU BÜRGERMEISTER schlägt ein. Lach nur über mich!

MAJOR. Das tu' ich nicht. Ich habe gestern und heut viele Redensarten gehört; vielleicht selber ein paar gemacht. Am Ende ist das natürlicher, was du sagst. Auch wenn du nicht recht hast.

FRAU BÜRGERMEISTER. Du mußt mir etwas versprechen, Karl.

MAJOR. Und was?

FRAU BÜRGERMEISTER. Daß du Fritz nicht in seinem Hochmut[295] bestärkst, wenn Adolf wirklich zurückkommt.

MAJOR lacht. Das werde ich bleiben lassen. Der tut doch, was er will.

FRAU BÜRGERMEISTER. Nein, du! Wirklich! du hast einen solchen Einfluß auf ihn. Und es ist dir doch nicht gleich, wenn wir in dem Kummer weiter leben?

MAJOR. Das kann mir schon nicht gleich sein. Ich habe den Schaden daran. Das ist ja scheußlich, wie ihr jetzt herumsitzt.

FRAU BÜRGERMEISTER. Also versprich mir das!

MAJOR. Gut! Ich werde Fritz nicht in seinem Hochmut bestärken.

FRAU BÜRGERMEISTER. Ich dank' dir; auch für Suschen.


Marie kommt von links.


FRAU BÜRGERMEISTER. Marie, räumen Sie ab, und wenn mein Mann fragt, sagen Sie ihm, daß ich fort bin und bald wieder komme.

MARIE. Ja, gnä' Frau. Die Bürgermeisterin droht im Abgehen dem Major noch mit dem Zeigefinger; dann links ab.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 292-296.
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